«Die Kunst des Ignorierens»

Das las ich bei KrethPlendi. Es hatte wahrlich ein Lob verdient. Und so schrieb ich ihr ein paar Zeilen, die ich hier auf meiner Denkmüllhalde etwas ausführlicher entsorgen möchte, auf daß sie sich keine Sorgen machen muß wegen eventueller Okkupationen.

Es ist ein Sprachbild, bei dem ich das Bogenschießen assoziiere. Ohne dabei an die Arbeit zu denken, die mit dem Erlernen dieser Disziplin verbunden ist. Andererseits tue ich mich da leicht, hatte mir meine Krankenkasse, die vorgestern erwähnte, die jährlich zig Millionen in die Förderung von etwas derberen sportlichen Aktivitäten steckt und des Ausgleichs wegen auch schonmal ein paar Menschen in die Hängematte schickt, vor einiger Zeit ein bißchen was nachgelassen. Wegen Erreichung der Altersgrenze. Deshalb schaukle ich so zenig für mich hin.

Das Ignorieren ist wohl das, was auch beim «erschöpften Algorithmenstürmer» Schirrmacher in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Oder bei Herrn Jauch. Die beiden haben sich dieser Tage im Kultursender wie alte Freunde Seit' an Seit' sitzend zu ihrer Ratlosigkeit geäußert und waren sichtlich emotionalisiert ob der Gefahr, ihre Gehirne könnten all dem nicht mehr ausweichen, sie seien gefangen in diesem schier unglaublich engmaschigen Netz aus eMail, Kurzmitteilung und neuester Nachricht. Auf den Erstgenannten werden die meisten ja nicht so achten, weil der Bücher schreibt. Letzterem stehen sehr viele emotional näher und sind dabei (wenn sie mal vom Netz wegkommen). Doch auch der weiß offensichtlich nicht, wie man ein Gerät ausschaltet. Und Zusammenhänge kann er auch nicht erklären; so lange ist es noch nicht her, daß man ihm mit diesem ganzen Kultur- und Nachdenkkram ziemlich auf die Nerven ging. Bei ihm sowie seinen ganzen spaßigen Vor- oder Nachahmern gibt's jedoch bis heute nichts anderes als 333, bei Issus Keilerei. Wissen wird das genannt, in einem Atemzug mit Bologna etwa, was gleichzusetzen wäre mit Pisa. Demnach nimmt alles seinen Lauf, wie seit einigen Jahren, als die Wirtschaft die Bildungspolitik der Länder übernommen hatte. Mit Hilfe dieser neueren Technik der Organverkümmerung könnte es sein, daß das Kognitive als Bestandteil der Reflexivität noch rascher als früher beseitigt wird.

Als ich Frau Braggelmann besuchte, kringelte sie sich gerade, da sie die Fernsehbilder sah, die die aufgeschreckte Öffentlichkeit erreichten: Studentendemonstrationen! Haben die nichts anderes zu tun? Nicht die Entrüstung erheiterte sie so sehr, auch nicht, daß sie, die zwar noch recht junge, aber dann doch noch von den Jahren der Informiertheit gestreifte Maid, mit dem Begriff Demonstration andere Ereignisse in Verbindung brachte, sondern die Äußerung eines sogenannten Studierendensprechers, man komme ja zu nichts mehr unter diesen Studienbedingungen. Und auch das war es nicht unbedingt, was sie den Kopf schütteln ließ. Wie er es sagte, dieser Wortführer ohne die rhetorische Begabung vielleicht eines Rudi Dutschke, das löste ein Schmunzeln aus. Man könnte meinen, meinte sie, er hätte damit die Parties gemeint, auf die er so gar nicht mehr komme. Nun ja, nach politischen (Ehren-)Ämtern drängt es die meisten nicht mehr, so müssen das diejenigen tun, die dann doch noch soviel Zeit haben. Vielleicht, weil sie niemand auf Parties einlädt. Möglicherweise, weil der junge Mann sich zu sehr für Politik interessiert und sich ständig dazu äußert, wenn auch überwiegend zur Abteilung Bildung? Eine selbstauferlegte Beschränkung, die dann allerdings zu einer gewissen Irritation führt über die Partei, die er kürzlich gewählt hat, weil sie ihm beruflich ein besseres Fort- und anschließend ein höheres Einkommen versprochen hatte.

Nicht vergessen werden sollte dabei jedoch, daß solche Versprechen auch vor den letzten Wahlen und auch von anderen Parteien gemacht wurden. Unter der Prämisse, hoch das Bein, die Wirtschaft braucht Soldaten (wir nannten das früher: frische Luft muß rein), wurde eine Bildungstruppe in Marsch gesetzt, die das Wissen in den Schützengräben ff. landen ließ. Also richtiges Wissen, nämlich das erwähnte, mittels Kognition und Reflexivität durchdachte. Und eben nicht nur die Jahreszahl von Issus Keilerei, wie in der Fern(seh)schule des Günther Jauch. Oder in den bayerischen Gymnasien früherer Jahre. Die dafür bessere Noten verteilten. Oder schlechtere für diejenigen, die beispielsweise aus dem bildungsflachen Bremen oder sonstwoher in die hügelige Voralpenstadt umgezogen worden waren, weil Papa Arbeit erhielt von der rüstigen Industrie. Bonus-Malus-Regelung nannte man das, das heute offensichtlich nur noch als Begriff der Gesundheitspolitik bekannt zu sein scheint. Zwar konnten sie, vielleicht weil Mama in der Penne nicht ständig gepennt hat, erklären, weshalb diese üblen Prügeleien stattgefunden hatten und was das für Folgen für die späteren Geschichtsbücher haben sollte. Aber bairisch wichtig waren: Fakten, Fakten, Fakten. Also: Daten, Daten, Daten. Und zwar genau. Wie beim Computer, weil der sonst nämlich versagt: 1 + 0; also nicht so ungefähr, wie ich so etwas angehe (und auch zum Ziel komme, weshalb wohl ich immer wieder mal nach dem Weg gefragt werde).

Und genau so verhält es sich heute. Wer heutzutage studiert, der studiert eigentlich nicht mehr im Sinn von Horizonterweiterung, sondern hockt in einem bayerischem Gymnasiumskarzer der siebziger Jahre. Das wiederum hat mit einer anderen, einer europäischen Regelung zu tun, die von der deutschen Bildungspolitik erledigt wurde, als gälten allein die Kriterien vorälplerischer Bildungsschützen. Kurzerhand wurde Bologna in eine Art Kurzfassung von Bayreuth zusammengeschossen. Einfach den Stoff, für den andere früher möglicherweise ein Jahrzehnt oder noch länger benötigt haben, zeitlich leicht verdichten in vier Jahre Master oder gar drei und das dann Bachelor nennen, auf daß man anschließend gleich das «Sparen» lerne, wie die Wirtschaft und deren persönlichen Abgeordneten Kostenreduktion zulasten jener Sklaven nennen, die als «Generation Praktikum» es in unser aller Bewußtsein geschafft hat.

Womit ich wieder bei Frau KrethPlendi wäre. Sie schreibt vom «selbstbestimmten, emotionslosen Umgang mit dem Internet» und von der «Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen», gar von «Emotionsersatz» ist die Rede. Da ist viel dran. Aber ob tatsächlich, wie sie vermutet, ausgerechnet die nächste Generation das erlernen, gar verstehen wird? Die von der Wirtschaft und den ihr angeschlossenen politischen Parteien derart verbraucht wird, daß sie mit Anfang dreißig beim Psychiater auf dem Sofa hockt, auf daß der gegen ordentliches Honorar diesen Höllenbrand löscht, indem er sie zu einem neuen Bewußtsein bringt? Letzteres wäre notwendig, wenn auch vor dem Gang zum Seelenklempner, der auch nur an der Strategie der Großunternehmen partizipiert. Sich verweigern, dafür auf die Straße gehen wie einst im Mai. Was hat die junge Biologin davon, sozusagen im Affenzahn den Baum der Erkenntnis erklommen zu haben, Diplom hin, Master her, doch für das Gehalt unter dem Arbeitslohn einer Laborglasreinigerin arbeiten zu müssen? Als hochqualifizierte Fachkraft irgendwelcher wildtypischen Mutanten, mit denen eine pharmazeutische Großküche dann ein geradezu pandemisches Geld verdient. Und der oberste Küchenmeister seinen Bonus. Nicht Malus. Weil er die anderen die Arbeit hat machen lassen.

Oder einfach kommunizieren in der Community. Ohne das Thema Shopping-Hopping etc. pp. Und ohne Computer. Einfach nur herumsitzen oder -stehen und miteinander sprechen. Vielleicht darüber, was Gefühl oder Konzentration oder Macht bedeuten und bewirken können. Vermutlich würde das mehr Wert schaffen.
 
Fr, 27.11.2009 |  link | (4339) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


g.   (28.11.09, 08:49)   (link)  
Die Kunst des Ignorierens
ist leider wirklich eine Kunst, soll heißen: Es ist leider nicht einfach, sich das ganze Gebrabbel vom Leibe zu halten. Werbung beispielsweise. Ich dachte ja, dass ich inzwischen sehr geübt bin, im Nicht-zur-Kenntnis-nehmen was einem da Tag für Tag ins Auge brüllt und dann wird man von so einem Quaker mit ‚Redfreiheit’ belästigt. Es ärgert mich, dass diese Verkäufer von Telefontarifen sich erdreisten, einem ihren Müll unter so ehrwürdigen Begriffen unterzuwitzeln.
Die Studenten protestieren, so hoffe ich zumindest, auch gegen das Zumüllen mit vermeintlichen Fakten (ich habe allerdings den Eindruck, dass nicht nur Sachverhalte, sondern auch Lehrmeinungen im heutigen Studienbetrieb eingebimmst werden?) und die Zurichtung zum Wissenshausmeister in irgend einer Institution. Einer meiner akademischen Lehrer (so etwas gab es mal, wenn auch sehr selten) meinte mal, es sei ihm egal, ob wir Wissen erwerben. Ganz ohne ginge es zwar auch nicht, aber das Ziel eines Studiums wäre es, die Fähigkeit zu vermitteln, jedes beliebige Thema des Fachgebietes in vertretbarer Zeit aufzuarbeiten, wenn nötig, weiter zu entwickeln und für den benötigten Zweck darzustellen. Das dieser Anspruch nur schwer einzulösen ist, versteht sich von selbst.
Nur, die Alternative kann auch nicht der Smaltalkmaster sein?
Zu gucken, zu lesen, zu diskutieren und daraus etwas zu folgern und sei es auch nur, sich nicht alles bieten zu lassen, wäre schon mal ein Anfang.


uferblume   (29.11.09, 17:27)   (link)  
Der Schindluder
den wir mit Ressourcen treiben, muß irgendwie zwischenfinanziert werden. Bezahlen können wir das nicht mehr.
Die Bachelor Studiengänge bilden ja auch nur ab, was unsere Gesellschaft umtreibt: Der Klingelbeutel geht um. Auch an den Hochschulen, in denen früher noch "erkenne Dich selbst" (verstehe die Welt) in Stein gemeißelt stand. 600 Euro Studiengebühren für normale Studienfächer. Wer wird studieren? Nur die eh schon priviligierten. Alle anderen müssen nebenher hart arbeiten. Klar, bleibt das Studium auf der Strecke. Der gesamte Mittelstand wird auf der Strecke bleiben, bei dieser Entwicklung in die Zweiklassengesellschaft.
Eine Systemkritik würde zum Ergebnis kommen, das der Kapitalismus an einem Endpunkt ist. Aber wer will
dieses System reformieren?

Die Frage ist ja, ob diese Art von Reflexivität überhaupt gewünscht ist, gefördert wird. Der Baum der Erkenntnis, das ist der wo einem Newtonsche Apfel ganz unsanft auf die Birne fällt.

Blackbox - Systemtheorie versus Platons Höhlengleichnis. Ein Schelm, der vermutet, im Internet könne sich etwas abbilden.
Interessant sind und bleiben die Schnittstellen.
Aber wer will sich mit solchen Theorien befassen?
Das Programmieren, das Beschreiben wissenschaftlicher Phämomene käme unter diesen Bedingungen vielleicht zu dem Ergebnis, der antiken Philosophie als Methode recht geben zu müssen. Und unsere ganze schöne Aufklärung und Industrialisierung wär im Hintern.

Herumsitzen, stehen, miteiander sprechen. Auf der Bank, oder im Blog.
Warum nicht?


vert   (29.11.09, 18:11)   (link)  
"man kommt zu nix mehr"
so ist das wohl. wer arbeiten muss um zu studieren, hat keine zeit fürs studium.
da merkt man schnell, ob man dorthin gehört oder nicht.
aber das war früher[TM] auch nicht anders. es mag sein, das es jetzt mittlerweile auch die auf die straße treibt, denen das skifahren in saas-fee wegbricht.
aber auch das wird bei einigen wenigstens zu einer art politisierung führen. nicht alle studierenden in der verwertungsmaschinerie wählen zwangsläufig fdp.
(zugegebenermaßen nickt es sich mit leerem kopf natürlich leichter...)

in der hochschul- und bildungspolitik engagieren sich heute tatsächlich mehr schnitzelkinder* als noch vor zehn jahren, so sich denn überhaupt noch jemand engagiert. in der praxis sieht das dann so aus, dass hochschulgruppen zum großen teil nur noch virtuell diskutieren, weil sich niemals ein gemeinsamer termin findet. einige werden sich wohl nie persönlich kennenlernen.
und ehe sich politische begabungen ausbilden können, ist das studium auch schon wieder vorbei.

das sind tatsächlich größtenteils sehr diesseitige forderungen, keine weltrevolution, stimmt schon.
ich finde es nicht gerade fair, wenn man den leuten jetzt vorwirft, ihre interessen realitätsnah zu vertreten, nachdem man jahrelang jovial studentenköpfe ("unsere kleinen heißsporne") getätschelt und schwärmerisch nabelschau in der vergangenheit betrieben hat. ("wir damals! ha!")




* schnitzelkind, das: kind, dem die eltern ein schnitzel umbinden, damit wenigstens die hunde mit ihm spielen.

es gibt allerdings auch die, die das schnitzel selbst genascht haben, denen sieht man das dann an.
















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