Reifende Früchte Der Geschichte Ungleiche Brüder erster, zweiter, dritter , vierter, hier fünfter Teil. Gegen achtzehn Uhr schob der Bruder ein außerordentlich umfangreiches Stück Quiche à la lorraine in den kleinen Strahlenkasten. Dabei gackerte er fortwährend etwas von einer «Junggesellenmaschine». Als er die beiden verdutzt fragenden Gesichter sah, erklärte er seiner Gattin, mit dem Kopf auf seinen mittlerweile mit einem Pastis ausgestatteten nahen Verwandten weisend, von dem da, dem Kleinen, habe er das. Das sei früher dessen Bezeichnung für den so verachteten Mikrowellenherd gewesen, den der ja nicht benötige, da er selber und richtig koche oder sich bekochen lasse. Er erinnerte sich. Tatsächlich befand sich in seinem Haushalt längst ebenfalls ein solcher, den er sogar selbst gekauft hatte, wenn auch mehr aus Mitgefühl mit den Werkern, denen zusehends mehr abverlangt wurde, nachdem der Gründer der Fabrik in der Normandie dieselbe seinen Mitarbeitern «überlassen» hatte. Doch da er unmittelbar danach keine weiteren Gedanken mehr an dieses Ereignis verlor und ihn auch nie benutzte, was auch kaum möglich gewesen wäre, war er doch nahezu unerreichbar weit oben aufgestellt worden und ihm somit der möglicherweise tatsächlich von ihm geprägte Begriff abhanden gekommen. Des Bruders Gedächtnis indessen schien von der Zeit ihrer beider letzten Begegnungen zu zehren, die weit davor lag. Ob er seine Hure de cochon nicht möge, fragte sie ihn, sie habe den Schweinskopf eigens für ihn gekauft. Sie könne ihn ja zubereiten, er äße ihn morgen, er habe schließlich eine Junggesellenmaschine, aber nun müsse er sich hinlegen, er habe eine anstrengende Nachtschicht vor sich. Er schlang das enorme Stück Speckkuchen hinunter und verließ die Küche, ohne den Gesprächspartnern auch nur einmal in die Augen geschaut zu haben. Nach dem Ausschlafen werde er abreisen, teilte er ihr lakonisch mit, er wisse nicht, was er hier ansonsten zu tun habe. Zunächst einmal gut essen, entgegnete sie, in etwa einer Stunde sei alles bereit. Und ob sie nicht, schob sie fast ein wenig herausfordernd lächelnd nach, auch eine kleine Begründung für seine Anwesenheit sein könne. Die Vorstellung habe durchaus etwas Appetitliches, dachte er, aber sagte es nicht. Er vermied eine klare Antwort, indem er lediglich nickte. Lieber nahm er von dem weißen Burgunder, den sie für ihn geöffnet hatte mit der Bemerkung, der Bruder tränke so etwas leider nicht, lieber mal ein Bier oder auch zwei, die nähme er dann allerdings inmitten der Kollegen. Für später habe sie ihnen beiden noch eine schöne Flasche Champagner kühlgestellt, ein Freund sei in einer kleinen Kellerei tätig, die diesen ambrosischen Trank ausschließlich für Franzosen produziere und der bereits nach Aphrodites Meeresschaum rieche. Auf das Essen freute er sich, durchaus auch auf das Danach, die Unterhaltung mit ihr, die zusehends aus dem Bild eines eurasischen Dummchens heraustrat, das er von ihr gezeichnet hatte. Andererseits begannen ihm ihre Koketterien zunehmend auf die Nerven zu gehen. Er mochte es nicht, wenn Frauen sich als Damen gerierten und damit alle Natürlichkeit an der Garderobe abgaben, weil sie glaubten, Männern damit gefallen zu können oder zu müssen. Selbst wenn er ihren Kulturkreis berücksichtigte, der ohnehin von einem früheren Jahrhundert sowie der Kolonialisation beeinflußt schien. Er kannte diese Attitude, die häufig besonders von Menschen gepflegt wurde, die in den Niederadel eines passablen Einkommens erhöht worden waren, aus anderen französischen Kolonien, selbst dann, wenn es ehemalige sein sollten, wo der Mann noch als jemand gesehen wurde, zu dem mehr oder minder raffiniert aufgeschaut werden mußte. Auf ihn wirkte das als alberne Geziertheit, und die war ihm ein Greuel. Diese Haltung wurde ihm des öfteren zum Vorwurf gemacht, die einmal in der spöttelnden Bemerkung der in Österreich sozusagen gerne in der Diaspora lebenden Freundin gipfelte, er sei gar kein richtiger Franzose oder einer, dem die vielen Auslandsaufenthalte die Wurzeln gekappt hätten. Seine «schöne Arlesierin», wie er sie hin und wieder nannte, hatte es eines Künstlers wegen nach Graz, den Artisten dann ins tiefe Klagenfurt verschlagen, was ihren gewohnten Vorstellungen von Süden zuwiderlief. Worauf sie jedoch nicht etwa in die von ihr bei jeder Gelegenheit gepriesene heimatliche Region am Rand der Camarque zurückkehrte oder zumindest, wie so viele Menschen vom Land, in die weltweit gloriolisierte Metropole der Grande Nation eintauchte. Sie blieb. Aber nicht etwa aus verletztem Stolz, den man ihr zuhause nicht ansehen sollte. Da genoß sie lieber ihren Status als eine Einäugige unter diesen Blinden, die Frankreich aus dem Fernsehprogramm, allenfalls von einem verlängerten Wochenende um Montmarte, Montparnasse und Quartier Latin kannten. Kaum ein gesellschaftliches Ereignis gab es, zu dem sie als «Pariserin», die ihre Hauptstadt auch nur von einigen Wochenenden her kannte, nicht eingeladen worden wäre. Möglicherweise hatte es jedoch auch mit ihren hervorragenden Deutschkenntnisen zu tun, an die sie als Studentin der Germanistik an der Universität zu Montpellier sowie in Bett und Küche des Hochschullehrers gelangt war, des gemeinsamen Freundes aus Köln. Zurückblickend meinte er auch, dieses offenbar von Frauen geforderte Verhalten an seiner Mutter oft genug erlebt zu haben, häufig dann, wenn ihr ein Gläschen mehr verabreicht worden war, und durchweg während ihrer vielen gemeinsamen überseeischen Aufenthalte, obwohl sie verantwortlich im Beruf stand, nicht zuletzt deshalb materiell bestens versorgt war und diese Selbsterniedrigungen nicht notwendig gewesen wären. Der fremderzogene und wohl deshalb leicht andersgeartete Bruder konnte aus diesem Grund über solche Erfahrungen nicht verfügen. Um die Situation zu entzerren, kam er wieder auf die Photographien zurück. Mit leichtem Entsetzen, von dem er nicht wußte, ob es echt oder gespielt war, wehrte sie ab. Später, entgegnete sie mit abgesenkter Stimme, wenn er aus dem Haus sei. So überließ er sich zunächst seinem Schicksal, das außergewöhnlich schmeckte. Seit er zweimal bei dem Freund in Paris zu Gast war, hatte er nicht mehr so gut thailändisch gegessen. Leider war der unlängst nach Brasilien versetzt worden, so daß er seither keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, in den Hochgenuß dieser Küche zu kommen, diesem idealen Konglomerat unterschiedlicher asiatischer und europäischer Regionen. Dieser Freund war es auch, der ihm den Rat erteilte, solche Restaurants grundsätzlich nur in Begleitung jener seiner Landsleute aufzusuchen, die selbst für eine eigene ausgezeichnete Küche bekannt waren. Seine Schwägerin könnte eine solche Begleiterin sein. Doch diesen Gedanken verwarf er rasch wieder, war ihm doch nicht an einer Restauration familiarer Antiquitäten gelegen. Andererseits schufen die unterschiedlichen Genüsse samt dem Wein aus der Nähe von Beaune eine sinnliche Atmosphäre, in der ihm zusehends wohler wurde. Kreuz und quer hatte sie sich durch das Angebot der Märkte gekauft, auch bretonische Austern hatte sie aufgetischt und tatsächlich thailändische Garnelen ergattert. Erst jetzt verstand er es richtig, das entrückte Gesicht des Bruders angesichts der Fülle, wenn der wohl auch eher an die Kosten gedacht haben dürfte. Vier hochwertige Qualitätsreifen samt Felgen, Auswuchtung, Montage und einem Servicevertrag für zwei Jahre dürften sicher einen Gegenwert darstellen. Oder vielleicht zwei Monate täglich Quiche Lorraine. Bis etwa elf Uhr am Abend aßen sie und tranken in einem fort. Dann war ihm nach dem angekündigten Champagner als Krönung des abendlichen Mahls. Sie schüttelte den Kopf, schenkte ihm noch einmal nach vom Grand Cru aus der Bourgogne und meinte, erst sollte ihr Gatte aus dem Haus sein. Dieser besondere Champagner und damit die Verbindung zu dessen Lieferanten löse unter Umständen heftige Reaktionen bei ihm aus, das wolle sie vermeiden. Kurz danach schlurfte sein Bruder in die Küche, sah die immer noch üppigen Reste der Tafelei, warf leicht unwillig den Kopf hin und her, murmelte Unverständliches, das nicht freundlich klang, und verabschiedete sich. Durch das geöffnete Fenster hörten sie, wie der gute Stern angelassen wurde und sich entfernte. Sobald das Geräusch des abfahrenden Diesels, von dem ein Freund einmal meinte, ein solches Auto klänge immer, als ob dessen Motor defekt sei, nicht mehr zu hören war, stand sie auf, ging in den Keller und kam mit einer dort gekühlten Flasche zurück, deren Etikette ihm bekannt vorkam. Und richtig, es war dieser Schaumwein, den seine Gastgeberin Meeresschaum genannt hatte und der ihm vor einiger Zeit von einer Ecuyère de cuisine in Verneuil einmal kredenzt worden war, ein Jahrgangschampagner, wie es ihn ausschließlich im Land gab und von dessen Fruchtbarkeit er wußte. Eine Fortsetzung fehlt sicherlich noch. Vielleicht auch zwei.
Da wird einem ja ganz blümerant! Ich nehme noch ein Schlückchen, vielleicht auch zwei. Sie Entzücker,
Sie, Sie hintergründiger. Das nächste Schlückchen kommt zur Nachtzeit angeflossen.Einen Tropfen?
Das ist mir zu homöopatisch. Aber gerne gesundheite ich zurück!>> kommentieren Seien Sie versichert dass Sie sich auf jeden Fall nicht einfach so lesen lassen - 3 Anläufe sind da wohl angemessen... Aber Quiche Lorraine in die Mikrowelle, also wirklich. Ich hoffe, Sie hatten aber trotzdem 1 schönes Fäst... ;o) Was glauben Sie,
wieviele Anläufe ich immer benötige, um mich zu verstehen?! Dabei könnte das Leben so einfach sein, wie man mir immer wieder mal mitteilt. So einfach wie das «Backen» von Quiche Lorraine in der Mikrowelle, zum Beispiel. Aber das lerne ich nicht mehr.Was ist das?
Ein Stück erotischer Roman ohne Hand und Fuß (Anfang und Ende)? Die Sprache ist so geschmeidig, wie ein perlendes Glas Champagner, aber - um was geht es? Es ist ganz gut zu lesen, aber die Figuren bleiben farblos und mir fehlt so etwas wie ein Plot, ein roter Faden.Wenn ich das sagen darf. Selbstverständlich
dürfen Sie das sagen. Es wäre vermessen, sich auszustellen und mit Kritiklosigkeit zu rechnen. Sie haben diesen Teil der Geschichte immerhin gelesen. Die meisten dürften vorher aussteigen.Die Figuren sind bewußt «farblos» angelegt. Es handelt sich um die Konstruktion eher trister Persönlichkeiten. Der gewillte Leser wird – oder soll – sich die Farben nach eigenen Vorstellungen selber hineinlesen. Und ein Kessel Buntes ist ohnehin nicht mein Revier. Es sind eben andere Perspektiven, die ich hier skizziere. Legen wir's ab unter «Geschmackssache». Aber daß die Erzählung kein Anfang und kein Ende, also überhaupt keine Handlung, keinen «Plot» habe, das läßt sich nun wirklich nicht behaupten. Ich muß annehmen, daß Sie nur diesen einen Teil gelesen haben. Sie besteht aber aus mehreren Teilen, darauf wird in der (jeweiligen) Kopfzeile eindeutig hingewiesen. Das hier ist der fünfte Abschnitt, der sechste folgte heute, und das Ende kommt zum Jahresabschluß. Oh
dann nehme ich alles zurück. Ich bin kein Freund von "Mehrteilern"...ich bin so selten im Netz, das kriege ich dann gar nicht mit - noch seltener habe ich dann den Kopf frei, zu recherchieren, wo die anderen Teile Geschichte sein könnten.Sry Grundsätzlich mag ich
auch keine Mehrteiler oder Fortsetzungsgeschichten; deshalb wohl habe ich auch nie welche in Zeitungen gelesen. Ich möchte schon gerne selbst entscheiden, wann ich meine Lesung unterbreche. Hier verhielt es sich aber tatsächlich so, daß ich sie in Abschnitten geschrieben habe.Auch dürfte es nicht ganz unproblematisch sein, eine solche Erzählung in ganzer Länge (hierbei wären das etwas mehr als achtundzwanzig Manuskriptseiten) einzustellen. Aber ich habe gestern bereits darüber nachgedacht, das in einer gesonderten Fassung nachträglich zu tun. Allerdings müßte ich das mit meinen anderen Mehrteilern konsequenterweise ebenfalls nachholen. Auch es gibt es bei mir zudem ein Inhaltverzeichnis titels Beste Liste. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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