Zeitgenössische Kunst

Balzac hat in seinen einundsechzig Lebensjahren nichts anderes angehäuft als Schulden, in seiner einführenden Biographischen Notiz über Meinen Herrn Onkel läßt er seine weit mehr als zweihundert Gläubiger antreten, um ihnen zu verkünden:
Meine Herren! Ich erfaßte also die große Bedeutung des Kredits, und ich habe entdeckt, daß er sich gründet und ruht auf einer einzigen, zwar sonderbaren, aber sehr soliden Methode, daß man nämlich mit unverbrüchlicher Treue niemandem Schulden zahlen soll.
Seine einzige Hinterlassenschaft sollte denn dieses Werk sein, um dessen regen Kauf er, bevor er dann seinen letzten Seufzer tat, diejenigen bat, die er geschröpft hatte, und das den (auf dem Grabstein verewigten) Titel trug (und trägt): Die Kunst, seine Schulden zu zahlen und seine Gläubiger zu befriedigen, ohne auch nur einen Sou selbst aus der Tasche zu nehmen.

Bei diesem amüsanten und hintersinnigen Essay des kurz vor seinem Tod 1850 eben noch schuldenfrei gewordenen Honoré de Balzac kommt bei mir immer wieder diebische Freude auf. Wenn er beispielsweise «Bedingungsweise Schulden» so definiert:
Ich werde Ihnen (zurück-)zahlen, wenn ich Geld bekomme. Man hat nichts zu bekommen, man hat also auch nichts zu zahlen,
dann ist das (Buch) allein wegen solcher ohne jeden Zweifel überlegenen Überlegungen das Geld wert, dem andere hinterherliefen. Der (wie auch der Übersetzer mehr als bedauerlicherweise ungenannte!) Herausgeber schreibt, bevor er Chateaubriand und Pradt zu ihren Worten kommen läßt (Das Reich des Lichtes wird größer von Tag zu Tag ... Das Menschengeschlecht schreitet in seiner Entwicklung fort ...):
«Der Verfasser der Kunst, seine Krawatte zu binden schickt ein Werk in die Welt, das nicht von ihm ist, trotzdem ihm aber eine ganze Menge von Feinden schaffen und wahrscheinlich Schmähungen und Verfolgungen genug zuziehen wird. Wie wird da eine ganze Menge von sogenannten aufrechten Geistern schreien: dieser Baron de l'Empésé will geradezu als hehre Wissenschaft die abscheuliche Kunst etablieren, einem ehrenhaften Gläubiger schöne Worte statt bares Geld zu geben. ‹Aber das ist ja eine Infamie, eine unerhörte Geschichte! So einen Mann muß man einfach einsperren! ... ›
Schon kommt besorgtes Lärmen aus den Buden aller Krämer, Fabrikanten, Kaufleute, aus den Läden, wo es eben Menschen gibt, die nicht weiter sehen als ihr Schild reicht, oder andere, deren Philosophie nicht mehr Göße hat als der Fußboden ihres Lokals.
Die Ankündigung des Buches allein genügte schon, damit eine fürchterliche Angst den Hausbesitzer, den Restaurateur erfaßte, ebenso wie die Limonadenhändler, Schneider, die Wäscherinnen, den Schuhmacher, den Hutmacher, den Mützenmacher, den Weinhändler, den Bäcker, den Schlächter, den Gemischtwarenhändler usw., usw., ja sogar bis zu den Buchhändlern ging es. Alle die kleinen Rechnungen, die bisher in tiefem Schlummer ruhten, werden erweckt, um den bescheidenen Beamten aufzuscheuchen oder auch den nichtsnutzigen ‹Fashionablen›, den Arbeiter wie den Handwerker und den egoistischen Rentier.»
Heutzutage macht man darum nicht so viele Sätze. Ein Wörtchen reicht: Peanuts.

Die oben abgebildete schöne DVA-Ausgabe von 1984 (auf deutsch ursprünglich 1964 bei Langen-Müller erschienen) mit den sechzehn Lithographien von Honoré Daumier dürfte allerdings allenfalls antiquarisch erhältlich sein. Mir ist unerklärlich, weshalb solche Kleinode kaum noch gedruckt werden.

Andererseits ist die nachfolgend genannte Ausgabe dieser unterhaltsam unterweisenden Betriebsanleitung zum Erzeugen von Erdnüssen auch etwas preisgünstiger. Bücher dürfen ja nichts mehr kosten. Weil inner ned ganz umme un so.

Die Kunst, seine Schulden zu zahlen

Honoré de Balzac

 
So, 01.08.2010 |  link | (2423) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino


aubertin   (01.08.10, 20:38)   (link)  
Baron de l'Empésé
De la cravate

Bises

Anne (et Yves)


jean stubenzweig   (02.08.10, 11:45)   (link)  
Eine Krawatte zu knüpfen
ist eine (angewandte) Kunst(fertigkeit), die sogar ich (noch) beherrsche, quasi als kleine Reminiszenz an meine revoluzzerische Zeit der feinseidenen Fliege. Aber davon ist ja, wie ihr wißt, bis auf den auch nur noch papiernen Status des Frühstückdirektors nicht mehr allzuviel übrig. Doch ab einem gewissen Alter muß unsereiner ja immer öfter mal Trauerarbeit leisten, wenn auch zusehends mehr im etwas kleineren Kreis, da das Erinnern in die Dämmerung gerät, wenn die Glanzlichter der permanenten Öffentlichkeit von selbiger gelöscht worden sind, also eben nicht nur wegen des einen oder anderen «verlorenen Groschens», den die elegant halsumschnürten Herren der Banken und ähnlicher Institutionen in die Erde hinabgelassen haben. Aber die Kleiderordnung ist mir einigermaßen im Gedächtnis geblieben. So hatte ich, nachdem ich mich aus dieser Einengung gelöst zu haben glaubte, erneut textile Konventionen zu erlernen, darunter auch den Unterschied zu früheren Ordnungen: statt blutvollem Purpur trüge der Adel heutzutage schlichtes Grau, das früher die Farbe des noch viel niederer als der Niederadel gemeinen Volkes war, das auch schonmal geköpft wurde, maßte es sich an, derart gewandet zu flanieren – so es sich solches samt Anmaßungen überhaupt hätte leisten können, das noch nicht als Geheimwissenschaft erkannte, später dafür als esoterisch benannte eigenurinerpinkelte Indigo oder geschneckerltes oder lausiges Rot. Das kommt heute bomberjackenseidig aus der (rot)kommunistischen Volksrepublik des fernen Ostens, das die Revolution ebenso drangegeben hat wie die französische, weshalb heute oder wieder das Volk und nicht mehr der Adel kopflos blutet. Wie auch immer, schließlich meinte laut Menschlichkeit sogar der gute alte feine Dichter Wladimir Majakovski, das Bemerkenswertere und Schönere am Mann sei seine Krawatte. Damals gab es eben noch zukunftsorientierte, marxistisch sattelfeste Salonlöwen.


damenwahl   (02.08.10, 20:26)   (link)  
Im letzten Jahr wurde ich von gütigen Spendern mit einem Benimmkurs beglückt, in dem auch über den korrekten Dresscode referiert wurde. Demzufolge ist rot die Powerfarbe, von Staatsoberhäuptern gerne getragen, blau hingegen immer für den Weltranglisten-Zweiten. Kann man tatsächlich immer mal wieder so beobachten, in den USA zum Beispiel.
So ändern sich die Zeiten und Wahrnehmungen.


jean stubenzweig   (02.08.10, 22:02)   (link)  
Klar, Herrscherfarbe.
Des Mittelalters und auch später noch ein wenig, als wir wiedergeboren wurden. Und wir befinden uns schließlich in einer neueren Art Rénaissance, alles wird aufgerougt, wie bei den den französischen Lui umschranzenden Damen. Da hat sich nicht unbedingt etwas geändert. Auf jeden Fall in den Staaten, in denen der Mann nach wie vor auf dem tradierten Thron sitzt. Mittlerweile mag das auch für die Throne großer Unternehmen oder Ländereien gelten, aber sicherlich nur dann, wenn Frauen auf ihnen sitzen. Daß jedoch, wir wissen es, findet immer noch in der Minderzahl statt. Aber klar ist: Power allein im Sinn von Macht. Doch einen zweigereihten roten Flanell? Entschuldigen Sie bitte, meine Bildung befindet sich nicht auf dem neuesten Stand.

Ich habe überhaupt nichts gegen diese Farbe, auch oder vielleicht gerade deshalb, weil Bleu mir quasi mütterlich derart eingebleut worden ist, daß ich nach zwanzig Jahren intensiver Ablehnungsversuche stillschweigend dorthin zurückgekehrt bin, lediglich variiert durch Grau. Rot kann bei entsprechender Damenwahl sozusagen entzückend aussehen oder sich gar auswirken. Aber eben nicht in jedem Fall. Bei Frau Kanzlerin fällt mir die Vorstellung schwer. Anders sähe das aus bei Madame le Président. Ich weiß, ich bin geschmacklos. Aber manchmal schaut die Sehnsucht nach purpurnem Glanz einfach nur aus wie bei Fritzchens Anhimmelung von Lieschen (ich gucke Leichtathletik eigentlich nur, wenn Damen springen, da bin ich – normalerweise – hin und weg). Billig. Egal, was es gekostet hat.


seemuse   (05.08.10, 09:28)   (link)  
ich habe gestern ein Buch gelesen in dem Balzac eine Rolle spielt. "Balzac und die kleine chinesische Schneiderin" Dai Sijie. eine kleine Geschichte groß erzählt. hat mir sehr gefallen.


jean stubenzweig   (05.08.10, 16:07)   (link)  
Balzac et la Petite Tailleuse chinoise
habe ich mir damals recht bald nach dem Erscheinen 2000 in Marseille gekauft – auf eine inständige Empfehlung hin und da ich bereits einiges darüber gelesen hatte, es mich also leicht brennend interessierte, obwohl ich kein Neuerscheinungsleser mehr war, da mich glücklicherweise keine berufliche Tätigkeit mehr zwang, mich dem Aktualitätenwahn unterzuordnen. Auslöser war sicherlich nicht zuletzt, daß darin Balzacs ärgerlich verfrömmelter Roman Ursula Mirouët thematisiert ist. Aber ich habe es nicht gelesen! Denn diesem Buch erging es wie vielen anderen: es landete auf dem Stapel der Bücher, für die es irgendwann im Leben ausreichend Zeit geben würde, weil die ständige Suche nach fürchterlich Wichtigem ein Ende hätte und endlich Wesentliches auf dem Sofa Platz nehmen dürfe. Doch dann kündigten sich einige Umzüge an. Also landete es in einem der vielen noch immer unausgepackten Kartons, die an verschiedenen Orten auf ihre Durchschauung warten. Nun haben Sie meine Forschertätigkeit angeregt: herausfinden, wo die kleine Chinesin sich versteckt hält, an die ich vermutlich seither nicht mehr gedacht habe. Sollte man mich suchen – ich befinde mich auf der Suche. Nach meiner Vergeßlichkeit. Danke.















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