Heilloses Durcheinander

Gestern spät abends schoben sich mal wieder Dokumente einst lustvoller Ereignisse über den Bildschirm meiner nicht unbedingt immer hinter-, aber wenigstens hin und wieder mal nachfragenden Informationslieferanten. Alle möglichen immer irgendwie hervorstehenden ehemaligen Eliten hatten dabei reumütige Mienen in ihre Gesichter gerückt. Und als ich dann heute früh mein nicht minder chaotisches Archiv aufräumte, um aus wirren Sicherungsmaßnahmen dem wiederbelebten EiMack nun Sortiertes zurückzugeben, stieß ich auf die Kurzbesprechung eines Buches. Mit einem Mal war die Erinnerung an die Buchmesse 1992 wieder da, anläßlich der mir der liebe Pressemensch aus Paderborn erst die Hand eines eher stillen und deshalb wohl angenehm auf mich wirkenden jungen Mannes in die meine und anschließend dessen Werk ans Herz drückte mit der Anmerkung, das täte mich doch sicherlich interessieren — und andere wohl auch. Also kippte ich’s, vermutlich kurz nach dem mit Druckfahnen abgespeisten Spiegel, meiner langjährigen Spielwiese in einem sozialdemokratischen Wochenblatt in die Spalte. Ich muß wohl zehn Jahre später stattfindende lustige Ereignisse vorausgeahnt haben.
Überall versuchen die Politiker die organisierte Prostitution aus den Stadtzentren, die sündige Meile in die Außenbezirke zu verdrängen. Besonders hervor tun sich dabei sogenannte konservative, gerne bairisch-katholische Stadtherren, die die Prostitution für unmoralisch halten. Doch waren es nicht gerade die Städte, die in eigener Regie Bordelle einrichteten?!

Tatsächlich hält sich bis heute hartnäckig die Legende vom sinnenfrohen Mittelalter, in dem Kaiser und Könige, Kleriker und Ehemänner sich ungeniert im Bordell amüsierten und die Badehäuser nur schlecht getarnte Stätten öffentlicher Lust waren.

Nach der Arbeit von Peter Schuster, einer überarbeiteten Dissertation, wird die Geschichte der Prostitution allerdings neu geschrieben werden müssen. Denn in ihr werden Gründe genannt, warum die Städte trotz strenger öffentlicher Moral gezwungen waren, Bordelle einzurichten, werden die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den «Frauenhäusern» beschrieben, die Herkunft und sozialen Strukturen der Prostituierten, ihrer Zuhälter und Freier ebenso benannt wie die Frage beantwortet, warum das 15. Jahrhundert zum «Jahrhundert der Bordelle» wurde. Ein entscheidendes Kapitel — im Hinblick auf neueste Entwicklungen innerhalb unserer Gesellschaft — stellt die Antwort auf die Frage dar, ob das Ende der Frauenhäuser im 16. Jahrhundert durch die neue Sittenstrenge der Reformation oder durch die neue Seuche Syphilis bewirkt wurde.

Und — als Beispiel — noch eine Parallele zur jüngeren Geschichte: «Ein gelbes Zeichen für die jüdinne und die pfeffinne vnde die boesen hiute (= Prostituierte) forderte bereits im 13. Jahrhundert Berthold von Regensburg. Gelb wirkte seit dem Laterankonzil 1215, verstärkt seit dem 15. Jahrhundert, als ‹Judenfarbe› hochgradig infamierend. [...] Sollten diese gelben Zeichen die Prostituierten in die Nähe der Juden und damit in das gesellschaftliche Abseits drängen.»
Fast zwanzig Jahre liegt das nun zurück. Deshalb wollte ich nachschauen, ob das Buch noch erhältlich ist und es serviceeifrig gegebenenfalls kenntlich machen. Während der Suche (nein, ich guckle nicht) stellte ich dann fest, daß der seinerzeit noch recht junge Historiker später als Geschichtswissenschaftler an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken lehren sollte, inzwischen jedoch an die Hochschule einer Stadt gewechselt ist, der ich, weil es sie eigentlich gar nicht geben soll, Historie nur schwierig zuordnen kann. Daß sein Erstlingswerk heute mehr als billig verramscht wird, damit wird er wohl leben müssen; was einst 52 Mark und dann 58 Euro kosten sollte (nein, diese Währung macht nichts teuro), gibt’s heute für einsachtzig bei der genießerischen Tochter des guten alten Hammerstein in der Maxvorstadt, wo ich fast dreißig Jahre lang im noch finanziell erträglichen Kneipenzickzack nachhause ging. Aber für knapp zwei Euro gibt's in diesem nur noch aus News-Bars und ähnlichen Cafés bestehenden Viertel wahrscheinlich längst keine Leberkässemmel und schon gar kein Stamperl Schnaps mehr, denn mittlerweile dürfte auch in den allerletzten Stehausschank eine Secondhandboutique oder eine handliche Plagiiermanufactur gepaßt haben. Und wer interessiert sich denn, nicht nur in diesem Quartier latäng norditalienischst direkt hinter den Alpen, heute noch für Geschichte, geschweige denn für gedruckte? Aber dennoch räumt der immer noch junge Schuster, wie ich mein Archiv, weiterhin auf mit einigen Vorurteilen. Ein paar Rückwärtsblickende muß es schließlich noch geben. Denn wie sollte Zukunft denn sonst verstanden werden? Weitermachen gegen das Aufhören.

Peter Schuster
Das Frauenhaus
Städtische Bordelle in Deutschland 1350 – 1600
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1992
248 Seiten, DM 52,00

 
Fr, 10.06.2011 |  link | (2164) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino


vert   (14.06.11, 19:51)   (link)  
och. ich denke, es gibt schlimmeres für einen historiker mit schwerpunkt historische sozialwissenschaft als eine w2-professur an der hochschule, an der historische sozialwissenschaft erfunden worden ist... (auch wenn ma/fn vielleicht nicht die hauptdomäne besagter alma mater ist.)


jean stubenzweig   (14.06.11, 23:55)   (link)  
Mit diesen neuen Kryptographien
des Besoldungswesen an den Hochschulen kenne ich mich überhaupt nicht mehr aus. Ich stehe immer noch bei C und so. Erst kürzlich habe ich feststellen müssen, daß sich auch das, wie anders, geändert hat. Trifft es zu, daß W2 mit C2 gleichzusetzen ist? Dann wäre es aber nicht eben überragend, eher so untere Stufe, und schon gar nicht für jemanden, der zuvor bereits einige Zeit an einer anderen Universität gelehrt hat; wobei ich nicht weiß, welche Position Schuster in Saarbrücken innehatte.

Aber ich habe immerhin einen kleinen Erfolg zu verbuchen: Mein witzelnder Wink hat seinen Adressaten erreicht.


vert   (15.06.11, 03:22)   (link)  
es wird schon keiner verhungern.















Werbeeinblendung

Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



... Aktuelle Seite
... Beste Liste (Inhaltsverzeichnis)
... Themen
... Impressum
... täglich
... Das Wetter

... Blogger.de
... Spenden



Zum Kommentieren bitte anmelden

Suche:

 


Letzte Kommentare:

/
Echt jetzt, geht noch?
(einemaria)
/
Migräne
(julians)
/
Oder etwa nicht?
(jagothello)
/
Und last but not least ......
(einemaria)
/
und eigentlich,
(einemaria)
/
Der gute Hades
(einemaria)
/
Aus der Alten Welt
(jean stubenzweig)
/
Bordeaux
(jean stubenzweig)
/
Nicht mal die Hölle ist...
(einemaria)
/
Ach,
(if bergher)
/
Ahoi!
(jean stubenzweig)
/
Yihaa, Ahoi, Sehr Erfreut.
(einemaria)
/
Sechs mal sechs
(jean stubenzweig)
/
Küstennebel
(if bergher)
/
Stümperhafter Kolonialismus
(if bergher)
/
Mir fehlen die Worte
(jean stubenzweig)
/
Wer wird schon wissen,
(jean stubenzweig)
/
Die Reste von Griechenland
(if bergher)
/
Richtig, keine Vorhänge,
(jean stubenzweig)
/
Die kleine Schwester
(prieditis)
/
Inselsommer
(jean stubenzweig)
/
An einem derart vom Nichts
(jean stubenzweig)
/
Schosseh und Portmoneh
(if bergher)
/
Mit Joseph Roth
(jean stubenzweig)
/
Vielleicht
(jagothello)






«Ist Kultur gescheitert?» ? «Bitte gehen Sie weiter.»



Suche:

 




Anderenorts

Andere Worte

Anderswo

Beobachtung

Cinèmatographisches + und TV

Fundsachen und Liebhaberstücke

Kunst kommt von Kunst

La Musica

Regales Leben

Das Ende

© (wenn nichts anders gekennzeichnet): Jean Stubenzweig





pixel pixel
Zum Kommentieren bitte anmelden

Layout dieses Weblogs basierend auf Großbloggbaumeister 2.2

pixel pixel