Ausgelaugt Meine hochgeehrtesten Herren und Sehr werthen Freunde, Christoph Martin Wieland, Brief an seine Verleger Orell, Gessner & Cie. in Zürich; in: Das Buch Deutscher Briefe, Insel-Verlag Zweigstelle Wiesbaden 1957, S. 135 – 136 «Als Wieland den Versuch wagte, die Dramen des genialen englischen Stückeschreibers erstmals ins Deutsche zu bringen, prophezeiten ihm die Literaten der Zeit ein sicheres Scheitern: Shakespeare sei nicht zu übersetzen! Wieland ließ sich nicht beirren, übersetzte in vier Jahren 22 Stücke und löste eine beispiellose Welle der Shakespeare-Begeisterung aus. [...]» Weiter im Perlentaucher. Die Menschen amüsieren
Bei der Gelegenheit
sei mal die Frage in den Raum geworfen, warum neben den Shakespeare-Übersetzungen von Wieland, Schlegel, Tieck und einigen anderen die von Erich Fried nie so bekannt geworden sind. War der zu «modern»? Liest und hört man den großen alten Meister lieber in der sprachlichen Umgebung früherer Jahrhunderte?–cabü Über den Fried
will ich erst noch ein bißchen drüberdenken. Dazu muß ich ihn aber erstmal aus den Kartonagengräbern heben. Denn ich habe, ich muß es gestehen, bestimmt fünfzehn, wenn nicht einige Jahre mehr nicht mehr darin gelesen. Zugeben muß ich allerdings, daß auch mich die alten Shakespeare-Übersetzungen eher angesprochen haben. Und das, obwohl ich ja nun wirklich ein Freund neuer Übertragungen war, wie wir sie im Regietheater hatten und die ich teilweise sehr genossen habe. Mit Lust denke ich beispielsweise an Enzensbergers Menschenfeind-Adaption zurück, seinerzeit mit dem für mich unvergessenen Ulrich Wildgruber. Also – später.>> kommentieren in Brief
Lieber Herr Stubenzweig, danke für diesen überragenden Brief der uns zeigt wie karg und ärmlich wir mit unseren neumodischen Kommunikationsversuchen (Twitter u.a.) darstehen. Und wie recht der Mann hat, daß ein Fluch das Pferd nicht schneller gehen läßt. Übrigens, ich bewundere gute Übersetzungen sehr, auch wenn ich die Originalsprache einigermaßern beherrsche. Gruß, T. In diese Denkrichtung
drängt es mich immer wieder. Angedeutet hatte ich das mal in Identität durch Sprache. Nun wollte ich gerade etwas davon erzählen, es könnte sich möglicherweise um eine Alters-, um ein Generationenproblem handeln. Aber das ist natürlich Unsinn. Sprachprobleme in dem Sinn hat es immer gegeben. Insgesamt dürfte es sich seit je um eine Minderheit gehandelt haben, die sich ernsthaft für die eigene oder gar für fremde Sprachen interessiert hat. Die Vereinfachungen im Rahmen sogenannter Reformen sprechen im Wortsinn Bände. Selbstverständlich zu berücksichtigen ist dieser Fimmel, alles abkürzen zu wollen – und damit meine ich nicht nur den Twitter-Zwang. Es gibt ja seitenweise Begründungen für Verknappungen. Ein «Argument» ist die mangelnde Zeit. Es wird allzu gerne von denen benutzt, die zuviel davon haben. Aber da alle Welt ihnen diesen Mangel einredet, vermutlich, weil es längst gelungen ist, die virtuelle Stechuhr in den Köpfen zu implantieren: Effektivität, Effizienz und wie die Begriffe aus dem Wirtschaftsdeutsch sonst noch lauten. Wie soll denn da noch ein Gedanke in Ruhe vor sich hingären? Selbst Brot und Brötchen dürfen das nicht mehr. Man ißt lieber (oder weil man es gar nicht mehr anders kennt: zwangsläufig) das Schnellgetriebene. Dementsprechend schmeckt es.Das geht natürlich einher mit dem Phänomen, mit dem Sprache im Sinn von Stil sich verabschiedet. Man denke an Stilübungen, an die geradezu ungeheuerliche Arbeit von Eugen Helmlé, ob an Queneau oder Perec, um nur diese beiden zu nennen. Ein weiteres Beispiel wäre Raoul Schrott mit seinen Übersetzungen sozusagen aus dem Exotischen. Wer weiß denn, daß Gerhard Polt aus skandinavischen Sprachen übersetzt hat? Es wird immer Menschen geben, die sich mit dieser Materie beschäftigen. Aber im allgemeinen wird alles zunehmend standardisiert, etwa wie bei Michel Houellebecq, dem in Frankreich zu seinem neuen Roman unter anderem vorgeworfen wird, alles sei nur noch platt und vereinfacht und ihm ohnehin alles egal. Genausogut ließe sich aber auch behaupten: Das wiederum ist sein Stilmittel, mit dem er seine gesellschaftliche Umgebung schildert oder spiegelt. «Gute» Übersetzungen sind elementar wichtig. Aber sie sind, vor allem in Deutschland, kriminell schlecht bezahlt. Ich habe in den Anfängen meiner Verlagstätigkeit mal für eine extrem bearbeitungsbedürftige das Dreifache des in Deutschland Gültigen honoriert, da nach belgischen Honorarrichtlinien abgerechnet werden mußte. Unser Geschäftsführer kuckte mich ungläubig staunend an seinerzeit. Später habe ich ihm meine Abrechnungsmodi glücklicherweise nicht mehr vorlegen müssen. Wir kennen ja die Wollschläger-Geschichte mit dem Ulysses. Wenn ich mich recht erinnere, hat er mal einen Stundenlohn von etwa drei Mark fünfzig ausgerechnet. Aber die Leutchens nehmen ohnehin die Bücher vom großen Stapel der Massenbuchverkäufer, denen ist das egal, wie das übersetzt ist. Hauptsache, es liest sich schnell runter. Nicht zuletzt erinnere ich mich an manches Aufstöhnen beispielsweise von Hans Pfitzinger, der den einen oder anderen Schnellschuß angenommen hat, weil die Miete bezahlt werden mußte. Das heißt nicht, daß der sich deshalb weniger Mühe gegeben hätte. Aber ob's diese Schnellfreßleutchens in ihrer Burgerkonsumfreudigkeit gemerkt haben, das wage ich dann doch zu bezweifeln. Ich traue mir keinen Ulysses oder ein Shakespeare-Sonett im Original zu. Was ich dennoch immer wieder gerne tue, ist das Lesen und Vergleichen verschiedener Übersetzungen, beispielsweise auch bei Rabelais. Dabei bin ich zur Erkenntnis gelangt: Das ist eine Tätigkeit, die mir Hochachtung abfordert. Da ist zum einen jene Fertigkeit, die häufig oder meistens (das vielzitierte Können) mit Kunst verwechselt wird, nämlich das Beherrschen des Handwerks zu vorindustriellen Zeiten, bis etwa dorthin, als man noch mindestens ein halbes Jahrhundert davon entfernt war, sich über Twitter oder Farcebücher Gedanken zu machen. Aber es verlangt dem Überträger aus einer fremden Sprache auch künstlerische Fähigkeiten ab: das Verfertigen von Bildern, die dem Ausdruck des Anderen in einer fremden Sprache Gestalt geben. >> kommentieren Der Fremde in den Wolken
Da sitzt man an dieser ewig vor sich hinplätschernden Badewanne herum, auf neueste Politnachrichten von der Ostfront wartend, immer in den Süden starrend, da sich Polen auf Oh! so dumm geographisch irgendwie anders gibt, als es sich gehört, guckt dem Bagger zu, wie er der Autobahn auch auf dem Meer die große Freiheit der freien Fahrt für freie Bürger hinterherschaufelt,zählt die Schiffchen, die Einlaß begehren, um in den Hafenanlagen von Swinoujscie denselben China-Müll zu löschen, den die eben mal rübergemachten, aufgebrezelten Polinnen dann bei Ahlbecks Billigheimern teurer als zuhause kaufen, wahrscheinlich, weil er euroglobaler, also mit mehr Tinnef umverpackt ist, schaut den Möwen zu, die aus dem Süden kommen, weil dort die Nestmiete (noch) billiger ist, aber lieber in den Norden ausfliegen, um das in Nordrhein-Westfalen aus Pappe fabrizierte geile Geiz-Brot zu fressen. Immer nur Konsumkähne, Möwen, Wasser. Ein tröger Himmel, an dem nicht einmal mehr Stubenzweigs langweiliger Urheberrechtsvermerk zu sehen ist. Wenn wenigstens mal eine Wolke aufschiene auf dieser Insel, die quasi als Geburtsstätte der Sonne gepriesen wird (ex oriente lux?). Doch dann! Ein Münchner ist's, der sie aus dem Himmel schickt, les merveilleux nuages, die Göttinnenbotschaft: L'ÉtrangerHans Pfitzinger war's, der Göttinnenbote. Der FremdeWoraus Hans Pfitzinger die französische Originalfassung abgeschrieben hat, ist mir nicht bekannt. Bekannt ist hingegen die Quelle der Übersetzung ins Deutsche. Sie stammt von Sigmar Löffler. Entnommen ist sie der wunderschönen zweisprachigen Ausgabe (im Schuber) in zwei Bänden: Charles Baudelaire. Die Blumen des Bösen. Der Spleen von Paris/Schriften zur Literatur aus dem Insel Verlag, erschienen 1973 (Zitat: Seite 335). Beide Bände folgen der Ausgabe Œuvres complètes de Baudelaire, Bilbliothèque de la Pléiade, Éditions Gallimard, Paris 1961. Glücklicherweise sind die beiden Bände noch (oder wieder?) erhältlich bei Suhrkamp Insel. Wie hap ausgerechnet auf Baudelaires Wolkenhymne gekommen ist, als er uns die Botschaft elektronisch zukommen ließ? Vielleicht, weil er uns heimlich der Vaterlandslosigkeit bezichtigte, sich jedoch dabei mit Baudelaire gleich selbst entkräftigte: «Ich weiß ja nicht, unter welchem Himmel es liegt», das Vaterland. Möglicherweise sah er in seinem Hirnkino ja auch Schmollsenior als heimatlose Wolke vorüberziehen («rätselhafter Mann»). Es mag aber auch schlicht so sein, daß er einfach nur an unseren wolkenlosen Meereshimmel gedacht hatte und dabei träumerisch ins Surfen geraten und dabei vielleicht an unseren gemeinsamen Copain Harald Mike Mielke erinnert worden war, der jahrelang auf Hawai und sonstwo in der weiten Welt nichts als Wolken photographiert hatte, bis er es leid war und daraufhin Bilder produzierte, die man suchen mußte, bis er sie selber nicht mehr sehen konnte und fortan nur noch Wein — nein, nicht soff, sondern züchtig züchtete, und zwar — wo sonst? — in Kalifornien. Es mag jedoch auch sein, daß er Mitleid mit uns hatte, da er um unsere Wolkenlosigkeit wußte und uns deshalb etwas Schatten zukommen wollte: «Wunderbar, britisch, spleenig.» Unterwegs. Aus dem Archiv einer einstigen Seite, 2007. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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