Oh! so dumm

Also war es eng im Nadelöhr Rügendamm. Aber das ist Historie: längst hat ja der Aufbau Ost eine Furt über das Mare Balticum gefunden.

Das war die Erinnerung, die aufkam, als unsereins auf dem Weg nach Usedom zwangsläufig Einlaß nach Wolgast begehrte. Den Weg über die ostvorpommerische Kreisstadt Anklam hatten wir verschmäht, da man gleich die ganze Insel haben wollte, also von Norden her hineinwollte in den Süden. Doch diese wegweisende Eingebung sollte sich als nicht förderlich erweisen. Denn bereits einige Kilometer zuvor stauten sich, wie weiland vor Rügen, die motorisierten Massen, die losgefahren waren, um unter östlicher Sonnenglut Broilerfarbe aufzulegen.

Nun verhält es sich sicherlich nicht so, daß die Wolgaster Gastronomie nicht gerne auch ein paar Spritzer vom großen Touristenstrom abhaben möchte. Doch es ist vergleichbar mit dem Süden Frankreichs. Haben die großen Ferien einmal eingesetzt, fahren auch alle auf einmal los und stehen auf dem Weg nach Spanien ab Lyon bis Perpignan lieber im Stau, als sich auch nur einmal von ihrem Ameisenpfad runterzubegeben. Hierbei sind Deutsche und Franzosen ausnahmsweise mal von identischer Geisteshaltung. So kann man sich schonmal akklimatisieren, vermögen es unter der in diesem Fall gar nicht so geilen steilen Sonne nicht einmal mehr die mittlerweile zu jeder fahrbaren Schuhschachtel gehörenden Klimaanlagen, die Temperaturen derart nach unten zu regeln, daß der Assoziation See und Luft freier Lauf gelassen werden könnte.

Zugestandenermaßen gäbe es dort auch keine Möglichkeit, ins beschauliche Wolgast hineinzugelangen. Denn man steht ja mittendrin, und alles muß über die Wolgaster Brücke, um auf die Insel zu kommen. Auf die wollen nunmal alle. Es sei denn, man hebt sich Wolgast und den zwangsläufigen Stau für später auf und verläßt die Touristenbahn, fährt einfach mal raus. Ein wenig Orientierungssinn möchte dabei allerdings vorhanden sein. (Aber wer lernt heutzutage noch, bei diesen Kurzschuljahren zugunsten des rasch zu steigerenden Bruttosozialprodukts, wohin es einen führt, wenn man mittags um zwölf aus dem Süden kommend nach rechts abbiegt? Auch die in einem solchen Fall recht hilfreiche Pfadfinderei scheint ja definitiv abgeschafft. Und die Himmelsrichtungen, allen voran Ost oder West, sind zu Zeiten der Globalisierung ohnehin nicht mehr gültig. Man hat ja GPS-Navigation; wohin die einen auch immer führen mag.) Also rechts raus — und bei geöffneten Fenstern über Hohendorf und Zarnitz die Fahrt durch etwas genießen, das man mittlerweile unberührte Landschaft nennt. An der von Anklam herführenden Straße sind zwar auch nicht eben wenige unterwegs, aber man rollt mit seiner kleinen michelinbereiften Voiture gemütlich für sich hin. Auch der Übergang vom Festland über die Zechiner Brücke auf die Insel bietet keinen Widerstand. Und so ist man bald mittendrauf auf dem gelobten Usedom, rasch in Ahlbeck, kurz vor Polen, dem südlichsten Ort der Insel.

Daß der in der Hochsaison überwiegend von ehemaligen, nicht mehr so ganz morgentaufrischen DDRlern bevölkert wird, mag damit zusammenhängen, daß die hier ihr gewohntes Heim suchen. In Ahlbeck urlaubte man, um durch Freude an der frischen Seeluft wieder zu der Kraft zu gelangen, die man benötigte, um den sozusagen vorhistorischen Aufbau Ost zu bewältigen. Da wird noch, vierzehnhundert Meter vom Textilbadestrand entfernt, FKK-Tradition gepflegt. Daß zweihundert Meter weiter der Strandstreifen liegt, an dem der Hund sich das Fell verbrennen lassen darf, mag (auch) an den Jüngeren liegen, die noch nicht rübergemacht sind in den Westen und so auf denselben gekommen sind. Oder hiergeblieben sind, um den Wessis das Fell über die Ohren zu ziehen. Und die fahren für den nordic Langlauf brav nichtmal in die Berge (aber bald an die Nordsee, weil's da mittlerweile nicht mehr so teuer kosten tut). Das gesunde Gehen am Stock erledigen sie im Sommer gleich mit. Am Strand. Das nennt unsereins Kostenbewußtsein. Die Sportartikelindustrien samt angeschlossener Krankenkassen wollen ja auch leben.

Nach Wolgast kommen wir später. Das ist nämlich eine lange Reise, bis hinauf in den hohen Norden (der Insel). Und es ist überdies sehr wahrscheinlich, daß wir erneut durch ein Nadelöhr müssen. — Wohl gastlich. «Hiermit erkläre ich die Ostsee für eröffnet —»
 
Mo, 23.06.2008 |  link | (2186) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5808 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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