Irrlichternder Grün Sie hatten wieder gestritten. Sie wollte ein Kind. Er wollte keines, er habe genug, nicht nur Kinder. — Aber ausgerechnet mit ihr, schimpfte sie in das in ihr aufkommende Schluchzen hinein, wolle er keines. Warum habe er sie eigentlich geheiratet?! Wenn er keine Kinder haben wolle?! — Er habe doch welche. Und geheiratet habe er sie unter Zwang. Weil die Gesellschaft und ihre biedermeierlichen Rudimente es so wollten. Seine Eltern seien auch nicht verheiratet gewesen, seien noch aus dem anfänglichen zwanzigsten, zur besseren Hälfte sogar aus dem neunzehnten Jahrhundert und hätten dem trotz ihrer Erziehung aus dem achtzehnten trotzdem getrotzt. Oder vielleicht gerade deshalb. Und erfolgreich, wie sie vor sich sehe. — Aber Kinder gehörten nunmal zum Leben, schrie sie. Sie könnten ihre Ehe retten. Er schlüpfte in die der Jahreszeit gemäßen leichten Schuhe, hinten hinuntergetretene Espandrilles, die er sich von jedem jeden Urlaub neu mitbrachte, zog sich nicht einmal eine Jacke über, da er vorhatte, gleich wieder zurück zu sein, und verließ die Wohnung im Jugendstilhaus weitab am Rand der Stadt, wohin sie in in der Phase ihrer Verliebtheit gezogen waren, um unter sich zu bleiben in ihrer kleinen Liebeslaube zwischen diesen ganzen Kleingärtnern des gehobenen Mittelstandes, die nichts anderes kannten als ihren gepflegten Lebensstil. Er hatte kürzlich, nachdem er mit dem Sport aufgehört hatte, weil ein Bindegewebsschaden aus geringen langwierige Verletzungen werden ließ, zu rauchen begonnen. Er hatte keine Zigaretten mehr. Er würde sich welche holen müssen. Er sagte ihr das, es würde ihr Gelegenheit geben, wieder ein wenig herunterzukommen von ihrem Verzweiflungsturm, auf den sie sich geflüchtet hatte, seit ihre Kolleginnen im Büro und jetzt auch noch ihre einzige Freundin werfen wie die Säue vom Bauerhof da draußen im Wald, im Niemandsland kurz vor dem eiserenen Vorhang, wo die Evangelen ihre Zöglinge zögen und die Alten aufbewahrten wie zu Kriegszeiten. — Was habe ich nur für einen Zyniker geheiratet, hörte er noch, während er die Tür zuzog. — Du hättest es nicht tun dürfen, murmelte er eher in sich als an sie, die es es ohnehin nicht mehr hören konnte, du hast nur getan, was deine Eltern dir befohlen haben, was gut sei für den Fortbestand ihrer Gesellschaft. Ihrer, nicht seiner. Aber das waren dann nur noch Gedanken, mit denen er sein schlechtes Gewissen ein wenig abzumildern hoffte. Er saß bereits im Auto, das er, wie alle anderen auch, die eines besaßen, grundsätzlich auch für die kürzeste Strecke benutzte, das allerdings auch vonnöten war, denn in dieser abseitigen Abgeschiedenheit der Metropole beendete der Bus bereits um achtzehn Uhr seine Linie, und ein Suchtmittelautomat befand sich nicht einmal in annähernder Nähe. Sie konnte am wenigstens dafür, an einen derartigen Libertär geraten zu sein, als der er sich empfand. Er hätte sich diesem Zwang der Heirat auch nicht unterwerfen dürfen. Er, der sogar gegen den Kranzgeldparagraphen erfolgreich gewesen war, wenn auch mit Hilfe eines Rechtsanwaltes, den ihm sein vor drei Jahren gestorbener Vater quasi vererbt hatte. Er, der auch im anderen Fall die Ehe abgelehnt hatte, wenn das auch auf einer Gegenseitigkeit beruhte, die quasi letztlich ein Wunschkind gebar. Er war nicht wirklich ein Libertär, denn er nahm sich nur das aus diesem Theoriepaket, das seinem Körper und Geist gleichermaßen guttat. Die Liebe spielte dabei durchaus eine Rolle. Doch er war unfähig, sie zu besetzen. Seine Sozialisation war letztlich eine, die die Liebe lediglich in der vom Fachmann Ortega y Gasset so benannten «psychischen Angina» des Verliebtseins kannte. Alles andere war Gewohnheit. Wie bei seinen Eltern. Die hatten einander umschlungen, da sie meinten, sich in dieser Formation auf ihrem insularen Mikrokosmos gegen die erst kaiserlichen und königlichen und dann völkischen Kanonen schützen zu können, die von ihren festgefügten Ländereien her jeweils gesellschaftliche Regeln abfeuerten. Je weiter er darüber nachdachte, um so klarer wurde er sich darüber, daß diese Ehe hätte nie zustandekommen dürfen. Nicht nur, daß er sich seiner Unreife zunehmend bewußt wurde, die nicht nur an seinen jungen, gerademal dreiundzwanzig Jahren lag, sondern möglicherweise an einem Aufwachsen fern jener Realität, der seine noch jüngere Frau mit dem väterlichen Ethos eines Handwerkers ausgesetzt war, der gemäß protestantischer Lehre von Anstand, Sitte und Ordnung die oberste Stufe der Hierarchieleiter erklommen hatte und auf den dessen Gattin sich immerfort äußerst stolz berief. Ein sich vom Ahnen her anschleichendes Bewußtsein bedeutete ihm, so gut wie nicht zu wissen über das Leben, das er unbedingt genießen wollte. Er sah nach etwa einem Kilometer Autofahrt zur Linken einen Zigarettenautomat. Unbewußt ging er davon aus, er beinhalte nicht die von ihm bevorzugte Marke. Es konnte sie gar nicht geben, das fiel ihm ein paar hundert Meter weiter mit einem Mal ein, hatte er sie doch kürzlich gewechselt, hin zu einer mit deutlich mehr Nikotin- und Teergehalt, die, wie im Land ihrer Herkunft, ausschließlich im Tabakwarenladen erhältlich war. Also fuhr er weiter in Richtung Zentrum, zum Bahnhof des eingemeindeten Städtchens am Rand der großen Stadt, wo er sicher sein konnte, sie auch kaufen zu können. Er fand keinen Parkplatz zur frühen Nachmittagszeit an diesem Sonntag, an dem sich alles aufzumachen schien zu Eltern und Großeltern, zu Kaffee und Kuchen, was man in der kleinen Bäckereifiliale des Vorstadtbahnhofs bekam, dazu aus dem winzigen Laden noch die Blumen, ohne die gute Töchter und Söhne nicht antraten zum Wochenendbesuch. Das war der gute Ton, den man sehr früh zum ersten Mal hörte, wie das Klingeln des Christkindes, nach dessen Bescherung man ins Bett mußte, von Oma bewacht, weil Mutti und Vati in die Kirche gingen, dieses eine Mal im Jahr. Er kannte ihn nicht, diesen guten Ton, er hatte lediglich davon gehört, von seiner Frau, die nicht mehr in die Kirche ging, seit sie ihn geheiratet hatte, auch ohne Segen, denn er gehörte keiner Gemeinschaft an, die ihm hätte einen erteilen können. Seine Eltern hatten keine religiösen Festtage. Sie lehnten Rituale ab, weil sein Vater mit ihnen gequält worden war. Dessen Frau, die nicht als seine Frau galt sondern anrüchig als Geliebte, da den beiden kein ritueller Segen zuteil wurde, würde zwar gerne ein wenig ritualisieren zu solchen Tagen wie Chanukkah oder Jom ha-Kippurim oder wenigstens zu Roisch ha-Schana, aber sie war auch ohne Weihe eine gute Gattin und folgte dem ihren. Das erleichterte beider Leben, da sie sich anfänglich meist fern von Zivilisationen aufhielten und selbst dann, wenn sie später in deren Nähe oder gar mitten hinein gerieten, in ihrem insularen Mikrokosmos verharrten. Er überließ sich dem Lauf der Dinge, der nach einigem Suchen das Lenkrad in die linke Richtung drehte und er so auf die Ruhlebener Straße geriet, die ihn immer weiter von zuhause wegführte hin zum Zentrum des Zentrums der großen Inselstadt. Dort würde er sicher einen Hafen finden, wo er nicht nur das Auto abstellen und dann Zigaretten kaufen könnte. Er kannte in der Nähe des Bahnhofs am zoologischen Garten einige Seitenstraßen, die noch gewisse Freiheiten boten. Und er würde sie zu nutzen wissen. Wenn er schon einmal so weit weg war von seiner teilweise selbst aus Holz gezimmerten Heimeligkeit, die er während dieses gesamten Denk- und Fahrprozesses zunehmend als ungemütlicher werdend empfand. Er würde sicher bei Aschinger, der sich direkt neben dem Bahnhof Zoo befand, eine Erbsensuppe nehmen. Er mochte Erbsensuppe sehr. Seine Frau kochte ihm keine. Sie mochte keine Erbsensuppe. Sie hatte während ihrer Kindheit zuviel davon essen müssen. Und seine Mutter wäre nie auf die Idee gekommen, so etwas Abartiges zu kochen. Aber selbst wenn sie sein Sehnen erhört hätte, das in ihm rief, seit ihm in den Schulferien bei Tante und Onkel nahe der Grenze zum deutschen Reich dieser köstliche Brei serviert worden war, sie hätte es nicht vollbracht, denn sie konnte überhaupt nicht kochen. Er freute sich auf die Erbsensuppe. Sie war ihm ein Stück Heimat geworden. Abbruch. Nein. Interruptus. Eine Fortsetzung ist nämlich beabsichtigt. Schließlich hat der Irrlichternde Grün die Berechtigung, erklärt zu werden. Inselleben • Erzählung
Ach, wie schön. Dann harre ich mal! Ui, noch'n Leser
der schöneren Wirklichkeit. Zwar nicht so exotisch wie meine beiden aus Patagonien und Réunion, wie ich sie Jagothello gegenüber erwähnte, den niedersächsischen aus Bremen nicht zu vergessen, für dessen dauerhafte Aufmerksamkeit ich mich herzlich bedanke, aber Hamburg hat ja mittlerweile auch ordentlich was Fremdes: chinesisch bastardisiert,Ja, die Erzählung als solche hat besondere Reize. Mit ihr läßt sich quasi wunderbar eine Parallelrealität schaffen. Alles ist weit weg und dennoch wirklich, eine Welt irgendwo in der Galaxie der Anhalter ins Paradies, man weiß nie, wer oder was einen mitnimmt. Jetzt denke ich heftig darüber nach, wie ich Herrn Wulff und den fränkischen (Alp-)Traum der, diesen europäischen Berater der digitalen Verzettelei eingeladen kriege in meine kleine Geschichte der Unwahrscheinlichkeiten. Letztgenannten vielleicht als Nachfolger vom Ersten? Aber ach, nur wie? Allzu unwirklich darf sie ja nicht werden. Die Geschichte spielt schließlich zur Zeit Heinemanns und der RAF. Da war ja, bis auf die wilde Truppe und deren bildhafte Gerichtsbarkeit von der Kochstraße, die Welt morgens um sieben noch im Dortmund der ewigen Ruhe, da winkte noch niemand sowjetisch mit den Schuhen, da zählte der Staat noch was. Die Liebe als zentrales Geschehen wäre ein Anhaltspunkt: Vaterland? Ich liebe meine Frau. Lübke als des Ursozialdemokraten Heinemanns Vorgänger, als der Poet der Diplomatie böte noch einen Verknüpfungspunkt. Aber ich lasse das wohl lieber. Sonst wird aus der Erzählung noch ein sechshundertdreißig Seiten langer Zwei-Tage-Roman. >> kommentieren enzoo (12.01.12, 09:23) (link) das
erinnert jetzt an etwas längst vergangenes: oder zumindest für mich schon lang nicht mehr gesehenes (auch weil fast ausschliesslich auf den elektronischen medienkosum umgestiegen): an den fortsetzungsroman im wochenend-supplement einer tageszeitung. wie lang die wochen da werden konnten. nur hier viel grausamer: die wochenend-beilage kam sicher jeden samstag. doch hier ist nur von einer absicht die rede! da hilft wohl nur geduldiges warten. Sans souci !
Sobald ich fertig bin als Leserbriefonkel werde ich mich wieder auf den Weg machen. Sobald die Erbsensuppe den Protagonisten gestärkt haben wird, geht's weiter, in meinem Kopf das noch skizzierte Bild, er weiter irrend, um den hohlen Zahn herumschleichend, doch von ein wenig Sehnsucht nach klärendem Gespräch mit der Gattin berührt zunächst in Richtung Kantstraße rollend, zum Ernst-Reuter-Platz, dann ein Ruck nach rechts aus dem Kreisel(n) auf die Straße des 17. Juni, die gab's damals nämlich schon, wenn sie dort auch jäh verriegelt, abgeschirmt war von den später blühenden Landschaften Unter den Linden, dort gerät er fast in logischer Konsequenz in eine raffige Mausefalle, in den Auslöser seiner Begegnung mit dem irrlichternden Grün — soviel sei bereits verraten, wir sind hier schließlich nicht bei der Tageszeitung mit ihrem Wochenend-Supplement. Ich habe doch sonst nichts zu tun, kann ohnehin die Türmerei der Nordresidenz nicht verlassen wegen Behinderung. Aber ich werde unterbrechen müssen, möglicherweise erst morgen weitererzählen können, da wären wir dann doch beim Wochenend-Supplement, da Frau Braggelmann vor ihrer Reise zum Park von Sans souci vorbeischaut, um mir Leidendem das Köpfchen zu streicheln, vermutlich mit dem Hintergedanken, mal wieder etwas mitgehen zu lassen.Darauf hat sie nämlich schon lange ein scharfes Auge geworfen, das Gemälde eines Malers, der Ende der Siebzigern rübergemacht ist von Ost nach West, der die DDR auch mal sehr gemocht hat, nicht nur weil er vom Schicksal ziemlich gebeutelt worden war, der dann jedoch auch im goldenen Westen erstmal lediglich ein Kellerloch zur Verfügung hatte, wo er auf Packpapier und später, als es etwas besser ging, auf alten Säcken die Chiffren hinterließ, die sich in seinem Kopf der immerwährenden Gefangenschaft festgesetzt hatten. Ich habe einige von diesen Gemälden, die mich bis heute faszinieren. Von diesem hier denke ich darüber nach, es dem irrlichternden Grün voranzustellen, da es die andere Seite der bleiernen Zeit symbolisiert, die ich nur auf Transitwegen befahren durfte (daß es hier [leider] leicht beschnitten werden mußte, weil ich's technisch besser nicht kann und ich zur Zeit ohnehin zu gar keiner körperlichen Artistik in der Lage bin, etwa um Wände hochzusteigen, um werbewirksuchenden Bilderdieben via Kuckels die Arbeit zu erleichtern, dafür bitte ich vor allem den Künstler um Entschuldigung). À Propos elektronischer Medienkonsum. Ich schaue nie Serien, die öden mich an. Habe ich eine Folge gesehen, reicht das für alle. Das war mal anders. In den Siebzigern hatte ich Freude an der einen oder anderen. Gestern nun bin ich zufällig in eine Wiederholung des Bayerischen Buntfunks hineingeraten. Welch ein Witz, nicht nur im Wort — Der ganz normale Wahnsinn. Diese Komik auch oder vor allem in den Dialogen scheinen in der neudeutschen Komik völlig unter die Erde gegangen zu sein. Trotz der spätabendlichen Müdigkeit habe ich durchgehalten. Gut, ein bißchen Nostalgie mag dabei auch ein Röllchen spielen, sind die doch fast alle mir noch gut bekannt aus meiner Zeit als rasender Kulturvermittler beim Hörfunk. Was habe ich früher geschimpft auf den bunten Funk aus Bayern. Warum nur treten diese Dietls (und Patzaks et cetera) nicht mehr an oder auf im deutschsprachigen Fernsehen?! Jetzt gibt's gerade noch den Franz Josef Bogner. Den möglicherweise auch nur diejenigen verstehen beziehungsweise mögen, die die vereinzelten oberbayerischen Lokalkolorits kennen. Trauer muß Elektro tragen. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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