Marginale Empörungen

Nachdem die Kopfschüttlerin mir einmal mehr vorgelesen hat, (wiederholt) hat vorlesen müssen, bis es auch in meiner Aufmerksamkeit gebührend ankommen konnte, sehe ich mich nunmehr außerstande, weiterhin einen Auszug dessen zu verweigern, was mich seit langem bewegt und mich mit Zeitverzögerung auf das stößt, was auch gesagt werden muß oder besser: gar nicht oft genug gesagt werden kann:
«Charakteristisch für die Proteste deutscher Wutbürger/innen ist generell, worüber sie sich nicht empören: die täglichen Abschiebungen von Nicht-Deutschen, Hartz IV, Rente mit 67, Verelendung der abgehängten Unterschicht, Sarrazins menschenfeindliche Thesen, alte und neue Nazis, gleich ob sie höchste politische Ämter auch im ‹Ländle› bekleiden oder mordend durch die Republik ziehen, deutsche Rekorde beim Handel mit dem iranischen Holocaustleugner-Regime — solche Petitessen bringen Wutbürger/innen im allgemeinen nicht aus der Ruhe.»

Der gesamte Text von Lothar Galow-Bergemann und Markus Hofmann ist nachzulesen in: Krisis bzw. in Konkret 1.2012
 
Mi, 18.04.2012 |  link | (1140) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen


damals   (19.04.12, 20:03)   (link)  
Oh, Herr Stubenzweig,
da haben Sie wieder was angepiekt mit Ihrem Link. Was da zu lesen war, traf bei mir einen wunden Punkt. Und vor allem war ich ganz ahnungslos - denn Sie haben mit sicherem Blick die am ehesten nachvollziehbare Passage aus einem Text zitiert, der ansonsten ziemlich ärgerlich ist:
Da ist alles Irrationale (von "Bauchgefühl" bis "Mythos") mal wieder das Böse an sich und natürlich auch irgendwie antisemitisch, wohingegen Lobbyismus eine gar nicht so schlechte Seite an dem ansonsten gehassten Kapitalismus darstellt (schließlich ist hier die Intention rational verständlich: man hat ja auch selbst seine Seilschaften) - akzeptabler jedenfalls als direkte Demokratie. Die ist nämlich ganz gefährlich - weil die Bürger nämlich alle stockkonservativ und im Herzen noch wilhelminisch gesinnt sind und die Unterschichten blind dem Sarrazin nachlaufen. Also, ich hab aus dem Artikel als Kernaussage herausgelesen: Der Bevölkerung ist nicht zu trauen. - Und ich traue diesen Schreibern nicht.


enzoo   (20.04.12, 10:05)   (link)  
ich finde
diesen artikel im ganzen und mit einschränkungen recht gut, und hrn. stubenzweigs auszug, wie immer und wie sie zu recht sagen, mit sicherm blick passend gewählt.

dem gemeinen volk ist nicht zu trauen. und nicht nur dem gemeinen volk - dem volk ist nicht zu trauen! das hat die geschichte immer und immer wieder gezeigt. denen, die die dialektische keule mit bravour schwingen und sich gegenseitig zitieren, um damit sowas wie ein scheinbar schlüssiges gedankenmodell zusammenzuzimmern, ist allerdings auch nicht zu trauen, auch das hat die geschichte wiederholt gezeigt. was bleibt also: selber denken. und das gute an solchen artikel loben und verbreiten und das schlechte vergessen. das ist ein eingeständnis von niederlage? von mir aus.


jean stubenzweig   (21.04.12, 17:14)   (link)  
Diesen Schreibern
trauen Sie nicht. Ich auch nicht. Ich mißtraue den meisten, zuvörderst den Gottvertrauern, und unmittelbar danach denen, die mir sprachmodisch etwas mittels Bauchgefühl (Postskriptum) von irgendeinem Mythos erzählen, häufig genug ohne zu wissen, daß es sich dabei ursächlich um nichts anderes handelt als (nach)erzählte Überlieferung, ihnen also jeder Instinkt verlorengegangen zu sein scheint.

Es sei Ihnen unbenommen, über den Rest dieses Textes verärgert zu sein. Andere stimmen mit Ihnen nicht überein. Die direkte wie auch die indirekte, also parlamentarische Demokratie läßt unterschiedliche Ansichten und Meinungen zu, wenngleich letztgenannte zweifelsohne renovierungsbedürftig ist. Die Ursache führe ich darauf zurück, daß es der Kapitalismus unter Umständen vielleicht ein wenig übertrieben haben könnte mit seinem Streben nach Macht, unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Politiker sich dem großzügig unterworfen haben oder sie nicht mehr bereit waren, sich an die Kandare zu nehmen. Ja, ich empfinde das als bösen Kapitalismus.

Die zitierte Passage habe ich gezielt ausgewählt, da sie in etwa das umreißt, das mich geistig, politisch, gesellschaftlich in Bewegung hält. Auch darüber wäre zu diskutieren, gewiß dürften viele auch damit nicht einverstanden sein. Daß dahinter Linke, in diesem Fall Marxisten-Leninisten stecken, halte ich für erträglich, wie ich auch die Grünen oder die FDP oder die SPD und gar die CDU samt CSU und wie sie sonst noch alle heißen mögen oder, da er mir abwahlnäher steht, Sarkozy ertrage, ertragen muß. Mit manch einem Politiker aus einer mir insgesamt nicht eben genehmen politischen Gruppierung befand ich mich in Gesprächen, aus denen sich bedenkenswerte Aspekte ergaben. Das muß jedoch nicht heißen, daß ich deren Programme grundsätzlich als richtig erachte. Aber irgendein dahinterstehender Ismus hält mich nicht davon ab, den einen oder anderen Punkt nicht doch für erwähnenswert zu halten. Nur weil die DDR nicht nur mithilfe von französischem, sondern überhaupt mittels turbokapitalistischem Schmieröl abgewickelt wurde, heißt das für mich noch lange nicht, daß die Idee des Kommunismus oder des Sozialismus definitiv abgeschrieben wäre. So, wie das praktiziert wurde, war das in der Planung nicht vorgesehen. Die soziale Marktwirtschaft funktioniert schließlich auch nicht oder nicht mehr so, wie sie ursprünglich mal gedacht war.

Was allgemein «direkte Demokratie» genannt oder darunter verstanden wird, das fürchte ich — als Teilaspekt — schon alleine deshalb, weil darin eine Masse urteilt, deren «ästhetische» Vorstellungen mich grausen lassen, da in ihnen allzu oft eine Schönheit die Welt zeichnet, die bereits zu wilhelminischen Zeiten obsolet war, aber für die meisten noch immer Gültigkeit zu haben scheint. Nicht nur aus dem Christlich-Jüdischen abgeleitete, sich oftmals ins Protestantische verkleinernde Moral und sonstige Anschauungen sind deren allzu häufigen, mich empfindlich störende Begleiter. Ich kann mich darüber hinaus des Eindrucks nicht erwehren, zumindest ein großer Teil der Deutschen würde am liebsten jede Neuerung hinter nachgebauten Fassaden vergangener Jahrhunderte — und damit möglicherweise gleich einen Teil seiner (für mich immer noch jüngeren) Geschichte — verschwinden lassen, selbstverständlich unter Beibehaltung des Immobilwertes der Neuzeit. Aufs Plumpsklo im Hinterhof wollen sie alle nicht mehr gehen müssen, aber die neueste Technik im Sanitärbereich möge bitte quasi den Laut verschiebend zugehängt werden, wie das der Backstein oder Klinker mit dem Beton tut. Man hängt die Sofitte direkte Demokratie oder auch friedliche Revolution oder den Protest so, daß der Einblick in die eigentliche Bühnenmaschinerie verwehrt wird, sie allenfalls noch andere Effekte, etwa den der Verniedlichung, zuläßt, aber eben nichts am Status quo ändert. Der Aufstand ums Kleinteilige am Beispiel Stuttgart erscheint mir deshalb zumindest teilweise wie Maschkera.


einemaria   (23.04.12, 13:51)   (link)  
Danke Bitte, danke -
wieder und wieder. "Put it in their faces!" Sie sind mir da schon ein wenig hartelinie geworden - wie löblich. Es einbrennen, so daß man den Satz nicht mehr wegkratzen kann. Es einzutätowieren auf den Netzhaut. Immer und immer wieder und wieder.
Jawohl. Wenn ich doch nur einen dieser sinnlosen Verdienstorden zur Hand hätte ...















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