Stand und Ort der Illusionen



Der Photograph Martin Behr, der unabhängig von mir 2007 durch Venedig und seine Biennale bummelte, aber fast alles Bemerkenswerte quasi für mich mit ablichtete, befand sich zwar weit, weit vor der aktuellen oder auch akuten Urheberrechtsdebatte, also als Avantgardist des Schlachtfeldes vor der Meinungslinie: Er legt keinen Wert auf gewisse Rechte. Doch dabei sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich beharre auf dem Standpunkt, daß das, was jemand geschaffen hat, auch weiterhin ihm gehören soll. Also aus meiner Landlordperspektive: ©

Übers Heiraten sprachen wir, Frau Braggelmann und ich. Wir saßen gemütlich plaudernd in ihrer bis unter die Decke, die demnächst wohl auch als Ausstellungsfläche ihrer und ihres ihr zuweilen beiwohnenden Herrn Leidenschaft dienen wird, zugekunsten Wohnung, keine Petersburger Hängung mehr, sondern eher eine der Unwillkür, ein wenig Antihaltung vielleicht die puristisch-religiöse Betriebsanleitung gegen das Regulierte, eine Art Un-Willkür, die nach Ralph Köhnen als des Willens Kür ausgelegt werden kann, ein (Gegen-)Katechismus, der die exacte Anordung bestimmter Behübschungen des alltäglichen Daseins wie etwa in diesen dem Bauhaus nachempfundenen Wohnkathedralen, des bläßlichen Abbilds einer nur noch dem Wohlfühl- oder neudeutsch Wellness zurechtgeklitterten Moderne vorgibt, in denen jedes Kunst-Stück genau und unverrückbar dem «richtigen» Ort unterworfen ist.

Nein, nicht um unser beider Hochzeit war die Rede, auch nicht um schon wieder eine der vielen Kinderlein. derentwegen man sich einig der Meinung war, dieses unnütze Ritual wenigstens meinerseits zur Abschaffung vorbereitet zu haben. Es ginge auch nicht. Zum einen erreichte mich das gegen mich gerichtete Urteil aus den Anfangssiebzigern der Schuld wegen böswilligen Verlassens nie. Zum seinerzeit nach dem alten Scheidungsrecht noch erforderlichen Sühnetermin bereiste ich zum ersten Mal die alle fünf Jahre zur Kunstmetropole ausgerufene Weltstadt Kassel, im Grunde außerhalb dieses Events Rand-, besser Sperrgebiet des seinerzeits freiesten aller Deutschlands, wie es zu dieser Zeit noch genannt wurde; fortan sollte ich (fast) nur noch der Kunst wegen dorthin fahren. Ich weiß also bis heute nicht, ob ich frei bin. Und irgendwie meine ich immer wieder mal herauszuhören, Frau Braggelmann habe irgendwie die Schnauze voll. Und nicht nur ihretwegen, denn es kündige sich innerfamiliar schon wieder solch ein Zinnober an. Alles, nicht nur aller Deutschen Lieblingsbundespräsident, habe den Ruf nach Freiheit auf den Lippen, und dennoch stürze sich eine nach dem anderen von den Klippen hinunter.

Im Zuge dieser wiederholten Debatte der Einigkeit darüber, wie wenig sinnvoll dieses Ritual letztendlich sei, da man sich ohnehin bald wieder trenne, erzählte ich ein wenig. aus meinem Angelesenen, hier konkret Angehörten aus dem Volksempfänger. Zunächst war da die Geschichte von dem japanischen Eventler, der meinte, nicht nur die Bindung sei ein Grund zu feiern, auch die Entbindung, worauf er die Organisation solcher Trennungsfeierlichkeiten übernahm. Etwa tausend Euro kostet das, pro Veranstaltung. Frau Braggelmann meinte, für ihr letztes Trennungsritual habe sie noch das Dreifache bezahlt. Da wollte ich mit dem vielgepriesenen Positiven entgegnen, das der Mensch sich offenbar nunmal herbeisehne, mit einem Ereignis, das mich scheinbar band und doch frei sein ließ von dieser Art Kontrakt. In den Siebzigern hatte ich gemeinsam mit einer Freundin in einer Kneipe, wo anders könnte solch eine Kopulation auch stattfinden, die Idee für eine Riesenfeier; heutzutage hieße das wohl Party, die seinerzeit noch in der Küche stattfand. Wir planten unsere Hochzeit. Standesamtlich fand sie nicht statt, aber wir taten so. Einen ganzen Tag und auch die darauffolgende Nacht und auch noch ein Stück des nachfolgenden Tages ließen wir's krachen, rund hundertfünfzig Freunde und Bekannte feierten mit im Zentrum der im Inneren recht überschaubaren Stadt, bis die Müdigkeit einen nach der anderen aussortierte. Noch Jahre danach wurde ich nach meiner Gattin befragt. Von einer Scheidung mußte ich nicht berichten.

Dann kam mir das junge Paar aus dem Kohlenpott in Erinnerung, er ein Schlichter und wohl dementsprechend Verdienender, sie sowohl geistig als auch monetär ähnlich strukturiert. Sie waren dem Angebot einer in die USA übersiedelten, mit einem Einheimischen verheirateten Deutschen gefolgt, einem Paar, das alle Arten von Verehelichungen organisierte, sei es auf einer Harley, zwei Mustangs oder in einer Gondel. Fünftausend Dollar ohne Gebühren für den Standesbeamten oder das Sechsgängemenu im Fünfsternehotel und auch auch exclusive des Flugs von Frankfurt-Hahn inmitten des schönen Hunsrücks nach Las Vegas und wieder zurück. Nun müsse man eben wieder Nudeln mit Tomatensauce vom Discounter mampfen, meinte er kurz vor dem Abflug zurück in den etwas überschaubareren Alltag. Ihm habe dieses ganze Brimborium nicht nur des feierlichen Mahls ohnehin nicht sonderlich zugesagt. Aber er wollte seiner Frau diesen Gefallen tun, nach dem es sie recht ziemlich gedrängt habe. Ich hörte davon, es sei meistens die holde Weiblichkeit, die dieses Eingeläut des Todestags einer Liebe prachtvoll und unvergeßlich wünsche.

Dieser voreheliche Verkehr samt Segnung fand statt in einer Umgebung, von der Frau Braggelmann zunächst nicht glauben wollte, daß es sie gäbe, daß sie eines meiner vielen und gefürchteten Hirngespinste sein müsse. Also hatte ich den Beweis anzutreten. Behilflich war mir dabei die schöne tizianische Pamela Casarin Scorzin aus dem Veneto. Die Fachfrau für bildende Kunst und assoziierende Angelegenheiten verfaßte anfangs des neuen Jahrtausends einen mich immer noch hinreißenden Aufsatz über Venedig in Las Vegas, daraus einen kleinen Auszug:
[...] Wir sind am Ort der Illusionen angelangt! Fließt hier nicht der Zwilling des guten alten vertrauten Canale Grande als verheißungsvoller Fluß einer prosperierenden Oase inmitten eines eigentlich wüsten und geschichtslosen, aber somit nicht mehr gänzlich gesichtslosen, fernen Niemandsland? Wir reiben uns die Augen und staunen weiter hinter unseren Windschutzscheiben: Nur bequeme wenige Autominuten von dem neuen, architektonisch geklonten. mit künstlichem Himmel versehenen Venedig, dem Las Venice, liegen hier wie an einer schimmernden Perlenkette aufgereiht zwischen zahllosen gigantischen Hotelkomplexen, Shopping Centern und Großkasinos die beliebten touristischen Highlights der alten europäischen Kultur- und Architekturgeschichte: Luxor, Rom, Venedig, Paris, Monte Carlo, Bellagio am Comer See, aber auch die städtebaulichen Ikonen der eigenen kurzen kulturellen Vergangenheit der jungen Nation der United States of America, diesen Römern des 20. Jahrhunderts, selbstverständlich alles konsum- und bildgerecht durch den Techni-Color-farbenen Screen Hollywoods betrachtet: Disneyland und New York grüßen hier im US-Bundesstaat Nevada im gleichen Zuge mit ihren ebenso weltweit bekannten Wahrzeichen die jungen und alten Besucher dieser modernsten «City of Entertainment», von denen sich aber die meisten nur etwa drei Tage in die gigantischen Hotelkomplexe aus Tausenden von Betten einmieten möchten. Die berühmt-berüchtigte obligatorische Grand Tour des 19. und 20. Jahrhunderts durch das alte traditionsreiche Europa selbst droht für die Anhänger dieser unterhaltsamen Scheinwelt mit einem Schlag für immer obsolet, zumal Las Vegas inzwischen selbst auch dünkelhaft auf eine genuin eigene Museumstradition verweisen kann: Man/frau/kind besuche etwa das Museum für Neonkunst oder das Liberace Museum, dieser herrlich kitschige Tempel für echten Straß und falschen Glitter an der 1775 E Tropicana Ave! Und, um es nicht zu vergessen, heißen heute die ungekrönten wahren Regenten dieser ultimativen Kapitale des US-amerikanischen Entertainment ‹Siegfried and Roy› — unentwegt smiling, im noblen Mirage residierend, und wie es sich nun mal auch in einem demokratischen Land für wahre Häupter gehört, stets scharf bewacht von ihrer exklusiven Leibgarde aus weißen Tigern. [...]
Das neue Venedig, Siggi und sein weißer König, das wäre ungefähr die Kunst, die von Können kommt, ästhetisch, also fleckenfrei, wie die lieber rück- als vorausblickende Gesellschaft nicht nur als Richter der Kunst erkennt, wie zu des Handwerkers Zeiten, als Herr Gott noch über seinen Stellverteter persönlich Anweisung und Anleitung zur Schöpfung eines Werks und auch das Geld gab. Die Herren sind heutzutage andere. Ich hab's deshalb wohl eher mit der modernistischen Sichtweise des Kuckens. Nun gut, ich habe es anläßlich meiner Wandlung zum Gelassenen schließlich verkündet: Kunst ist, was gefällt. Meinetwegen auch das Heiraten, und sei es prunkvoll in künstlichem Stoff.

Das gefällt mir an den Jungen, die sich einen Teufel um alte Gebetsrituale oder irgendwelche Anweisungen von oben scheren. Dabei spielt es keinerlei Rolle, ob es an mir Gefallen findet.
 
Do, 07.06.2012 |  link | (2192) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


einemaria   (08.06.12, 00:12)   (link)  
"... daß das, was jemand geschaffen hat, auch weiterhin ihm gehören soll."

Wer ein Haus gebaut hat, dem gehört das Haus nicht zwangsläufig. Das nennt sich Auftragsarbeit, vermute ich, wenn er es unter Verkauf seiner Arbeitskraft getan hat. Wenn jemand für sich selbst ein Bild malt, dann gehört ihm das Bild - irgendwie. Die Farbe hat er gekauft, die Leinwand auch, sowie den Pinsel. Wenn also jemand etwas gestaltet, daß er erworben hatte, dann - so wäre mein Minimalkonsens - kann er, so er denn dem kapitalistischem Grundkonsens anhängt auch behaupten, daß es ihm gehört. (Ich hänge diesem Konsens nicht an!)
Aber einen Satz, eine Melodie oder einen DNS-Strang zu besitzen, ist für mich eine Absurdität. Denn die Sprache oder die Musik, wurde von den angeblichen Eigentümern eines solchen nie erworben. Da müsste jemand schon seine eigene Sprache erfunden, der Besitzer von Tönen oder der Schöpfer des Gens sein, um sich solcherlei "Besitz" anzumaßen. Ich kann den Satz "Eigentum ist Diebstahl", der auch Proudhon nicht gehört, fast schon mit meinen Nervenzellen verstehen. Sollte dem jedoch so sein, so möchte ich hiermit mein Patent und alle Urheberrechte auf den Satz "Das gehört mir" hiermit platzieren - selbstverständlich in allen bestehenden Sprachen und Dialekten.
Vielleicht hab ich sie auch nur falsch verstanden.


jean stubenzweig   (08.06.12, 13:14)   (link)  
Da ich dieses Bild
nicht geschaffen habe, gehört es auch nicht mir, deshalb weise ich darauf hin. Ich bin nämlich durchaus der Meinung, es gebe eine Leistung, die unabhängig davon existiert, ob ein anderer die Kamera oder auch den Film oder die digitale Technik erfunden hat. Diese Photographie als solche ist ein eigenständiges Werk. Der Blick auf das tricolorige liberté, égalité, fraternité als Klo der Geschichte ist der von Martin Behr; die völlig in Orcus' Unterwelt entschwundene proudhonsche Mutualité darf, muß man sich hinzudenken. Selbstverständlich gebührt dem Künstler Lars Ramberg der Hauptanteil an dieser Abfuhr. Aber wenn ich die Interpretation der Aborte der Revolution abgelichtet hätte, wäre darauf vermutlich ein anderes Licht gefallen, nicht zuletzt deshalb, weil mir jede sogenannte Objektivität abgeht, die hier gewahrt zu sein scheint und die ich ausgewählt habe, sicherlich nicht zuletzt, weil es mir gestattet war.

Also nicht die Lehr- und Lernmittel, sich mitzuteilen, sind Eigentum, von wem auch immer. Aber die selbstgestaltete Form ist und bleibt es. «Eigentum ist Diebstahl» stammt übrigens nicht von Proudhon. Ich schätze dessen sozialgedanklichen Ansätze durchaus, nicht zuletzt sein föderales Denken, seinen Freiheitsruf für das Individuum in der Masse, nicht so sehr anderes aus seinen Hirnwindungen, die in den Carnets Niederschrieb fanden. Aber um eines klarzustellen, hier mit fremder Hilfe, also anderer Leut' Gedachtem, mit dem eines guten Bekannten, der sich lange mit dessen und Bakunins Theorien beziehungsweise mit denen von Marx befaßte und mir einbleute: Er bezog den von ihm in Qu’est ce que la propriété? verwendeten Gedanken auf Privateigentum als Privileg oder gar, noch entscheidender, Monopol, also Machtkonzentration. Ich kann von daher keine Verbindung herstellen zu einem Bild, das ein anderer neu gesehen, geschaffen hat, und sei es unter Zuhilfenahme von Technik, die andere erdacht oder erfunden haben. Das von anderen Geschaffene gehört ihnen. Auch wenn ich beispielsweise Gemälde erworben habe, bleiben geistige Eigentümer die Urheber der Bilder, den, erweitere ich Proudhon ein wenig, kreativen Kleinhandwerkern. Das habe ich immer deutlich gemacht und werde es auch weiterhin tun. Daran wird auch die aktuelle Debatte nichts ändern.















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