Die öffentliche Hand

Sollte ich noch wirrer als sonst sein, führe man das getrost auf ungesundes, aufgeklärtes Leben bis zum Alter zurück.

kann viele Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Sagt sie, die offene Hand, aus der sich so viele bedient haben und bedienen, indirekt auch diejenigen, die daraus ihre Gewinne, wie das neuakademisch volkshochschulisch heißt, generieren. Nun, da der löchrige Schirm gerettet werden darf, da er lediglich noch aus einem Loch besteht, wird erst gar nicht mehr darüber nachgedacht, wer oder was es gerissen haben könnte. PPP wurde zu Zeiten angesetzt, als es noch nicht wirklich Anlaß dazu gab. Es waren die unentwegten Privatisierer, die das immer betrieben haben. Datiere ich es jetzt mal assoziativ zurück in die Zeiten, in denen Frau Thatcher zum Sturm auf die Bastion einer geregelten Finanzwirtschaft geblasen hatte. In den Folgen meinte manch ein von der Freiheit des Monetären beseelter Kleinstadtpolitiker, wo auch immer, in der gemeinsamen Tätigkeit mit allen möglichen Geldgebern, die behaupteten, sie fühlten sich qua Eigentum der Gemeinschaft gegenüber verpflichtet, einen Verein gründen zu müssen, der die Steuersäckel zu «erleichtern» vermochte, was auch geschah, indem auch die Sparstrümpfe dünner wurden. In der Fortsetzungsgeschichte fällt mir dazu beispielhaft die Aufforderung an Griechenland ein, aber auch wirklich alles zu verhökern, mit dem sich trödeln läßt. Wenn alles in die private Hand gelangt ist, dann hat die öffentliche nichts mehr, das sie gesunden ließe.

Womit wir bei der Marginalie zur Gesundheit wären, die mir bei der Gelegenheit einfällt. Was in den selteneren Fällen angegriffen wird, da findeln sie sich eher via EiPhone zu einem Blitzkriegmob gegen die GEMA zusammen: die pharmazeutische Industrie, dieser andere Gewinnmoloch. Da geht man lieber auf die Ärzte los. Dorf- oder Kinderärzte verdienen eben nicht unbedingt allesamt hunderttausend Euro und mehr jährlich bei sechzig, siebzig, achtzig, so manches Mal end- oder ruhelosen Wochenstunden Arbeit. Die Landärztin, die sich um ihre Patienten sorgt und ihnen lange zuhört, erhält oft genug gegen die hintere Mitte eines Quartals überhaupt kein Honorar mehr, da sie ihren Etat überzogen hat. Eine meiner guten Bekannten bittet immer wieder mal darum, ein von anderen dringend benötigtes Medikament bei anderen verbuchen zu dürfen. Es sind beispielsweise die Radiologen mit ihren ebenso von einer anderen Industrie preisbestimmten teuren Gerät-schaften, die es sich leisten können, immer wieder neue Geräte wie auch die mit dem beSUVten Stern zuzulegen. Und was ist mit den gesetzlichen Krankenkassen? Sie zahlen den Ärzten eben teilweise nur wenige Minuten für eine Behandlung. Die privat Versicherten erhalten mehr Aufmerksamkeit, sprich Zeit, sprich Geld. Aber im Alter sind auch die Alten oftmals ratlos, wenn die entsprechende, über die Rente hinaus abgeschlossene Lebens- bis hin zur Krankenversicherung nicht ausreicht für eine sorgloses Restdasein. Die Völker werden doch auch in der Gesundheit oder der Altersversorgung auf geradezu perfide Weise auf Privatisierung hin getrimmt, die müssen das doch für «normal» halten. Weshalb geht denn so gut wie niemand mal auf die Straße gegen diese Machenschaften aller möglichen, nenne ich sie mal seltsamen Vereinigungen? Man darf dafür ruhig auch sein EiPhone benutzen. Wie bei allden frühlingsartigen Revolutionen der Neuzeit.

Ich habe wahrlich nichts gegen Eigentum. Aber das ist scharf zu trennen von dem der Gemeinschaft. Vor Jahrzehnten habe ich gegen das US-amerikanische System beispielweise in der Kunst- und Kulturvermittlung gewettert. Es war klar, daß mal wieder niemand auf mich hören würde, der ich behauptete, die reichen Amis würden nunmal keine Steuern für cultural events zahlen, weshalb sie auch Geld reinstecken müßten dafür, hier aber erledige das die Gemeinschaft, die damit die Freiheit der Kunst vor dem Diktat des Geldes erhalte. Heutzutage geht nahezu nichts mehr ohne den Einfluß sogenannter Sponsoren. Längst üben sie, ich habe es kommen sehen, erheblichen Einfluß, ja Macht durch die Hintertür aus, indem sie Lehrstühle, letztendlich also die darauf Sitzenden bezahlen, Laboratorien, auch die des Geistes, finanzieren. Das ist dasselbe wie mit den Wasserspielen. Bildung ist ist ein Grundnahrungsmittel, das nicht den Gesetzen eines dubiosen Marktes unterworfen sein darf. Wohin Deutschland, aber auch andere Länder mit der Bildung geraten sind, wird ersichtlich, wenn man sich der verkürzten, auf «Effizienz» zielenden Studienzeiten vergegenwärtigt.

Man will meines Erachtens offensichtlich keine eigenproduzierten Gedanken aufkommen lassen, die möglicherweise darin münden könnten, es gäbe eventuell noch Angenehmeres, als sich für irgendwelche Firlefanzereien abzuarbeiten. Gäbe es den in den letzten zwei, drei Jahrzehnten in Mitteleuropa, Deutschland, geh' du voran, extrem vorangetriebenen, allein darauf ausgerichteten Konsum nicht, würde sich möglicherweise manch einer griechisch oder auch levantisch einfach aufs Stühlchen unter den etwas anderen Schirm setzen, unter den, der vor allzuviel Sonne schützt. Aber das wird's sein, man hat zuwenig Sonne, dafür zuviel protestantische Arbeitsmoral.

Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber wie ich's Ihnen heute früh ins Poesiealbum geschrieben habe: Es gibt so manches, das man, bevor ich jetzt dann mal weg bin zu Frau Braggelmann, gar nicht oft genug sagen kann, auch auf Seite eins, wo ansonsten zunehmend mehr Belanglosigkeiten Platz nehmen, in diesem Wartezimmer der Privatmenschen, die in der Antike Idiotes hießen und die wohl in der Sehnsucht nach dem guten Alten dort heutzutage wieder so gerne viele bunte Bildchen kucken. Genau, wenn mir danach ist, wenn ich derartige Visionen habe, gehe ich, wie der Allesgesunder namens Herr Schröder Deichgraf und Sintflutretter namens Schmidt empfahl, zum Arzt.
 
Sa, 15.09.2012 |  link | (3374) | 19 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


nnier   (16.09.12, 22:37)   (link)  
Das war Herr Schmidt,
der den Satz mit den Visionen gebracht hat, laut Zitatesammlung war's im Bundestagswahlkampf 1980.

Schlimm an dieser PPP-Kultur und all dem Ausverkauf gesellschaftlicher Errungenschaften sind natürlich die finanziellen Folgen, die ja auch erst mit einiger Verzögerung einsetzen werden, wenn all die cleveren Entscheider längst nicht mehr im Amt sind. Ein paar Kanalnetze verjubeln, ein paar Autobahnen von privat reparieren lassen, dafür künftige Mauteinnahmen verpfänden - noch ist das alles ja kaum zu spüren, weil kurzfristig Kosten weggefallen oder sogar ein paar Einnahmen hinzugekommen sind.

Schlimm sind aber auch die kulturellen Folgen, dieses alles durchdringende Markt-Denken, das man an der Sprache so gut erkennt, Sie nannten ja das Beispiel "generieren". Und all die Flachpfeifen in kommunalen, teil- oder gleich ganz privatisierten Gesellschaften fühlen sich total clever, wenn sie das angelernte Managersprech von sich geben und meinen, dass sie jetzt auch zu den coolen Jungs aus der "freien Wirtschaft" gehören. Da verhökert man doch gerne kommunales Eigentum und mietet es im selben Moment zurück, und in 20 Jahren ist der gesamte Verkaufserlös für die Miete draufgegangen. Ist aber viel effektiver so!


jean stubenzweig   (17.09.12, 16:22)   (link)  
Der Hanseat war's,
der nüchterne, vorbildliche, der Retter vor der großen Flut, der Deichgraf, der später einem ver- und durchgeistigten Souverän gleich den oberen rechteckigen Zeit-Rundgang herausgeberisch abschritt. Ich hätte einen Eid geschworen, der einstige, hineinwollende junge Wilde wär's gewesen. Hat der 1980 bereits an irgendeinem Gitter gerüttelt? Allüberall Erinnerungslücken in mir.

Ach ja, richtig: effizient generieren. Weshab empören sich die Wutbürger eigentlich deshalb nicht? Da gäbe es doch reichlich zurückzubauen. Aber das Tafelsilber hat nicht mehr den einstigen Stellenwert. Oder aber die Gemeinschaft hat nie begriffen, daß es das ihre ist. Nur dann, das ist mein Eindruck, wenn jemand unberechtigt das eigene Grundstück betritt, den Jägerzaun ignoriert, dann gibt es Empörung. Schließlich ist mein Home mein Castle. Staatseigentum ist so fern, das gehört offensichtlich anderen, das wird privat gleich antike Idiotie gewertet. Deshalb scheint das auch so leicht zu funktionieren. Demokratie. Volksherrschaft. Wie? Regiert von den oberen Zehntausend. Schweigen der neunundneunzig Prozent.


kopfschuetteln   (17.09.12, 00:35)   (link)  
wieso wirr?
da gab es mal einen film, der große ausverkauf, hier der trailer (achtung youtube, nur vorsichtshalber).

und, ich persönlich finde jetzt, ob schröder oder schmidt ... für mich spielt das eigentlich, sozusagen, keine geige.

(da war ein s zuviel.)


jean stubenzweig   (17.09.12, 20:31)   (link)  
Na bitte, 2007 schon.
Recherchebeginn 2002. Ich ahnte doch, da war irgendwas in meinem Hinterkopf, das mich (w)irre macht. Es kommt eine Darstellung oder Auslegung des Wirklichen nach der anderen daher, und kaum jemand will diesen Krieg wahrnehmen, der meines Erachtens bereits jetzt größeres Unheil über uns gebracht hat als der letzte große. Man vergegenwärtige sich das mal: Etwa seit 1970, fünfundzwanzig Jahr danach, kam die Bewegung in Gang, die von vielen zärtlich Globalisierung genannt wird. Circa fünf Jahre früher kam das Reizwort Postmoderne in Umlauf. Man begann sich zu wehren, wie von der Sturmfrau unten angeführt. Und heute bestimmt die formale Schönheit, nenne ich sie mal Bettina, gleichwertig mit manch einer anderen Prinzessin unser aller Herzen aus den Nachbargemeinschaften, leuchtet die Leere, die Hohlheit in unseren Köpfen, schlicht weg. Wir kümmern uns lieber um die Kleinfürstentümer in der großen weiten Welt.

Die nächste Seite, um der Klarsicht zu etwas Durchblick zu verhelfen. Und das nur nebenbei, die Generatoren:
IWF und Weltbank sind die treibenden Kräfte hinter dem globalen Ausverkauf. Sie zwingen die Regierungen verschuldeter Staaten, die öffentliche Daseinsvorsorge aufzugeben und ihre Infrastruktur der Profitmaximierung auszusetzen.



sturmfrau   (17.09.12, 18:29)   (link)  
L'état c'est nous.
Aber Empörung ist, insbesondere hierzulande, meist eine Empörung in Stammtischmanier, wenn mal wieder der Sprit teurer wird oder die Steuern erhöht werden. Ich war am Wochenende in Brüssel, demonstrieren, und ich war entsetzt, dass sich außer mir und dem Gemahl allerhöchstens noch zwanzig, dreißig andere Leute eingefunden hatten, die sich der Vewurstung und dem Verkauf unserer Daten und dem Verrat unserer Privatsphäre entgegenstellen wollten. Von den Passanten auf der Straße wurden wir indes angeschaut wie aus dem Irrenhaus entlaufene, von asiatischen Touristen in Sightseeing-Bussen fotografiert, als seien wir eine Brüsseler Sehenswürdigkeit. Wenn man bedenkt, welche Proteste es einst gegen Volkszählungen gab und wie besorgt man vor einigen Jahrzehnten war, was Notstandsgesetze, Wahrung von Briefgeheimnissen und anderen fundamental wichtigen Dingen war... Da kommen mir heute die Tränen.

Wahrscheinlich merken wir gar nicht mehr, wie privatisiert wir alle eigentlich sind und wie sehr sich schleichend zersetzt, was wir Gemeinwohl und Gemeinwesen nennen. Wir haben keinen Sinn mehr dafür, die eigene Jacke ist uns am nächsten, und am besten prangt ein Label darauf.

Sie haben sehr treffend geschildert, wie sich das im Gesundheitswesen darstellt, und ich gebe zusätzlich noch zu Bedenken, dass das auch Privatpatienten nicht zum Wohle gereicht, denn die haben sich gegen eine Flut von erfundenen Krankheitsbildern und darauf maßgeschneiderten "Heilmethoden" zu erwehren, während auf der anderen Seite der Skala der gesetzlich Versicherte darum kämpfen muss, überhaupt krank sein zu dürfen. Der Mensch lässt sich nicht in wirtschaftliche Kategorien pressen - das macht sich lediglich die Wirtschaftswelt insbesondere im Dienstleistungssektor vor, aber Wert lässt sich aus Kranken halt ebenso wenig "generieren" wie aus bis zum Hals Verschuldeten (was im Endeffekt auf dasselbe hinausläuft). Dennoch wird diese alberne Annahme Generationen von BWL-Studenten gepredigt, und diese wiederholen sie dann gebetsmühlenartig, sobald sie in Anzug und Krawatte stecken und als sogenannte Experten in den Medien zitiert werden.

Ehe der große Kräsch kommt, den ich in dieser Sache am Horizont wittere, bleibt dem Bürger bloß, sich mit Klauen und Krallen zu wehren gegen die totale Verwertung. Das fängt beim eigenen Konsumverhalten an und hört bei der nächsten Wahlentscheidung noch lange nicht auf.


jean stubenzweig   (18.09.12, 00:13)   (link)  
Cela m'est égal.
Den meisten ist's wohl wurscht. Daß das Volk der Staat ist, hat sich aus den Köpfen zurückgezogen in die Kleinstaaterei ihres Geistes, ins schnuckelige Heim. Mit der Globalisierung, mit dem neuen Welthandel, der meines Erachtens seine europäischen Anfänge mit der Montan-Union nahm, die zugleich auch die Dame Europa auf die Hörner und nicht so sehr auf den Rücken nahm, geht die aufkommende Sehnsucht nach dem Mikrokosmos einher. Ich erinnere mich gut daran, als mit einem Mal das in Frankreich lange verbotene Okzitanische wieder zugelassen wurde, sogar an Schulen, dann durfte man wieder Bretonisch sprechen und lehren und so weiter. Mit dieser seinerzeit verwunderlichen Regionalisierung, die ihren Niederschlag auch in anderen kunstkulturellen Bestrebungen fand, wurde, so richtig ging mir das erst zehn Jahre später auf, nicht etwa vom französischen Zentralismus abgelenkt, sondern von der Weltherrschaft durch die Wirtschaft. In Deutschland begann diese Art der all das umkehrenden Völkervereinigung ebenfalls etwa ab Anfang der neunziger Jahre, kurz nach der Vereinleibung des Ostens durch das westliche Kapital, auch durch französisch sozialistisches Schmieröl. Besuchte man zuvor an den Volkshochschulen noch Sprachkurse im Jiddischen, nahm man sich fortan der jeweiligen einheimischen Dialekte an. Das wärmelt so angenehm. Daß es dessen um der Besinnung auf Geschichte nicht bedurft hätte, muß wohl kaum erwähnt werden. Irgendwie scheint mir das etwas Schwäbisches oder ähnlich zu haben: lediglich vor der eigenen Haustür kehren, bloß keine Grenzen überschreiten.

Völkervereinigung. Belgien. Dort kennt man die Problematik, nicht nur die der Sprache. Aufruhr. Vlaams contre Français. Diesen Staat gibt's gerade mal erst seit vorgestern. Die sind noch mittendrin prés de Kongo-Belgium. Die Brüsseler werden doch nicht aufbegehren. Zumal sie auch noch europäische Regierungstadt sind. Polis. Stadt, Staat. Europa. Die Welt. Es ist die politische Umgebung, die die Versammlung, die die Menschen bestimmt. Das scheinen mir viele wieder erlernen, wenn nicht gar die meisten überhaupt lernen zu müssen. Aber dann geht's ans Eingemachte — das sie als Ressource allerdings gar nicht mehr kennen. Es gab eine Zeit, ich will jetzt nicht nicht einmal kurz nach darwinscher Zeitrechung und auch nicht bei der ersten Völkerwanderung anfangen, aber durchaus dazwischen, da war man verloren, gab man sich nicht der Gemeinschaft hin. Und durfte dennoch ein Individuum sein. Es spielt keinerlei Rolle, daß das ein von der Moderne geprägter Begriff ist, nennen wir es, ohne jegliche philosophische Assoziation, Einzelwesen. Heute scheint es nur noch Individuen zu geben. Und zwar genau so, wie die Konsumwirtschaft sich das errechnet hat.

Eine meiner geistigen Früchte, tätig als Lieferant an die unter anderem popkulturelle Elite, sprach gestern abend fragend an mich hin, wie das eigentlich anginge, daß ein der Bildung verpflichtetes öffentlich-rechtliches Fernsehen trotz Zwangsgebühren nahezu gnadenlos bezahlte Werbung für den unendlichen Konsum mache. Da war ich, gleichwohl mir das nicht zusteht, weil's keine bioökodynamische, ach was, keine schlichtweg biologische gensamenflüssige Eigenleistung darstellt, richtig stolz. Ein bißchen was von meinen versammelten Redereien scheint hängengeblieben zu sein. Geherzt habe ich ihn zur abendlichen Stunde. Er hat nämlich auch noch geäußert, ihm schwebe die Hängematte näher als etwa ein immerneues Auto oder Flachbild. Aber Tim war auch derjenige, dem das vom Ankömmling aus dem Süden zubereitete, nur mit Rotwein aufgegossene Rindergulasch zuallererst schmeckte, der verstanden hatte: Sich mit keinem Milliliter Wasser den Sozialismus verdünnen lassen. Er war in die Tiefe gegangen. Nicht nur in die des Topfes, wie in den Anfängen unserer gemeinsamen Sozialisation über gutes Essen.

Aber mal ganz nebenbei: Ich freue mich darüber, daß Sie zu den ein Prozent Gassi-Gehern gehören. Ich kann leider erst wieder, wenn mein Gestell das wieder zuläßt. Aber dann fahre ich nicht nach Bruxelles. Das ist mir zu sehr Polis. Ich neige eher zur romantischen Revolution.


charon   (18.09.12, 11:06)   (link)  
Vermutlich waren Sie
bei der Demonstration nicht gut genug aufgestellt oder hatten keinen Analysten vor Ort, der den Markt(platz) hätte sondieren können.

Man muss sich eben auch sprachlich wappnen. Denn das ist das eigentliche Elend, was bei großen Eierköpfen einmal die Hegemonie des Diskurses genannt wurde: dass wir alle uns, die Empörten wie die Emporgekommenen, derselben Sprache bedienen. Und da sehe ich derzeit kaum ein Entrinnen, nur kurzzeitige Erholung bei Herrn Stubenzweig.

Dieser sei hiermit herzlich gegrüßt! Manchmal spielt einem die Gesundheit einen Streich, diesmal doch etwas hartnäckiger und länger. Aber es wird schon werden.


sturmfrau   (18.09.12, 12:21)   (link)  
Klar ist es den meisten egal.
Die Welt teilt sich nicht mehr in Nationalstaaten, sie teilt sich in einen am Konsum beteiligten und einen vom Konsum ausgeschlossenen Teil, und danach bewertet man sein eigenes Dasein. "Ich will auch...!" ist das, was uns bestimmt. Und der Frust darüber, eben nicht zu dürfen oder zu können.

Ich sehe das Problem nicht im fortgeschrittenen Individualismus, sondern in der Weigerung der Menschen, erwachsen zu werden und Verantwortung zu tragen. Der Konsumismus hat uns schleichend zu Kindern gemacht, ohne dass wir es recht bemerkt haben. Wir wollen Befriedigung, aber sofort! Wir wollen eine umgehende Stillung unserer "Bedürfnisse" und sind nicht mehr bereit, Aufschub hinzunehmen oder dafür etwas zu leisten. Geld wird heute nicht mehr verdient, es wird "gemacht", ohne dass es bitte allzu viel Mühe kostet. Wir sind wie Babys, die schreien und nie satt werden. Weshalb sonst werden so viele Schulden gemacht? "Ich will, ich will, ich will!" ist das einzige, was zählt, und wir sitzen brüllend auf dem Boden wie Klein-Justin im Supermarkt, wenn sich nicht umgehend erfüllt, was wir zu wollen glauben. Zu diesem Typus unselbständigem, infantilem Menschen hat uns die Wirtschaft erzogen, und wir sind bereitwillig gefolgt, fest daran glaubend, dass es etwas Gutes ist, das wir wollen.

Unser Plüschsofa-Verhalten, unser Einkuscheln ins Kleine ist die Konsequenz der Umstände. Wir finden uns nicht mehr zurecht, wir suchen Halt, wir wissen nicht mehr, was wir wirklich brauchen und bleiben leer. Da steckt man sich den Rahmen enger, hält sich an das Überschaubare und beschließt, dass einen der Rummel und das Elend der anderen nicht zu kümmern brauchen - schließlich hat man eigene Sorgen. Hauptsächlich die Sorge darüber, woran es liegen mag, dass man nie genau das bekommt, was man sich wünscht und dass man niemals satt ist.

In solcher Ansprüchlichkeit an alle und jeden entsteht kein Schaffen, kein Gestalten, kein Miteinander, kein Blick auf den anderen, keine Verantwortung. Wer die Brille des Haben-Wollens trägt, bewegt sich von seiner Entwicklung her auf dem Niveau von Dreijährigen. Ein Individuum zu sein und nicht in der Masse und Konformität zu verschwinden ist wichtig, um gestaltend und aktiv eingreifen zu können - man muss wissen, wer man ist. Nicht zu verwechseln mit jener Art der kindlichen Ich-Fixierung, wie sie inzwischen allgemein üblich ist und die verhindert, dass wir uns wirklich als Menschen wahrnehmen. Wir begreifen unsere eigene Freiheit nicht mehr, weil Kind-Sein auch Abhängigkeit bedeutet, aus der man nicht herauszutreten vermag.

Brüssel war eine besondere Erfahrung - ich habe die Stadt vorher noch nie gesehen. Das beinahe babylonische Sprachgewirr allein hat mich schon fasziniert, und natürlich hatte das etwas Kosmopolitisches. Um das Selbstverständnis der Brüsseler zu erleben und zu verstehen, reichte ein Wochenende aber natürlich nicht aus. Zu dieser Kurzreise gibt es bald bei mir drüben mehr zu lesen. Festzuhalten bleibt mir nur, dass die Stadt mir insgesamt ein angenehm entspanntes Gefühl hinterließ. Was aber auch an der milden Septembersonne gelegen haben mag.

@charon:

Möglich, dass wir mehr in den Neusprech-Topf hätten greifen müssen, als das der Fall war. Summa summarum kam es mir so vor, als hätten die der Demonstration Ferngebliebenen vorher eine Rechnung aufgemacht unter der Fragestellung: "Und was hab' ich davon?" Womit ich wieder bei meiner Ausgangsthese vom infantilen Wesen des Konsum-Menschen bin. Das ist allerdings nur Spekulation. Vielleicht kam auch nur zu viel Gutes im Fernsehen.


enzoo   (18.09.12, 13:02)   (link)  
sonntags
war ich im theater und sah wieder mal die "gespenster" von ibsen. der tragische held osvald, der seine jugend unfreiwillig in paris und rom verbrachte, leidet nicht nur unter dem schlechten wetter in der nordischen heimat, in die er zur mutter zurückgekehrt ist, sondern auch unter der strengen reglementierung des lebens da oben. und seine mutter, gleichermassen opfer und täterin, spricht die worte "hier gibt es keine lebensfreude, bloss vergnügungen". wie aktuell noch immer, dachte ich im theater, und welch zutreffende zusammenfassung ihrer worte, frau sturm, denke ich jetzt.


sturmfrau   (18.09.12, 13:22)   (link)  
Oh ja,
trefflich!


jean stubenzweig   (18.09.12, 14:54)   (link)  
Gewartet habe ich
dann doch, junger Höllenhund, ein ganzen Sonntag lang. Am Abend dann habe ich alles selber aufgegessen. Ein kurz geschriebenes, gesendetes Wörtchen wär' schon angenehm gewesen.


jean stubenzweig   (20.09.12, 09:33)   (link)  
Herzliebstes Winnylein,
hätten Sie hier tatsächlich ganz voll viel gelesen, dann wüßten Sie, daß das hier keine Armenbibel ist mit voll vielen Bildchen für nicht so gerne Lesern. Aber vermutlich stammen Sie aus Büchsenschinken. Vielleicht fahre ich mal bei Ihnen vorbei, besuche Sie und halte Ihnen ein langen Vortrag, so, wie das meine Freunde vom Wachturm machen, etwas über das Ende der Welt und so. Büchsenschinken, das ja ganz in der Nähe ist hier nahe diesem Bücherstädtchen namens Reinbek, also voll viel lesen und so, wird von witzigen Eigentümologen übrigens auf seltsame, nein, eher komische Eßgewohnheiten von Ureinwanderern aus dem kalten Norden der USA zurückgeführt. Die sollen sich ähnlich unverständlich äußern, wenn sie ihre geliebten Büchsen sehen: hmm. Ich finde das Zeugs allerdings ekelhaft. Man hat mir's bei meinen anderen Freunden, den US-Amerikanern, mal vorgesetzt. Wenn ich mich recht erinnere, dann bin ich sogar wütend geworden. Ich möchte das nicht noch einmal haben.

Jetzt haben Sie aber wieder voll viel lesen müssen. Ich hoffe, es hat Sie nicht überlastet, vor allem aber: Sie haben es verstanden!


enzoo   (20.09.12, 11:20)   (link)  
ich kann nicht
umhin, hier jetzt einige gefühlsglyphen mit ) hinzudenken!


sturmfrau   (20.09.12, 11:28)   (link)  
Ich gefühlsglyphe mit.
Soooo viele Buchstaben! Menno!! Madame Winny92 verfolgt im Übrigen aber doch wohl eher kommerzielle Interessen, anstatt sich an Inhalten, gleich ob in Bild oder Wort, wirklich zu erfreuen.


jean stubenzweig   (20.09.12, 12:35)   (link)  
Zur Erklärung,
da seitens Blogger.de täglich neu entspamt und so mein wortreicher Anruf verschwunden wurde, womit verständlicherweise zu rechnen war und ich meine Antwort deshalb gleich gesondert gesetzt hatte. Das soll allerdings nicht heißen, daß ich mir täglichen Büchsenschinken wünsche, um überhaupt etwas zum Antworten auf die Frage aller Fragen zu haben.

winny92 hatte geschrieben:

hmm
voll viel zum lesen, mach doch paar mehr bilder rein!


sturmfrau   (20.09.12, 12:40)   (link)  
Ich bitte um Verzeihung,
lieber Stubenzweig, ist mir doch der inhaltliche Zusammenhang erst jetzt erleuchtend aufgegangen. Büchsenschinken, ja. Manchmal fällt der Groschen halt doch pfennigweise...


jean stubenzweig   (20.09.12, 13:04)   (link)  
In die Brust werfen
könnte ich mich jetzt und behaupten, nicht nur ich immer, auch andere stünden manchmal auf der Leitung. Aber das tue ich selbstverständlich nicht. Allerdings gestehe ich, dieses als Kommentar gespamte Etwas kam mir in der Früh' gerade recht zum Warmdenken. Schließlich hat der Herbst sein gruseliges Band ... Deutschland im Herbst. (Ich stand schon früh auf der Leitung.) Die Heizung bollert noch nicht so richtig.


enzoo   (24.09.12, 10:49)   (link)  
man sollte
den büchsenschinken nicht nur verteufeln.

mein urgrossvater lebte am land, in bescheidenster lebensweise in einem bescheidenen haus. nicht nur, dass der seltene und für ihn teure erwerb und verzehr von büchsenschinken zwischen den kraut- und kartoffelspeisen, die sonst seinen menuplan bestimmten, eine willkommene und nahrhafte abwechslung darstellten, die leeren dosen des korned beff, wie er sagte, verjagten auch die spatzen von seinen johannisbeerstauden, die der wichtigen marmelade-produktion für den winter dienten, indem er sie leer und ausgewaschen in bündeln an die stauden hing, wo sie im wind klapperten und so das vogelzeugs fernhalten sollten, was jedoch nicht immer gelang. in seiner werkstatt in der scheune hinter dem feuchten haus, das durchaus als kulisse eines gruseligen kindermärchens hätte dienen können, wo alles, was noch irgendwie reparierbar war auch repariert wurde, bewahrte er kleineisen wie schrauben und nägel in den leeren büchsenschinkendosenunterteilen auf, deren ränder sorgsam nach innen gebördelt waren, damit man sich beim reingreifen nicht an der scharfen blechkante verletzte. manchmal, wenn wir ihn besuchten, durfte ich ihm bei seinen kleinen arbeiten helfen und reichte ihm dann das benötigte, das ich mit zarten kinderhänden aus den schmalen dosen, in die seine rauen, groben finger nur schwer hineinfanden, herausfischte.

daher ist mein verhältnis zu büchsenschinkendosen nicht so schlecht, und die gäbe es ohne büchsenschinken eben nicht. den inhalt mag ich auch nicht, dazu muss nicht mal spam draufstehen.


jean stubenzweig   (25.09.12, 19:37)   (link)  
Leere Büchsen,
nicht nur die ohne Schinken, nimmt man doch auch dafür, um sie gebündelt hinter dem Automobil herzuziehen, auf daß sie mächtigen Lärm veranstalten. Ob das auch etwas mit der Vertreibung fremder Mächte, etwa in der Art, wie Hitchcock sie herbeigezaubert hat? Alleine der Gedanke daran läßt mich gruseln. Pandora wäre die nächste Assoziation. Zivilisation, deren Ende. Die Piepmätze übernehmen die Weltregierung. Die Medien haben sie bereits erobert.

Nebenbei aber nicht daneben. Jürgen Klauke, der mich in den Achtzigern mal vernichtend beim frühmorgendlichen Tischtennis geschlagen hat, nachdem er mir irgendwie klammheimlich eine Prise Schnee, der nicht von gestern war, verabreicht hat, meldete sich auf dem Anrufbeantworter mit der Offenbarung Ich war eine Dose. Wenn das auch eher den Hintergrund der Geschlechterspezifikation hat und damit hierher, zur Liebe gehört. Also durchaus auch etwas Teuflisches.















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