Kunst — Natur

«Menschenähnlichkeit ist auch das Wesen der Kunst. Kunst macht den Menschen transparent, macht ihn verstehbar, oder aber, wie Paul Klee es formuliert hat: Kunst sei menschliche Realität, in der sich die Verwirklichung seines Wesens — das sei seine Freiheit — manifestiere.

Das Kunstwerk ist eine durch intelligentes Vermögen erzeugte Realität — wie auch immer die Intelligenz gelagert sei. Die Wirklichkeit des Kunstwerkes läßt sich deshalb auch nicht ohne intellektuelle Anstrengung erkennen. Nicht anders verhält es sich mit der Natur. Unsere Forschung hat der Natur so manches Geheimnis entlockt, das wir uns zunutze machen. Aber je intensiver wir die Handhabung der Naturgesetze betreiben, um so mehr intelligentes Verstehen der Naturwirklichkeit, also die Art und Weise, wie sie als komplexer Zusammenhang wirkt, ist erforderlich. Wollen wir diesen Wirk-Zusammenhang, von dem letztlich auch unser Leben abhängt, nicht nachhaltig stören oder gar zerstören, bedarf es nachdrücklicher geistiger Anstrengung.

Sowohl die Kunst als auch die Natur sind Tat-Sachen. Sie sind Gegebenheiten, die den Charakter des Geschaffenen haben. Diese produzierten Ergebnisse sind in ihrer Existenzweise aber vom erkennenden Menschen abhängig. Wo diese Aussagen der Kunst nicht erkannt werden, bedeutet sie, die Kunst, nichts, ist sie wirkungslos. Und die Natur ist solange Gegner des Menschen, bis er ihre Aussagen verstanden hat. Sei es in der lebenserhaltenen Kraft der Elemente oder in der allgemeinen Gültigkeit der Naturgesetze.»



Der begradigte (J. S.) Bach. München 1983
 
Mo, 03.11.2008 |  link | (3118) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Sichtbar, das Ganze

«Sagt nicht Feuerbach, zum Verstehen eines Bildes gehöre ein Stuhl. Wozu der Stuhl?

Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.

Das Böse soll nicht triumphierender oder beschämender Feind sein, sondern am Ganzen mitschaffende Kraft. Mitfaktor der Zeugung und der Entwicklung.

Die Form steht im Vordergrund des Interesses. Um sie müht man sich. Sie gehört zum Metier in erster Linie. Er wäre aber falsch, daraus zu schließen, daß die miteinbezogenen Inhalte nebensächlich seien.»


Paul Klee

Zitiert nach: Kunst-Lehre. Schöpferische Konfession; Aufsätze, Vorträge, Reszensionen und Statements. Reclam-Verlag, Leipzig 1991, S. 60, 62, 64, 37

Das Banner zeigt im Ausschnitt eine Figurengruppe von Thomas Schütte auf dem Säulenportal des ehemaligen Roten Palais am Kassler Friedrichsplatz. Seit der documenta IX im Jahr 1992 sind Die Fremden dort plaziert.

 
Mo, 03.11.2008 |  link | (622) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Jäff Kuhns und Pol Klee

hat sie gerade gesagt, die Ansagerin (= Moderatorin) auf NDR-Kaltjer, meinem Lieblingskulturkanal, der fast so stückchenhaft gut ist wie KlassikRadio. Klar, alles muß internationali-, anglisiert werden, sonst versteht's ja keiner.

Aber vielleicht war es ja schweizerisch, so, wie es jenseits des Röschtigrabens gesprochen wird? So ähnlich wie hier.
 
Fr, 31.10.2008 |  link | (1931) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca



 

DDR-Aufkauf

Als die DDR aufbrach, um sich im Westen güldene Bananen hinter die Scheibenwischer ihrer Trabanten klemmen zu lassen und im Anschluß daran die Zufahrten zu Neuschwanstein und anderen Sehenswürdigkeiten wie städtische Bahnhöfe oder Kaufhäuser et cetera zu blockieren, hatte man dort viel Platz für das eigene Statussymbol. Aber es fiel nicht weiter auf unter den vielen Edelkarossen vor dem Erfurter Bahnhof. Mir ist bis heute nicht klar (oder vielleicht habe ich auch nie darüber nachgedacht), weshalb dort so viele höherpreisige Autos geparkt waren. Meinte manch einer, er könnte sie dort leichter verkaufen? Was dann doch etwas verfrüht schien, war die Währungsunion doch noch nicht vollzogen. Oder waren es diejenigen, die angereist waren, um nach dem zu schauen, was man bald günstig erwerben konnte?

Nun, ich für meinen Teil war ja auch zum Zweck des Einkaufs gekommen. Ein Bekannter hatte mir gesagt: Rasch hinfahren, solange es noch DDR-Bücher gibt. Und tatsächlich hatte man bereits begonnen, selbige nach hinten ins Kämmerlein zu verlagern, während vorne im Verkaufsraum und vor allem in den Schaufenstern der bahnhofsnahen Buchhandlung überwiegend buntbebilderte BRD-Verlagsproduktionen präsentiert worden waren. Und es sollte ja auch nicht allzu lange dauern, bis «der ganze Schrott» tatsächlich auf der Müllhalde landete. Ein ganz vifer, wenn ich mich recht erinnere, kirchlicher Bewahrer des Guten hatte im Anschluß an die drohende Bücherverbrennung Lagerhäuser angemietet, wo man für billiges Geld jene Klassiker kaufen konnte, für die im goldenen Westen ein vielfaches bezahlt werden mußte. Drei, vier, möglicherweise gar fünf Stunden stöberte ich in den lieblos beiseitegeschobenen Stapeln und packte ein und packte ein. (Später sollte ich dann nicht mehr wissen, wohin damit. Aber Hauptsache erstmal: haben. Kulturgut retten. Ja, beispielsweise die zweisprachige Villon-Ausgabe aus der DDR ist zwar nicht so «schön» in seiner Holzigkeit, und auch der Druck erinnert mich bisweilen an Frankreich, aber die Übersetzung samt Kommentar ist um ein vielfaches besser als das, was bis heute im Kulturstaat BRD angeboten wird.)

Derweil die Freundin im Lädchen nebenan einer anderen Art von Konsumrausch verfallen war. Mit sich fast überschlagender Stimme war sie zwischendrin zu mir reingerannt gekommen, ein tiegelartiges Gebilde wie eine Siegestrophäe über dem Kopf schwenkend, irgendwas von Irrsinn krächzend, um dann wieder nach nebenan zu rasen. Einige Zeit später sollte ich dann erfahren, was sie da an Beute in dem mittelgroßen Karton herangeschleppt hatte: Für diese Abschminke made in the German Democratic Republic, produziert für das fahrende Volk europa- oder gar weltweit, müsse sie in Paris das Zehn- bis zwanzigfache hinlegen, wenn nicht mehr.

Eine Bratwurst haben wir dann auch noch genommen. Jeder eine. Dabei mochte ich schon damals keine dieser Brätereien. Aber in Bahnhofsnähe hatte ein schneller Händler einen Stand aufgeschlagen, um das global begehrte Bratgut anzubieten. Wir armen Wessis sollten doch wissen, wie eine gute Thüringer schmecke. Solange es sie noch gebe, meinte der Verkäufer verschmitzt. Ich bin mir nicht sicher, ob das Propheterie oder ein Witzchen war. Auf jeden Fall sollte er recht behalten. Wie auch immer, wir meinten, eine derart rasche Anpassung an das kapitalistische System sollte dann doch belohnt werden.

Zwar gab es gegenüber in der HO-Gaststätte auch Broiler, mit oder ohne Sättigungsbeilage. Aber den kannte ich ja bereits von meinen vielen Transitreisen. Einmal pro Strecke Aufenthalt in einer Raststätte war sozusagen Tradition und brachte der DDR Devisen, irgendwas um eine Mark fünfundneunzig West. Außerdem wußte ich zu diesem Zeitpunkt bereits, daß es in nächster Zeit noch viele Gelegenheiten geben würde, diese schmackhaften Hähnchen oder Hühnchen zu essen. In Bergen auf Rügen zum Beispiel.

Aber dazu später. Vielleicht.
 
Fr, 31.10.2008 |  link | (3223) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs



 

Erinnerungsgewerk

«An Geschichte», lese ich in den Kommentaren zu Käthe Feinstricks feinfühligen Erinnerungen, «bin ich nicht so sehr interessiert, aber an den Geschichten, und so hab ich viel mit den Leuten geredet, wie sie diese Zeit und die Wende erlebt haben. Diese ganz persönlichen Geschichten erzählten mir weit mehr als sämtliche Geschichtsbücher das konnten.» Da ist es wieder, wozu der Historiker Wolfgang Ruppert, als er noch mehr dem alltäglichen Alltag und weniger den Künstlern oder der Gestaltungsgeschichte auf der Spur war, 1980 aufgefordert hat mit seiner Ausstellung Lebensgeschichten am Nürnberger Centrum Industriekultur, die später in das Buch Erinnerungsarbeit mündeten, ein Begriff, der heute sozusagen zur Alltagssprache gehört: In Kellern oder auf Speichern nämlich lagern Spuren: Photographien oder Briefe. An ihnen läßt sich, bei entsprechender Aufmerksamkeit, die Geschichte der eigenen Familie rekonstruieren. Verknüpft mit den Biographien von Nachbarn kann man «demokratische Identität» herstellen.

Die Keller oder Speicher dürften leergeräumt sein, die meisten Erinnerungsstücke tauchen, wenn überhaupt, bezugsentwertet auf Flohmärkten auf und schlagen dort nostalgische, allenfalls erheiternde Purzelbäumchen. Nostalgie, hierzu hat Ruppert seinerzeit eine einprägsame Formel geschaffen: Verklärung der Erinnerung. Mir fallen dazu die vielen wunderschönen sogenannten Mittelaltermärkte ein, auf die kein Städtchen mehr verzichten mag, das noch irgendwo ein bißchen herausgeputztes, meist entkerntes Fachgewerk herumstehen hat, und in denen es immer so schön bunt zugeht, obwohl das Volk damals in grauem Sack zu gehen hatte und die Zentren eine einzige Kloake waren. Die historische Auseinandersetzung mit der «Aufbruchsepoche des Mittelalters», so Ruppert in den Achtzigern, würde mit Klischeebegriffen wie «kulturelles Erbe» aufräumen. Aber das scheint nicht mehr das Problem. Es macht sich eben fröhlicher, bei fließend warmem und kaltem Wasser ein bißchen an der Geschichte herumzuklöppeln. Dabei muß der Faden nur weitergesponnen werden, und aus den Geschichten wird die Geschichte, an der «sie nicht so sehr interessiert» ist ...

Auffallend ist, daß zur Zeit im Zusammenhang mit der «DDR» soviel Geschichten wiederholt erzählt werden, auf allen Kanälen, auch immer wieder in Blogs. Dabei ist doch noch nichtmal Jubiläum zum Tag des hochgegangenen Schlagbaums. Woran liegt's, daß der Erinnerungsgeschichtenkarren so vollgeladen wird? Befürchtet manch einer, die eigene Geschichte könnte untergehen im großen Haufen, wenn die Kiste nächstes Jahr zusammenbricht ob der Last der Rückblicke auf zwei Jahrzehnte Grenzöffnung (und 2009 dann auf die Eröffnung der blühenden Landschaften)?

Ich sehe schon, auch ich werde ranmüssen mit meinen Geschichtchen zur Geschichte. Schließlich habe ich zehn Jahre (Grenz-)Verkehr gehabt mit den stramm Uniformierten, häufig unterwegs in Richtung Saßnitz auf Rügen, um nach Skandinavien zu entfliehen, meistens jedoch zwischen Dreilinden und Helmstedt und wieder zurück, weil's trotz der vernünftigerweise strikten Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen am schnellsten ging, eine Zeitlang so häufig, daß ich das eine ums andere Mal geradezu durchgewunken wurde von den DDR-Grenzern, manchmal gar von einem leichten Lächeln begleitet. Wobei das vermutlich weniger meiner grenzüberschreitenden Zuverlässigkeit galt als vielmehr meiner jungen hübschen blondäugigen Ehefrau (dieser Dame zum Verlieben nicht unähnlich). Vermutlich habe ich sie alleine deshalb geheiratet, weil sie mir so über meinen Mauerkoller hinweghalf.

Damals fuhr man eben mit dem Auto, weil man gerne autofuhr, es dann hinter Marienborn endlich krachen lassen konnte. Der Liter Benzin kostete nach Abebben der Achtundsechziger an der freien Tankstelle irgendwo im Wedding 49 Pfennige. Daran erinnere mich genau, weil nämlich die Flugpartie nach Langenhagen und wieder zurück nach Tempelhof, wo man vom französischen Flieger aus den Anwohnern in den Suppentof gucken konnte, 49 Mark kostete, oftmals für zwischendrin auf die Schnelle gebucht bei der Lufthansa unterm Romanischen Café im Europacenter. Das war 1969, als meine hübsche blondäugige Ehefrau wieder zu ihren Eltern gezogen war. Sie wollte nicht mehr ständig vor einer Mauer stehen.
 
Do, 30.10.2008 |  link | (2930) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten



 







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