Heiliges Compostela des Nichtsnutzigen Eigentlich gehört das eher hier hinein. Aber da ich werbe- oder PR-technisch kein sonderlich geschickter oder gar konsequenter Threader bin und weiß, daß bei mir ein in den Kommentaren verborgenes Thema auch schonmal gänzlich untergeht, postere ich's ans ohnehin für Apokalypsen vorgesehene Eingangsportal. Daß er nicht ganz kosher ist, das ist mir seit langem bewußt. Womit ich nicht alleine auf seine gar nicht komische denkerische Vergangenheit anspiele, so, wie der Teppichbeißer eben überhaupt nicht lustig war; auch wenn man uns das seit einiger Zeit beharrlich zu vermitteln trachtet, unter anderem von französisch übermenschelnder oder auch (nicht romantikblau-, sondern) mehr koranblumiger Autorenseite. Daß der alte Schwede seit langem in der Schweiz auf seinem dort fiskalisch maximal reduzierten Geld sitzt, weil er keinerlei Gelüste verspürte, seine geradezu gigantischen Gewinne an die Infrastrukturen anzugleichen, die auch für ihn, aber von anderen Schweden bezahlt wurden (sogar die einst bitter klagende Mutter von Pippi Langstrumpf zahlte brav im Land; und das ist nicht einmal ein gerechter Vergleich), das war mir schon lange bekannt. Ebenso weiß ich seit längerem um seine Stiftungen, in denen er das schier unglaublich viele Geld bunkert, das er mit einer Qualität verdient hat und weiterhin verdient, die nur «funktioniert», weil das Denken vieler Menschen nicht funktioniert. Ich weiß, wovon ich rede, gehörte in der Mitte der siebziger Jahre doch eine zu dieser Zeit noch nicht ganz so hohen Firmenhierarchie ein wenig weiter oben angesiedelte Dame zu meinem engeren Bekanntenkreis, aus dem sich hin und wieder zarte freundschaftliche Bande bildeten. Interessanter- oder auch bezeichnenderweise lernte ich sie kennen, nachdem ich gegen diesen barbarischen Wikinger ins Feld gezogen war. Wer sich nicht wehrt, lautete seinerzeit die Devise, lebt verkehrt. Aber da gab es auch noch nicht so viele Fernsehredaktionen, aus denen es wegen der Suche nach den Quoten permanent hinausposaunt: Hier werden Sie geholfen. Da ich damals noch zu den etwas geringfügiger Besserverdienenden zählte, sah ich mich gezwungen, ein seinerzeit tatsächlich noch preiswertes oder auch schlicht billiges Regalteil zu kaufen. Allerdings tat ich das nicht, ohne mich zuvor schriftlich (man hatte noch die Zeit und damit auch eine gewisse Sicherheit) zu vergewissern, daß ich Anschluß fände für den wahrscheinlichen Fall, überbrächte mir der Briefträger das nächste Honorar (ja, früher gab es so etwas mal). Als es zwei Wochen danach soweit war und ich guten Mutes ins erste deutsche, 1974 eröffnete schwedische Möbelparadies, also nach E(l)ching pilgerte (heutzutage gibt es ja kaum zählbare San Compostelas des Nichtsnutzigen, und die massenhaften Frommen werden in Bussen auf kommu- sowie regionalen Jakobswegen dorthin gekarrt), um mich regaltechnisch zu erweitern, teilte mir, der ich ans damals übliche Duzen eigentlich gewohnt gewesen wäre, eine Informationsstandsprecherin kurz angebunden mit: Sie, das ist ausverkauft, nicht mehr lieferbar. Es war es dann doch. Jedoch auch erst, als ich ein wenig Barrikadenerprobter denen auf die Zinnen gestiegen war. Seither habe ich auf weitere dieser hölzernen Minderqualitäten verzichtet, nicht zuletzt deshalb, da sich ein schwedischer (!) Hersteller anbot, der fein verarbeitetes Holz in einem letztlich günstigeren Preis-Leistungs-Verhältnis produzierte, auch noch maß- und passergerecht in die Wohnung lieferte und technisch abseitige Verrenkungen obendrein nicht vonnöten waren. Für die Umzüge in den richtigen Süden sowie nach leicht südlich von Schweden kaufte ich zwanzig Jahre später nach, das System war unverändert, und auch nach sieben Jahren leuchtet das Holz wie frisch verarbeitet (links), es sieht nicht aus und stinkt auch nicht wie finkel brännvin, bekannter als gammal Akvavit aus schwedisch kolonialen Chemiebrutstätten in China. Die alten, nach wie vor nach Holz riechenden Regale sind mehrfach umgezogen, teilweise über sehr weite Entfernungen, und immer noch erfreue ich mich ihrer. Veränderung erfuhren sie allenfalls über eine reizvolle Patina, die sich zudem hervorragend an die hundert Jahre alte Handarbeit angleicht. Die später zur Freundin gewordene Dame war es auch, die mir damals schon ausführlich begründet vom Erwerb der Produkte aus den (un-)schwedischen Manufakturen abriet, da sie mit meinen Vorstellungen von Qualität, auch denen von menschlicher Gesellschaft nicht konvenierten. Dazu gehöre auch, daß der Herr alles andere sei als das damals bereits von ihm in die Öffentlichkeit projizierte und bald allüberall leuchtende (Vor-)Bild: der sich väterlich gebende, sich immer wohlgesetzt jovial und auch etwas tröstlich-bescheiden gerierende Familienunternehmer. So neu waren die 2009 ausgebenen Verlautbarungen des Herrn Stenebo (Spiegel) für mich also nicht unbedingt, eher einer gewissen Logik folgend, Rachsucht und Widerruf hin oder her; die mögen eine Rolle spielen, sind letzten Endes aber doch nur Randfiguren dieses dramatischen Geschehens, das, wie üblich beim Theater, kaum jemanden ernsthaft interessiert. Denn vor dieser schwedischen Bühne fühlt der Mensch sich geborgen. Gestern nun erreichte mich die Information, daß zum einen die Gelder über mehrere, in den Niederlanden angesiedelten Stiftungen über vielfache wundersame Umwege in einem nicht minder wunderbaren, nahezu steuerfreien Karibik-Staat landen. Und zum anderen die Vermutung, der reichste Schweiz-Siedler könnte die etwa sechsunddreißig Milliarden Dollar möglicherweise doch nicht gänzlich sozialen oder vielleicht kulturellen Zwecken zuführen. Kontrollierbar ist dieses Geflecht nicht, da es sich nicht etwa um eine Aktiengesellschaft, sondern um eine gemeinnützige Stiftung handelt, die keiner Pflicht unterliegt, Zahlen zu veröffentlichen. Zu derart altruistischen Anflügen, denen andere Dagoberte unterliegen, scheint der Wikinger sich ohnehin nicht unbedingt hingezogen zu fühlen, auch wenn er gerne den Anschein erweckt, auch den, im Altersschaukelstuhl gewiegt zu werden und die Söhne arbeiten zu lassen. Doch das alleine müßte sich nicht weiter störend auswirken. Reichtum verpflichtet schließlich längst nicht mehr jedermann, wie auch jederfrau mittlerweile weiß. Daß aber alle, die Fiskalisches leisten, ihm auch noch beim Baden im Geldhaufen behilflich sein müssen, das läßt mich dann doch ein wenig die Contenance verlieren. In zunehmendem Maß beschäftigt er nämlich Mitarbeiter, die am Monatsende dann soviel oder auch sowenig im Täschchen haben, daß sie, um (über)leben zu können, aus dem mit Steuergeldern gefüllten Hartzer Käsetopf bezuschußt werden müssen. Von fünfzehn Prozent sogenannt ausgeliehenen Kräften spricht der eine, von fünfundzwanzig oder gar mehr der andere. Der schwedische Schweizer oder andersrum läßt seine Sprecher sprechen, das träfe nicht zu. Ohnehin würde die nicht in den sozialen Ofen gesteckte Kohle zum Beheizen der eigenen Betriebe verfeuert. Wieder andere, die sich aus Angst vor Kälte am Arbeitsplatz oder gar dessen Verlust nicht getrauen, beim (Aus-)Sagen ihr Gesicht zu zeigen, behaupten, es sei alles noch viel schlimmer in der lieben weltweiten schwedischen Großkonzernfamilie, die China noch reicher oder, je nach Perspektive, auch ärmer macht. Konsequenterweise sollte ich die dann während meiner Reisebegleitungen doch noch erstandenen und bei mir herumstehenden zwei, drei Dinge (eine andere Bezeichnung als dieses auch sprachliche Armutzeugnis verdienen sie nicht) nun dorthin befördern, wo sie in jeder Hinsicht hingehören: auf den (Sonder-)Müll. Das formal wie funktionell gelungene Höckerchen, das allerdiings gebe ich nicht mehr her. Es war aber auch, nachdem mir das jemand Mitte der Neunziger mitgebracht hatte, ganz bald wieder aus dem Sortiment genommen worden. Vermutlich, weil es zu langlebig war (die Hubtechnik funktioniert noch immer). Oder müßte ich jetzt schreiben: nachhaltig? Das mir von der immerwährend erneuerungsbedürftigen Nachwuchswissenschaftlerin überlassene, wenige Jährchen junge CD-Türmchen jedenfalls neigt sich wie das gebildete Vorbild PISA längst bedenklich dem Zusammenbruch entgegen. Während die von Tischlern gebaute Arbeitsplatte vermutlich meine vielen Enkel samt deren Kinder und Kindeskinder überdauern wird. Wie die Lampe aus der Bauhauszeit, in der man noch nicht geschichtsverklärend an Manufaktereien dachte.
Von der Jungbäurin kam's wie eine Drohung ... Es gibt Propheten, die den Tod der Städte in spätestens hundert Jahren voraussagen. Und tatsächlich ist die neuzeitliche Entwicklung im Städtebau — strukturell wie architektonisch — nicht dazu angetan, das komplexe Wirtschafts- und Kommunikationszentrum Stadt mit sonderlichem Leben auszustatten. Im Augenblick allerdings droht eher der Tod der Dörfer — durch ihre hemmungslose Verstädterung. So klang eine schlagzeilenredakteurische Anmoderation Anfang der achtziger Jahre. Das ist zwar leicht überholt, was die Stadtentwicklung betrifft. Denn wer kann heutzutage noch ernsthaft progostizieren, wohin die Metropolen sich entwickeln, ob der Mensch samt Haus in die Luft geht oder ob er in Bälde unter Tage angesiedelt werden wird. Die Deutsche Bahn wühlt ja seit einiger Zeit planerisch unterirdisch. Aber die einst behördlich verordneten ländlichen Gestaltungssatzungen haben über die Jahre und auch die geistigen Erfordernisse hinaus dann doch dauerhaft festgemacht in den geschmacklichen Gesinnungen, allzuviel hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht verändert. Daran wird vermutlich auch das Europaumgestaltungsprojekt des schwedischen Architekten und Siedlungsplaners Ingvar Kamprad nichts ändern. Ein Rückblick: «Ein Kahlschlag geht durch Land. Erst fallen die Bäume, dann fallen die Tore, dann fallen die Häuser. Schon sind manche Dörfer umzingelt vom gleichen Siedlungsbrei der Vorstädte. Kleine, banale, aufdringliche Kisten halten die ehemals besten Äcker besetzt und die sonnigsten Weinberge. Der Weg zu den Weiden ist lang geworden.Eine Strophe aus dem unter die Haut gehenden Klagegesang von Dieter Wieland, der unter dem Titel Bauen und Bewahren auf dem Lande 1978 erschienen ist. Dieses «Harakiri auf dem Lande», wie Peter M. Bode 1976 im Spiegel schrieb, hat eine lange Tradition — wie jenes grauenvolle japanische Ritual des Selbstmordes. Die Verstädterung unserer Dörfer begann schon mit der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals begannen die Städte langsam hineinzuwachsen in die Dörfer, die bald zu Stadtteilen wurden. Im 20. Jahrhundert setzte dann die Pendler-Bewegung ein. Die in der Stadt arbeitende Landbevölkerung nabelte sich ab von den traditionellen Lebensformen des Dorfes. In die letzte Phase ihres Selbstmordes auf Raten kamen die Dörfer nach dem Zweiten Weltkrieg, betrieben durch die magische Formel Wirtschaftswunder. Die ‹Ureinwohner› zogen aus, um in den Städten ihr Glück, sprich Geld zu machen. Die kleinen Gemeinden, vor allem die weitab der Ballungsgebiete, gerieten in eine Konkurrenzsituation zu den Städten. Wollten sie nicht zu Geisterdörfern werden, mußten sie Attraktionen schaffen. Zwangsläufig wurde ‹Lebensqualität› gleichgesetzt mit städtischem Komfort. Manch einem Gemeinderat flatterte beim Begriff Dorferneuerung die Seele emphatisch auf. Und alles neu machte in den sechziger Jahren unter anderem das Auto, Symbol für wirtschaftlichen Aufschwung. Es hat tiefe Wunden geschlagen. Vor allem deshalb, weil, so Karl Ganser, Ministerialdirigent im nordrhein-westfälischen Städtebauministerium, «nicht nur Autobahnen und Bundesstraßen, sondern eben auch alle Orts- und Kreisstraßen nach sehr einheitlichen Regeln ausgebaut wurden». Die Narben sind überall zu sehen. Keine alten Bauerngärten mehr. Es waren aber auch erhaltenswerte Häuser, die wegen manch einer innerörtlichen Rennstrecke weggehobelt wurden. Und aus war's mit dem feierabendlichen Plausch vorm Haus. Der Spitzhackenmann bekam jedoch auch aus einem anderen Grund reichlich zu tun. Der Produktivitätsfortschritt in der Landwirtschaft forderte rationellere Betriebsgebäude. Die Landwirtschaftswunderformel hieß und heißt Flurbereinigung. Was diesen 1953 bundesweit eingeführten königlich-bairischen Begriff von 1886 betrifft, hat Ganser «den Eindruck», daß die Flurbereinigung mit ihrem Zuviel an Geld «die Fluren sehr grundlegend nach einem überzogenen rationell-technischen Leitbild umgestaltet hat». Er ist sich «nicht sicher, daß das in jedem Fall zur Verbesserung der wirtschaftlichen Betriebsweise beigetragen hat». «Von der Jungbäurin kam's wie eine Drohung — sie würde nicht in ein altes Haus hineinheiraten.» So setzte Dieter Wieland die Klage in der Broschüre des Deutschen Nationalkommitees für Denkmalschutz fort. Sie wollen Stadt sein. Und aus der Stadt kamen sie, die Herren Vertreter der Baumaterialienindustrie. In Heerscharen waren sie ausgezogen, das Land zu erobern, um es mit Asphaltverkleidungen, Aluminium, Plastik und viel modischem Firlefanz zu verwüsten. Der verheerende Fortschrittglaube manifestierte sich darüber hinaus in Silos, gestaltet wie Trutzburgen und errichtet von örtlichen Bauunternehmen. Phallussymbol Geld: Wer welches hat oder gern welches hätte, baut nach oben. Man braucht sich nur unsere Städte anzuschauen. Völlig überforderte Gemeinderäte gaben ihren Segen, so manches Mal unterlaufen von — eigentlich — kompetenten Fachleuten. Architekten, nicht wenige aus der Stadt, tobten ihre künstlerischen Ambitionen auf dem Land aus. Diese Alpträume aus Glas, Beton und Stahl haben die meisten Dörfer geschafft: Schulen, Turnhallen oder Rathäuser, impotente Architektur, wo man hinschaut. «So baut man eben heute», hieß es. Und die jeweiligen Kreisbaumeister förderten das Verunsicherungsspiel. Mal waren Dächer mit 45 Grad vorgeschrieben, kurz danach solche mit 23 bis 28 Grad. Erst schrieb man dunkle Dächer vor, und nach dem Amtswechsel waren wieder rote Dächer in Mode. Und alle Warnungen gingen in den Wind: Dieser Bazillus, der unsere GTI-Gesellschaft verursacht hat, pflanzt sich hurtig weiter fort. Die Metamorphose steht kurz vor ihrem Abschluß. Man ist flexibel, entweder Trachtenschau oder Golden Twenties. Das oberbayerische Neubeuern, fremdenverkehrmäßig herausgeputzt wie eine Puppenstube, erhielt für seine besonderen Leistungen in Fassadenkosmetik gar eine Goldmedaille im (Bundes-)Wettbewerb Unser Dorf soll schöner werden. Und trotz aller frühen, quasi vorrevolutionären Aufklärungsversuche sogar des einen oder anderen Bürgermeisters (verun)zieren solche Bauwarzen gar Neubauten von Gemeinden im höchsten Holstein oder im tiefsten Niederbayern: Städtische Erker der Jahrhundertwende oder, aus dem Urlaub mitgebracht, gotische Bögen und südländische Kamine — an und in Häusern in ländlicher Bauweise. Wir haben alle mitgerührt an diesen Brei, aus dem der Alptraum Verstädterung unserer Dörfer besteht. Man kann den Dorfbewohnern nicht verübeln, daß sie nicht mehr ständig gebückt durchs Haus gehen wollten, nur weil die Menschen vor 100, 150 oder noch mehr Jahren zehn oder zwanzig Zentimeter kleiner waren. Sicher, Sie hätten auf ihre ureigene, landschaftsgebundene Art neu bauen sollen. Dann müßten sie heute den Spott der Städter nicht ertragen, deren phantasielose und Reichtum suggeriende Architektur und deren stümperhaftes Kaufhausdesign sie sich in die Dörfer holten. Nach der These von Karl Ganser sind es die Städte, die in etwa hundert Jahren tot sein werden. Demnach gäbe es bald nur noch Landbevölkerung. Dieses Zurück zur Natur darf aber kein architektonischer Rückzug ins Mittelalter sein, also Plumpsklo und historisierend angeklebte Fensterläden ohne Funktion, weil innen Kunststoffjalousien hängen. Neuerliche Modetorheiten gilt es abzuwehren: Der Baumaterialienmarkt hat sich bereits eingeschossen. Nun gut, mittlerweile gräbt die ehrenamtliche Gesellschaft hin und wieder noch einen der selten gewordenen alten Knochen aus und poliert ihn wieder auf. So entsteht manch ein Solitaire, während die Freiwilligen nicht nur der benachbarten Feuerwehr in so etwas freiwillig nicht einziehen würden. Aber man benötigt in des Dorfes Mitte schließlich auch Räume für bürgermeisterliche Empfänge. Für public viewing beispielsweise. Oder wenn Brakelmann kommt.
Schwedische Geschmacksbildung Frau Braggelmann hat Urlaub. Seit einem Jahr bereitet sie sich darauf vor. Nach Italien zieht es sie. Weshalb sie nach Isar-Athen reisen wird. Denn sie folgt der von zugezogenen Einheimischen ausgegebenen Parole, nach der dies die italienischste Stadt in deutschen Landen sei. Sicher, das ist bequemer, da muß man nicht wie weiland Hannibal andersrum Elephanten über die Alpen treiben oder, zeitgenössischer, mehr oder minder mobile bewohnbare Wagen über den Brenner, und kann sich gemütlich auf die Leopoldstraße setzen, wo sich schließlich alle japanischen und holsteinischen Preißn versammeln, also all die außerhalb des Sendebereiches des Weißwurstäquators abstämmigen Menschen, um das fröhliche Treiben der ebenso besucherischen Celebritäten zu bekucken und bei der Gelegenheit die neuen, sündhaft gestalteten Disain-Treter vorzuführen. Gemeinsam ist man nicht so fremd in der Fremde. Die Qualität solcher Visitationen beurteilen andere anders. Aber das ist nur eine der vielen Nörgeleien, die einem wie mir, der jahrzehntelang in diesem von randrheinischen, ostwestfälischen oder oberschwäbischen Auswanderern besiedelten olympischen Dorf gemartert wurde, das Leben lebenswert erhalten. Doch da dieses gesellschaftliche Ereignis noch ein Weilchen Anstand hat und Urlaub am Ende oder letztlich Abenteuer bedeutet, entschloß Frau Braggelmann sich zwischendrin zu einer spontanen Kurzreise nach Schweden. Sverige liegt etwa vierzig Kilometer westlich von Braggelfraus Dorf direkt an der Abfahrt Hamburg-Stillhorn. Und da ihr Bester von allen, wie sie ihn nennt, damit beschäftigt war, vermeintlich gestalterische Fehlleistungen zu korrigieren, sich also wohlweislich unabkömmlich gemacht hatte, mußte einmal mehr ich als Reisebegleiter fungieren. Als Hauschronist hat man bisweilen schwerwiegende Verpflichtungen einzuhalten. Von Zeit zu Zeit ist das recht interessant, beispielsweise wenn's um Mensch und Vieh geht. Aber um diese Demonstrationsorte schwedischer Gestaltungsglobalisierung habe ich mich meist herummogeln können. Doch dieses Mal kam ich nicht aus, nach zweijähriger glücklicher Abstinenz. Denn das Töchterlein, genetisch von der Mutter mit diesem Pestvirus bedacht, forschte im lübeckischen Laboratorium festgezurrt nach Axolotls Stammzellen. Die das Schicksal manipulierende Dame hatte es wohl so eingerichtet. Sie läßt ohnehin keine Möglichkeit aus, das blaugelbe Großgeviert anzusteuern, wo auch immer weltweit das angesiedelt sein mag. Es geschieht durchaus, daß sie handabschneidend Gläser zerbricht, um dort neue kaufen zu müssen. Und dies unterstreichend hat sie wohl eigens zu diesem Behufe das Hängeschränkchen ihrer Küche derart raffniert geöffnet, daß es einen kompletten Absturz schaffte und sie seitdem keine intakten Tassen und Gläser mehr im Schrank beziehungsweise auch den nicht mehr hat. Wenn das kein Grund ist, nach Schweden zu fahren! Anderswo gibt es schließlich keine Trinkbehältnisse zu kaufen. Kurz nach Tagesanbruch reisten wir los. Mir zuliebe. Ich bin nicht unbedingt ein Freund allzu umfangreicher Menschenansammlungen. Um neun Uhr öffne das in Wort und Schrift allüberall duzfreundliche Schwedenhaus, meinte meine Reiseführerin. Sie irrte. Die Öffnung findet um neun Uhr dreißig statt. Etwa eine knappe halbe Stunde vorher waren auch wir angekommen. Vor dem geschlossenen Hauptportal zum schwedischen Urlaubsparadies wartete allerdings bereits ein gutes Dutzend Gleichgesinnter. Und es wurden minütlich mehr. Mir schien, es müsse ein Nest geben. Dabei waren es Busse, aus denen mittlerweile sekündlich die Massen strömten. Frau Braggelmann sah meinen fragenden Blick aus den entsetzt aufgerissenen Augen. Das seien alles Frühstücksgäste, denn zunächst öffne das Restaurant, sozusagen die Paradiesvorstufe. Der Pulk schob alles Nichtkampfbereite zur Seite und drängte zum Tor. Unheilvolle Assoziationen drängten sich mir auf. Zunächst sah ich Bilder von sich millionenfach ballenden Spermatozoen, die wie bei einer Liebesparade allesamt durch einen tunnelartigen Spalt zu einem einzigen Ei hin drängten. Wie in der Nachkriegszeit. Da gab's häufig nur ein Ei. Und richtig, die zunächst Drängenden und nach der Pfortenöffnung dann, was die Gehhilfen nach letzter Ölung an Geschwindigkeit hergaben, sogar der verstopften Rolltreppen wegen die unbeweglichen hinauf Rennenden waren überwiegend offensichtlich von Kindheits-, wenn nicht gar von Jugenderinnerungen geprägt. Niemand anderer sollte das vom in der Schweiz still seine Milliarden hütende schwedische Onkel gelegte einzige unchinesisch faule Ei erreichen. Manch einer dieser Dam- und Herrschaften, überwiegend erstgenannte, da diese wohl am meisten Erfahrung hatten bei der Beschaffung von Grundversorgung, vermochte es möglicherweise auch nicht, sich vom Gedanken an Mangelwirtschaft zu lösen. Und richtig — Kuchen gab es keinen. Aber Eier. Viel mehr, als alle Legebatterien Ostasiens je zu legen in der Lage wären. Weshalb der freundliche Schwedenonkel, auf daß auf seiner schweizerischen Schaukelveranda alles im Fluß bleibe, das rührige Ei auch aus Pulver anrühren ließ, das vermutlich von glücklichen kleinen Chinesinnen aus den Sägeresten der Spanplatten anfertigten, von denen ihre Männer die Möbel des Hauses bauten. Die Masse als solche dürfte, nachdem das gesamte Paradies dann freigegeben wurde, eine Etage tiefer auch als Dichtungsmaterial für nicht ganz dichte schwedische Küchenschränke erhältlich gewesen sein. Geschmacklich kam es auch der extrem flexiblen Waffel an den hocharomastoffisiert grellroten Kirschen nahe, an die ich Süßdrogenabhängiger mich in meiner Entzugsverzweiflung getraut habe. Aber knallbunt mag man es in diesem wikingerischen Teil Europas schon lange. Und obendrein ist mir nun auch klar, daß das immerfreundliche blaugelbe Haus nicht nur in den Bereichen des äußeren Interieurs geschmacksbildend ist. Andererseits darf hierbei durchaus die Frage gestellt werden, ob nicht doch unbemerkt Monsieur Tricatel den Sieg davongetragen hat.
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