Kultur(an)schaffende

Kulturwirtschaft. Sollte es sich dabei um jenes Etablissement handeln, in das Monsieur Salis im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts die kleinen Künste holte und das fortan Cabaret genannt werden sollte — wenn also die Kultur in die Wirtschaft (ins Wirtshaus, den Gasthof) geht?

Nein. Mir scheint es eher eine dieser Kuriositäten zu sein, die die ökonomische Entwicklung seit den neunziger Jahren in Umlauf brachte und der durchaus eine kabarettreife Nuance anhängt. Da die wirtschaftlichen Nöte des Bundes der Kunst in Ländern und Kommunen Luft und Licht nehmen, müssen ausgerechnet diejenigen das Büßergewand anlegen, denen die Mißwirtschaft eher nicht anzulasten ist, und in die obersten Etagen der Wohlstandskathedralen pilgern, auf daß deren Päpste der Kultur finanziellen Odem einhauchen. — Es hat schon etwas Demütigendes, wenn, wie einstmals, Uwe M. Schneede als Museumsdirektor der Stadt mit dem höchsten europäischen Steueraufkommen sich das Geld für Heizung und Personalkosten seines Neubaus gegenüber dem Jungfernstieg — laut Journalisten-Prosa «Louvre des Nordens» — nicht ohne Mühe bei jenen Pfeffersäcken zusammenschnorren muß, deren weiter Kunsthorizont gerne bei Horst Janssens Landlieblichkeiten beginnt und sogleich endet.

Drastisch hat dieses allfällige Problem Eduard Beaucamp in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seinerzeit beschrieben: Die Kulturpolitiker verstießen ihre «Lieblingskinder», die riesigen neuen Museumspaläste, und schickten sie auf «die Straße zum ‹Anschaffen›». Da bleibt nur zu hoffen, daß die «privaten» Gelder, die die Fundamente der neuen Pinakotheken der Moderne und ähnlicher Architekturen bilden, auch dann weiter fließen, wenn Kunst und Kultur Einzug gehalten haben. Denn sonst dürfte Isar-Athen, quasi als geographischer Gegenpol zum hanseatischen, bald über den südlichsten hohlen BRD-Zahn der Kunst verfügen.

Nun liegt es aber auch in der Natur der Sache, wenn Handel und Industrie erwirtschaftete Gelder wieder in den Kultur-Kreislauf bringen. Das zielt nicht unbedingt auf die Milliarden, nein: Billionen Mark, die in Stiftungen geflossen sind und fließen werden. Mit ihrer Hilfe ist seit Jahrzehnten so manches Kleinod gerettet, so manches kulturelle Projekt auf den Weg gebracht worden. Und Sponsoring hat bisweilen auch außerhalb der Sport-Arenen Wirkung gezeigt, und sei es, daß der Künstler mal wieder die rückständige Miete hatte überweisen können.

Das ist schließlich entscheidend: die Künste als Wirtschaftsfaktor. Galerien, Museen wollen geplant, gebaut, mit den ihr eigenen Inhalten ausgestattet werden. Hier verdient die Architektin, der Handwerker, die Künstlerin, der Spediteur, der Rahmenhändler, die Messegesellschaft, der Kritiker, die Graphikerin, die Werbeagentur, der Zeitschriften- ebenso wie der Kunst- und der Getränkehandel. Und wer Geld verdient, zahlt Steuern.

Eben diese Tatsache darf den Fiskus nicht aus der Pflicht entlassen, die nach dem bundesrepublikanischen politischen System und dessen Gesetzesgrundlage Verantwortung oder auch Verpflichtung heißt (in anderen «vorbildlichen» Staaten überläßt man solches gerne denen, die stärker als der Staat sind). Denn je mehr die Wirtschaft sich solistisch oder auch dirigistisch ins finanzielle Kulturgeschirr legen darf, um so drastischer steigt die Gefahr, daß sie alleine zum Zugochsen wird — der dann immerfort auf das ewig alte Scheunentor zusteuert.

«In der Kultur», schrieb Eduard Beaucamp, «dürfen Marktregeln, Wachstumsgesetze, Konkurrenzen nie die Oberhand gewinnen. Sonst zerstören sie — die Politiker — zwangsläufig das, was sie pflegen wollen: die Kunst.»


Eine ältere Randbemerkung, von 1998, dem Jahr, nach dem die Löhne sinken sollten, erschienen in einer Kunstzeitschrift, hier jedoch leicht verändert. Den alten Beutel neu aufzugießen, darauf hat mich der längst zur Instititution gewordene Olaf gebracht, der mir endlich korrigierend erklärt, weshalb aus der Kultur eine Wirtschaft geworden ist.

Photographie: frankartculinary CC

 
Mi, 22.09.2010 |  link | (2061) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Raus aus den Kartoffeln ...

Hinein nach Roseburg komme ich immer mal wieder, der guten Kartoffeln wegen. Zur Gemeinde gehörig ist nicht nur ein feines Schloß und überhaupt ziemlich viel, nicht nur virtuell adeliges Erbe samt sommerlichem Musiktheater, sondern es gibt, geschmacklich mir näherliegend, auch sehr feinen Kuchen, wenn auch nicht so sehr innerhalb dieses von blauem Blut durchpulsten Gebälks, sondern im Dorf selbst, wohin ansonsten kaum jemand die Seh(n)sucht nach niederwildhöfischem Gehabe treibt. Gebacken wird er von einer aus dem Nordfriesischen stammenden Hofladnerin, die sich ins Herzogtum Lauenburg hat verpflanzen lassen. Wegen eines dort ansässigen Kartoffelbauern. Und jedesmal aufs neue kommt unser Gespräch dann auf diese Industrie, die sich am liebsten alles patentieren lassen möchte, um daraus Geld zu machen, nicht nur den Kartoffelsamen, auch Ersatzteile für Menschen, sei es in säuischer Form oder wie auch immer. Beim letzten Mal gerieten wir jedoch in einen Randbereich der Agrarwirtschaft, in den der Literatur. Denn ein großer Dichter hat sich 2008 in diesem Dörfchen davongemacht, der schon früh, noch bevor unsereins die Grünen seltsam vorkommen sollten, auf das hingewiesen hat, was uns einst alles blühen wird, nicht nur auf den Äckern. Auf ihn ist hier immer wieder mal hingewiesen worden.

Wo beispielsweise die [...]-Klammer steht, gehört das hier hinein. Nach erneuter Lektüre ist es mir ein dringendes Bedürfnis, das nachzutragen:

Die uns Erde, Wasser, Luft versauen
— Fortschritt marsch! mit Gas und Gottvertrauen —
Ehe sie dich einvernehmen, eh
du im Strudel bist und schon im Solde,
wartend, daß die Kotze sich vergolde:
Bleib erschütterbar — und widersteh.

Schön, wie sich die Sterblichen berühren —
Knüppel zielen schon auf Hirn und Nieren,
daß der Liebe gleich der Mut vergeh ...
Wer geduckt steht, will auch andre biegen.
(Sorgen brauchst du dir nicht selber zuzufügen;
alles, was gefürchtet wird, wird wahr!)
Bleib erschütterbar.
Bleib erschütterbar — doch widersteh.


Das ist der Dichter.

Aus: Prolog zu Selbstredend und selbstreimend. Auswahl und Nachwort von Peter Bekes. Philip Reclam jun. Stuttgart 1987, S. 7

Original in: Haltbar bis Ende 1999, Gedichte. Rowohlt, Reinbek 1979

 
Mo, 20.09.2010 |  link | (1507) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache



 

Gehirnentknotungshilfegesuch für McGuffin

Verlängerte Intelligenz Geh Hirn

Da springt mich aus meinem elektrischen Zettelkasten eine Notiz samt Zitat aus dem Jahr 2001 an, die ich mir zum Entwurf eines Aufsatzes gemacht hatte (aus dem offensichtlich nichts geworden ist, aber auf jeden Fall befindet es sich in einem ziemlich versteckten Ordner titels Entwürfe). In Klammern dazu steht ein Hinweis auf McGuffin. Nun weiß ich zwar, was ein McGuffin ist; Herr Hitchcock hat das Herrn Truffaut mal ausführlich zu erklären versucht. Aber es bringt mich nicht weiter. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich da irgendwo einen einzigen eigenen Gedankenanflug hineinnotiert habe. Meine Hoffnung auf Aufklärung liegt also da draußen in der WWWelt (weiten weiten) des Zwischennetzes. Ob sich da möglicherweise ein belesener oder auch gebildeter Mensch findet, der mir hilft, den Knoten zu lösen, der sich mittlerweile in meinem Oberstübchen gebildet hat, dem solche Hilfestellung Kurzweil bereitet? Aufgeschrieben hatte ich folgendes:
Langeweile wird die gerechte Strafe für einen sein, der sich nicht zum Suspense verführen lassen will — so wie für den, der die Frage nach dem Sinn von Sein für sinnlos hält, die Zurüstungen zur Expedition in die terra incognita des Seinsverständnisses nur gähnende Langeweile entstehen — oder besser: bestehen — lassen können.

Langeweile ist, wenn das Feuer aller Feuer als Strafe aller Strafen verloren gegangen ist, die bleibende Optimierung des Überdrusses am Dasein. Für sie gibt es keinen dringenderen Wunsch als den, gestört zu werden. Neugierde ist Störung der Langeweile.
(MacGuffin)

Leicht möglich ist jedoch, daß er auch auf der Suche nach dem Anfang des Fadens ist und der sich am (Wort-)Ende gar als etwas völlig anderes erweist: als eine Quelle möglicherweise, die er allerdings erst suchen muß, das: «Dort, woraus es — das philosophische Fragen — entspringt.»
Ob das jemand als Zitat wiedererkennt (die Suchmaschinen tun's nicht)? Zielrichtung war offensichtlich, das belegt eine Randnotiz, die als Gattung zwar unterschiedlichen, aber dennoch ineinander (gehirnartig?) verwobenen Künste.

Freuen tät's mich, entwirrte mich jemand. Das ist hier schließlich annähernd schon einmal gelungen.
 
Di, 14.09.2010 |  link | (2070) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fragen, nichts als Fragen



 







Werbeeinblendung

Jean Stubenzweig motzt hier seit 6004 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



... Aktuelle Seite
... Beste Liste (Inhaltsverzeichnis)
... Themen
... Impressum
... täglich
... Das Wetter

... Blogger.de
... Spenden



Zum Kommentieren bitte anmelden

Suche:

 


Letzte Kommentare:

/
Echt jetzt, geht noch?
(einemaria)
/
Migräne
(julians)
/
Oder etwa nicht?
(jagothello)
/
Und last but not least ......
(einemaria)
/
und eigentlich,
(einemaria)
/
Der gute Hades
(einemaria)
/
Aus der Alten Welt
(jean stubenzweig)
/
Bordeaux
(jean stubenzweig)
/
Nicht mal die Hölle ist...
(einemaria)
/
Ach,
(if bergher)
/
Ahoi!
(jean stubenzweig)
/
Yihaa, Ahoi, Sehr Erfreut.
(einemaria)
/
Sechs mal sechs
(jean stubenzweig)
/
Küstennebel
(if bergher)
/
Stümperhafter Kolonialismus
(if bergher)
/
Mir fehlen die Worte
(jean stubenzweig)
/
Wer wird schon wissen,
(jean stubenzweig)
/
Die Reste von Griechenland
(if bergher)
/
Richtig, keine Vorhänge,
(jean stubenzweig)
/
Die kleine Schwester
(prieditis)
/
Inselsommer
(jean stubenzweig)
/
An einem derart vom Nichts
(jean stubenzweig)
/
Schosseh und Portmoneh
(if bergher)
/
Mit Joseph Roth
(jean stubenzweig)
/
Vielleicht
(jagothello)






«Ist Kultur gescheitert?» ? «Bitte gehen Sie weiter.»



Suche:

 




Anderenorts

Andere Worte

Anderswo

Beobachtung

Cinèmatographisches + und TV

Fundsachen und Liebhaberstücke

Kunst kommt von Kunst

La Musica

Regales Leben

Das Ende

© (wenn nichts anders gekennzeichnet): Jean Stubenzweig





pixel pixel
Zum Kommentieren bitte anmelden

Layout dieses Weblogs basierend auf Großbloggbaumeister 2.2

pixel pixel