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Même son de cloche. ![]() Same procedure as every year Die Wünsche für ein Gutes Neues Jahr werden einmal mehr und wie alle Jahre wieder auf meine Bitte hin vom feinen Herrn Wendriner erwidert — und richten sich an alle die geschätzten Leser, Schreiber und Denker und, nicht nur der Höflichkeit wegen, auch an die werten BinnenInnen meiner elektrifizierten, möglicherweise aus Ausgeschriebenheit oder auch Einfallslosigkeit oder auch wegen stetig den Höhepunkt anstrebender Unlust inzwischen ziemlich gebremsten Kladde. «Prost Neujahr. Prosit Neujahr, Frollein Richter, Prost Neujahr! Freutel, machen Sie die Tür zu, zum Himmeldonnerwetter! Ach so, die ‹B.Z.›. Prost Neujahr, Schulz. Prost Neujahr!!! Freutel, ich geh mal raus — man ist doch auch nur 'n Mensch ... Das ist ein neues Jahr ... Hier könnt mal gestrichen werden, wie oft hab ich das schon gesagt ... So! Jetzt ist mir der Hosenknopp abgesprungen ... ! Besetzt! Besetzt! Gehn Sie von der Tür weg. Sie könn doch hören, daß besetzt ist! Hach — Locarno-Geist in allen Parlamenten. Paris, den 2. Januar. Wie Havas meldet ... Man ist ein geplagter Mensch. Die einzige ruhige Stunde, die man am Tage hat, is hier draußen —!» Kaspar Hauser Die Weltbühne (via textlog), 05.01.1926, Nr. 1, S. 30 Bonne année ! • Buon Anno! • Feliz Año Nuevo • Glædig nytår • skål • alegría, boa sorte, felicidade, saúde, éxito • Onnellista uutta vuotta • Happy New Year • santé !
Von scharfem Blick Als der Student der Volkswirtschaft Rudolf Kicken gemeinsam mit Wilhelm Schürmann 1974 in Aachen seine Photogalerie Lichttropfen eröffnete, produzierte er ein regionales Sensatiönchen — da war einer, der sich traute, einfach nur Photographien auszustellen. Während sein Freundeskreis ihn unisono noch für verrrückt erklärte, bewegte sich der Vor(aus)reiter strategisch zielstrebig nach vorne. Noch längst nicht einmal zehn Jahre später bestimmt er den europäischen Markt der photographischen Kunst maßgeblich mit — die Betonung liegt gleichwohl auf Handel, weniger auf Kunst. Denn jemand, der sich zum Beispiel für osteuropäische Photographie oder der aus dem Bauhaus interessiert, landet zwangsläufig in der Kölner Albertusstraße 47 — dort residiert der Photogalerist inzwischen.* An den Wänden hängen aber nicht nur die klaren Lichtspielereien des Bauhaus-Künstlers Werner Mantz oder die zeitweise surrealistischen Photographien des Ungarn André Kertesz. Hier gibt es auch die von dem US-Amerikaner Edward Weston im Dünensand recht kulinarisch angerichtete junge Dame zu sehen, für die Kicken in jedem Fall 50.000 Mark haben will — und «wenn das Bild zehn Jahre» bei ihm hängen sollte. Das naheliegend im Galerietrakt befindliche Schlafzimmer ziert sogar eine Photographie im Marktwert von 150.000 Mark. Ansel Adams Moonrise ist sein «röhrender Hirsch», der ihn «in gewissen Stunden vergessen läßt, in Deutschlands häßlichster Stadt wohnen zu müssen». Im lauschigeren Aachener Wald hatte alles angefangen — wie bei Edward Weston mit einer abzulichtenden jungen Frau. Mit einer geliehenen Instamatic wollte er eine Freundin ins Bild setzen. Daraus entwickelte sich eine harmonische Ehe mit der Photographie, wie seine derzeitige Gespielin feststellt. Sie attestiert ihm tatsächlich Besessenheit — zu diesem visuellen Medium, zu ihm allein habe er offenbar «ein erotisches Verhältnis». Diese Beziehung treibt den Kunstmakler, der «aus der kommerziellen Perspektive gesehen auch ganz gut ohne Galerie auskommen könnte», in die verborgensten Winkel der Alten und der Neuen Welt. Auf einer kleinen hawaiischen Insel zum Beispiel kam er vor Jahren einem ehemaligen Assistenten von Edward Steichen auf die Spur. Als das etwas länger andauernde Gespräch vorüber war, hatte Kicken einen Großteil der Arbeiten des 1973 gestorbenen US-amerikanischen Meisters der Lichtbildnerei in der Mappe. Im Austausch gegen gutes Geld selbstverständlich, zu dem der mittlerweile ausgelernte und mit einem Diplom ausgestattete Volkswirt ein mindestens ebenso erotisches Verhältnis hat wie zur Photographie. Allein dafür braucht er zunehmend Geduld — rund die Hälfte des Jahres ist er unterwegs —, um Raritäten in den Sucher zu bekommen, seitdem immer mehr Sammler ihre Optik auf Lichtbildnerei richten. Die Symbiose Kunst und Kommerz geht in dem Kaufmannssproß ideal auf. Die Lehrzeit des Marktbeherrschens begann nämlich bereits in der Kindheit, in der Vater Kicken Sohn Rudolf klarmachte, was eine Mark wert sein kann. Allerdings wich der Junior dem familiaren Baustoffgroßhandel aus, weil er lieber ein großer Künstler werden wollte. Das brachte das Familienoberhaupt zunächst einmal um die Contenenance. Es sah den Sprößling «enden wie einer, der am Strand Touristen photographiert», und drohte deshalb zunächst einmal mit unmittelbarem Zwang, nämlich dem Entzug der Studentenapanage. Scheinbar geläutert siedelte Sohn Rudolf nach Wien um. Doch die längst durchkalkulierte nouvelle vague kam flotter als berechnet über ihn. Als er in einem Café sitzend still über Abwasserröhren sinnierte, verkündete nämlich geradezu schicksalhaft eine Tageszeitung die Eröffnung der Photogalerie Die Brücke. Kicken handelte rasch und, vermutlich in der Erbmasse gut abgelagert, kaufmännisch. Er verhökerte sein Tonbandgerät, kaufte einige Bilder und arbeitete schießlich mit einem Galeristen zusammen. Daß Kicken damals nicht auch noch sein Automibil verhandelte, war intuitiv klug und vorausschauend weise. Denn derart ausgestattet war der Photographie-Eleve geradezu prädestiniert, die illustren Galeriegäste vom Flughafen anzuholen. Eine der Lichtgestalten, die damals Wien ihre Aufwartung machte, die hieß Allan Porter, seinerzeit Chefredakteur von Camera, Anfang der siebziger Jahre die biblia pauperum aller sich nach Gnade sehnenden Photo-Amateure. Und so pilgerte Kicken mit Papas zwar zögerlichem Ja-Wort, aber eben auch mit dessen (Geld-)Segen versehen zum New Yorker Eastman-House, in dem seinerzeit Nathan Leonce residierte, der sich durch die Ausbildung vieler junger Photographen einem Namen gemacht hatte. In dessen Photoklasse kam Kicken jedoch nach zwei Semestern zu der Erkenntnis, daß es «zum berühmten Künstler wohl nie reichen» würde. Also konzentrierte er sich lieber auf die marktwirtschaftliche Komponente seines Daseins, tauschte sein VW-Cabriolet gegen einen schlichteren, dafür rundum schützenden Käfer, der dann zwar das Wasser durchs Bodenblech einströmen ließ, seinen Besitzer aber nicht daran hinderte, anschließend den Blick scharfzustellen während einer halbjährigen Reise durch amerikanische Galerien, Museen und Ateliers. Mehr als hundertausendmal hat er genau hingeschaut. Nie aus dem Blick verloren hat er dabei die günstige Verquickung von Kunst und Markt. Je nach Perspektive: Der Erfolg gibt ihm recht. Der Vater inzwischen auch. Flohmarkt: Savoir-vivre, 1981 * Kicken in Berlin gibt es seit 2000
Nackte Kunst ![]() Das Pärchen* hat sich der Kleider entledigt und bebt vor lebendiger Erwartung. Doch die wird gewissermaßen enttäuscht. Denn mit mehreren Schüssen werden die Nackten niedergestreckt. Grabesstille. Doch dann füllt strahlendes Licht den Saal. Der Discjockey legt Save me auf, und die Tanzfläche, auf der zwei Minuten zuvor die beiden Leichen lagen, belebt sich. Denn die Szenerie stammt nicht aus dem thrilligen Kino oder gar der Malerei, die Performance heißt Discotheater. Aufgeführt wurde das Stück Rozznjagd von Peter Turrini, und als Bühne diente die ursprünglich dem Schwoof zugedachte Fläche des Marco Polo im fränkischen Dinkelsbühl. Bereits um die Jahrhundertwende machte man im Pariser Café von Monsieur Salis auf dem Boulevard du Temple Theater bei Tanz, Bier und Wein. Von diesen Kunstübungen stammt auch der Begriff Kabarett, das als solches gerade in Kleinkunstbühnen Neuanfänge seiner Ursprünglichkeit erfährt: In Cabarets wurden auf brettartigen Fächerschüsseln während der Darbietungen die Speisen serviert. Das hält Hermann Müller, den flotten Besitzer dieses neuzeitlicheren Tanzsaals, nicht davon ab, die Erfindung des Discotheaters für sich in Anspruch zu nehmen. Möge Milde walten, denn schon Kurt Tucholsky stellte fest, es gäbe nichts Neues hienieden zu Erden. Wie auch immer: Eines hat Müller mit seiner Theatergruppe, die interessanterweise La Parisienne heißt und die Stücke von Franz Kafka, Franz-Xaver Kroetz, Turrini sowie selbstverfaßte in verschiedenen Discotheken aufführt, zumindest erreicht: diejenigen zu widerlegen, die meinen, dieses Publikum könne nur mit dem Unterleib denken. Zwar hieß es anfänglich tatsächlich häufig: «Ich komme zum Tanzen hierher und nicht, um mir Theater anzuschauen.» Doch dann, ausgerechnet nach der wilden Rozznjagd auf dem Müllplatz, die unter anderem die Discothekenkultur beleuchtet, haben die Gäste Lust am Theater auf der Tanzfläche bekommen. Regisseur Gerd Prohaska ist selbst überrascht, daß Zuschauer kommen, die Theater nicht einmal aus dem Fernsehen kennen. Und Veranstalter Hermann Müller selbst ist so angetan, daß er La Parisienne ab Januar '78 sogar in weiteren zwanzig dieser Randbühnen auftreten lassen will. Flohmarkt: Savoir-vivre, 1978 Das mit der Tournee klappte dann doch nicht so recht, aber dieses Müllers Namensvetter Wolfgang ging Anfang der Achtziger mit dem Theater in den Untergrund der Münchner Discothek Zip und arbeitete dafür Shakespeare um. Mit Roms Dekadenz und Cäsars Tod — Stört der Krieg die Liebe? vereinte er zwei Stücke zu einem: Julius Cäsar und Antonius und Cleopatra. Letztere wurde dargestellt von Barbara Rudnik, den Cäsar gab Gerd Silberbauer. Doch von Kulturrevolution wollte man im gemütlichen Isar-Athen nichts wissen. Ein schlimmste Umtriebe befürchtender Bürger alarmierte die Polizei, die stürmte den Untergrund namens Zip. Regisseur Wolfgang Müller kommentierte seinerzeit: «Die Herren kamen zweitausend Jahre zu spät.» * Den einen Teil des Paares in Rozznjagd> stellte übrigens Annette Kreft dar, deren früher vitalbiographischer Abschnitt — ähnlich dem des einstmaligen Kammerspielers Silberbauer — nicht mehr so recht in der Erinnerung der Chronisten haften mag – völlig zu Unrecht, denn zu diesem Zeitpunkt machte sie noch Kunst, nicht nur nackte, sondern reine, Art brut sozusagen. Eine kleine Begebenheit am Rande: Diesem Discotheaterbesuch folgte die bis dahin ärgste Erfahrung meines (seinerzeit gleichwohl noch recht jungen) Rundfunklebens. Hermann Müller nannte nämlich ein weiteres gastronomisches Erlebnislokal sein eigen, wohin er mich einlud. Dort gab es neben gutem Essen auch Alkohol. Ich hatte unglücklicherweise früh morgens vom Studio Nürnberg aus vorab ein kulturelles Morgentelegramm auf Bayern 3 nach München und damit in die Welt zu versenden. Wie sich das häufig so verhält, wenn man dem Glauben glaubt: Ich befand mich irgendwann im Zustand der Sicherheit, meine Botschaft auch ohne Manuskript verkünden zu können. Doch dann wurde mein Beitrag von ursprünglich geplanten Stunde acht um eine vorverlegt. So mußten ein paar Stichwörter ausreichen, ein ausgeschlafene Munterkeit suggerierender Anfangssatz sollte genügen, dann würde es schon von alleine vor sich hinplaudern, schließlich war ich fröhlich und guter Dinge. Dennoch konzentrierte ich mich professionell auf diesen Einstieg, doch als der vermutlich um einiges vitalere Moderator exakt mit meinem zurechtgelegten Satz seine Ankündigung meiner begann, hatte man bei mir den Stecker gezogen, fehlten mir schlagartig die Worte. Der Morgentelegraph behielt die seinen und schaltete mich engültig ab mit der milden Begründung: «Der Kollege scheint heute wohl leicht unpäßlich.»
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