Spiegelei Nun lacht es schallend aus ihr heraus. Und was war das für ein Lachen! Hatte ich so etwas je gehört? War das ein Klang. War das ein Lied. Sie lacht ein Solo, wie Léo Ferré es hätte nicht komponieren können, damals in Avignon oder einer anderen Kathedale, für eine Stimme und seine drei Symphonieorchester, die zwar auf ihren Einsatz warteten, aber genau wußten, daß sie diesen Mezzosopran nicht würden überklingen können und deshalb gleich schwiegen und warteten, bis des Meisters gesungenes Maschinengewehr den endgültigen beethovensch' fragenden Brüller gab: Muß das sein? Sie hält sich am Rand des Waschbeckens fest, und es schüttelt sie. Und wieder strömen bächeweise Tränen aus ihr. Doch es sind schallend gelachte Tränen, mehr Krach konnte auch ein Bataillon aus Anarchisten nicht veranstalten. Und wieder bin ich es, der begossen dasteht und nicht begreift, um was es geht. Und wieder kommt ein Wust an Wut in mir auf, der sich gleich verbal Platz schaffen würde. Doch ich komme nicht zu Wort. Wie denn auch. Das bißchen, kommt es kleinlaut in mir auf, das ich weiß, steckt tief in dem Modder einer sogenannten alten Welt, in den eine Moderne mich tief versenkt hat, in den paar Relikten, die unsere Ausgräber aus den sehr viel älteren Kulturen herausgekratzt und als ihre Weisheiten vermittelt und in meinem Museumskopf ausgestellt haben. Sie kenne eigentlich nur ein Bild von mir, sagt sie. Das im Spiegel. Aber zu gerne spräche ich von einem einzigen, das andere hätten, hielten sie es in eine Leinwand aus Fernsehen. Und diesen Narzißmus würfe ich ausgerechnet ihr vor. Aus dem Griechischen käme das. Nárkissos. Krampf oder Lähmung oder Erstarren. Dabei sei ihre Sprache älter als der Keil, der nicht nur das Rad in die Geschichte gespurt habe. Obendrein sei eine Blume daraus entstanden. Zwar würde sie in Europa bevorzugt den Toten gewidmet. Sie aber lebe. Sie sei schließlich auch und immer noch ein Teil Tunesiens und Persiens. Integriert sei sie zwar ins Land. Aber eben nicht assimiliert. Wie das so viele gerne verwechselten. Ich stehe im Badezimmer und betrachte den Spiegel. Zwei Tage • Eine sentimentale Reise • Erzählungen
En vogue (ist eine Antwort auf Seemuse, der ich ihre Seite nicht allzu vollgießen möchte mit meinen Ergüssen) waren Ente und sein Widerpart auf der linksrheinischen Seite nie, wie das der Fall ist bei den barbarischen Gaspedalisten rechts des anderen Ufers. Das waren früher immer Nutzfahrzeuge. Das ändert sich ein wenig in letzter Zeit. Nicht nur, daß man, wie von mir in Enten(aus)flüge angedeutet, linksrheinisch zu reimportieren und zu restaurieren begonnen hat (für die Rennen mit den auf fünfzig PS aufgeblasenen Geräten fährt man dann über den Rhein, weil man dort darf und im Zweifelsfall die Mandate kostengünstiger ausfallen), man achtet auch zunehmend mehr auf die Unbeschädigtheit des dann teuren Automobils. Beulen und Schrammen werden nicht mehr so hingenommen wie einst. Als mir vor ein paar Monaten eine schicke Audi(o)-Cabrioletistin beim Rückwärtsfahren bis in die obere Etage hörbar in meinen hinteren entigen Kotflügel hineinrumste, war die Dame doch sehr erstaunt, als ich es bei einem schlichten Faustschlag, nicht zu ihr hin, sondern von einem gegen das Blech von innen beließ und keinerlei weiteren Regreß gegenüber ihrer PKW-Versicherung anmeldete. Aber die Mittagspausen haben sich, um bei der Kultur zu bleiben, die in Frankreich Civilisation genannt wird, schließlich auch von einst zwei Stunden auf vierzig Minuten verkürzt; selbst die sind den Unternehmen mittlerweile zuviel, dreißig werden angesteuert. Nenne ich's mal: Gegenrevolution. Die Deutschen nennen das Romantik; wenn's so auch ständig mißinterpretiert wird. Aber der Reformer Sarkozy hat offensichtlich den Sieg über die Überbleibsel der Revolution davongetragen. Selbst wenn er aus seiner Bastille gestürzt werden würde, es änderte sich im Anschluß daran kaum mehr etwas. Die Internationale des Konsumismus wird wohl dauerhaft ihre Hymne hinausrören. Nun ja, Geschichte. Aber so richtig mitreden kann ich ohnehin eigentlich nicht. Zwar bin ich gerne mit dem Käfer gefahren, nicht zuletzt deshalb, da er wintertauglicher war, aber eben immer nur leihweise, wie beispielsweise auf meinen gelegentlichen Dienstreisen in die Münchner Theater. Obendrein war ich nie ein Fan, schon gar nicht von den rollenden Steinen oder den pilzigen Köpfen. Ich habe ohnehin immer nur Frauen oder überhaupt Wilde Weiber im Kopf oder sonstige Abseitigkeiten. Wobei ich mir nicht darüber im klaren bin, ob die von mir lieber gehörten Stones in die Schublade R4 oder 2CV gehör(t)en. Sie sehen: Es prostet die Tata, das Wasser ist nunmal nicht mehr zu halten. Twitterungeeeignet. Für diese Gesellschaft nicht (mehr er-) tragbar. Statthaft sind allenfalls noch Demonstrationen dieser Art.
Zirkustheater Väterchen Timofej hat Häuschen samt Kapelle neu getüncht, das Gesicht in frische Falten gelegt und die Kollektenbüchse aufgestellt, auf daß reichlich Göttliches hineinfalle. Denn ab 23. Mai (1980) ziehen die Pilger wie auf einem nicht korrekt ausgeschilderten Jakobsweg wieder scharenweise durch seinen lieblichen Garten am Rand des Münchner Olympiageländes. Doch nicht etwa zu dem russisch-orthodoxen Eremiten zieht es die Massen, sondern zum Theaterfestival (bis 8. Juni), das im just vergangenen Jahrzehnt auf dem Gelände zwischen Alter Pinakothek und dem Armeegebäude an der Türkenstraße seinen Anfang nahm, wo 1977 Ulrich Wildgruber den zadekschen Hamlet so grandios unverständlich gegen den strömenden Regen und in den knöcheltiefen Schlamm nuscheln ließ. Des Volks Theater unterm Zirkuszelt. Hauptangebetete ist Ariane Mnouchkine, ihr Théâtre du Soleil mit einer Bearbeitung von Klaus Manns Mephisto. In diesem weiten Rundumschlag gegen die Theater-Bourgoisie der zwanziger und dreißiger Jahre hat der Sprößling von Thomas Mann, der bereits München leuchten ließ, den arg politischen Opportunismus des deutschen Bühnenheroen Gustaf Gründgens angeprangert. Zwei von den fünf mit Auftragsproduktionen bedachten Gruppen ziehen ebenfalls antikreuzzüglerisch gegen nostalgisch verbrämte Vergangenheitsbewältigung zu Felde. Das in New York gegründete Living Theatre, das mittlerweile in Venedig zuhause ist, inszeniert Ernst Tollers Masse Mensch, und das Münchner Theater in der Kreide um Gert Heidenreich und Joachim Höppner seinen Siegfried — eine deutsche Karriere. Ebenfalls zirzensisch beginnt im Mai das Tempodrom, ein Amphitheater auf dem Gelände des alten Potsdamer Bahnhofs im Bezirk Tiergarten. Berlins aliierte Soldaten haben es aus fünftausend Kubikmetern Lehm gebaut, und seine zweieinhalbtausend Sitzplätze plus Tische für Speis und Trank wie einst bei Monsieur Salis wurden von einem Zeltdach des Zirkus Bosch-Roland überhimmelt. Am Tag der Arbeit ist Premiere mit einem vierstündigen Budenzauber, in dem fünfzig Feuerschlucker von fünfzig Schlagzeugern begleitet werden. Rock-Röhre Eric Burdon und Schnulzen-Oldtimer Drafi Deutscher haben sich angesagt, die Colombaiones und andere Clowns, Taschenspieler und Tierbändiger vervollständigen das Programm der Multi-Media-Manege. Unters Zelt zieht es schließlich auch Martin Lüttge, der sich zwar als Film-, Fernseh- und Theaterschauspieler einen Namen gemacht hat, aber des Subventionszirkus' überdrüssig zu sein scheint. Wie weiland Jean-Baptiste Poquelin genannt Molière reist er mit einer Wandertruppe aus zum Teil ehemaligen Staatsschauspielern durch die Lande, um das Volk theatralisch aufzuklären. Kollektiv dramatisiert und inszeniert hat die Gruppe einen mythischen Stoff: Wir Nibelungen. Flohmarkt: Savoir-vivre, 1980
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