Tausendundeine besonders arabische Nacht

Eine Lanze hat man bei arte dieser Tage der arabischen Welt gebrochen, zu brechen versucht. Das ist begrüßenswert, gerade im Hinblick auf die Tatsache, daß in den westlichen Medien nahezu einhellig eine Desinformationspolitik betrieben wird, die nicht nur beim bildhaften Konsumenten der Tagesschau in hundert Sekunden zwangsläufig den Eindruck entstehen lassen muß, aus dem nahen und doch so fernen Osten kämen ausschließlich untergeschichtliche Assasins fondamentaliste, die nicht nur für alle Zeiten Wien einzunehmen gedenken in ihren zeitgenössischen troianischen Moscheen. Aber dieses Minarett, wenn ich den Stab mal so nennen darf, den ich hier einmal mehr über die Medien, im besonderen über mein Blütensternengärtchen brechen muß, ist sozusagen in seiner Spitze von der allgewollten Mitte weggekracht.

Da möchte man darauf hinweisen, daß die heutzutage allesamt sozusagen unter Arabern Laufenden nun wahrlich auf eine glorreiche Historie besonders der Wissenschaften verweisen können, hinter der das Alte Europa arg schlecht aussieht, sie nun wirklich alles andere als tumbe Krieger sind, und was wird gezeigt mit einer panarabischen Reality-Show titels Stars of Science? Ein schier unfaßbarer Luxus, geboten von den Herrschern von Qatar, denen während dieser Dokumentation demokratische Absichten geradezu hinterhergebetet wurden. «Kritische Einblicke in eine Welt im Umbruch»? Von wegen. Mein Eindruck war eher, die entgegen der Verlautbarung letztendlich doch idealisierende Lila Salmi wollte sehnsuchtsvoll eine digitale Analogie zur höfischen Strahlung des Sonnenkönigs herstellen, bei dem es alles gab, nur keine Revolution, nichtmal eine arabeske, zu der Zeit war die Welt nämlich noch katholisch und die Mauren seit langem zurückgejagt in ihre Wüsteneien. Auch das anschließende Gespräch zwischen Daniel Leconte und Tim Sebastian war derart angefüllt mit Artigkeiten, daß ich meinte, mich auf einer Werbeveranstaltung der Fifa zu befinden.

Sehe ich mal über diese meines Erachtens mehr als peinliche Beschwörung des arabischen Luxus und der Moden hinweg — nichts als geistige Elite samt materialistisch elitärem Hofstaat war zu sehen. Mich aber würde interessieren, ob diese Lobhudeleien zu den ölangereicherten Emiren auch auf die Bildung all der anderen Bewohner zutreffen, die nicht unmittelbar der Fürstenfamilie verbunden sind. Aber vielleicht irre ich mich und es gibt in dieser auf Öl gemauerten Wüstenwarft keine aus dem Ruder laufenden biologischen Verwandtschaften.

Und was mich an den präsentierten Tagungsorganisatoren und teilweise auch -teilnehmern mit am meisten stört, ist dieses «Ich bin stolz, ein Araber zu sein.» Was soll diese austauschbare Floskel über die Denkfähigkeit des Individuums aussagen? Vor allem vor dem Hintergrund, daß gerade in dieser fröhlichen Wissenschaftsgesellschaft die ganze Welt über die Erdkugel rollt und nach nationalen Zuordnungen zuallerletzt gefragt wird und manch einer schneller US-Amerikaner oder Franzose oder mittlerweile gar Deutscher wird, als die Behörden beim Ausstellen der Pässe für die perles noire hinterherzukommen in der Lage sind.

Und dann wurde auf dieser wüsten Veranstaltung bis auf wenige Ausnahmen nahezu alles in Verbindung zur Religion gebracht. Einer der kommenden Elitären, hier der aus Saudi-Arabien, wollte sich gar nicht einmal von einer libanesischen Jungfrau dieser élite mondaine anfassen, geschweige denn umarmen lassen. Er fand das völlig in Ordnung, ein Weib nicht selbst ein Automobil steuern zu lassen. Indem es von einem Mann chauffiert werde, erfahre es schließlich eine weitaus höhere Würdigung. «Ich bin stolz, ein Muslim zu sein», das hatte mir wirklich gerade noch gefehlt. Kein kritisches Wörtchen gab's dazu bei dieser braven verbalen Verbeugung. Ich wähnte mich alles andere als in Strasbourg, in einem Territorium, in dem der Laizismus aus dem Bauch der Revolution geschlüpft ist, aus dem der Ruf nach der Freiheit nicht nur der Gedanken erschallte. Mehrfach habe ich mich auch hier zu dieser Thematik geäußert. Aber recht gefestigt hat es eine Äußerung anderenorts, auf die ich ich vor einigen Tagen bei Holger Klein gestoßen bin und die Chat Atkins etwas später so köstlich bewitzelt hat. Sie stammt von Cornelius Courts, der da meinte:
«[...] Ich bin dafür, Religion wie Pornographie zu behandeln, als ein menschengemachtes Produkt, für das man sich frei und ohne Scham entscheiden können soll, das jedoch erst für Erwachsene geeignet und für Kinder zu ihrem eigenen Schutz verboten ist. In meiner Eutopie bedeutet dann dieses Verbot, daß Eltern nicht und auch niemand sonst Kinder der institutionalisierten Religion und deren Riten und deren Indoktrination aussetzen darf und daß Kinder bis zum Erwachsenenalter keiner Religion angehören können. [...]»
Das sollte auch oder im besonderen dort gelten, wo zur Zeit laut und zu recht nach der Abschaffung der Knechtschaft gerufen wird. Vermutlich würde das einige (inter-)nationale Probleme lösen.
 
Fr, 08.04.2011 |  link | (3899) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unglaubliches



 

Gespräche übern Gartenzaun

Meine nördlichen Nachbarn und ich leben seit nunmehr auch schon bald acht Jahren in friedlicher Eintracht miteinander. Nichts trübt unsere Gemeinsamkeit. Fast.


Die zur linken Seite der Revolutionskate sind zwar erst vergangenes Jahr hinzugezogen, aber mir ist, als ob sie bereits viel länger im Land wären als ich. Im Grunde trifft das auch zu, da der männliche Teil des Ehepaares rund dreißig Jahre auf einem Ostsee-Lehrstuhl saß und die mehr oder minder Wißbegierigen in ostgermanischen Märchen und Mythen unterwies. Nach seiner Emeritierung zog er mit der Gattin, einer Pyschologin, in die ferne Hauptstadt, ums endlich auch mal aktuell kulturell krachen lassen zu können. Aber dann sehnten sie sich doch wieder zurück in die Ruhe des lieblichen holsteinischen Landlebens. Dessen Sonnenseite bewohnen sie unter uns, und dort findet, wenn ich unterwegs bin zum Entenunterstand, immer wieder mal das vielzitierte Gespräch übern Gartenzaun auch ohne den statt, oder wir sitzen auch schon mal gemeinsam in südliche Richtung blinzelnd am runden Kaffee-und-Kuchen-Tisch und pflegen die Tradition des Rentnertratschs. Die Geschichten vom Theater, der Sohn zieht als Regisseur durch die Städte und die beiden gerne hinterher, kommen mir alle ein bißchen bekannt vor, aber wenn der zehn Jahre ältere und dem Baltikum verbundene Fachmann über die Entstehung von Mythen erzählt, höre ich sogar auf meinem eigentlich fast tauben Ohr wieder.

Auf der unteren rechten und damit dunkleren Seite des ansonsten nicht nur wegen seines Solarbetriebes recht freundlichen Hauses lebt mit einer seiner Gefährtinnen seit bald zwei Jahrzehnten der gute Geist, der von meinen holsteinischen Anfängen an ungefragt den Rasen um meine Sommerresidenz drumherum mähte oder auch schon mal den aus Altersgründen verklemmten Bowdenzug zur Drosselklappe meiner motorbetriebenen Trödelkarre wieder gangbar macht. Lebensunfähig, der ich bin, behindere wegen solcher Lapalien nämlich durchaus mal den hamburgischen Berufsverkehr, weil die gute alte Eier-, Wein- und Kartoffeltransporteuse mal wieder ein paar Schlucke zuviel gesoffen hat. Er aber hat vor etwa fünfundvierzig Jahren in Bergedorf Autoschlosser gelernt und kennt sich nicht nur in solchen Gangbarmachungen aus, auch alte DDR-Seitbordmotoren kriegt er wieder zum laufen. So etwas kauft er in der Ostzone, rüstet es wieder auf und verkauft es dann in den ehemaligen Ostgebieten wieder. Aber nicht nur Maschinen findet er dort in alten Schuppen, sondern auch andere Seltsamkeiten wie beispielsweise alte Kacheln oder nachgebaute Käthe Kruses. Derentwegen klingelt er dann hin und wieder bei mir, um sich Rat zu holen. Meist geschieht das vergebens, denn kein Vermittlungsversuch hat zum Erfolg geführt. Seit er weiß, daß ich an einer Universität unter anderem etwas mit Kunst getrieben habe, bleibt er bei seiner Überzeugung, einer wie ich müsse wissen, wieviel Prozent Gewinnsteigerung eine von ihm von einem Dachboden weg günstig erworbene und mit ordentlich Chemie aufpolierte und seiner Meinung nach uralte friesische Fliese zu erwarten ist. Meistens gehen wir dann nach unten, setzen uns am nachmittäglichen Westsonnenplatz an den rechteckigen DDR-Gartentisch, ich bekomme einen eigens für mich angeschafften Anis, er würde dieses Zeugs nicht schlucken, seine Frau kommt manchmal hinzu, und beide hören sich dann meinen philosophischen Vortrag über die Völkerwanderung der Westfriesenfliese in den sowjetisch beeinflußten Ostkulturraum an. Aufmerksam hören sie mir zu, um solche Abwegigkeiten auch sofort wieder zu vergessen. Es gibt schließlich Wichtigeres.

Gestern fing er mich auf dem Weg zum 2 CV-Unterstand ab, um sich nach meinem nach wie vor leicht maladen körperlichen Zustand zu erkundigen, der mich mittlerweile in die Niederungen der Kreatiefität treibt. So ergab sich Frage über Frage, dazu gehörten auch solche des öfteren bereits beantwortete nach bestimmten Stationen meiner Studien. Beim Ausräumen einer Hinterlassenschaft war er auf ein Hinterglasbild gestoßen und erinnerte sich dunkel daran, daß ich ihm einmal von den teilweise sehr hohen Werten dieser Kunstwerke erzählt hatte. Da er wohl nicht allzu offensichtlich mit der Tür ins Haus fallen wollte, nahm er einen Umweg über das Christentum, das den ollen Russen ja auch, irgendwie sei mal meine Rede davon gewesen, die Köpfe durcheinandergebracht hätte. Schließlich landete er beiläufig bei der, ob ich überhaupt an irgendetwas glauben würde. Das einzige, war meine spontane Antwort, an das ich je geglaubt hätte, sei Willy Brandt gewesen.

Bei diesem Namen zuckte sein Oberkörper zunächst nach hinten weg, um sich dann vorsichtig, wie er nunmal ist, aber doch auch bestimmt zu äußern. «Willy Brandt? Na ich weiß nich. Der war doch auch so ein Verbrecher.» Sämtliche Alarmglocken legten bei mir los. Daß er so rechtslastig denkt, so in Richtung Vaterlandsverräter und so, das hätte ich von ihm dann doch nicht erwartet. Aber vorsichtshalber fragte ich nach (hinterfragen nennt man das heute wohl), wie er denn, da wir schon dabei wären, um des lieben Himmels Willen zu einer solchen Meinung käme. Den aufklärerischen Vortrag dazu hatte ich im Kopf. «Na wegen der RAF und so», war seine Entgegnung. «Der gehörte doch zu denen.»

Mehr als ein heftiges Kopfschütteln und zwei gestammelte verneinende Sätzchen brachte ich zunächst nicht zuwege. Doch dann hakte ich nach und wollte wissen, wie er denn zu einer solchen Erkenntnis gelangt sei, woher er das habe. Schulterzucken seinerseits. Das erzähle man eben. Wo?! wollte ich wissen. «Na überall eben.»

Ich erzähle das heute deshalb, weil ich gestern in der dunklen Seite davon gelesen habe, wie offensichtlich auch noch um einiges Jüngere (als ich, der ich, das nebenbei, in keinem der Deutschlands zur Schule ging und möglicherweise deshalb tiefer in derartige Rituale der Bildung vordringen durfte, wie der Nichtgläubige sich eben wappnen muß durch gründlichere Kenntnisse allerlei religiöser Bücher) fragwürdigen Geschichtsunterricht oder nur in Teilen erteilt bekamen. Dennoch hat mich das ziemlich ins Grübeln gebracht, hat es doch den Anschein, nicht nur technisch lebensunfähig zu sein.
 
Mi, 06.04.2011 |  link | (3084) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 

Ein (klein) wenig Abbitte

Gestern habe ich getan, was ich ansonsten vermeide: Ich habe mir eine Talgshow, wie der aus Franken stammende Hans Pfitzinger selig diese Quasselrunden genannt hat, angesehen und angehört. Gegebener Anlaß war meine kürzlich erfolgte Abwertung von Ina Müller. Es mußte doch einen Grund dafür gegeben haben, daß ich mich vor weit mehr als zehn Jahren auf Sylt so vernarrt hatte in die damalige Bienenkönigin, daß ich der beiden Mädels CD sogar kaufte und anhörte; nicht nur Hafencafé lausche ich heute noch hin und wieder veträumt, und wenn sie insulanerisch singt, möchte ich geradewegs übers Watt den Hindenburgdamm entlang auf ein Krabbensüppchen ins List der Neunziger rauschen. So sehr kann sich, meinte ich, ein Mensch schließlich dann doch nicht zu seinem Nachteil verändern. Einen Beleg dafür erhoffte ich mir über diese Sendung.

Dem war so. Sie hat mich tatsächlich ein wenig entschädigt für meinen erzwungenen Abfall vom Glauben an sie, für all das Geschreische, das sie über mich geschickt hat in letzter Zeit. Das werde ich mir auch weiterhin nicht antun. Aber ich bin mit ihr als Person immerhin wieder so lieb wie einst im Frühling meiner fröhlichen Triebe. Allerdings frage ich mich nach wie vor, weshalb von ihrem gestern vermittelten Charme, ihrer Ruhe, Klar- und Klugheit in diesen volkstümlichen, arg lauten Nächten mit ihr als Hauptakteuse, die mich bereits mit ihren Ankündigungen vertrieben haben und auf die nun auch noch eine Wünsch Dir Deinen NDR-Nacht mit Ina draufgesetzt wird, so wenig zu hören ist. Die Antwort könnte in der Skizze eines ihrer «Fans» zu finden sein, dessen Bewertungskriterien sie darstellte. Seit sie diesen Kurzhaarschnitt trage, habe er ihr geschrieben, seien ihre Sendungen ganz schlimm geworden.

Diese Niveaulierung deckt sich dann wiederum mit meinen Beobachtungen der letzten Zeit. Dabei scheint deutlich zu werden: Der Schädling an der Gesellschaft bin letzten Endes ich, der ich offensichtlich nicht mehr in der Lage oder wegen meines unheilbaren Altersstarrsinns nicht bereit bin, Veränderungen im allgemeinen Qualitätsbewußtsein wahrzunehmen und zu akzeptieren.

Na gut, dann bleibe ich eben zurück im Altenheim meiner stillen Erinnerung.
 
Mo, 04.04.2011 |  link | (2698) | 15 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau



 







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