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... und ihre Folgen Drei Jahre später durfte ich's nun sehen. Die Mainzer fingen damit an, von dem die meisten meinen, damit habe es angefangen (obwohl der Sommer der Liebe woanders und viel früher wurzelt): Der (Polizei-)Staatsbesuch von 1967, quasi eine sehr frühe Übung für den Heiligen Damm vierzig Jahre später (hier samt entourage présidentielle). Der Besetzer eines Pfauenthrons und Geburtshelfer der iranischen Kulturrevolution besuchte den geschätzten Vorsitzenden Heinrich in dessen Brühler Einfamilienhäuschen und gab damit seinerzeit den Hauptstatisten der Generalprobe für spätere Wasserwerferspiele, da geistig verwirrte Jungakademiker in spe etwas robust die Abschaffung auch des ausländischen Adels forderten. Roman Brodmann als Berichterstatter hätte für seine Kommentare zu dieser geradezu abstrusen Machtdemonstration durchaus einen Kabarett-Preis nach älteren oder anderen Humorkriterien als den heute allgemein bevorzugten verdient gehabt. Anschließend gaben Klaus Harprecht und Waldemar Besson einen Rückblick auf Ein Jahr der Revolutionen. Es war für einen wie mich, der zwar lieber Steine übers Wasser hüpfen ließ und läßt als sie in Kaufhausschaufenster zu schmeißen, aber dennoch faustschwingend mitgegangen ist sowie für das BRD-weite Fortkommen der Nichtmotorisierten einen gut sichtbaren roten Punkt an der Frontscheibe seines Autos kleben hatte (ich trieb 1969 Studien in Heidelberg), faszinierend, ungemein spannend, diese Bilder aus Bonn, Chicago, Paris, Prag, Rothenburg ob der Tauber et cetera allesamt noch einmal zu sehen, sie auf die eigene frühere Wahrnehmung hin zu prüfen, ob und wenn ja welche Perspektivenverschiebungen stattgefunden haben. Rückblick war das auf und Reflexion über die Zeit Zwischen Nierentisch und Bettvorleger, eine Dokumentation von Peter Schneider, in der es beispielsweise heißt: «Über unsere Mütter als KZ-Aufseherinnen, Mitwisserinnen oder auch nur Mitläuferinnen wußten wir noch weniger als über die Verstrickungen unserer Väter.» Oder in der Folge deutlicher: «Sie versuchten, sich mit Knigge und Benimmkursen vom Herrenrassedünkel zu verabschieden. Doch geholfen hat es wenig, denn während sie uns Anstand predigten, schwiegen sie wieder angesichts des Massakers an vietnamesischen Zivilisten in My Lai.» Das ruft Bilder ab, nach denen man nachdenklich in sich sinken möchte und sich abschließend durchaus wundern darf, daß Galileis Behauptung von der sich drehenden Erde immer noch gilt. Aber solche Sinniererei erfordert lange Weile. Dafür kucken wir nicht TeVau. So hatten die Mainzer einiges draufgepackt auch für die nativen Nutzer. Für deren «totale und gleichzeitige Verfügbarkeit von allem» hatten die wissenden 3satler schließlich auch noch andere Unterhaltung draufgepackt — Film, Musik, Musik und Film —, auf daß es ihnen nicht zu fade werde, den Jungen oder noch nicht ganz so Alten oder den ewig Gestrigen, die allesamt ihre Information gerne gleichzeitig über die flotteren Bewegungsmedien beziehen, Hauptsache nicht so trocken wie auf totem Holz (daß das Verarbeiten mehrerer Funktionen, neudeutsch Multitasking, zur gleichen Zeit hirnphysiologisch gar nicht möglich ist, das kommt ihnen erst überhaupt nicht in den Hippocampus; der steigert gleichwohl zum Nachweis seiner Existenz bereits die Geschwindigkeitsfrequenz der Kurzmitteilungsfinger). Vierundzwanzig Stunden jüngere Historie wurden recht lebhaft aus der ansonsten eher betulichen Pfalz gesendet, und auch noch frei von knoppschem Geschichtsverständnis. Aber ach. Wen interessiert das denn (noch)? Wir kennen das doch alles, sind längst gefestigt in unserer Meinung, daß es eine Frauenquote nicht braucht, weil Arbeit sich allemale lohnt, wenn man nur genug Individuum und selbständig ist. Emanzipation ist doch nun wirklich ein alter Hut, der allenfalls noch bei gestrigen königlichen Hochzeiten getragen wird. Denn sie ist mittlerweile schließlich grenzenlos, die Freiheit. Man sieht's doch überall alleine an den vielen fröhlichen Kindern, denen keinerlei Fußfesseln mehr angelegt werden und die deshalb durch nichts mehr zu bremsen sind. À propos Freiheit. Hintergründe zu Easy Rider gab arte vor ein paar Tagen (wird am 11. Mai für Frühaufsteher um fünf Uhr wiederholt!). Nur zu gut erinnere ich mich noch daran, als ich 1969 völlig fertig aus dem Kino kam, weil da so ein junger Patriot aus einem Kleinlastwagen heraus erst Dennis Hopper von seiner Harley schoß und anschließend auch noch den hilfesuchend davorasenden Peter Fonda liquidierte. Gut gelaunt bestätigte letzterer, der im Gegensatz zu mir seit den Dreharbeiten zu Peppermint Frieden (Schmuddelkinder-Problem) nicht älter geworden zu sein scheint, dem Erstgenannten mittlerweile selig, daß sich an dieser US-amerikanischen Geisteshaltung samt Handlungsbereitschaft nicht ein Jota geändert habe. Das scheint sich dieser Tage bestätigt zu haben. Allerdings, meinten die beiden ehemaligen Hippieheroen, hätte sich das Äußere sowie der Status der Piloten ein wenig gewandelt. Es ginge wieder patriotischer zu, und mehr Dentisten, Schönheitschirurgen und Rechtsanwälte (kein gutes Vorbild?) bildeten heutzutage Rudelgemeinschaften auf ihren Harleys. Man kennt das auch im nahen Osten, gezeigt in einer anderen Reportage über die Besserverdienenden von Kairo. Aber schließlich kommt das Gute ohnehin meistens aus dem Westen. Dazu gehört, im Gegensatz zu den früheren, eher individualistsch und unideolgisch geprägten freigeistigen Reitern, mittlerweile auch der Dienst an Gott, auch MoGo genannt, mit anschließendem Konvoi. Sicher ist sicher. Ein Gebet kann nie schaden, solange man noch nicht weiß, was mit seinem Körper geschehen wird.* * Seebestattung, gerne. Darüber bin ich mit mir seit langem einig, daß ich mich den Fischen zurückgebe, in die ich mein Leben lang mit Lust meine Zähne geschlagen habe. Wäre ich ein gläubiger Mensch, äße ich damit auch noch reiner als einer, der während er Meterbratwurst in sich hineinmümmelt, gebetsmühlenhaft vor sich hinmurmelt: Denk ich mir, es wär a Fisch. Auf die Suche gerate ich bei dem Gedanken allerdings nach der Sure im Koran, die belegt, daß das unislamisch sei. Auch Muslime fuhren und fahren doch nicht eben selten zur See. Ob mich jemand aufklären kann? Fundstücke (aus meinem Festplattenaufzeichnungsgerät)
Eine Revolte ... Ich erinnere mich. Von wegen. Jetzt fällt's mir wieder ein — ich wollte das damals sehen. Wollte. Aber auf StudiVZ mußten zum wiederholten Mal die Bilder von der vorletzten Party angeschaut werden, das Vokabeltraining für den anstehenden Gummispringseilaufenthalt in Neuseeland wollte repetiert, ein kindergeburtstägliches Gesellschaftsspiel erneut in Augenschein und zwischendrin noch ein Blick auf lustige T-Shirts genommen werden. Ich nahm zwischendrin mal einen kurzen Blick auf prügelnde Polizisten oder Soldaten in Berlin, Bonn, Chicago, Paris, Warschau und Panzer in Prag und Bomben in Vietnam, das war die action, die bei mir momentan Priorität hatte. Aber der Begriff Familienunterhaltung erfährt bisweilen unterschiedliche Auslegungen. Kurz vorm Platzen meiner zum Denken führenden und ohnehin leicht verengten Halsschlagader zog ich mich zurück in die von einem Zweitfernseher beheizte Kemenade. Der Tag, der Abend, die Nacht sollte diesem voluminösen Erinnerungsmenü auf 3sat gehören. Doch es wurde nichts daraus. Zum Zweck des Mensch-ärgere-dich-nicht wurde der Raum meines Abseits' evakuiert. Tagelang hatte 3sat den Thementag Traum von '68 angekündigt. Ich war irgendwie auf anderes heiß als auf Backfischträume.
Blick ins Mai-Rohr Eine Familienzusammenkunft bei der besten Brateuse seit aller Anfänge. Der ehemalige frühpensionierte Kieler Fördegeneral hatte sich zu Mutti eingeladen, sich eigens dafür von seinem vielväterlichen Beschäftigungsprogramm beurlauben lassen, um leicht verspätet zu seinem Jubeltag das satt zu bekommen, das er als sein Gemüse bezeichnet, ohne die entsprechende Literatur dazu je bewältigt zu haben. Aus dem Rohr auf den Tisch sollte ein feines Teil dessen, das sich kurz zuvor noch im Ehebett der Lütjenseer biologischdynamischen Bauersleute räkeln durfte und von ihnen die formalerotischen Massageeinheiten nach dem Demeter-Ritus empfing. Für ein derart vitales Stück Muskulatur legt die kommende Nobelpreisträgerin für transzendentale Zellkultur sogar ihr streng vegetarisches Sein eine Bratenlänge lang auf den Prüfstand. Ihr Ehemaliger, dieser informationsdesigntechnologisch fastpromovierte Computerchinese, wäre für so etwas gar aus dem fernen nordöstlichen, am Mare Balticum gelegenen Hafenstädtchen angereist und hätte ein Kilogramm handgeklaute Linda und nochmal soviel von dem roten stormarnischen Heimatkohl als Sättigung beigelegt; aber der ist längst abserviert, und endlich, endlich (!) massiert sie andere Partien. Der Grammy-Preisträger in spe komponierte und dichtete vorher schnell noch eine von diesen mittlerweile kaum mehr zählbaren Balladen auf Sonntagsschweinereien nach des nicht ganz so barbarischen* US-Amerikaners Richard Brautigan selig Sinnlichkeitsvorbild. Das faulste aller wochenendlichen Jutebehältnisse bereitete sich währenddessen auf ein sonntägliches Ritual vor, das seit mittlerweile vierzig Jahren nur ausgelassen werden darf, wenn man sich außerhalb des Sendegebietes von bestimmten lustigen Tierchen befindet (glücklicherweise gibt es das wenigstens im Nordbüro nicht mehr, wo seit einiger Zeit arte Süchtige sogar ex terra auf französisch, nämlich digitalisch befriedigt). Um sich einzustimmen, betreibt es schonmal Kanalhüpfen. Und er bleibt unwiderruflich hängen, der alte Jutesack, stolpert innerhalb seines Festplattenaufzeichnungs- und überhaupt Empfangsgerätes, dem er eigentlich lediglich nebenbei die korrekte, nämlich sommerliche Zeit einjustieren wollte. Vergessen war das kindliche Vergnügen für Großväter. Nicht einmal die mediterran verunstaltete stormanische Tierschulter schien ihn noch zu locken. Schuld an dieser Abstinenz waren Bilder und Töne, die an frühere Zeiten erinnern. Nicht nur der jungväterliche Ex-Fördegegeral, für den das Jungschwein jäh aus dem Demeterbett gerissen wurde, sondern auch '68 hatte in einem April Geburtstag. Den vierzigsten. 2008. Man entkommt ihr nicht, der Erinnerung. Aber die hat Zeit. Bis morgen. Oder übermorgen. * Barbaren, das sind nach Meinung südlicher Siedler Stotterer oder Stammler, die oberhalb des Breitengrades von Lyon, des französischen «Weißwurstäquators», leben und mit denen eben deshalb keine Verständigung möglich ist.
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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6421 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00 ... Aktuelle Seite ... Beste Liste (Inhaltsverzeichnis) ... Themen ... Impressum ... täglich ... Das Wetter ... Blogger.de ... Spenden
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