Deutsches Sehnen sucht Da ward er einst so gepriesen, der weißblaue alpha-Sender, der, wie eine in meinem Notizbuch nicht nachgewiesene Quelle behauptet: «... seiner Informationspflicht nachkommt, sondern Seriosität allein bereits dadurch unter Beweis stellt, daß ein informierender Abspann nie mal eben so abgeschnitten wird.» Doch ach oder von wegen! Da muß doch gleich ein riesiger Büschel Wer- und auch Wehmut hinein in den Lobewein über den früheren bairischen Buntfunk, der als belächelter und auch bespöttelter Sender längst abgelöst wurde, der gleichwohl von einem dirigiert wird, der als Karriereblitz mit dem seinerzeit noch richtigen Parteibuch und rechten Ansichten von Anstand und Moral rübermachte wie einst ausrangierte Politiker. Nun, sicher gab's den Abspann. Aber erkennt der geneigte, also aufmerksame Zuschauer bei dieser Geschwindigkeit das alles, in diesem besonderen Fall: Wer hat das feine Stück verfaßt? Nun gut, denkt der sich, ist nicht weiter schlimm, das läßt sich ja nachlesen. Eine so sorgfältige Redaktion stellt die erforderlichen Daten doch sicherlich in seine Internet-Seite. Doch nichts. Nichts geht mehr. Eben. Weil privatwirtschaftlich-zeitungsverlegerisch verboten mittlerweile. Irgendwo am Rand liegt ein Hinweis, die «Dokumentation, BR 1994» sei unter der Reihe Straßennamen bereits einmal wiederholt worden. Ende. Unser aller Liebling Internet wird immer nur gefüttert, aber für das Wechseln der Windeln fühlt sich niemand zuständig. Die Sucherei im massenhaft herausquillenden Aa ist mehr als ärgerlich, dieser neumodische, mittlerweile auch öffentlich-rechtlich alles negierende Mut zur Lücke gegenüber denen, auf die das Prädikat kreativ tatsächlich zuträfe, weil sie das nämlich gemacht haben und nicht nur dieses wenn auch kaum noch wahrgenommene Weglassen, denn die Autoren sind es nunmal, die den Kanal (wie auch die vielen lustigen Blättchen, deren substanzlosen Mist man auch in dreißig Jahren noch nachlesen kann) vollmachen. Und eben nicht die verwaltungshalbverbeamteten Redakteure, von deren Kreativität der Ignoranz ich den Kanal vollhabe. Also hinabtauchen in die Recherche; heute muß man zu solchem Behufe glücklicherweise nicht mehr unbedingt unter Gefahr der Verstaublungung ins Archiv. Nach einigem Suchen stoße ich auf einen Namen, den die dunkle Erinnerung freigibt: Friedhelm Sikora. Wie die Renaissance nach Nürnberg kam und wie ein Schuh daraus wurde — Hans Sachs zum 500. — Ein Gratulationsversuch. (06.11.1994) oder? Hans Sachs und der Club der 500-jährigen — was bleibt? (12. 02. 1995) Wie auch immer, er war es wohl, der es verfaßt hat, das köstliche Gedicht über den Dichter. Da ist sich unsereins fast sicher. Denn das, was der Autor dann doch ein bißchen arg bescheiden sein opusculum, also sein «kleines Schriftwerk» nennt, ergibt nicht unbedingt einen eindeutigen Hinweis, welche der Sendungen das war. Problematisch wird's, da diese Beiträge dem Hörfunk zugeordnet sind. Trotzdem spekuliere ich auch den filmischen Essay einfach Friedhelm Sikora zu. Es war herz-, vor allem aber geisterfrischend, wie der Sprecher die vom zweifellos vitalen, aber gewohnt souverän halsstarrigen Joachim Kaiser unbeeindruckte Autorenmeinung wiedergab, die da lautete: Na gut, Herr Professor, Ihrer Ansicht nach hat das mit sogenanntem Patriotismus nichts zu tun, da mögen sie ja recht haben, aber es ist nunmal eine Tatsache, daß Hans Sachs als Inbegriff einer in Fragen wurzelnden Deutschtümelei gelten muß. Doch nicht der Autor gibt dazu dem Sprecher das Wort in den Mund, er erteilt es einem wahrlich unterhaltsamen Münchner Altphilologen. Der singt gar ein Beispiel dafür, und es klingt kein bißchen peinlich, sondern eher wie fröhliche Wissenschaft, denn der Herr hat nebenbei noch einiges über die doch eher schlichten Verse des dichtenden Schusters zu sagen, dem so viele den deutschen Dichterheros andichten möchten. Auch kommt ein Nürnberger Stadthistoriker zu kritischem Wort oder der frühere Kulturdezernent Hermann Glaser, der mich schon 1973 mit seinem Buch Der Gartenzwerg in der Boutique erfreut hatte, in dem er unter anderem auf die Gefahr einer «Betäubung des Logos zugunsten des Mythos» hingewiesen hatte. Und Mythos ist das Thema Hans Sachs allemale zu Zeiten, in denen man sich nicht mehr wie in den Siebzigern incognito zum Grünen Hügel der quasi benachbarten, in letzter Zeit durch ein ausgefallenes höheres Universitäts-Lob bekannt gewordenen Stadt anschleichen, sondern mittlerweile dorthin pilgern muß, weil die Prominenz — und nicht nur die aus der Bunten Bild, sondern auch die patriotisch gesinnte aus dem mecklenburgisch-vorpommerschen Berlin — dort den bildungsbürgerlichen Schal wehen läßt, um den Nürnberger Gesangsverein und dessen dichtendem Obermeister zu lauschen. Eine Metropole der Clubberer wird gezeigt, die sich (nach wie vor oder noch mehr als früher!) dem ewig ins Mittelalter wandernden, das Kleinteilige dieser Stadt so verehrenden Tourismus hingibt. Die fränkische Großstadt steht nicht nur für Bier und Bratwörschtla, sondern in erster Linie als Synonym für Verirrte: die ihr Zentrum Romantik gesucht und von ihrer veralteten Weichware in einen ähnlich klingenden Ort namens Romantizismus gelenkt wurden. Dieses bigöttliche Kaff ist in diesem Film prächtig zur Schau gestellt, «der Deutschen Sehnsucht nach ihrem fachgewerkten» Inbegriff von Heimat, diese vergessen machende Schönmalerei aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Bilder werden gezeigt, wie die propagandistischen Nationalsozialisten sich des Volkes Stimmung zueigen machen, die hervorragend geeignet schien, Reichsparteitage auf dem Zeppelinfeld aufmarschieren zu lassen. Auf einen spannende Geschichten erzählenden Brunnen wird verwiesen, den Einheimische wie Besucher gleichermaßen (liebevoll und mit glänzenden Augen) anhimmeln, ein Denkmal, angesichts dessen keiner auch nur mal einen Gedanken daran verlieren möchte, daß er ursprünglich nichts anderes sein sollte als ein Abluftrohr für den von unten kommenden Gestank; bezeichnend ist, daß man dafür ausgerechnet den Klischee-Kitschier Jürgen Weber engagierte. In sehr komischen Sequenzen eines alten Films freit Stadtschreiber Sixtus Beckmesser tölpelig um (s)eine Eva, die vor ihm zum soliden Schuhmachermeister flieht, gar um dessen Hand anhält, um diesem fiesen Ahnvater eines Eduard Hanslick oder auch des oben erwähnten Joachim Kaiser zu entgehen. Doch der kümmert sich lieber um seine geschusterten Gedichte und Gesänge. Und selbstverständlich schickt der Autor Richard Wagners Generalbaß Hans Sachs auf die Bühne. Aber auf eine schwäbische, auf die der Staatsoper Stuttgart. Denn anderswo werde (zu dieser Zeit, also in den Neunzigern) eine kritischere Opernbeleuchtung des urdeutschen Stoffes, der Meistersinger von Nürnberg nicht geboten. Und wer hat inszeniert? Sicher doch: ein jugendlich wirkender und dennoch nachdenklicher Hans Neuenfels, der ihn brumme(l)nd auf und samt Brandenburger Tor hinauffahren läßt ins deutsche Nirwana, in die nirgendwo (be-)greifbare Seligkeit Wallhallawagneriana. Das sind Wiederholungen, die die Wiederholung verdient haben (und wenn man sie sich selbst erstellen muß). Hoffentlich verdient der Autor auch was dran! Fundstücke (aus meinem Festplattenaufzeichnungsgerät)
Alles im Fluß ... «Warum ist es notwendig, den Geräuschen von Messer und Gabel Beachtung zu schenken? Weil Erik Satie es sagt. Er hat recht. Denn sonst müßte sich die Musik Mauern zu ihrer Verteidigung zulegen, die nicht nur ständig reparaturbedürftig wären, sondern durch die man gehen müßte, um auch nur einen Schluck Wasser zu trinken.» «Der Vater von Fluxus ist Cage, seine Großväter sind Duchamp und Satie.» «Ich lernte von meiner Schwester, wie ein Klavier geöffnet wird. Ich lernte von Addi Køpcke, wie ein Klavier geschlossen wird.» «So dachte ich daran, Dinge in Einklang mit bestimmten Kriterien des Augenblicks zu messen. Zum Beispiel, meine Länge beträgt sechzig verschiedene Tomaten, und ich bin einhundertelftausendzweihundert-fünfundzwanzig Eisenbahnfahrten Kopenhagen-Paris alt.» «Das Wichtigste an Fluxus ist, daß niemand weiß, was es ist. Es soll wenigstens etwas geben, das die Experten nicht verstehen. Ich sehe Fluxus, wo ich auch hingehe.» «Die Dinge, die aus der Kunst verschwinden müssen, sind wohl gerade die, die die Kunst ausmachen.» «Ich signiere alles.»Tu etwas anderes Eine Weigerung, sich von der selbsternannten Rasse der Spezialisten für Malerei, Bildhauerei, Poesie, Musik und so weiter kulturell kolonisieren zu lassen, das meint die «Revolte der Mittelmäßigen». Diese Revolte hat bis jetzt wunderbare Resultate in der modernen Kunst hervorgebracht. Morgen könnte jeder revoltieren? Aber wie? Untersuche es. Was tust du? Robert Filliou Laubacher Feuilleton 1.1992 Die Gemeinschaft der Künstler und Gemeinschaftsarbeiten in den Künsten.
... und ihre Folgen Drei Jahre später durfte ich's nun sehen. Die Mainzer fingen damit an, von dem die meisten meinen, damit habe es angefangen (obwohl der Sommer der Liebe woanders und viel früher wurzelt): Der (Polizei-)Staatsbesuch von 1967, quasi eine sehr frühe Übung für den Heiligen Damm vierzig Jahre später (hier samt entourage présidentielle). Der Besetzer eines Pfauenthrons und Geburtshelfer der iranischen Kulturrevolution besuchte den geschätzten Vorsitzenden Heinrich in dessen Brühler Einfamilienhäuschen und gab damit seinerzeit den Hauptstatisten der Generalprobe für spätere Wasserwerferspiele, da geistig verwirrte Jungakademiker in spe etwas robust die Abschaffung auch des ausländischen Adels forderten. Roman Brodmann als Berichterstatter hätte für seine Kommentare zu dieser geradezu abstrusen Machtdemonstration durchaus einen Kabarett-Preis nach älteren oder anderen Humorkriterien als den heute allgemein bevorzugten verdient gehabt. Anschließend gaben Klaus Harprecht und Waldemar Besson einen Rückblick auf Ein Jahr der Revolutionen. Es war für einen wie mich, der zwar lieber Steine übers Wasser hüpfen ließ und läßt als sie in Kaufhausschaufenster zu schmeißen, aber dennoch faustschwingend mitgegangen ist sowie für das BRD-weite Fortkommen der Nichtmotorisierten einen gut sichtbaren roten Punkt an der Frontscheibe seines Autos kleben hatte (ich trieb 1969 Studien in Heidelberg), faszinierend, ungemein spannend, diese Bilder aus Bonn, Chicago, Paris, Prag, Rothenburg ob der Tauber et cetera allesamt noch einmal zu sehen, sie auf die eigene frühere Wahrnehmung hin zu prüfen, ob und wenn ja welche Perspektivenverschiebungen stattgefunden haben. Rückblick war das auf und Reflexion über die Zeit Zwischen Nierentisch und Bettvorleger, eine Dokumentation von Peter Schneider, in der es beispielsweise heißt: «Über unsere Mütter als KZ-Aufseherinnen, Mitwisserinnen oder auch nur Mitläuferinnen wußten wir noch weniger als über die Verstrickungen unserer Väter.» Oder in der Folge deutlicher: «Sie versuchten, sich mit Knigge und Benimmkursen vom Herrenrassedünkel zu verabschieden. Doch geholfen hat es wenig, denn während sie uns Anstand predigten, schwiegen sie wieder angesichts des Massakers an vietnamesischen Zivilisten in My Lai.» Das ruft Bilder ab, nach denen man nachdenklich in sich sinken möchte und sich abschließend durchaus wundern darf, daß Galileis Behauptung von der sich drehenden Erde immer noch gilt. Aber solche Sinniererei erfordert lange Weile. Dafür kucken wir nicht TeVau. So hatten die Mainzer einiges draufgepackt auch für die nativen Nutzer. Für deren «totale und gleichzeitige Verfügbarkeit von allem» hatten die wissenden 3satler schließlich auch noch andere Unterhaltung draufgepackt — Film, Musik, Musik und Film —, auf daß es ihnen nicht zu fade werde, den Jungen oder noch nicht ganz so Alten oder den ewig Gestrigen, die allesamt ihre Information gerne gleichzeitig über die flotteren Bewegungsmedien beziehen, Hauptsache nicht so trocken wie auf totem Holz (daß das Verarbeiten mehrerer Funktionen, neudeutsch Multitasking, zur gleichen Zeit hirnphysiologisch gar nicht möglich ist, das kommt ihnen erst überhaupt nicht in den Hippocampus; der steigert gleichwohl zum Nachweis seiner Existenz bereits die Geschwindigkeitsfrequenz der Kurzmitteilungsfinger). Vierundzwanzig Stunden jüngere Historie wurden recht lebhaft aus der ansonsten eher betulichen Pfalz gesendet, und auch noch frei von knoppschem Geschichtsverständnis. Aber ach. Wen interessiert das denn (noch)? Wir kennen das doch alles, sind längst gefestigt in unserer Meinung, daß es eine Frauenquote nicht braucht, weil Arbeit sich allemale lohnt, wenn man nur genug Individuum und selbständig ist. Emanzipation ist doch nun wirklich ein alter Hut, der allenfalls noch bei gestrigen königlichen Hochzeiten getragen wird. Denn sie ist mittlerweile schließlich grenzenlos, die Freiheit. Man sieht's doch überall alleine an den vielen fröhlichen Kindern, denen keinerlei Fußfesseln mehr angelegt werden und die deshalb durch nichts mehr zu bremsen sind. À propos Freiheit. Hintergründe zu Easy Rider gab arte vor ein paar Tagen (wird am 11. Mai für Frühaufsteher um fünf Uhr wiederholt!). Nur zu gut erinnere ich mich noch daran, als ich 1969 völlig fertig aus dem Kino kam, weil da so ein junger Patriot aus einem Kleinlastwagen heraus erst Dennis Hopper von seiner Harley schoß und anschließend auch noch den hilfesuchend davorasenden Peter Fonda liquidierte. Gut gelaunt bestätigte letzterer, der im Gegensatz zu mir seit den Dreharbeiten zu Peppermint Frieden (Schmuddelkinder-Problem) nicht älter geworden zu sein scheint, dem Erstgenannten mittlerweile selig, daß sich an dieser US-amerikanischen Geisteshaltung samt Handlungsbereitschaft nicht ein Jota geändert habe. Das scheint sich dieser Tage bestätigt zu haben. Allerdings, meinten die beiden ehemaligen Hippieheroen, hätte sich das Äußere sowie der Status der Piloten ein wenig gewandelt. Es ginge wieder patriotischer zu, und mehr Dentisten, Schönheitschirurgen und Rechtsanwälte (kein gutes Vorbild?) bildeten heutzutage Rudelgemeinschaften auf ihren Harleys. Man kennt das auch im nahen Osten, gezeigt in einer anderen Reportage über die Besserverdienenden von Kairo. Aber schließlich kommt das Gute ohnehin meistens aus dem Westen. Dazu gehört, im Gegensatz zu den früheren, eher individualistsch und unideolgisch geprägten freigeistigen Reitern, mittlerweile auch der Dienst an Gott, auch MoGo genannt, mit anschließendem Konvoi. Sicher ist sicher. Ein Gebet kann nie schaden, solange man noch nicht weiß, was mit seinem Körper geschehen wird.* * Seebestattung, gerne. Darüber bin ich mit mir seit langem einig, daß ich mich den Fischen zurückgebe, in die ich mein Leben lang mit Lust meine Zähne geschlagen habe. Wäre ich ein gläubiger Mensch, äße ich damit auch noch reiner als einer, der während er Meterbratwurst in sich hineinmümmelt, gebetsmühlenhaft vor sich hinmurmelt: Denk ich mir, es wär a Fisch. Auf die Suche gerate ich bei dem Gedanken allerdings nach der Sure im Koran, die belegt, daß das unislamisch sei. Auch Muslime fuhren und fahren doch nicht eben selten zur See. Ob mich jemand aufklären kann? Fundstücke (aus meinem Festplattenaufzeichnungsgerät)
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