Heilloses Durcheinander Gestern spät abends schoben sich mal wieder Dokumente einst lustvoller Ereignisse über den Bildschirm meiner nicht unbedingt immer hinter-, aber wenigstens hin und wieder mal nachfragenden Informationslieferanten. Alle möglichen immer irgendwie hervorstehenden ehemaligen Eliten hatten dabei reumütige Mienen in ihre Gesichter gerückt. Und als ich dann heute früh mein nicht minder chaotisches Archiv aufräumte, um aus wirren Sicherungsmaßnahmen dem wiederbelebten EiMack nun Sortiertes zurückzugeben, stieß ich auf die Kurzbesprechung eines Buches. Mit einem Mal war die Erinnerung an die Buchmesse 1992 wieder da, anläßlich der mir der liebe Pressemensch aus Paderborn erst die Hand eines eher stillen und deshalb wohl angenehm auf mich wirkenden jungen Mannes in die meine und anschließend dessen Werk ans Herz drückte mit der Anmerkung, das täte mich doch sicherlich interessieren — und andere wohl auch. Also kippte ich’s, vermutlich kurz nach dem mit Druckfahnen abgespeisten Spiegel, meiner langjährigen Spielwiese in einem sozialdemokratischen Wochenblatt in die Spalte. Ich muß wohl zehn Jahre später stattfindende lustige Ereignisse vorausgeahnt haben. Überall versuchen die Politiker die organisierte Prostitution aus den Stadtzentren, die sündige Meile in die Außenbezirke zu verdrängen. Besonders hervor tun sich dabei sogenannte konservative, gerne bairisch-katholische Stadtherren, die die Prostitution für unmoralisch halten. Doch waren es nicht gerade die Städte, die in eigener Regie Bordelle einrichteten?!Fast zwanzig Jahre liegt das nun zurück. Deshalb wollte ich nachschauen, ob das Buch noch erhältlich ist und es serviceeifrig gegebenenfalls kenntlich machen. Während der Suche (nein, ich guckle nicht) stellte ich dann fest, daß der seinerzeit noch recht junge Historiker später als Geschichtswissenschaftler an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken lehren sollte, inzwischen jedoch an die Hochschule einer Stadt gewechselt ist, der ich, weil es sie eigentlich gar nicht geben soll, Historie nur schwierig zuordnen kann. Daß sein Erstlingswerk heute mehr als billig verramscht wird, damit wird er wohl leben müssen; was einst 52 Mark und dann 58 Euro kosten sollte (nein, diese Währung macht nichts teuro), gibt’s heute für einsachtzig bei der genießerischen Tochter des guten alten Hammerstein in der Maxvorstadt, wo ich fast dreißig Jahre lang im noch finanziell erträglichen Kneipenzickzack nachhause ging. Aber für knapp zwei Euro gibt's in diesem nur noch aus News-Bars und ähnlichen Cafés bestehenden Viertel wahrscheinlich längst keine Leberkässemmel und schon gar kein Stamperl Schnaps mehr, denn mittlerweile dürfte auch in den allerletzten Stehausschank eine Secondhandboutique oder eine handliche Plagiiermanufactur gepaßt haben. Und wer interessiert sich denn, nicht nur in diesem Quartier latäng norditalienischst direkt hinter den Alpen, heute noch für Geschichte, geschweige denn für gedruckte? Aber dennoch räumt der immer noch junge Schuster, wie ich mein Archiv, weiterhin auf mit einigen Vorurteilen. Ein paar Rückwärtsblickende muß es schließlich noch geben. Denn wie sollte Zukunft denn sonst verstanden werden? Weitermachen gegen das Aufhören. Peter Schuster Das Frauenhaus Städtische Bordelle in Deutschland 1350 – 1600 Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1992 248 Seiten, DM 52,00
Deutschland braucht Arbeitslose Der Rückgang der Bevölkerung in Deutschland beschleunigt sich. In den vergangenen zwei Jahren habe der negative Trend endgültig eingesetzt, hieß es in einer 2007 in Berlin vorgestellten Studie zur demographischen Entwicklung. Die ohnehin schon niedrige Geburtenrate sei weiter gesunken. Derzeit bringe jede Frau in der Bundesrepublik durchschnittlich nur noch 1,36 Kinder zur Welt. «Damit ist Deutschland Spitzenreiter im negativen Sinn», sagte der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Reiner Klingholz. Sein Kollege Hans Fleisch ergänzte: «Die negative demographische Entwicklung Deutschlands nimmt an Geschwindigkeit noch zu.» Die Zahl der in Deutschland geborenen Kinder wird nach den Erwartungen des privaten Instituts bis 2050 immer weiter abnehmen. Dann würden in der Bundesrepublik nur noch etwa halb so viele Kinder geboren wie heute. Colloquium in uteroKurt Tucholsky: Zwischen Gestern und Morgen, Rowohlt Verlag, Reinbek 1952, S. 136 und 137; Gesammelte Werke Band 10, S. 56 f.; Erstveröffentlichung 1932
... kommt von irgendwo Erleuchtung her Im März schmiß mich ein Katarrh aufs Lager, unter dessen Folgewirkungen, das bilde ich mir jedenfalls ein, sich mein Leben seither zu gestalten scheint. Mein Kreislauf läuft, wohin er lustig ist, was ich weniger komisch finde. Ich halte keine längere Strecken mehr durch, auch das Denken ist nur noch von kurzem Atem (ob es je einen langen hatte?). Meinem großen, sehr viel jüngeren Apfel war das zu fade geworden und hat sich vorbotengleich verabfallt (morgen soll wenigstens er eine Wiederbelebungsspritze erhalten). Nun operiere ich eben ungewohnt kleinteilig und -herzig, kurze Denkstöße am sehr kleinen Bildschirm der Schreibtischlampe, längere Tastaturbearbeitungen sind kaum noch möglich, da jedes Glas Wasser sich sofort in doppelter Menge in den Beinen versammelt. Schlafen kann ich nie mehr länger als zwei, höchstens drei Stunden, oftmals nur eine. Das Ergebnis sind häufig heftige Träume, die die gesamte Dauer dieser Schlafstöße in Beschlag zu nehmen scheinen — die aber offensichtlich Licht ins Dunkel bringen sollen. Von der Aufklärung habe ich geträumt. Nein, nicht von dem, das mit Oswald Kolle seinen öffentlichen Anfang nahm und im allgemeinen heute vermutlich auch dafür gehalten wird; Günter Amendt würde, könnte er noch, das ohnehin nicht vom nachfolgenden trennen: Jean-Jacques Rousseau ist mir erschienen. Er hatte sich vor mich hingestellt und behauptet, er alleine sei für dieses Ressort zuständig. Da wurde mir, der ich in jungen Jahren intensiver als heute mit Aufklärung und Romantik beschäftigt war, mit einem Mal klar, wie wenig aufklärerisch ich doch agiert hatte. Denn vor ein paar Wochen lieferte mir meine ganz persönliche Vorleserin, die unermüdlich das Netz nach kleinodischem Beifang durchsucht, eine Vorlage, die mich zwar ein wenig bewegt, aber nicht wirklich in Unruhe gebracht hat. Deshalb wohl erschien mir jetzt dieser Altkatholik der einstigen dogmatischen Linken und meinte, sich aufblasen zu müssen. Tatsächlich beriefen sich gerade in den sechziger und siebziger Jahren ausnehmend viele Alters- und Gesinnungsgenossen auf Rousseau, ging es darum, beispielsweise eine Ausgangsbasis für die antiautoritäre Abrichtung zu finden, die man den lieben Kinderlein angedeihen lassen wollte. Im nachhinein ging mir nun quasi im Traum ein Siècle de lumière* auf, putzte mir etwas die Gläser meiner altersschwachen Brille, wurde mir klar, weshalb da soviel schieflaufen mußte. Denn der als Aufklärer bis heute so gerühmte Rousseau war im Grunde alles andere als das, sondern ein vom Glauben besessener Lustfeind, der meinte, mit der von ihm so gepriesenen Religion sei ein guter Staat zu machen. Vermutlich machen sich seither und in letzter Zeit wieder verstärkt einige Politiker auf, eine Moral als staatstragendes Zukunftsmodell festgemauert in der Erden, also bereits im tiefen Wiesengrunde zum klingen zu bringen, die in Arbeit, Zucht und Ordnung aufgeht, aber nur für die Masse gilt und nicht für Einzelne. Dabei setze ich seit langem diesen in Frankreich wirkenden Schweizer allenfalls einem Avantgardisten jener Romantik gleich, die bis heute nicht aus den Köpfen herauszubekommen ist und als Kirchentag selbstlose Gemeinschaftsurständ' feiert. Wirklich kritische Geister, wie sie die Romantik nicht minder aufwies, kommen da kaum Wort, wenn sie's je durften, gelesen werden die Verursacher von Friede, Freude, Eierkuchen, die Feld-, Wald- und Wiesentheoretiker jener Lilahalstuchträger, die gesellschaftspolitisch bei Diner at candlelight einen Höhepunkt haben, die dann, wenn der Hundert-Euro-Bordeaux dann doch zu warm war, weil das zurückliegende Jahrhundert als Temperaturbemessungsgrundlage keine Zentralheizung kannte, und dann schließlich noch, weil's irgendwie nicht so recht konvenierte, als Galionsfigur des Romantischen vor ihre alte Bildungsfregatte einen Rilke aufpflanzen: Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben ... Also nochmal: Denis Diderot und Jean le Rond d'Alembert waren es, die mit ihrer Encyclopedie ou dictionnaire raisonne des sciences, des arts et des metiers für Aufklärung sorgten. Und das scheint der von meiner Vorleserin erwähnte Philipp Blom, der berechtigterweise auch noch d'Holbach einbringt, offensichtlich gerade mal (wieder?) geradezurücken. Man darf gespannt sein, ob er ausreichend Geles' findet. Allzuviel Hoffnung habe ich nicht. Aber die hatten auch die Romantiker nicht, diejenigen, die ich meine, denk ich an an einen weiteren, an den von Denk ich an Deutschland in der Nacht .... «In der Romantik kommt es zur Panne des Auftrags, eigentlich ein schöner Moment, unglaublich scharf und ohne jede Entschuldigung. Scharfgestellt wird auf die Kunst, und was da steht, nackt und alleine, das ist eben die Kunst. Die Kunst ohne Dauer, Publikum, Auftrag. [...] Das ist auch politisch. Das entspricht einem fast französischen Begriff des Politisierten: Wo bin ich, was kann ich anfassen — bevor ich, beispielsweise in Vietnam bin mit meinem Kopf. Das allerwichtigste: daß sie eine relativ würdige, unexpressive Haltung eingehalten haben des totalen Fehlens von Anlaß zu Hoffnung. Die Romantiker waren total getrennt von ihrer Liebe, ihrer Sehnsucht, ihrem Verlangen nach Ursprung oder Zukunft, von ihrem eigenen Bewußtsein, von ihrem Programm, und ohne zu klagen und zu lamentieren und ohne sich zu verbohémisieren haben sie das ausgehalten.»Jochen Gerz *«Als Abschluß einer langen Tradition des abendländischen Denkens ist dies die Geburtsstunde unserer modernen Welt(sicht). Die Aufklärung vollzieht, im Humanismus bzw. der Renaissance begonnen, die Emanzipation des Ego, des Individuums. Für uns Brüder Freimaurer sei daran erinnert: Denken wir daran, wenn wir unsere Lichter entzünden, dass dieses Zeitalter nur im Deutschen ‹Aufklärung› heißt, im Englischen und Französischen aber ‹enlightenment› oder ‹siècle de lumiere› genannt wird, also ‹Zeit des Lichts›, der Erleuchtung!» www.freimaurer-loge.de/files/HJP-Lessing.pdf
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