Sprachwu(r)st und Analogkäse

Käse wird mitterweile nicht nur auf der Alm via Edelstahl sündenfrei produziert, sondern auch im tiefen Jammertal der Medien massenhaft geredet. Zwar bin ich mittlerweile an einiges gewohnt, aber dennoch zucke ich immer wieder zusammen, wenn selbst in öffentlich-rechtlichen, also in gewisser Weise sprachlich an klare Standards gebundene Spartenkanälen oder sogenannten Einschaltprogrammen wie denen von Arte, 3Sat, Deutschlandradio Kultur und so weiter Wörter falsch oder zumindest in zweifelhafter Anwendung eingesetzt werden. Das brachte mich vor ein paar Wochen zu der Überlegung, bestimmte Begriffe aus meinem öffentlich geäußerten Wortschatz zu streichen oder nur noch apostrophiert anzuwenden.

Aus figurativer Malerei entwickelte Abstraktion

Kreativ wäre da zu nennen, meist dargeboten als Feld-, Wald- und Wiesenstrauß diffusen Werbe- oder Polit-PR-Geschwurbels, ein Wort, so analog wie das, das ungestraft Käse genannt werden darf (wobei selbst bei «echtem» zur Authentifizierung häufig noch die Kuh mit aufs Bildchen der Plastikverpackung muß, die noch nie Gras gesehen, geschweige denn gefressen hat). Ein weiteres Beispiel, das mir vor ein paar Minuten aus dem Kulturradio kreischend ins Gehör sprang und dort detonierte, ist abstrakt. Es ging, wie anders, um eines der vielen neuen Glaubensbekenntnise, die ihre Mißverständnisse aus den Katechismen des Marktes nähren: dem der bildenden Kunst. Eine Kunstkritikerin belehrte den Einschalthörer eindeutig über den Unterschied zwischen abstrakter und figurativer Kunst.

Aus geometrisch-konstruktivistischer Plastik entstandene zeichnerische Abstraktion (Ausschnitt)

Vor einiger Zeit habe ich hier bereits einmal den Versuch unternommen, auf die Verwaschenheit solcher Begriffsbestimmungen hinzuweisen, die in ihrer Klarheit eigentlich leuchten müßten wie das Weiß von Frau Clementine. Abstrahieren heißt nichts anderes, als das Unwesentliche vom Wesentlichen (oder umgekehrt) zu trennen. Abstraktion bezieht sich folglich nicht alleine auf Geometrie oder Konstruktion, sondern durchaus auch auf Figuration, das gegenständliche Bild, beispielsweise auch auf das von Herrn Rauch.

Es ging um diesen von mir bekanntermaßen nicht übermäßig geschätzten Hochpreisungsmaler. Der äußerte, als er noch im Dienst, also noch Lehrer oder, meinetwegen, Professor an einer Hochschule war, sich mal insofern besonders fachmännisch über einen Bereich, der, lies oben, gemeinhin der Abstraktion zugeordnet wird, der konkreten Kunst. Eines ihrer Bilder, meinte dieser qualmvoll nebulöse Neonarrativist auch noch, sei wesentlich schneller zu malen als eines aus der Gattung Realität. Darauf erteilte Wieland Schmied ihm in einem Branchenblatt gewohnt höflich, aber auch bestimmt und fachlich Nachilfe.
«Eines bedenkt Neo Rauch nicht: Ein abstraktes Bild (nicht unbedingt geometrisch-konstruktiv, nicht unbedingt Hard Edge) mag zwar als solches schneller ‹ausgeführt› sein als ein realistisches, das viele Details und kunsthistorische Anspielungen enthält, die penibel gemalt sein wollen. Aber die ‹Vorbereitungszeit› ist viel länger. Damit meine ich nicht, dass etwa Sam Francis stundenlang vor einem Bild, einer Leinwand, einem Lithostein unbewegt verharren, meditieren, ‹sich sammeln› konnte — um das Bild dann konzentriert in großer Geschwindigkeit zu realisieren. Damit meine ich vielmehr das langsame, lange Zeit währende Suchen nach dem ‹inneren Bild›, zum Beispiel bei Ad Reinhardt, Josef Albers, Barnett Newman, aber auch bei Mark Rothko. Dazu eine Anekdote: Eines Tages kam ein Besucher (ein möglicher Käufer) zu Mark Rothko ins Atelier, sah eines seiner ‹wolkigen› Bilder, eine rote oder violette Fläche mit unscharfen Rändern über einer orangenen oder dunkelblauen oder schwarzen Fläche als ‹Grund›, und fragte: ‹Sagen Sie mal ehrlich, Meister, wie lange haben Sie dafür gebraucht?› Mark Rothko überlegte einen Moment, dann sagte er: ‹Genau 58 Jahre›».
Die fünf Minuten sind um. Jetzt muß ich die Beine wieder hochlegen.
Beispielbildchen: Romain Finke und Robert Jacobsen (auch Jakobsen), beide Privatbesitz; Photographien: © Jean Stubenzweig
 
Mi, 03.08.2011 |  link | (3868) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca



 

Die Angst des Tormanns vor zu vielen schwatten Perlen

Die aktuellen Ereignisse, die mich — die Gründe dafür muß ich noch abklären in mir — mehr erschüttern als vor rund zehn Jahren die in New York, werfen in meiner immerwährenden Magmaküche einmal mehr gewaltige Fragebrocken aus. Da bringt ein Mensch nach akribischer Vorbereitung andere Menschen um und nennt als Anlaß die Verteidigung der Welt vor ihrer Durchmischung. So lange ist das noch nicht her, daß das Durchrassung genannt wurde. Und bei Norwegen fällt mir ein, daß es dort Filialen gab, wo das Germanische (rück-)gezüchtet werden sollte, was es nach unserer Zeitrechnung bereits seit fast zwei Jahrtausenden nicht gab, nicht (mehr) geben konnte, weil das, was in der vereinfachten Bezeichnung je nach Region oder Vorkommnis Barbaren (ganz unten) oder Vandalen genannt wird und dabei eine Vielfalt an Völkern aufwies, längst ein anderes sogenanntes reines Volk aufzumischen begonnen hatte, das selbst längst von allen möglichen Mitbringseln aus dem Osten und dem Kontinent im Süden durchsetzt war, wo die Herren aus Rom nicht nur üble Kriege trieben, sondern auch ordentlich Liebe machten; wie das im linksrheinischen Abkömmling dieser Zivilisationsbringer genannt wird.

Liebe machen. Liebet und vermehret euch fröhlich miteinander. Ob's daran liegt? Alleine bei dem Gedanken daran, daß bei den einen solches Denken überhaupt nicht aufkommen soll und es deshalb gar keine Vorhänge gibt, während die anderen zumindest den weiblichen Part dieser vermutlich zu friedlichen, mehr oder minder lustvollen Maßnahme zur Lebenserheiterung vollständig zugehängt wissen wollen, wirft bei mir die Sirenen wegen der nahenden Scylla und Charybdis an. Pest und Cholera wirft die Assoziationsmaschine noch aus bei dieser anderen Bezeichnung für diese Ängste vor dem Fremden, vor der multikulturellen Gesellschaft.

Mehr als seltsam berührt mich dabei, wie zunehmend ausgeprägt die sich zeigen in letzter Zeit vor allem in skandinavischen Ländern. Wie ich's auch drehe und wende, ich lande immer beim Wissen um die überwiegend protestantische Kultur, die das Leben dort fest im Griff hat, spätestens seit auch diese Christen zu ihren barbarischen Kreuzzügen aufbrachen. Da ich einige Zeit meiner Kindheit und frühen Jugend dort verbrachte, meine ich zu wissen, wovon ich rede. Zwar umfing mich seinerzeit noch nicht unbedingt derartiges philosophisches Gewölk, aber da ich es noch eine Zeitlang als meine Heimat betrachtete, kehrte ich nach meinem Umzug ins zentralere Europa viele Jahre lang immer wieder dorthin zurück und sammelte weiterhin Erfahrungen und Erkenntnisse, die weit über die Grenzen des nordöstlichen Landes hinausgingen, in dem ich zuletzt bis zum Ende der Schule zuhause war. Vor allem in Schweden und Dänemark fiel mir immer wieder diese teilweise gnadenlose Gleichmacherei auf, die manchen zwar sympathisch sein mag, bei mir aber doch erhebliche Probleme aufwarf und -wirft. Eingebracht sei die aus der französischen Revolution stammende und immer wieder als Argument angeführte Égalité, die jedoch nichts anderes meint als die Gleichheit vor dem Gesetz. In Skandinavien aber lautet das Gesetz: Wer sich unterscheidet von dem, das allgemein gültig ist, muß mit Ausgrenzung aus der vereinheitlichten Masse rechnen. Der Andersdenkende darf ja noch sein, weil der Gedanke an sich sich einbilden darf, frei zu sein in seinem Kopfgefängnis. Wer aber seinem Denken gemäß handelt, der wird sich erheblich schwerer tun, als ein aus einem islamischen gottesnahen Staat die dortige Freiheit Suchender sich das in den Anfängen auch nur vorstellen kann. Alles ist eben relativ. Wer vorher keine Individualität leben durfte, dem dürfte die sanfte demokratische Vermassung nicht weiter auf- oder gar als Denk- beziehungsweise Handelshemmnis ins Gewicht fallen.

Über Norwegen weiß ich recht wenig. Da mir auch dieses skandinavische Land und seine Leute immer sympathisch waren, hatte ich es ebenfalls im Blickfeld. Zu einer fundierteren Meinung reichen zwei Grenzübertritte ganz oben im Norden nicht aus, aber ich gehe davon aus, daß es sich in seiner Mentalitätsstruktur von seinen Nachbarländern kaum unterscheidet. Verstärkt wird das durch Einblicke aufgrund der aktuellen Vorkommnisse. Wie in den Nachbarländern haben auch dort sich national nennende Kräfte verstärkt breitgemacht und nehmen zusehends mehr politischen Einfluß.

Finnland nehme ich insofern ein wenig aus, da es innerhalb Skandinaviens immer eine eigenständigere Rolle gespielt hat, was auch in seiner anderswo wurzelnden Mythologie, einer sich daraus ergebenden kulturellen Entwicklung begründet sein dürfte; bereits sprachlich unterscheidet es sich durch seine Zugehörigkeit zum Finno-Ugrischen völlig. Zwar bin ich nicht mehr auf dem laufenden — seit der Wiederentdeckung meiner französischen Wurzeln vor etwa zwanzig Jahren drücke ich der Eishockeymannschaft von Suomi nicht mehr ganz so fest die Daumen —, aber ich gehe davon aus, daß die dortigen rechtslastigen Strömungen auf eine zunehmende Skandinavisierung oder auch Anlehnung an Schweden (der westliche Teil des Landes ist zweisprachig ausgeschildert, und ich hatte beispielsweise eine finnische Freundin, der die Landessprache nur in Brocken über die Lippen kam) zurückzuführen sind, die wiederum mit der Vereinigung Europas zusammenhängen dürften.

Nun gehört Norwegen nicht zu Europa, jedenfalls nicht in dieser politischen Form, die den einen als (geld-)segensreich und den anderen als Teufelswerk gilt. Dennoch hat es einer als potentielle Hölle ausgemacht, die präventiv und im Namen eines anders alleingültigen Gottes ausgelöscht gehört. All diesen Kriegern gemeinsam ist die Furcht vor dem Fremden. Ob sie sich nun im Namen eines islamischen oder eines christlichen Gottes auf den Kriegspfad begeben, es interessiert sie nicht, daß keiner der Pressesprecher dieser Herren da oben je verkündet hätte, man habe den Andersdenkenden umzubringen. Aber vielleicht wissen sie es auch nicht — und das, obwohl sie in der Lage sind, hunderte an Seiten ihrer Glaubensbekenntnisse zu formulieren und zu publizieren —, zum Beispiel, daß es eine Zeit gab, in der die Christen, die Juden und die Mauren friedlich zusammenlebten und das eine ums andere Mal ein bißchen Liebe machten, wodurch auch zu dieser Zeit zu einer gewissen Heterogenität beigetragen wurde. Aber so ist das eben, wenn man das wohlig warme Spanien nur kennt, weil man der ewigen Dunkelheit des Nordens wegen für zwei Wochen an die Sonnenbratstationen flieht und keine Zeit hat, im Landesinneren das Positive der Geschichte zu sehen.

Daß solche Strömungen ausgerechnet in solchen lupenreinen protestantischen Demokratien der Egalisierten mit Sehnsuchtshang zu monarchisch Erhöhtem verstärkt vorkommen, muß ich erst noch ein wenig in mir setzen lassen. Aber das da oben mußte jetzt erstmal raus, es hat mich zu arg gezwackt.

Gerne verweise als Nachtrag auf den Beitrag von Ulfur Grai in dessen Fahrtenbuch.
 
Mo, 25.07.2011 |  link | (4437) | 19 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Ach, immer diese Sterneköche

Wollen wir sie nicht, bester Jagothello, wie im Journalismus, Qualitäts- oder, meinetwegen, Spitzenköche nennen? Gut, abgegriffen ist das alles — wie meine Michelin-Straßenkarten, die ich ihrer Qualität wegen in Stapeln besitze wie andere, die das Kochen nur aus dem Fernsehen kennen, Kochbücher und auf die ich nach wie vor setze und sie wie feinstes Handwerkszeug auch weiterhin lustvoll erstehe, solange es sie noch gibt, schon alleine wegen des haptischen Erlebnisses, das mir kein Navigationsgerät liefern kann und deren Firmenname schließlich für den Sternenhimmel steht, der uns von den Bildschirmen überwiegend der Deutschen entgegenleuchtet, die's ja ansonsten in der breiten Masse spätestens seit Moltke mit den Froschfressern nicht so haben, da hinterlassen auch Nicolas' viele Bises auf Angelas Wänglein keine genüßlichen Speichelfäden.

Der gute Koch also, ob besternt oder bekochmützt oder einfach nur durch Gästelob ausgezeichnet, stützt sich zunächst aufs traditionelle Handwerk; die glücklicherweise sich offensichtlich langsam durchsetzende «Mode» regionale Küche gehört dazu. José Bové und die Conféderation paysanne fordern das seit längerer Zeit, um dieser Malbouffe-Industrie die Grundmauern zumindest zu rammen. Bestandteil dieser Küchen sind die holzbeheizten Herde. Da muß man zu keinem dieser sich Künstler nennenden Zauberer in die Bude, denn auch die Köchin in der Auvergne oder im tiefen Oberbayern kocht mit Holz. Der alte Vert oder dessen Nachbar, der Lozère-Boche, die stapeln diese Kochingredienz bis heute fein säuberlich sortiert hinterm Haus. Im Rahmen meiner Schnellausbildung wurde mir darüber mal ein ausführlicher Vortrag gehalten: Sogar bestimmte Holzsorten würden bevorzugt, und die müßten auch noch abgelagert sein wie gutes Fleisch. Bestätigt hat das in einem kürzlich gesehenen schmackhaften Film über Schweinsbraten eine niederbayerische Metzgersgattin, die beiläufig über die Qualitätsverbesserung ihrer verschiedenen Braten und Wammerl im Herd oder der Räucherkammer durch Holzbefeuerung sprach. Zu Zeiten, als ich gerne und öfter in dieser Gegend bis in die tiefe Oberpfalz unterwegs war und mit Lust in dortigen Gasthöfen genoß, standen alle Köchinnen am Holzherd. Auch die Randkielerin Frau Braggelmann gerät ins Schwärmen, wenn sie von ihrer Kindheit erzählt, in der nur mit Holz gebraten und gekocht wurde; sie hat sich sogar später für ihre Tätigkeit als kinderbekochende Geschmacksbilderin die von ihr Hexe genannte Miniaturausgabe eines solchen Holzherdes zugelegt.


Und nun verkauft uns die Sterne vom Himmel runterkochende PR-Industrie des passiven Fernsehkochens das als die Erfindung des Feuers. Es sollen sogar bereits Herde namens Prometheus angeboten werden, in denen Ceranfelder mit holzbeheizten Back- und Bratröhren kombiniert werden. Die einen nennen's Kultur, die anderen Zivilisation.
 
So, 24.07.2011 |  link | (2687) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache



 







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