Bild und Nachbild

Original und Urheber

Ein Kunsthändler erzählte mir gestern von seiner fünfundzwanzigjährigen Mitarbeiterin, die nach ihrem Abschluß des Studiums der Kunstgeschichte seit etwa einem halben Jahr seinen früher fast ausnahmslos den Auflagen, der Idee Kunst-für-alle gewidmeten, aber seit einiger Zeit auch mit (immer noch erschwinglichen) Originalen etwa von Beuys, Polke et cetera handelnden lustigen Laden hütet. Der Galerist der Sandwich-Generation, der nach den 7000 Eichen, bei denen er dem Schöpfer des anderen Kunstbegriffs zur Hand gegangen und anschließend von Kassel in die Hamburger Admiralitätsstraße umgezogen war, beschrieb die junge Historikerin der bildenden Artistik als jemanden, deren Interessen in der Zukunnft lägen, also an dem, was an Ereignissen käme. Künstler, deren wirkungsvolles Schaffen etwa bis zu dreißig Jahren zurückläge, die also nicht mehr unbedingt von Schlaglichtern des aktuellen Marktrummels mehr erhellt würden, seien ihr so gut wie nicht bekannt. Der gerne tiefer in die Furchen kultureller Landbestellung Blickende äußerte sich nicht negativ oder gar abfällig über seine einzig im und für das Hier und Jetzt lebende wissenschaftliche Hilfskraft, sondern in seiner gewohnten Art eher gelassen bis schulterzuckend: Das sei es, was heutzutage an den Universitäten gelehrt werde. Mit leicht traurigem Blick erinnerte er dennoch an die fortschrittliche Unruhe, die beispielsweise der Gesamthochschule des nordhessischen Oberzentrums auch außerhalb der heute überwiegenden Klientel der Kunstkucker einen international gehörten Ruf einbrachte, weil dort in Zusammenhängen beziehungsweise nach der Erkenntnis gedacht wurde, nach der es keine Zukunft ohne Vergangenheit geben kann.

Mir nötigte das einen Rückblick auf an Geschehnisse im Münchner Kunstverein, dessen Ende der achtziger Jahre wegen seines Rufs als Erneuerer aus Brüssel geholter künstlerischer Leiter eine Ausstellung über Informel und die Situationistische Internationale vorbereitete, aber den Namen eines der Mitbegründer der deutschen Sektion dieser Gruppierung nicht einmal kannte. Es mag daran gelegen haben, daß der Maler, um den es sich handelte, ohnehin als Essayist bekannter war und als dieser mit messerscharfem Federkiel Tendenzen des Luxus und der Moden zerlegte, sich einer gegen den Zeitgeist gerichteten Figuration zugewandt hatte, die während dieser Phase der Kunstgeschichtsschreibung auch von einschlägigen Medien ignoriert worden war, die sich zu dieser Zeit ohnehin auf die Synonymisierung von Kunst und Markt einzupendeln begonnen hatte. Mitte der Achtziger war an einigen deutschen Kunsthochschulen für Zweitsemester die Einführung in den artgerechten Umgang mit dem Handel eingeführt worden.

Wenn also die sich seit einiger Zeit auch gerne Wissenschaft nennende retrospektive Bildbetrachtung den Blick nur noch nach vorn richtet, weil mit der Vergangenheit offenbar kein ruhmverheißendes güldenes Kalb ins Regal der eigenen Biographie zu stellen ist, wer kann denn dann noch Zusammenhänge erkennen? So erscheint es zwingend logisch, daß selbst der nicht als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingekaufte jungdynamische Mann der Urheberschaft keinerlei Bedeutung mehr zukommen lassen kann. Das Original verschwiemelt in der virtuellen Darstellung und löst sich auf in einer breiigen Masse namens Kopie. Längst ist Authentizität zum Synonym für gestaltliche Echtheit verkommen. Wer Denglish oder Germslang zur Lingua Franca einer internationalen Gemeinschaft erklärt, ohne über eine eigene sprachliche Ressource zu verfügen, der kann nicht verstehen, daß mit dem Schlagwort Globalisierung nichts als augenwischende Schön- oder besser Falschrederei betrieben wird, in der es alleine um die ganz hoch gehaltene Fahne des Wirtschaftswachstums geht und nicht etwa um den Austausch von Wissen oder auch die gemütlich-freundliche Plauderei zwischen Menschen aller möglichen Länder beziehungsweise Regionen. Ein Original wird nur erkennen, wer der eigenen Identität sicher ist und dem nur deshalb der Unterschied zur anderen klar und deutlich werden kann. Der internationale Konsumklimaindex taugt dabei eher weniger als Leitfaden. Wer als junge Kunstgeschichtlerin die historische Rückblickskala mit dem Marktührer Gerhard Richter abschließt, die darf sich nicht wundern, wenn der Mädchentraum Direktorin eines Museums nicht einmal im Kunstverein Tripstrill an der Heide Wirklichkeit werden will. Denn gerade so etwas ist kein Ponyhof, dort werden teilweise ganz alte Gäule mit Bezug zur Geschichte etwa der Region gestriegelt.

Überhaupt habe ich Zweifel daran, ob jemand, der als historischer Kunstmensch von akademischen Graden die Entwicklung des Bildes nicht penibel erforscht, befähigt sein kann, einen Cayenne von einem Reisbrenner zu unterscheiden. Auch ein Damien Hirst ist nicht fälschungssicher. Da haben selbst altgediente Fachheroen mit weit nach hinten reichendem Horizont schlechte Erfahrungen machen müssen. Sicher, niemand ist dagegen gefeit, Fälschungen aufzusitzen. Aber das Risiko reduziert sich mit dem Maß umfangreicher Studien. Wer aber nur noch Nachbildungen anschaut, der wird irgendwann die Kopie für das Original oder dasselbe gar nicht mehr für schützenswert halten. Reine Oberflächenbetrachtung läßt keinen Blick ins Innere zu. Wer vor lauter Shoppen nicht mehr zum Einkaufen kommt, dem fällt geschmacklich der Unterschied zwischen Produktionen der weltweit agierenden Aromaindustrie und der nach Kriterien des Börsengewinns einkaufenden Konzerne, zwischen dem analog genannten (Nicht-)Käse und einem auch nach Napoleon noch köstlichen, vermutlich wegen seines hohen Fett- und Bakteriengehaltes sowie der krankmachenden Rohmilch von den EUropäischen Gesundheitsnormierern am liebsten verbannten Fleur du maquis oder überhaupt eines AOC-Produkts nicht mehr auf. Ist doch sowieso Alles Käse. Wie eine Rose nunmal eine Rose, also ein Bild ein Bild ist.

Ein solches Bewußtsein läßt sich im übrigen leicht auch ohne Internet herstellen. Ein von mir sehr geschätzter und recht bekannter Maler des Informel ohne sonderlichen Verkaufstrieb wurde deshalb von seiner Ehefrau insofern beklaut, als sie viele seiner Gemälde kopieren ließ und damit reichlich Reibach machte. Als diese Geschäftspraxis aufflog, ließ das logischerweise die früher beachtlichen Marktwerte im Keller verschwinden wie gleichermaßen einst das für rund achtzig Millionen Dollar ersteigerte Portrait im katakombischen eines japanischen Papierherstellers oder die durch eine Kunstankaufskommission gesetzespflichterworbene Politplastik im Totbewahrdepot eines Landeshauptstadtmuseums. Aber ihm war das irgendwie egal, bei ihm war das sozusagen wertfrei, immer schon, da hatte die wertlose Liebe sich verspekuliert. Er wollte nämlich immer nur eines: Kunst machen.
 
Fr, 26.08.2011 |  link | (3102) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges



 

Mehr- oder Minderheitenprogramme

Nicht so in die breite Masse Gehendes hat bei mir einen seit jungen Jahren festgefügten Vertrauensvorschuß. Wer meine tagebuchähnlichen, zweifellos ohnehin eher nach innen gerichteten, deshalb wohl im Getöse der Chöre eines Gotthilf Fischer oder anderer völkisch-vaterländisch gewandeten Gesangsbewegungen wie den estnischen immerfort im internetten Hyde-Park als dünnes Baritönchen kaum noch wahrgenommenen Verlautbarungen etwas regelmäßiger verfolgt, kennt meine Abneigungen gegen breitensportliche Veranstaltungen. Ich empfinde am Rand der Zechenvororte maulwurfshügelumdribbelnde Ruhrpott-Rastellis als weitaus unterhaltsamer denn sich gen auf Schalke zusammenrottende Heerscharen. Die sich aus der Improvisation ergebende Zertrümmerung eines edlen Sponsorenflügels im musikalischen Keller eines Museums oder die von unseren Familienbarden in der guten Stube vorgetragenen leicht schmuddeligen Balladen entzücken mich eher, als das das bislang einzige von mir erlebte Rockkonzert im Köln der Achtziger, bei dem die berüchtigten rollenden Steine die hochhaushohen Verstärker zum Ertösen brachten und die abmarschierenden Massen zum postkonzertanten Pöbeln. So etwas wie Wacken schaue ich mir lieber als Dokumentation innerhalb sogenannter Einschaltprogramme an, Dabeisein ist eben nicht alles, nachvollziehen konnte ich das ohnehin nie, weshalb ich bei seiner Einzigartigkeit beließ. Diese Radio- und Fernsehprogramme mit Tendenz zu spätnächtlichen Filmen über die kulturellen Inhaltsstoffe des innermongolischen Buttertees haben überdies den Vorteil, nicht von an Werbebannern grell aufblitzenden Desinformationen durch Konzerne überblendet zu werden.

Solch ein Minderheitenkanal machte mich vor ein paar Tagen auf einen Aspekt gesellschaftlicher Repressalien aufmerksam, dessen teilweise absonderliche Summe mir zwar im wesentlichen bekannt war, im Detail allerdings erstmals zumindest eine Teilantwort auf die Frage lieferte, weshalb Meldungen wie die über den Auftritt eines bayerischen Katholiken im spanischen Madrid vor gerademal hunderttausend glücksseligen Jugendlichen permanent wiederholt und auch zwischendrin noch als laufende Botschaft des Bildschirmunterrandes verkündet werden. In dieser Sendung thematisierte Pietro Scanzano zwar hauptsächlich Die teure Trennung von Staat und Kirche, doch zwangsläufig konnte dabei nicht unerwähnt bleiben, daß bei, je nach Perspektive, zunehmender oder abnehmender Tendenz rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung keiner Kirche angehört und gar sechzig Prozent nicht an deren Ritualen teilnehmen. Dennoch werden alltäglich und im besonderen an Sonntagen öffentlich-rechtlich aus allen verfügbaren Senderohren Verkündigungsrituale abgefeuert. Der Autor führt es auf die Ängste der Politiker zurück, diese wohl allzu fundamentale Thematik anzugehen, obwohl «zahlreiche Gesetze, die Privilegien und Förderungen zugunsten der Kirchen enthalten», die «nach Meinung von kritischen Religionsverfassungsrechtlern mit dem Geist des Grundgesetzes nicht vereinbar» sind. So legen innerhalb der sich in letzter Zeit häufenden Ministervereidigungen mittlerweile wieder alle eine Hand auf ein sogenanntes Buch der Bücher und heben die andere hoch zum mir nur schwierig zu vermittelnden Gruß an einen Himmelsführer, verbunden mit dem geäußerten Glauben, er werde ihnen schon irgendwie helfen bei der Wahrheit.

Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings eine parallele Entwicklung neuer, sektenartiger Gemeinschaften mit gleichermaßen dem Glauben gewidmeten Charakter. Es handelt sich dabei um jene, die im Zug nicht ganz glaubwürdiger Sakrilegierungen von einst himmlisch güldenen Kathedralen in irdisch glasstählerne Paläste von denen haben errichten lassen, über die der Dichter mal fragend lyrisierte, ob es letztlich nicht sie waren, die für hundsmiserable Löhne eigentlich gearbeitet hätten. Auch von deren Botschaften werden wir, denen wir ebenso mit Skepsis gegenüberstehen, alltäglich und von früh bis abends zugedichtet. Dabei stellt sich nicht einmal die marginale Frage nach Zu- oder Abnahme von Mitgliederzahlen solcher Gemeinden, denn die dürften konstant gering sein. Wie bei den zur Zeit zwischen Wert, Wirklichkeit und Wahrheit schwankenden Börsendaten werden mal zehn, mal zwanzig Prozent der Bevölkerung notiert, denen deren Gesamtvermögen gehöre. Dennoch nehmen, gleich den sonntäglichen Gottesdiensten sowie den alltäglichen Glaubenmitteilungen auf sämtlichen Kanälen, die Heils- oder Unheilsverkündigungen einen überproportialen öffentlich-rechtlichen Senderaum ein.

So stellt sich zumindest mir die Frage, ob bei dieser vor etwa fünfzehn Jahren von einem Tatort-Kommissar propagierten Maßnahme der Umwandlung des Volkswagens zur Volksaktie eingeführten Programmgestaltung im Zug des Gesinnungswandels letztendlich nicht eine neue Volksreligion eingeführt werden soll, von denen die wenigsten profitieren, aber alle daran glauben.

Möge ihnen der da oben bei ihrer Wahrheitsfindung helfen. Aber unter Minderheitenprogramm verstehe ich etwas anderes.
 
Sa, 20.08.2011 |  link | (3516) | 13 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unglaubliches



 

Wahrheit und Wirklichkeit, Synonyme für falsch und richtig?

Erinnert sich noch jemand an Konrad Kujau? Nein, das war und ist kein Pseudonym oder in internettem Neudeutsch ein Nickname. Um eine Falschmeldung handelt es sich auch nicht. Aber mit Falschheit hat es eine Menge zu tun. Wobei allerdings zunächst einmal geklärt werden müßte, was das wiederum bedeutet. Wäre die Gegenposition Richtheit? Das klingt wiederum eher nach einem technischen Meßwert. Dabei sind Maß und Wert in der Kultur gar nicht einmal so weit entfernt von der Moral, die dabei in der Regel praktiziert wird: gut und böse, falsch und richtig. Alles andere entspricht nicht der Norm, die dem Menschen an sich das Wohnzimmersofa oder die Abenteuer verheisende Klettersteilwand in der aufgelassenen Zeche oder der sinnentleerten Kirche gleichermaßen Sicherheit bieten. «Die Wahrheit», so erklärte es mir mal ein Kunsthistoriker, der aus der Präzisionsfestung Mathematik und Physik auf dieses glücklich machende Eiland ohne festgemauerte Urteilswälle geflüchtet war, «ist immer die Erfindung eines Lügners.»

Konrad Kujau war einer, der einsitzen mußte, weil er nach Meinung der Behörde für Echtheitsnorm zu lax mit der Wirklichkeit umging. Die sogenannte Realität war in der Illustrierten Stern abgedruckt, damals so eine Art liberales Bild(ungs)blatt für Intellektualisierungswillige des dritten Volkshochschulweges, und ihretwegen stand ein Land Kopf, weil es wohl in weiten Teilen meinte, endlich wieder zur Wahrheit zurückgekehrt zu sein. Die Sehnsucht nach starker politischer Führung und deren Wertemaßstab schien nämlich ungebrochen. Hinzu war der Wert Geld gekommen, der sich gerade aufmachte, sich wieder über alles zu schwingen. Man schrieb die achtziger Jahre. Mein Haus, mein Auto, mein Boot befand sich in dem Maß im Aufschwung, in dem die wahre Kunst von dem Sportgerät runtergekracht war, an dem sie eine Zeitlang Klimmzüge gemacht hatte, um ihre Werte zu demonstrieren. Aber das waren ohnehin Übungen gewesen, die von einer Allgemeinheit nicht unbedingt als ästhetisch wahrgenommen wurden, die unverbrüchlich in der Schule lernt, daß das Ästhetische als solches schön zu sein hat, nach jener Gesellschaftslehre, die sich auch in der technischen Hochmoderne nicht vom Idealbild des 19. Jahrhundert verabschieden wollte, das die Schönheit der Einfachheit halber der Einfaltigkeit überließ.

Geht es jedoch ums Geld, handelt eben dieser sich im Geist des Genormten eigentlich sicherer und damit wohler fühlende Bürger häufig völlig entgegengesetzt dessen, was er als Vernunft zu verstehen gelernt hat. Der oben erwähnte kunsthistorische Robinson, dessen Freitag ich eine Zeitlang gerne war, definierte mir gegenüber diesen Inbegriff der gesellschaftlichen Mitte einmal lebensnah: «Das durch Eliten Verordnete bleibt immer eine Herausforderung an diejenigen, die sich danach richten müssen. Um diese augenfällige Kluft semantisch etwas zu mildern, gibt es seit der Französischen Revolution einen politischen Begriffswechsel, der aus dem Untertan den Bürger erfindet und damit zunächst den aufgeklärten, nichtaristokratischen Städter meint. Aber auch diese Beschönigung von Ohnmacht konnte — wie wir wissen — das implantierte Mißtrauen zwischen Oben und Unten nicht ausräumen.» Diesem in der Aufklärung unruhig Schlafwandelnden also geht hin und wieder ein Licht auf, das seine Glückvorstellung quadriert. Zum Haus, zum Boot und zum Automobil erscheint ihm ein gänzlich unbekannter Stern. Er schlafwandelt sich zum Tanz hinauf auf ein in den Himmel gespanntes Seil, das im völligen Dunkel irgendwo in der Nacht hängt und zudem weitab entfernt ist vom untergespannten Netz der Mündelsicherheit seiner Bundesanleihen und Schatzbriefe. Seine Erfahrung mit Glücksspiel beschränkt sich in der Regel auf ein sporadisches Münzbestücken der Automaten, die neben dem Wochenendstammtisch seines Outdoor und Wander e. V. an der Wand hängen wie Naturnachbildungen, aus denen er sein Kunstverständnis bezieht.

Sammeln täte er nämlich jetzt, erwähnte der mich beratende und über Geldwertigkeit des scheinbar Immateriellen promovierte Steuerfachanwalt, der ausnahmsweise einmal Rat suchte bei mir, von dem er wußte, daß ich primär mit dem beschäftigt bin, das sich so genau nicht festlegen läßt. Ein Kunstwerk habe man ihm angeboten, das sei so günstig im Preis gewesen, da habe er unbedingt zuschlagen müssen. Einen Janssen habe er sich gekauft, und was läge näher für ihn als, hehe, hamburgischer Pfeffersack, sich eine dieser wunderschönen Nachbildungen von Natur zuzulegen, die sogar, wovon er sich kürzlich überzeugt habe, in der hiesigen Kunsthalle ausgestellt seien. Seit einiger Zeit schon habe er Überlegungen angestellt, sich diesem seit längerem bestehenden Trend anzuschließen, nach dem in diesen Geschäftsbereichen mittlerweile soviel Geld verdient würde wie auf den Flohmärkten mit Zahngold. Wohin das geführt habe, sei ja hinlänglich bekannt. Besonders beeindruckt habe ihn die Meldung, daß die kriminelle Energie des Kunstdiebstahls in Museen längst in die Gewinne mit anderen Drogen hineinreiche. Das seien schließlich Werte, mit denen man endlich etwas anfangen könne: die Aktie an der Wand. Zugestandenermaßen läge sein Versuch als Aktionär bereits eine Weile zurück und sei auch nicht sonderlich erfolgreich gewesen seinerzeit, als dieser Schauspieler die Papiere dieses großen deutschen Telephonkonzerns angepriesen habe. Aber der sei schließlich aus der kommunistischen Ostzone gekommen, wo man ja erwiesenermaßen nicht mit Geld umzugehen gelernt habe, was schließlich in die Insolvenz führte. Nun aber sei er fest entschlossen, an den Vertrauen erweckenden Gewinnen des Kunstmarktes zu partizipieren. Seinen gerade reifegeprüften Sohn habe er auch schon inspiriert. Der habe, ganz der, hehe, von Haushaltsdisziplin geprägte Vater, vom ersparten Taschengeld für dreihundert Euro übers Internet ein von einem Maler namens Richter signiertes Ausstellungsplakat erstanden. Dieser auch noch lebende Künstler soll ja nach Auskunft seiner seriösen Tageszeitung Hamburger Abendblatt derjenige sein, der weltweit auf Auktionen und in Galerien die höchsten Preise erziele. Das sage schließlich alles über dessen Wert aus. Und sicherlich könne ich ihm nicht nur darüber etwas mehr über seinen Erwerb, sondern auch über den seines Sprößlings sagen.

Der Meister selbst äußerte sich dazu Anfang der Achtziger, als die Artistik dabei war, sich endgültig aufs Drahtseil der materiellen Bewertung zu begeben:
«Ah — ihr Leutchen denkt, 'ne Zeichnung zum Beispiel sei Luxus? Das ist ein Pelzmantel auch. Ich würde mir schon zutrauen, Echt-Krokodil von I. G. Farben der Frau Feudel anzudrehen. Äh, äh — die Banausen, die hier in Rede stehen, WISSEN nämlich in Wahrheit, daß unter meiner Flagge derzeit mehr Fälschungen als Zeichnungen von meiner Pfote in Umlauf sind. Und solche sind gut zu erkennen: Sie sind in der Regel doppelt so groß wie die Originale. Für mich ist es eher komisch als ärgerlich, denn der Verkauf von Zeichnungen ist mein Geringstes, zumal ich gut + gern die Hälfte verschenke. Und wovon ich lebe, geht Euch Leutchen einen Pfiff an.

Ein Beispiel.
Ich verkaufe L. in Hamburg ein 35 cm x 25 cm großes Blumenstilleben für 700 Mark. («November»-Buch: «Mit Fasanenfeder».) Ein Herr S. «erwirbt» in München diese Zeichnung für 24.000 Mark — nur mißt die Zeichnung jetzt 60 x 40 cm. Besagter S. trifft zufällig mit seiner Beute am gleichen Tag in einer kleinen Gesellschaft auf meinen Freund T. und erzählt dem von seinem «Fang». T. läßt den S. sich auseuphorieren und sagt dann: «Wie schön, wie schön — nur das Original habe ich.» Gleich am nächsten Tag bringt S. seinen Janssen wieder in Umlauf und ruft den T. fröhlich an mit der Mitteilung, er hätte 1,5 Gewinn gemacht. Vor ein paar Tagen kam das Ding nun auf meinen Arbeitstisch. Eine Hamburger Galerie war inzwischen gegen 14.000 Mark der unglückliche Eigentümer geworden. Der Experte F. hatte das Unglück offenbar gemacht und nun wollte die Galerie von mir eine Negativ-Expertise. Hattse gekriegt. Wo das Ding heut ist, weiß ich nicht. Bis auf einige vergilbte Kleeblätter in dem Strauß war die Chose gar nicht mal so schlecht ...»
Auszug aus: Kurzschrift 3.2000, S. 23–28; mit Dank an Lamme Janssen für die freundliche Genehmigung; Erstdruck in: Konkret, Heft 8, August 1982, Seiten 68–71

Auch Joseph Beuys hat gerne viel verschenkt oder zumindest preiswert, um den nach Unwert klingenden Begriff billig zu vermeiden, abgegeben; ein guter Bekannter von mir, der die Zeichnungen dieses Kunstumwerters tatsächlich überaus schätzte, kam deshalb zu einem dicken Beuys-Paket. Der niederrheinische Streiter gegen die Kunstmarktkunst wollte die ohne Markt, nicht nur seine, unter die Menschen bringen. Deshalb schuf er auch Arbeiten, die in relativ hoher Auflage oder gar ohne Begrenzung unter die Menschheit sollten, beispielsweise eine Holzbox, die der Remscheider Vice-Verlag grob geschätzt drei bis fünf Dutzend mal für jeweils um die fünfzig Mark verkaufte. Kaum war der alte Hase in die ewigen Kunstgründe verabschiedet worden, schaffte es ein wertbewußter Eigentümer eines dieser Holzkästchen, selbiges in einer überseeischen Aukion im Erfinderland von Alles ist machbar zu plazieren und über sechzigtausend Mark dafür zu kassieren. Aber darum geht es schließlich gar nicht. Es geht um falsch oder richtig, also, ob solch eine Aktie an der Wand auch den Geldwert hat, den beispielsweise ein Steuerberater auf Abwegen dafür bezahlt hat.

Das mit Janssen ist bereits ein Weilchen her. Aber vor nicht allzu langer Zeit hat es nicht nur eines der renommiertesten Kunsthäuser fast unter Tage gebracht, dem eine ganze «Sammlung» anvertraut worden war, sondern gleich noch einen der gewichtigsten Fachleute, die die globaleuropäische Montanunion der bildenden Moderne hervorgebracht hat, gewaltig in die Bredouille. Wie bei den oben erwähnten Diebstählen aus Museen war auch hierbei von hoher «krimineller Energie» zu lesen, zum Beispiel in Die Zeit vom 22. Dezember 2010.

Ich werde also meinem Berater nicht beratend zur Seite stehen können, da mich Bewertungen dieser Art überfordern. Ich ziehe mich deshalb als Freitag diskret hinter meinen oben bereits zitierten Herrn Robinson zurück, der sich auf der Insel eines Klosters anläßlich einer Vortragsreihe mit einigen abgeschiedenen Gedanken zu Wort gemeldet hat.
«Die Medien bedienen die Ebene eines Verschiebebahnhofes von Wirklichkeiten und koppeln an ihre Bilder die scheinbar mittransportierbare Wahrheit und Echtheit. Das ist nicht nur eine Verfälschung der Wirklichkeit in ihrer medialen Transportebene, das ist Fälschung an den Quellen der Wirklichkeit selbst.

Und in der Tatsache, daß es allen Medien in Text, Akustik und Bild gelungen ist, flächendeckend den Eindruck zu erwecken, daß Wahrheit und Wirklichkeit Synonyme sind — in dieser Tatsache steckt der eigentliche Motor für Täuschung und Fälschung.

Denn die Wirklichkeit bleibt immer das, was auf uns Menschen einwirkt. Der Wirklichkeit ist es egal, ob sie wahr oder falsch, gut oder schlecht, echt oder unecht ist. Wird also Wirklichkeit und Wahrheit synonym verstanden, sozusagen ‹Schwarz auf Weiß› geglaubt, ist auch der Wahrheitsbegriff beliebig geworden. So können wir mit Wirklichkeit und Wahrheit endlich relativ — das heißt in erster Linie situativ und launenhaft — umgehen.»
Thema war, wie könnte es anders sein, eine Ausstellung zu Von Dürer bis Dali. Meisterwerke aus der Fälscherwerkstatt Konrad Kujau.
 
Mi, 17.08.2011 |  link | (3932) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Marktgeschrei



 







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