Religiöse oder glaubensfreie Mannwerdung Eigentlich hatte ich nicht vor, mich zu dieser Thematik zu äußern. Nicht immer verspüre ich Neigung, dagegen anzugehen, weil ich bisweilen der fatalistischen Meinung bin, möge doch jeder nach seiner Façon sein Leben lang gefesselt sein. Nun aber bin ich heute in die weibliche Sturmflut, das Wetter und sein Tief, geraten, nicht zuletzt, weil ich deren Winde immer wieder gerne an mir zerren lasse, auf daß sie mich zerzausen. Sie meint unter dem Titel Beschnittenes Menschenrecht: Seit Tagen geht mir die Sache mit der Beschneidung durch den Kopf. Allenthalben ist etwas darüber zu lesen — von Gegnern wie Befürwortern dieser Praktik gleichermaßen, von denen, die die Religionsfreiheit in diesem Land gefährdet sehen und hinter der Kritik (wie üblich) Anti-Islamismus Schrägstrich Antisemitismus wittern ebenso wie von kopflosen Xenophobikern. Wirklich Kluges habe ich dazu noch nicht gelesen. Bis ich mal wieder in der Flohbude vorbeischaute.In diesen Hüpfzirkus schaue ich auch gerne hinein, und so bin ich zu dem Schluß gekommen, dann doch etwas dazu beizutragen. Da ich mich nicht in Kürze fassen kann, schließlich ist das hier keine Telephonzelle bis in die letzten achtziger Jahre des vergangenen Jahrtausends, tue ich das auf meiner Plapperseite, in der nach landläufiger Meinung sich der weibliche Teil meiner Androgynität durchsetzen dürfte. Das Maßgebliche liest sich auf den Seiten der beiden anderen, das ich nur empfehlen kann. Ich will lediglich quasi eine gesellschaftliche Randbegebenheit hinzufügen, die dabei nicht bedacht wurde, die jedoch unterm Strich auf ein gleiches Ergebnis hinauslaufen könnte. Daß es mir nicht gelingen will, mich aufs Wesentliche zu konzentrieren, führe ich der Einfachheit halber auf die Gene zurück. Ich entstamme einem Elternhaus, in dem immerfort geredet wurde. Dabei durfte ich anfangs nur zuhören. Es endete jedoch darin, aus mir einen Schreiberling gemacht zu haben. Ich bin als Kind jüdischer Eltern nicht beschnitten worden. Das mag daran gelegen haben, daß sie sich als sogenannte Kulturjuden gefühlt haben; der Begriff kam erst später auf und bezeichnet Menschen, die nicht oder nicht mehr religiös empfinden beziehungsweise nicht nach den Vorgaben, der Lehre dieses Glaubens leben, aber sich der Geschichte des «auserwählten Volkes» verbunden fühlen. Meine Eltern, voran mein Vater, der einem überaus strengen jüdischen Haus, nenne ich das mal so, nach Palästina quasi entflohen ist, um sich wenigstens innerhalb eines Laufstalls bewegen zu dürfen, wollten mir die Freiheit lassen, mich in fortgeschrittenem Alter selbst zu entscheiden, ob ich mich dieser oder einer anderen Religion hingeben oder der Aufklärung gemäß, in deren Tradition mein liebevoller Erzeuger sich geistig bewegte, die im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung nicht etwa in Frankreich ihre Anfänge nahm, sondern in England und Portugal, aber zur französischen Revolution hin enormen Auftrieb bekam, mich gegen jedes Nichtwissen durch Glauben richten würde. Ich habe mich nicht nur für letzteres entschieden, sondern es in mir gefestigt, indem ich ich via Studium versucht habe, die Gegenbeweisführung anzutreten, in der auch dem Glauben in der Romantik und dem an sie noch ein gerüttelt' Maß zuteil werden sollte. So gesehen hat auch mich eine Religion zum Mann werden lassen. Ob daraus ein richtiger wurde, mag offen bleiben. Ich weiß jedenfalls bis heute nicht, was das ist. Das Thema Beschneidung wurde bei uns dennoch immer wieder mal aufgegriffen, und zwar über seine religiöse Bestimmung hinaus. Mein Vater war der Meinung, sie sei von gesundheitlichem Vorteil, sie schütze vor Erkrankungen im genitalen Bereich, den manch einer bis heute zu seiner Genialität zählt, was sich häufig in einem Überzug namens SUV zeigt und selbst von sogenannt seriösen Medien allüberall immer wieder bestätigt wird (sechzig Prozent der in deutschen Landen neu zugelassenen PKW, entnahm ich gestern dem Buntfunk, gehören diesen Schwellkörpern an). Dabei sollte allerdings berücksichtigt werden, daß vor bald fünfzig Jahren aus der Perspektive eines ziemlich älteren, im vorletzten Jahrhundert geborenen Herrn argumentiert wurde. Denn auch in den frühen Sechzigern, ich war um die zwanzig Jahre jung und mein Vater kurz vor neunzig, als er das letzte Mal das heikle Thema ansprach, dürften Geschlechtskrankheiten wie harter Schanker, auch Franzosenkrankheit genannt, daher wohl im Deutschen der Pariser, der im Französischen ein Capote anglaise ist, gemeinhin auch heute noch unter Syphilis bekannt, oder Gonorrhoe, bei mir als Nebenwirkung Logorrhoe, als sprachlicher, im Konkreten krankhafter Samenfluß nachgewiesen und landläufig sozusagen in aller Munde als Tripper, insofern noch problematisch gewesen sein, als es einige Väter gab, die ihre Söhne zur Liebes- oder Leibeserziehung in den Puff schickten oder gar mitnahmen. Ob das heutzutage noch oder gar wieder gängige Praxis ist, kann ich nicht beurteilen, muß ich jedoch angesichts des allenthalben stattfindenden Sexgewäsches annehmen. Von AIDS war zur angegebenen Zeit jedenfalls noch lange nicht die Rede. Und heute scheint dieses Thema gestorben zu sein. Tatsächlich habe ich einige Male darüber nachgedacht, aus dem erwähnten Grund mich massakrieren zu lassen. Es mag jedoch durchaus an Rudimenten kulturjüdischer Samenergüsse gelegen haben, die sich genkrebsgeschwürgleich durch meine Synapsen ergossen. Je älter ich werde, um so unsicherer werde ich bezüglich lange zurückliegender Beweggründe. Ich habe jedoch einige Männer kennengelernt, die, obwohl zumindest nach außen hin nicht an das Jüdische als Möglichkeit zur Weltrettung glaubend, sich haben lange nach der Pubertät, also in einem Alter, in dem angeblich die Vernunft fest im Sattel sitzt, beschneiden lassen. Es waren überwiegend US-Amerikaner. Aber womöglich ist das ohnehin das eigentliche gelobte Land. Dessen Lebens-praktiken wird schließlich längst europaweit gehuldigt. Damit käme ich dem näher, an das ich nicht glaube, also lediglich vermute, daß da nämlich so eine Art Ursuppe in vielen drinnensteckt. Und daß die geschätzte Sturmfrau und der nicht minder beachtungswürdige Betreiber dieser Leipziger Flohbude damit recht haben dürften und mit dem sie ausdrücken, was die Grenzen der, wie ich empfinde, grauenvollen Wirklichkeit sogenannt säkularer Staaten zu überschreiten hat, was als jedem Glauben entrückte Wahrheitslehre genannt werden darf: Hier wird zum ersten Mal vor allen anderen Stärke bewiesen und über den Schmerz hinweggegangen, Trösten wird unterbunden, allenfalls wird abgelenkt. Vor dem breiten Publikum, das bei der Inszenierung solcher Feste zugegen ist, ist die offene Entblößung und Verletzung zugleich eine Demütigung ersten Ranges. Das Kind erhält eine paradoxe Botschaft: "Dir wird weh getan werden, aber du musst dich darüber freuen!"Ich danke beiden für ihre Beiträge, die meine Gedanken vortrefflich zum Ausdruck gebracht haben.
Neue Gastarbeiter braucht das Land Autant pèche celui qui tient le sac que celui qui l'emplit.* Über fünfzig Prozent, mal mehr, mal weniger, entnehme ich den deutschen Medien, der spanischen jungen Menschen, ab wann man nicht mehr jung ist, wird nicht näher erläutert, seien ohne Zukunft, genauer: bekämen keine Arbeit. In der Regel heißt es neudeutsch: keine Jobs. Ein Job ist für mich immer noch eine Gelegenheitsarbeit, etwa meine Tätigkeit in jungen Jahren, als mich die Randbereiche der Künste noch nicht ernähren wollten, als Töter von Cucharachos oder Vergifter von Tauben im Park. Einen Job will er also nicht, der Nachwuchs von Andalusien bis Katalonien, über Galicien, dort, wo soviele Gläubige oder auch nicht dann mal hinweg sind, nach Navarra. Er will Arbeit. So geht er nach Deutschland. Das ist das Land, in dem gerade wieder darüber abgestimmt wird, abgestimmt werden muß, sogar die Politiker werden deshalb temporär aus dem Urlaub zurückgepfiffen, ob dem nach wie vor aristokratisch quasi stimmungsbeherrschten Land hundert Milliarden Kredit genehmigt werden soll. Oder besser nicht, so die Mehrheit (?) der adelsfrei regierten Bundesbürger, sollen die doch die von ihnen selbst verursachten Schulden selber abbezahlen. Denselben Medien entnehme ich Reportagen über Flaschensammler aus Not, über Pfandleihen aus Not, über Zwangsräumungen aus Not, auch in allen Fällen junger Menschen, über Tote, die monatelang ihn Kühlhäusern aufbewahrt werden, da die Behörden Kosten für Begräbnisse nicht zu übernehmen bereit seien, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet wären. Dennoch zieht es junge Menschen aus Spanien, von den griechischen spricht kaum noch jemand, denn der Schuldenberg ist weitergewandert wie eine Düne unter dem Wind aus dem wilden Westen der Finanzspekulationen, in das Land, von dessen Osten es einmal hieß, er werde blühen. Denjenigen, der die Bevölkerung seines Landes einmal so verkohlt hat, interessiert es ebensowenig wie die ihm nachfolgenden Politiker und, selbstverständlich -innen, was aus dieser verblühten Landschaft werden soll. Ihr Interesse reicht lediglich bis zur nächsten (Wieder-)Wahl. Zu der kann es nur kommen, wenn die Wirtschaft weiterhin so boomt, wie es im rummelplatzigen Deutsch der Journaillen mittlerweile allüberall tönt. Es ist die Sprache, das Gebrüll, auch in leisen Tönen ist gut brüllen, derjenigen, die an oder auf den Märkten mehr oder minder ridicule das anpreisen, was in den seltensten Fällen tatsächlich benötigt wird, oder das, was unbedingt raus muß, weil es woanders kaum jemand haben wollte. Sicher, nicht vergessen werden darf die Made in Germany, die Resteuropa sowie die Welt im Inneren beglücken soll. Von Binnenforschung und und ebensolcher -produktion zugunsten aller ist geradezu mannigfaltig die Rede. Dabei wird häufig oder zur Gänze gar nicht g'schamig verschwiegen, wo das tatsächlich geschieht. Dafür wurden Studiengänge beschleunigt. Aber, das zeigt die Wirkichkeit, ein Bachelor macht noch kein Sommermärchen. Auch im blühenden Deutschland, das ist hinlänglich bekannt, hüpft so manch einer dieser nach vorne verkürzten Jungakademiker von Job zu Job, anders mag ich diese Praktikakultur nicht bezeichnen. Hinzu gesellen sich nun die jungen Menschen aus dem Süden. Spanien, das ist das Land. von dem sogenannte Experten, wenn ich mich recht erinnere, 2007 behaupteten, es würde innerhalb weniger Jahre die geballte Wirtschaftskraft Deutschlands wenn nicht zumindest eingeholt, so voraussichtlich gar überholt haben. Dann kam diese Springflut, aus der eine Sturmflut wurde, weil niemand der Verantwortlichen die auflandigen Winde aus dem Westen, den Tidenstrom zu beachten Lust verspürte. Lust hatte man alleine auf die hohen Wogen der Gewinne, an dieser wunderschönen Blase, in deren Inneres zu schauen nur wenige bereit waren. Die ist dann geplatzt, und auch Spanien stand vor den Trümmern, die dieser aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten sich aufbauende Tsunami im Hafenbecken erzeugt hatte (und der demnächst wohl auch die Insel Zypern und noch einige Festlande wegspülen wird). Tausende und abertausende auch junge, wer oder was das auch immer sei, Spanier wollten endlich aus elterlicher gefangenschaftsgleicher Umarmung entfliehen — so lange ist das noch nicht her, daß man im stolzen Köngigreich Kastilien auch im Alter von vierzig, eben noch jungen Jahren nachhause ging, wenn Stillzeit war — und legten sich immobile Güter zu, die sich selbst einigermaßen gesattelte Ältere nicht leisten konnten, ungeachtet dessen, von welchen Fonds oder sonstigen Schlachtbanken auch immer sie bedient wurden. Reich belohnt wurden dabei nur diejenigen, die auf diesem Markt leise, aber unaufhörlich geschrien habe. Die Alten wehren sich nun, El Jefe de Estado, Señor Rajoy, hat bei seiner deutschen Kollegin rasch gelernt, legte ein «alternativloses» Sparpaket vor. Und die Jungen ziehen aus. Sie ziehen in ein Land, das offenbar neue Gastarbeiter braucht, wie es uns die Marktstrategen verkünden, die hierzulande eine Hausse sehen, obwohl es fast nur noch regnet und stürmt, also auch dort die Baisse sich abzeichnet, weil auch die Wirtschaft nunmal keine Wetterwunder zu vollbringen vermag, da mag sie noch so katholisch oder auch calvinistisch beten und uns etwas von der unbefleckt schwangeren Jungfrau erzählen. Die jungen Spanier werden diese im deutschen Fernsehen spätnachts, auf jeden Fall nicht zur gängigen Zeit ausgestrahlten Sendungen nicht sehen und schon gar nicht hören, von denen da oben die Schreibe war. Sie müssen nämlich erst einmal die deutsche Sprache erlernen, um in eines dieser deutschen Praktika hineinkultiviert zu werden, die ihnen eine unbeschwerte Zukunft versprechen. Davon sind sie noch um einiges enfernt, von dem, wie Frau Herzbruch es schildert, daß man beispielsweise «in duesseldorf mit kleinkind ja schwieriger eine wohnung findet als mit einer pitbullzucht. kennen sie vielleicht aus anderen staedten auch: 120 m2 maisonette, 5 zimmer mit garten, gerne an solvente paare und singles.» Bis zu dieser Solvenz ist es noch ein Weilchen hin. Auch diejenigen, die in den Sechzigern eines vergangenen Jahrtausends aus Griechenland, Italien (Mein kleiner Italiener war der überall geträllerte Schlager dieser Jahre, als die Ausreisewelle ins Land der Gastarbeiter eingesetzt hatte), Portugal, auch aus Spanien, dann aus der Türkei ins gelobte Land zogen, um reich zu werden, waren zum Teil bald arm dran. Heutzutage sind sie es, die zu großen Teilen Deutsche geworden sind, schaut man sich die Meldungen über die Arbeitslosigkeit des Nachwuches der «integrierten» Einwanderer an. Ich bezweifle die Wirksamkeit solcher Lobhudeleien oder gebets-mühlenhaften, nahezu unredigiert übernommenen Verkündungen von «Angelas Wunderland» in den Karriereseiten: «Auch konnte die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland nur deshalb so erfolgreich sein, weil es hier einen Mittelstand mit vielen Unternehmen gibt, die ständig neue Produkte erfinden, sie überall verkaufen und dadurch einen Großteil der Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Davon kann die verlorene Generation in Spanien, Griechenland oder Portugal nur träumen.» Ich empfehle für solche Vorhaben eher den Schlaf. Am besten noch mit Karl Marx, in diesen androgynen Zeiten kein gesellschaftliches Problem, als Bettgesellen: «[...] heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.»
À propos Wetter Alle sprechen darüber. Nicht erst seit gestern. Der in meinem Dankeschön an den offensichtlich ebenfalls Witterungsbetroffenen Enzoo erwähnte Kohlenpott-Redakteur hat das Mitte der Neunziger nicht nur als stammtischfester Klima-Fachmann getan. Nachdem das letzte Sommermärchen ebenso ins Wasser gefallen ist wie das bisherige Wetter darf man ja kurzzeitig wieder über diese Spielart reden. Demnächst taucht sie ja, wenn auch unter anderen, auf der Geldinsel wieder auf, wenn die Amateure dieser Welt zusammentreffen, um sich allesamt bei ihren Sponsoren zu bedanken. Besagter wird auch Ruhrpott-Rastelli geheißen. Das liegt daran, daß er Vater eines mittlerweile auch nicht mehr so kleinen Sohnes ist, der unbedingt das werden sollte, was sein Erzeuger nie zuwege brachte: entweder schwuler Balletttänzer, was nach Ansicht von Frau Braggelmann so etwas ähnliches wie eine Tautologie ist, zu werden oder aber, noch viel lieber einer wie Stan Libuda oder Gib mich die Kirsche-Lothar-«Emma»-Emmerich. Für den Ball ließ er so manches liegen, mittlerweile möchte man fast meinen, es könnte auch schonmal eine spätnachmittägliche Vorlesung sein, wenn Training für die alten Herrn angekündigt ist. Seine Gattin, so lautet die Mär, habe der in unmittelbarer Nähe zur Villa Hügel Aufgewachsene und sich gerne als Arbeiterkind in Essens Rot-Weiß Präsentierende während eines Heimspiels des VFL Bochum kennengelernt, wo er seit längerem an der Universität akademisch kickt. Hockey bei Schwarz-Weiß hatte ich ihm unterstellt. Leichtathletik hat er schließlich kleinlaut eingestanden. Seine Fußballeritis erinnert an seinen Verwandten im Geiste, Karl Ruhrberg. Der Selige, von dem sich auch viele Jahre nach seinem Tod hartnäckig die nächste Mär hält, wegen eines Fußballspiels seines kölnischen FC auch schon mal eine Ausstellungseröffnungslaudatio in seinem Ludwig-Museum an die Gattin, die er im übrigen nicht in irgendeiner Süd- oder Nordkurve, sondern während der operalen Gesangsausbildung kennengelernt hat, delegiert zu haben, belegt, was uns bewegt: die Sportler und deren Ausflüge auf den Musengipfel. Ralph Köhnen kreiselte einst: «Fußball ist kommentarbedürftig wie abstrakte Kunst», und er charakterisierte, melancholisch-retrospektiv, das kompositorische Phänomen vergangener Zeiten, quasi in einem Ehrenbezeugungs-Suffix gegenüber dem Intellektuellen unter den deutschen Ballzauberern (jenem Conférencier, dessen TV-Suaden mittlerweile nicht minder kommentar-bedürftig sind): «blitzschneller Flirt des Auges mit der Tiefe des Raumes». Nicht nur die jungen Akademiker, auch die alten Herrn durften wieder, nachdem der 68er den Fußball ins Abseits gebolzt und Ober-Rhetor Walter Jens ihn mit seiner fahnenschwingenden Apologie zu irgendeinem runden Geburtsag des DFB («... Versöhnung mitten im Streit») wieder aufs Geviert gepredigt hatte. «Eine Textkultur des interpretatorischen Risikos ist gefordert: nicht sparsam zum Ziel zu kommen, sondern die Verschwendung, die Lust und den Plural zu riskieren als einen Umweg: als ein Abenteuer, das Leser und Text gleichermaßen zustößt», so der Jung-Rhetor 1991 in seinem Leid-Artikel, Günter Netzer oder der Diagonalpaß auch als Textkultur. Der Anglist, Germanist und Kunsthistoriker war es auch, der sich mit Sport-Sprech oder: Der Wontorra in uns allen um Moderation bemühte (sowie die schwatten Perlen vorab würdigte). Allerdings: Den Lorbeer des Geistigen kennen wir. Er liegt täglich in unserer Gen-Suppe des Negierens (nicht von Eliten!). Wem aber der Kranz des Physischen geflochten wird, nach dem sehnen wir uns. Diese Erwählten himmeln wir an. Und mögen sie noch so schlecht gewonnen haben, wie etwa der ORF-Reporter rief: Und wieder ist es uns gelungen, einen hervorragenden neununddreißigsten Platz zu erringen. Mit ORF ist nicht der abgewickelte Sender östlich Brandenburg gemeint, sondern der österreichische Staatsfunk. Da geht nicht Deutschland, sondern der Sport über alles. Ich bin zwar fest entschlossen, den demnächst stattfindenden insulanerischen Sportgipfel zu ignorieren wie das Wetter. Aber ich als mittlerweiliger Passiv-Sportler habe mich, trotz aller Abneigungen gegen diese von nichts anderem als Geld geleiteteten Spectaculae, doch tatsächlich wieder der Tour de France hingegeben. Keine noch so irgendwie gearteten ethischen Richtlinien der deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Zuschauanstalten und auch kein vierzehnter Juli haben mich daran hindern können. Ich bin konsequent inkonsequent. Wahrscheinlich werde ich auch in London wieder dabei sein. Aber es geht mir sicher ohnehin wie gehabt nur um eines: beim Anblick dieser Gazellen beim Hüpfen, Laufen und Springen in ein glückliches Verzücken zu geraten, ihnen dabei zuzuschauen, wie sie voller Zuversicht und mit einem Ziel vor dem inneren Auge den Spaziergänger links liegen lassen, als ob sie dem Hintenliegenden davonentschweben könnten.
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