Kino im Kopf. Das Herz am linken Fleck. Für Einemaria und gerne auch für andere. Für jeden Geschmack in bißchen was. Erstmal ein Häppchen Kant. «Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.» Kopfkino, habe ich Unmündiger gestern erfahren, sei zum Modewörtchen geworden von überwiegend jüngeren Menschen, die damit unter anderem beispielsweise die schnellen Tempiwechsel und Schnitte verbinden, die sie weniger althergebracht auf der Leinwand sehen, sondern in erster Linie auf dem Bildschirm. Das kann jedoch meine altertümliche Auffassung, die von Gianni Celati nicht verwässern oder reduzieren wie ein homöopathisches Mittelchen aus den übermäßigen Gewinnen der zur Industrie mißratenen sogenannten Esoterik. Ich gebe dem Langsamen, auch dessen Genuß, weiterhin Vorzug. Damit verbinde ich auch den Gedanken, den ich lieber in Ruhe wachsen lasse. Kleists Idee vom Verfertigen der Gedanken beim Reden ist mir im Lauf der Zeit zunehmend zum Vorbild geraten. Aufklärung erzwingen zu wollen, wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt. Zwang ist hat immer etwas von Gewalt, zumindest die Idee von Herrschaft steckt dahinter, Roland Barthes' Hinweis auf die herrschende Ideologie rückt dabei näher, die in der Hierarchie den Bartel zeigt, wo der den Most holt. Dabei ist der Bartel nicht, wie allgemein wohl angenommen werden dürfte, etwa ein gestrenger Herr, der seinen Äppelwoi aus dem Keller holt. Bartel ist jiddisch, kommt von Eisen und meint Geld. Nenne ich den Bartel mal einen Lehrer, der dem Stift ohne Umschweife klarmacht, wo's langgeht, wo die Kohle, vielleicht sogar die Shore gelagert ist. Darunter wird heutzutage der Stoff verstanden, der in einem unter Ausschaltung der gehirnischen Vernunftseite mit dem Fuß das Gaspedal durchtreten läßt. Ursprünglich bedeutete dieses ebenfalls aus dem Jiddischen stammenden und auch im Rotwelsch angesiedelten Wort jedoch durchaus Diebesgut, das, bleibe ich dabei, in einem Keller gelagert gewesen sein konnte. Zur Zeit der Aufklärung sprach man allüberall an den Höfen französisch, auch am deutschen. Das war die Zeit, als das Volk begann, auch etwas vom großen Kuchen abhaben zu wollen, den Marie-Antoinette, unsere Wienerin, am Königshaus ihres göttlichen Gatten Ludwig, dem XVI, offensichtlich ständig aß, weil sie kein Brot hatte. Was abfiel, waren Krümel. Sie waren auch für die Deutschen nicht sonderlich nahrhaft. Ihnen blieben auch während der neueren stürmischen Phase der Aufklärung nur Fragmente Die haben sie sich hinübergerettet, darunter die Theorie des von keiner Religion befreiten Jean-Jacques Rousseau. Einer meiner langjährigen, mittlerweile wie Hans Pfitzinger, der mir zu seinem Ende hin immer gottgefälliger zu werden schien, seligen Freunde hielt diesen letztlich protestantischen Aufklärer hoch wie eine Monstranz, als Ikone zierte er alle Dachstuben seines Denkvermögens. Nach Rousseau wollte er seine Kinder erziehen: frei, ohne jeden Zwang. Sein Sohn geriet ihm arg grün, nicht nur im Gesicht. Ob er so bläßlich geworden ist wie mittlerweile die meisten seiner Zunft, vermag ich nicht zu beurteilen, da ich nachlässig geworden bin in der Pflege von Verbindungen (die zu meinen Kindern lasse ich mal fürnehm außer-acht). Aber der ehemalige Stadtverordnete der deutschen Bankenmotropole mag als von mir ausgemaltem Bildbeispiel für viele seines Alters gelten, die die Lehre des Alten allein deshalb fehlleiten mußte, da der bereits recht orientierungslos war durch ein unzureichendes Studium der Schriften seiner Päpste, er lediglich deren Dogmen kannte. Es mag am unkonzentrierten Lesen gelegen haben, vielleicht auch an der mangelhaften Übersetzung. Auf jeden Fall kam die mißverständliche Auslegung von laisser-faire zustande, der Prämisse machen-lassen der antiautoritärem Erziehung. Sie endete, wie das eben so stattfindet beim Übermitteln von Parolen des Donnerbalkens, die in der Regel in den Effekt des Buchbinders Wanninger münden, bei dem nichts mehr übrigbleibt vom eigentlichen Inhalt. Es geriet zum laisser-aller, dem Sichgehenlassen, auch zu übersetzen mit Lotterwirtschaft oder Schlendrian. Meine Vermutung geht dahin, daß die Generation der Nach-Achtundsechziger, also die um '68 Geborenen logischerweise nie so richtig darüber nachgedacht haben, wohin es führen könnte, ließe man seine Jungen ohne jeden Hinweis auf Verhaltensweisen einfach so und ohne jede Korrektur lostoben (womit ich wieder gezwungen bin, an die eigene Brut zu denken und mich an die Brust zu fassen). Ich bin alles andere als ein Liebender der Regularien und Rituale der Hab-acht-Stellungen und -Haltungen. Eine Entwicklung dahinfließen zu lassen bedeutet mir heute mehr noch als gestern, als es eben auch mir des öfteren passierte, ganz gerne mal das Gaspedal bis zum Bodenblech durchgetreten und mal so eben irgendwelche Thesen überflogen zu haben. Meine heutige Bedächtigkeit, mein immer reduzierteres Tempo hat aus dem Dschungel meiner Gehirnstömungen das Tunnelende der Erkenntnis herausgeschlagen, wie essentiell die sanfte Anleitung ist. Einfach nur Tunlassen ohne Hinweise, das führt den Nachwuchs über eine enge, Großes versprechende Gasse, die auf eine saure Wiese führen kann. Ich komme auf dieses Bildbeispiel, da man etwa Mitte der Siebziger in einer oberbayerischem Marktgemeinde auf Druck einiger weniger aufrechter Sozialdemokraten, ich meine, es wären zwei oder drei gewesen unter lauter Christsozialen, einen Straßennamen nach dem einst dort ansässigen Dramatiker Ödön von Horvath benannte, der beispielsweise mit dem Theaterstück Italienische Nacht, also weniger eine nach heutigem spaßigen Zeitbegriff ausgerichtete, sondern das gegen die braunen Machenschaften vieler, wohl der meisten Ortsansässigen sturmwetterte. In allerärgster Not, man wollte diese häßliche Farbe wenigstens ein wenig aus dem Bild wischen, das man von diesem nicht ganz so großen Dorf wie München hatte, schließlich ging es darum, den Fremdenverkehr zu beleben; möglicherweise hatte man die so erfolgreichen, von den National-sozialisten in der Nähe auf den Gipfel gebrachten oympischen Winterspiele noch in guter Erinnerung. Ein Gäßchens ward's schließlich, nicht die von den gräßlichen Sozis gewünschte, den halben Ort parallelisierende Bahnhofstraße, das nach dem Dichter benannt wurde, an einem Ärztehaus vorbeiführend, und es endet, wie angedeutet, in einer sauren Wiese. Seit einigen Jahren hält man dort Fremdenverkehrshof mit dem seinerzeit Zugezogenen. Sein Name kommt einem über dem Ort schwebenden Transparent gleich, als ob er nie etwa anderes gewesen wäre als freigeistig. Dazu beigetragen, wohl ein bißchen gesteuert von Münchens Städtischer Galerie am Lenbachhaus aus, haben die Blauen Reiter um Wassily Kandinsky und dessen Gefährtin Gabriele Münter. Noch lange in den Achtzigern, aus der Zeit dürfte mein mir kürzlich aus meiner Schublade der jüngeren Historie entgegengekommenes Polaroid stammen, rottete das sogenannte Kandinsky-Haus, obwohl es der Münter gehörte, am mittlerweile von in nichts zu überbietender Architektur der Sepplhosen-Ästhetik zur Gänze behübschten feinen Ortsrand, gewidmet den Natur-Folklore suchenden Hinzuziehern, wie ein Baum, der über hundert Jahre hin sterben darf, langsam vor sich hin, weil es niemanden interessierte oder man es sich lieber selbst überließ bis zum endlichen Zusammenbruch, aufgefressen von den vielen Tierchen, die ihn von innen her aushöhlen, die der Geschichte ein Ende bereiten. Heute strahlt es hell und wurde sogar in der Münter Haus richtiggestellt, als ob es diese dunkle Seite der Erde oder des Mondes in diesem vermutlich teuersten Zweitwohnsitzort vor Garmisch nie gegeben hätte. Das wissen jedoch nur die Aufgeklärteren. Für die anderen ist's lediglich mehr oder minder schön bunt. Kopfkino für Mittelalter, in neuerer Sprachregelung. Das, das ist das eine, verstehe ich unter Aufklärung, ausgehend von Diderot et all diejenigen, die jenen Teil des düsteren Mittelalters ins Siècle des Lumières rücken wollten, der von den Herren der Kirche verdunkelt worden war und der, manchmal hat es den Anschein, wieder zurücksoll in die Finsternis. Dabei liegt es auch mir fern, mich als Muezzin eines anderen Glaubens zu betätigen, der einer solchen Erleuchtung dienen könnte. Auch mir bereitet es eher Freude, es in mein Tagebuch zu setzen. Als ich mich noch als öffentlich-rechtlicher Weltretter betätigte, gar Botschaften via Zeitung in die Umlaufbahn sendete, wollte mir offensichtlich kaum jemand Gehör oder Aug' schenken. Da gab ich's auf und widmete mich allein den schönen Künsten. So gesehen bin ich mißraten wie all die anderen, die ich hier immer wieder gerne mal beschuldige. Ich tue weiterhin schön. Aber es nagt sich doch immerzu der sogenannte Schädling zwischen meine Zeilen der künstlichen Schönheit, der über lange Zeit hin aufklärerisch das Innenleben des Baumes der Geschichte freizulegen versucht. Nenne ich einmal mehr die schillersche List, das zu verbreiten, was ich unter Wahrheit verstehe. So formuliere ich die List um in Lust. Ob es die auf das Wahre ist, das weiß ich bis heute nicht. Ich bin so entscheidungsunfreudig. Möglicherweise ist es mein Glaubens-ersatz. Ich glaube daran, daß die Linke, ich meine nicht die deutsche Partei gleichen Namens, sondern eher den Sitz des Rates zu Zeiten der französischen Revolution, also an eine gesellschaftlich von vielen für nicht mehr gültig erklärte Position oder Haltung. Dies ist meines Erachtens der eigentliche Überbringer der Essenz. Links ist nicht nur einfach dort, wo der Daumen rechts sitzt. Das Herz am rechten Fleck, das ist ein arglos erscheinendes Allerweltskompliment, das ich nie machen würde, da ich das Complément für eine Beigabe halte, ein deutschsprachliches Mißverständnis, für einen verbal affigen, weil höfischen Kratzfuß. Hier sollte, müßte nun meine Hirnforschung, zwo, drei mit Sergio Benvenuto fortgesetzt werden, diesem intellektuellen Gutmenschen. Das ist, wie bereits im vorausgegangenen und hier verlinkten Abschnitt erwähnt, aus meiner Sicht alles andere als ein Schimpfwort, weder das eine noch das andere. Die Begründung dafür liefere ich aber bei nächsten Mal. Wie vorhin Enzoo gegenüber angedeutet, mangelt es mir an Zeit, denn ich sitze an einer anderen Variation von Aufklärung. Sogar ich habe noch Verpflichtungen, wenn auch kleine und selbstauferlegte.
Von der dunklen und der hellen Seite des Hirns1 Es ist uns allen bekannt, die rechte Seite unseres Gehirn regiert uns, jedenfalls, nenne ich's mal so, viele von uns. Es ist der rationale(re) Teil dieses gleichwohl den meisten unter uns bisweilen als unheimlich anmutende Bereich in dieser terra incognita unserer Innenwelt, der uns zu schaffen macht, der sich ständig gegen das immerwährende Bedürfnis des Gefühls auflehnt, es ist die gegen das Wohlsein gerichtete Vernunft, die uns vorrechnet, welche Nachteile es uns bringen könnte, sich aufgrund eines oder vieler Ereignisse einfach fallen zu lassen, etwa in Tränen auszubrechen oder alles kurz und klein zu schlagen. Beim gestrigen Gespräch mit Frau Braggelmann über den unterschiedlichen Ruf der Intellektuellen in jeweiligen geographischen oder auch, etwas allgemein-gehalten ausgedrückt, mentalen Gebieten Europas — Ulfur Grai zweifelt zu recht den früher gebräuchlichen Begriff Volkscharakter an — kam zur Sprache, wie schlecht beispielsweise der Ruf derjenigen in Deutschland ist, die besagten Teil des Gehirns bevorzugt einschalten, bevor sie ihre Meinungen in die Öffentlichkeit ausstellen. In der aktuellen Phase des Weltgeschehens, die zur Zeit in London stattfindet, sehen sich bereits die Reporter und ihre sich nach wie vor an den Rand gedrängten Kolleginnen geschaßt, die sich zurücknehmen, die sachlich zu berichten bemüht sind. Gefordert wird immerzu Emotion, wer nicht brüllt wie ein Hornochse, den man bei lebendem Leib am Spieß dreht, um für zwanzig Euro am Stückchen serviert zu werden, weil es eine dieser hochdotierten Gazellen aus dem olympischen Amateurlager zuwege gebracht hat, für zigtausende Euro Fördergelder aus dem Säckel der Gemeinschaft plus Sponsorenprämie die ganz weit oben liegende Latte zu überhüpfen, der wird gerne als dröge und somit ungeeignet für den Beruf des Berichterstatters bezeichnet. Also sehen die sich gezwungen, mit dem Bauch zu denken und, weil's die das alles finanzierende Allgemeinheit zu wünschen scheint, sich weniger Mäßigung aufzuerlegen, die den Verdacht errregen könnte, jemand sei kopfgesteuert, wie es mir zu Zeiten meiner Hilfslehrertätigkeit in oberbayerischer Nähe zu fast höchstgebirgischem Olympia entgegenschallte, als ich es wagte, mithilfe einer Mischung aus 50, 1 Prozent Vernunft und dem Anteil von 49,9 Prozent Gefühl dem Töchterlein eines Meisters des Handwerks in die nächste Klasse zu verhelfen; ähnlich brüllte es einige Jahre später in der Stube des öffentlich-rechtlichen Redaktionsleiters, der mich rauschmeißen wollte für den Fall, daß ich aus seiner Sendung aktueller Politik einen «Kulturbeutel» machen wolle. Sport ist Emotion, und da sind klare Gedanken fehl am Platz, der Verdrängungsmechanismus setzt voller Gefühle ein, überwältigt mittels Kraft der Masse das dann bißchen Resthirn. Da hat es gefälligst nicht weiter zu interessieren, inwieweit dies aus dem politischen Hintergrund und dem damit verbundenen Wirtschaftswachstum für diejenigen, die ohnehin bereits groß sind, von panem et circenses für die restlichen 99,9 Prozent geschieht. Wer nicht mitspielt, der gehört ohnehin zur unteren Kaste, etwa diejenigen am Rand Londons, die von all dem allenfalls das Geschrei der Emotionalisierten aus den Kampfstätten in den Ohren haben. Gemeinhin steht in deutschen Gazetten nicht nur des Sports der Intellektuelle als Schimpfwort, zumindest als Bezeichnung für jemanden, der seiner Sinne nicht mächtig ist. Ein Bekannter Frau Braggelmanns, jener, den ich hier bereits einige Male leicht bespöttelt habe, der in einer der bunten deutschen Gazetten als sportlicher Journalist tätig ist, die den glanzvollen Alltag der meisten Deutschinnen, die gesellschaftliche Welt ausmachen, der sich mangels Navigationshilfe des öfteren verfährt im Dschungel der Sprache, meinte dieser Tage ihr gegenüber, er wolle sie zwar nicht beleidigen, aber manchmal käme sie ihm tatsächlich vor wie eine Diva, wie eine Intellektuelle. Er kenne jedenfalls keine Frau, die so schlagfertig sei wie sie, die auf nahezu alles eine Antwort habe. Ich kenne kaum eine Frau, die derart gefühlvoll, also unkapriziös mit dem Leben und den darin sich bewegenden und bewegten Menschen umgeht, ohne daß ich mir herausnehmen würde, sie als eine Diva oder gar als eine Intellektuelle zu beschimpfen. Davon einmal abgesehen, daß schließlich auch eine Diva über intellektuelle Fähigkeiten verfügen dürfte, allein durch die Tatsache, einen Geschmack entwickelt zu haben, dessen Voraussetzung nun einmal die Unterscheidungsfähigkeit ist. Jetzt kommt sie gleich, um mir den Kopf zu waschen. Da muß ich abbrechen. Die körperliche Gesundheit hat mehr Gewicht oder ist mehr wert als die geistige. Nix Mens sana in corpore sano, solches sagen die Damen und Herren Gesundheitsminister, denen es ebenfalls an Förderung mangelt und die deshalb mit Olympia die Wirtschaftswachstümer meinen. Aber die haben eben mit dem Satiriker Juvenal ohnehin nichts im Kopf, der's eher so herum meinte: Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano. So werde ich später oder morgen von dem weitererzählen, das da in meinem Oberstübchen rumort, nämlich das über die rechte und die linke Seite des Gehirns, die linke und die rechte Seite politischer Ausrichtung, ausgelöst von Sergio Benvenuto mit seinem kleinen oder besser kurzen Essay Hirnhälften, Hemisphären in der Ausgabe 97 von Lettre International. Das ist ein Nachdenkaufsatz, dessen Inhalt in meinem Gehirn schon sehr lange Bewegung verursacht, wenn auch nie in dem Sinn, wie Francis Picabia häufig und gerne mißverstanden zitiert wird, da er schrieb, der Kopf sei rund, weil die Gedanken ständig die Richtung änderten, sondern unter anderem gradlinig auf das Ziel der Antwort auf die Frage zu, was uns beispielsweise dazu bewegt, ständig so undifferenziert von rechter und linker politischer Orientierung zu sabbeln. Benvenuto erwähnt nicht nur einmal mehr die dabei am nächsten liegende linke und rechte Sitzseite der verfassungsgebende Versammlung der französischen Revolution und erläutert am Beispiel des selbst in den romanischen Sprachen so unterschiedlich ausgelegten Begriffs la sinistra, der Psychoanalytiker, Philosoph und Essayist erläutert das Dilemma derjenigen, die, es ist noch gar nicht so lange her, links funktionierend geboren wurden und nach rechts umerzogen wurden, was unterm Strich und sehr grob umrissen zu einem Neglect-Syndrom führen kann. Ein Text, der alleine die elf Euro wert, die das ganze aktuelle Einzelheft von Lettre International kostet. So ist also erst einmal die Kopfmassage dran, die Hülle des Wohlbefindens wird geknetet, an meinem Gehirn walke ich dann selbst weiter, meinen Geist trainiere ich anschließend weiter für Olympia. Und vielleicht noch für zwei oder drei weitere Mitleser, die mir dabei zuschauen, wie ich mich abquäle für sie, ohne Leistungsförderungsmittelchen aus dem Spendentopf, ich zahle auch mein fast antikes Doping selbst. Bei den Fußnoten bzw. Anmerkungen bitte mit dem Cursor die jeweilige Ziffer berühren.2
Es ist kein leichtes, beim Träumen mit dem Bauch den Kopf zu berühren Möglicherweise mangelt es mir an Emotionaler Intelligenz oder gar Herzensbildung. Ich bin ja nicht so auf dem Laufenden, nicht allein deshalb, da ich nicht mehr so recht gehen, geschweige denn laufen kann; ist es ohnehin fraglich, ob bei diesem ganzen Gerenne heutzutage überhaupt noch jemand zu gehen in der Lage ist wie, beinahe bin ich einmal mehr geneigt, mit Herrn Achternbusch festzustellen: Es ist ein leichtes, beim Gehen den Boden zu berühren. Ulfur Grai, der Führer des Fahrtenbuchs, mußte mich schon einmal um der Aktualisierung willen belehren, was das Bauchgefühl betrifft. Doch mit dem Körperinneren denken, dabei tue ich mich nach wie vor schwer. Wahrscheinlich bin ich dann doch zu sehr ein Ewiggestriger, dem diese neueren Erkenntnisse der Hirnforschung wie der Berg des Sisyphos erscheinen. Immerzu rollt mir mein Stein der Weisheit wieder hinunter. Jedes Mal, wenn ich meine, ihn endgültig nach oben gewuchtet zu haben, fällt er mir auf die Festplatte meines Oberstübchens und läßt die Nadel auf die immerselbe Stelle zurückspringen. Unlängst las ich darüber, wie weit man mittlerweile mit der Intuition, immer viröser bekannt unter besagtem Bauchgefühl, in der Forschung fortgeschritten ist. Nicht mehr allzu weit entfernt sei man von der Möglichkeit, die Schönheitsoperation, also die Hochstellung sekundärer Geschlechts-merkmale oder die hochgiftig erzeugte Muskellähmung via Botox — die Füllung eines Kaffeelöffels im Trinkwasser vermag der europäischen Bevölkerung den Garaus zu machen – dahingehend zu ergänzen, indem man mittels Verlegung kleinster Röhrchen bestromter, aus der Bewußtseins-industrie abgezweigter digitaler Inhalte in die Denkfabrik das vorausschauende, ich nenne das jetzt mal so, Einfühlungsvermögen noch voraussehbarer mache als es das ohnehin bereits ist. Klar ist unseren Hirnforschern und durch sie uns seit längerem, daß das Gehirn dem Körper längst einen Aktionsbefehl erteilt hat, bevor wir auch nur ahnen oder den Hinweis auf die Erkennung einer Gefahr in ein Wörtchen wie Vorsicht formulieren können, etwa bei sofortiger Antipathie. Aber ich Drögling verzehre mich immer noch mit dem uralten Freud und dessen Traumdeutung, mit diesem Aspekt jedenfalls, nach dem alles eine sexuelle Ursache habe, nach der zu suchen wäre, hätte man da ein Problem. Mein ganzer Tag ist mir vermiest, klare Gedanken zu fassen, sind mir kaum möglich. Ich habe sehr schlecht geschlafen aufgrund eines immer wiederkehrenden Traums. Im Vordergrund, wie anders, stand eine Frau. Sie stand, wie anders, neben einem anderen Mann in einer, wie anders, Küche, wie während oder nach einer Party, und beide machten mir Vorwürfe, ich hätte sie enttäuscht, hauptsächlich die Frau, die mir, wenn überhaupt, aus ferner Vergangenheit erschien; je länger ich darüber grüble, meine ich eine Dame zu erkennen, von der ich in den Siebzigern nach dem berühmten verflixten siebten Jahr, bei mir waren es bislang fast immer diese sieben, nur diesmal sind es bald zehn, in freundlicher Freundschaft geschieden bin. Womit oder worin, das blieb allerdings fern jeder Erläuterung. Ich wachte erleichtert auf in der Hoffnung, dem Traum entronnen zu sein, schlief wieder ein und war sofort wieder inmitten dieses Alps. Wie in einer Fernsehserie kam ich mir vor, in der das Leid kein Ende nehmen wollte. War das die Rache aller Fernseh-serienautoren, da ich deren Erzeugnisse grundsätzlich meide wie der Teufel den Beelzebub? Im letzten Teil war ich sogar auf der Flucht wie weiland Herr Kimble zu der Zeit, als ich mir so etwas hin und wieder noch antat. Entfohen war ich meinen Häschern, die mich ins Gefängnis befördern wollten oder sollten. Immer wieder gelang es mir, mich ihnen zu entziehen, tauchte unter in dubiosen oder ominösen Wohnungen, als ob ich Sympathisant oder gar Aktionist einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung oder beides in einem sei. Immer wieder erschien mir schemenhaft diese Frau, deren geistige Verwandtschaft zu mir ich allen-, höchstenfalls erahne, und teilte mir aufs neue mit, sie habe sich von mir abwenden müssen. Ich bin völlig fertig. Und da soll ich verstehen, was es mit Intuition beziehungsweise mit dem Bauchgefühl tiefergehend bis ins tiefste Gedärm und allen erdenklichen oder besser unerdenklichen Folgen auf sich haben könnte. Möglicherweise lesen hier ja Traumdeuter mit, wenn außer den ohnehin Liebhabenden überhaupt noch jemand hier vorbeischaut, die mich erlösen, besser vielleicht eine -in, die ohnehin die Traumwelt des Mannes besser im belesenen Einfühlungsvermögen hat als er selbst. Es darf ruhig jemand aus dem Bereich des neueren Geheimwissens, der heutzutage als Esoterik landläufig bekannten Parawissenschaften sein. Und sei es, daß ich erfahren muß, einer sexuellen Störung zu unterliegen, möglicherweise weil ich Schlechtes, vielleicht sogar entgegen meiner Absicht Nahrungsmittelindustrievergiftetes gegessen oder getrunken habe. Es dürfen ruhig solche Wissenden sein wie Friedell und Polgar, die Goethes letzte Worte Mehr Licht! dem Verlangen des Geheimraths nach mehr Milch im Kaffee zuschrieben. Vielleicht war die meine ja nicht von einer glücklichen Kuh, oder das Rindvieh wußte nichts von meiner strikten Weigerung, einen derart panachierten Trunk zu mir zu nehmen. Ich bin für das lustvolle Reinheitsgebot.
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