Gossenreport

Auf die Seite 1 gehört's, Herr Nnier! Was ich als Herausgeber und Chefredakteur meines elektrischen Massenblattes gebiete und als mein Untergebener hiermit dienstbeflissen ausführe. Denn das Wesentliche an sich will nicht in die weniger beachtete Randspalte, sondern, wie täglich bildhaft vorgeführt, das Titelblatt zieren. Oder so: Leserbriefe finden in der Regel nicht die Beachtung, die Ihnen (nicht immer, aber oft genug) gebührt.

Ein Gossenreport ist sicherlich notwendig geworden, nachdem Hans Esser offenbar insofern zur historischen Figur wurde, als er wie nahezu alle tapferen, nicht eben vom Roß herunter kämpfenden Aufklärer in den Orkus flüchtiger Erinnerung entschwebt ist. Nun gut, der Rechercheur des alltäglichen Grauens ist wiedergeboren worden und hat andere Brötchen gebacken. Das Problem aber ist, daß der Hinweis auf den Dreck, für den er sich nichtmal bücken mußte, da er ihm in dieser Backstube bereits exemplarisch entgegenquoll, wohl kaum etwas bewirkt haben dürfte. Sie kaufen weiterhin beim Billigheimer billige Backwaren (vor denen es sogar die pharmazeutisch genährte Sau grausen würde, die sie mittäg- oder abendlich kiloweise auf den Tisch bringen), und auch im Internet suchen sie nicht gerade nach der Wahrheit über das Gebäude, in dem die gesellschaftsgestaltende Politik sich die bazillen-, meinetwegen krankheitserregerverseuchte Klinke in die Hand gibt, sondern eher nach unterhaltenden Schnäppchen, weil BLÖD ihnen zu viele Wörter macht in der bildlichen Darstellung von Welt. Sie wollen's kurz und knapp, wie in der Armenbibel. Ja und nochmals ja, die Seibt und Thomma und alle anderen haben recht, man müßte solche Bücher kaufen, und sei's drum, daß man sie ins Regal stellt wie Sie (mich nicht ausgenommen) und zu lesen beabsichtigt. Schon aus Solidarität dem Autor Gerd Henschel gegenüber oder um Verlagen zu signalisieren, so weiterzumachen. Aber der gar nicht genug zu lobende Klaus Bittermann tat das, nicht zuletzt mit seiner Edition Tiamat, ohnehin schon zu Zeiten, als der Begriff links noch in eine positiv-utopische Richtung wies und vor allem — wie anders? — (auch literarische) Aufklärung verhieß. Warum druckt Henschels sehr viel finanzkräftigerer Hausverlag Hoffmann und Campe mit seinem entsprechend ausgestatteten Vertrieb sowas nicht? Nun gut, führe ich's mal darauf zurück, daß Bittermann und Henschel sich schon seit langem kennen ...

Es geht uns allen anderen so, die wir irgendwas zu kritisieren oder einfach nur zu bekritteln haben: Es wird in der Regel, wenn überhaupt, nur von denen gelesen, die's ohnehin bereits wissen. Das Blatt wird, wie Gustav Seibt treffend anmerkt, am Ende gar «‹witzig› gefunden, manchmal sogar als ‹Kult› anerkannt, und die Dreistigkeit seiner Ringelpietzbrutalität entlockt sarkastischen Schöngeistern sogar eine gewisse faulige Amüsiertheit».

So erlebe ich die Realität: Immerzu tut die Büddenwarderin den auf die Neunzig zugehenden klapprigen Vermietern den Gefallen, ihnen das großdeutsche Informationsblatt mitzubringen. Mein jedesmal aufs neue angewidertes Gesicht ignoriert sie geflissentlich. Seit sie rübergemacht sind in den Siebzigern, die Kranführerin und der Maurer, genießen sie diesen Quell von Freiheit, dessen Labsal Axel Cäsar ihnen früher immer irgendwie über die Gänsefüßchengrenze geschmuggelt hatte, zumindest eine Ahnung von dem, was man auf der anderen Seite des Westwalls unter freien Gedanken verstand. Man solle den Alten diesen Rest nunmal lassen, meinte meine Menschenfreundin lange. Ja, ich gestehe, mittlerweile halte ich die Klappe. Zumal es nichts fruchtet. Was daran zu beobachten ist: Unser Tischlerlehrling muß dem Gesellen morgens immer dieses Schmierblatt mitbringen, aber nicht, um den Stinkekäse fürs zweite Frühstück darin einzuwickeln, sondern auf daß der zehn Jahre ältere Geselle erfahre, was in der Welt außerhalb seines Mikrokosmos' geschieht. Und am christlichen Schabbes macht er Friede und deren Adoptivsohn Kai noch ein bißchen stinkereicher, indem er die Wochenendausgabe kauft und die Welt studiert wie andere die am Sonntag. Und wissen Sie, verehrter Monsieur Nnier, was das für Balken sind, die einem in der Ferienzeit an Südfrankreichs sanften Gestaden in die Augen gerammt werden, wenn Ihnen nach Information aus Karlsruhe, Göttingen oder Bremen dürstet? Genau. Gehen Sie mal in Narbonne oder St-Cyprien oder sonstwo in diesen Urlaubsburgen (die von denen in Spanien nicht zu unterscheiden sind, wo's ja ebenfalls und überall das großartige deutsche Bild von Würstel et Kraut gibt) die Plages entlang und schauen mal, was da an deutschsprachiger Lecture herumliegt. Da kann einem die plage (Strand) zum tourment (Plage, Marter, Pein) werden. Sie wollen eben nicht verzichten auf ihren Leib- und Magenfahrplan.

Das ist so, seit ich über dieses Land gekommen bin. Was hat es gebracht, daß ich damals in Berlin mit vor einem bestimmten Haus skandiert habe (zum Steineschmeißen und Barrikadenerrichten wie weiland der rote Daniel an der Westfront war ich immer zu feige), es gehöre abgefackelt. Heute geht das Volk, das wir zu retten versucht haben, nach Anleitung seines angestammten Bildungsblattes auf den Fackelzug nach Berlin, wo es seinen Schlachtern Hymnen singt. Irgendwas von über vierzig Prozent habe ich gelesen, die die führende Metzlerin sofort wieder wählen würden, ginge das in einer Direktwahl. Und selbst wenn geschähe, was ich nicht einmal dem Unort trivialromantisch-phantastischer Liebhaberei zuordnen würde (und auch nicht sehen wollte), nämlich daß eine gysierte Fontaine aufsteigen würde zum berlinischen Olymp der Regierenden, welches bildreiche Blatt wohl würde zum Zentralorgan?

Nein. Ich Gebrechlicher trage keinen Müll mehr runter. Ich lasse ihn schlucken.

Beim obigen Banner handelt es sich um die Titelzeile des Internetional Project Bildstörung von Volker Hildebrandt.
 
Mi, 24.09.2008 |  link | (2920) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


mark793   (24.09.08, 11:48)   (link)  
Tja,
um vor einem bestimmten Haus in Mauernähe zu skandieren war ich damals zu jung, im Kindergarten war man halt doch noch nicht so politsiert.

Das Problem ist, dass sich diejenigen, denen man die Lektüre von Wallraff, Henschel und dem Bildblog wärmstens anempfehlen möchte, sich irgendwie selbst immunisieren gegen die Erkenntnis, dass die Lektüre dieses "Organs der Niedertracht" (Max Goldt) auf Dauer den Geist vergiftet.

Von daher predigen alle Warner vor B*ld entweder den Gehörlosen oder vor einer ziemlich leeren Kirche, in die eh nur diejenigen gekommen sind, welche die Botschaft eh gehört haben.

Ich bin mir manchmal auch nicht sicher, wie ich die Rolle des aufmerksamkeitsparasitären Blidblogs in diesem Zusammenhang bewerten soll. Einerseits ist es wichtig und richtig, dass auch im täglichen Klein-klein aufgezeigt wird, wie schlampig das Drecksblatt jeden Tag zusammengetackert wird. Auf der anderen Seite vermisse ich da oft den Blick aufs Große und Ganze, die Erklärung, warum es ist, wie es ist, den funktionalen Zusammenhang.

Aber wenn ich sehe, wie wenig die Mühe größerer Geister gefruchtet hat, die Verblödungsmaschinerie zu stoppen oder wenigstens zu verlangsamen, dann frage ich mich schon auch manchmal, on "Ignorieren" nicht vielleicht doch mein Mittel der Wahl ist. Schwierig.


nnier   (24.09.08, 13:01)   (link)  
Dem bildblog kann und mag ich, wie oben erwähnt, aufgrund seiner Kleinteiligkeit auch nicht so viel abgewinnen - mancher bezeichnet es ja auch als die kostenlose Qualitätskontrolle für das Blatt. Dennoch bekommt man dort natürlich Tag für Tag dokumentiert, wie dummdreist und auf ganz verschiedenen Ebenen dort geklaut / gelogen / diffamiert / falsch übersetzt / schleichgeworben / geheuchelt / ... wird. Eine sinnvolle Arbeit, die getan werden muss. Und auch der kleine Einzelfall kann Erkenntnis stiften.

Interessanter, da eben in einen übergeordneten Zusammenhang gebracht, klingt für mich natürlich das Buch von Gerhard Henschel, über das Gustav Seibt in der Süddeutschen schreibt (Herr Stubenzweig hat den Artikel oben verlinkt):
Es geht nicht um exzesshafte Fehltritte, sondern um den Alltag des Blattes, seine moralische Atmosphäre. Das insistente Gemisch aus Spannertum, ordinärer Geilheit, Schadenfreude und käuflichem Sex wird aufs Niederschmetterndste vorgeführt. So werden wir einer moralischen Korruption wieder ansichtig, die als anthropologische Ekelhaftigkeit einen täglichen Angriff auf die Menschenwürde bedeutet.
[...]
Gerhard Henschel geht es um die tagtägliche Verletzung der Scham, aus der eigentlich nur eines folgen kann: Dass diejenigen, die sie betreiben und verantworten, zu gesellschaftlichen Parias werden müssten. Wer mag, wenn er eine Woche Bild intensiv gelesen hat, noch vorbehaltlos Chefredakteur Kai Diekmann, Verlagschef Mathias Döpfner und Verlegerin Friede Springer begegnen? Dass diese Personen geachtete Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft bleiben können, das ist das eigentlich unfassbare Skandalon, das Henschels Buch wieder ans Licht hebt.
Für Predigten eignet sich so etwas nicht; aber man kann's ja mal statt der Volksbibel neben das eine oder andere Bett legen.


mark793   (24.09.08, 15:53)   (link)  
Ich denke drüber nach,
das Buch anzuschaffen, selbst wenn ich jetzt nicht unbedingt erwarte, dass ich nach der Lektüre mein "Welt""bild" neu zusammensetzen muss.

Zu der Frage, wie es kommt, dass Friede Springer und ihr Ziehsohn Mathias Döpfner ebenso wie der Kai D. fürs Grobe geachtete Mitglieder der Gesellschaft sein können, wird man mit dem kritischen Blick auf Bild allein nicht viel weiter kommen. Zumindest ist es so, dass die obersten Vorstandsränge den Machern der "roten Gruppe" seit einiger Zeit verwehrt geblieben sind. Ganz oben zieht ja ein promovierter Musikwissenschaftler und ausgewiesener hochkultureller Feinbein die Strippen. Und bei Springers wird (wie bei der Familie Bauer auch) die hanseatisch-seriöse Kaufmanns-Attitüde gepflegt. Im Fall von Kai Diekmann liegt der Fall ein bisschen anders, der braucht diesen kulturellen Firnis nicht, der wird nach meiner Einschätzung auch nie ganz oben im Verlag (oder einem anderen Verlag) ankommen, den braucht man weiter unten als Vollstrecker und Projektionsfläche für alle, die ein personifiziertes Übel brauchen, das macht es Friede und Mathias leichter zu sagen, tja, der Kai aus der Kiste, der agiert da auch eigenständig, und sehen Sie, die rote Zeitungsgruppe ist ja nur ein Teil unseres breit gefächerten Portfolios. Zu dem ja auch eine überraschend gute Zeitung wie der "Standard" in Wien gehört.

Und wahrscheinlich ist die ganze bessere Gesellschaft, in der sich die Springers, Bauers, Burdas, Kirchs und Holtzbrincks bewegen, ein Mega-Skandalon, wenn man da mal näher hinguckt. Ich habe das Treiben ja einige Jahre lang als Medienjournalist etwas genauer verfolgt als der Ottonormalmediennutzer. Da hat selbst jeder Verlegerclan in der Provinz seine Leichen im Keller. Aber diese Leute sind so mit "dem System" verwoben, dass es immer ein wenig zu kurz greift, wenn man diesen oder jenen Einzelfall anprangert ohne den funktionalen Zusammenhang im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu sehen.

Etwa: Was ist mit dem Publikum? Wie kommts, dass am Strand von Bibione eben nicht "Lettre international" gelesen wird? Werden die Leute von dem Schwachsinn künstlich verblödet - oder gibt es ein anthropologisch konstantes Bedürfnis nach Trash und Schund, dem die Medienmacher halt Rechnung tragen??

Mer waases net...


jean stubenzweig   (24.09.08, 16:28)   (link)  
Zunächst einmal
mein Hinweis auf einen Fehler meinerseits – zu dem ich gerade angesetzt hatte, bevor Ihre Post hier eingetrudelt ist (da gehe ich noch darauf ein). Ich habe Friede einen Adoptivsohn Kai unter den Hosenrock gejubelt – wo der doch Mathias heißt! Man möge es mir nachsehen. Für mich ist die zwillingsgleiche Ähnlichkeit zu frappierend. Allenfalls am öffentlichkeitskultivierenden Auftritt vermag man den Unterschied erkennen. Und am Status innerhalb der Hierarchie selbstverständlich. Und sicherlich auch am zu versteuerenden Einkommen. Aber ob's in deren Köpfen Unterschiede gibt? Weiß man's? Ich kann und darf nicht hineinschauen.

Bildblog. So ehrenhaft es gemeint sein mag und vermutlich auch ist. Aber es fehlt eben, wie Sie, Mark, geäußert haben, der «Blick aufs Große und Ganze, die Erklärung, warum es ist, wie es ist, den funktionalen Zusammenhang». Und nicht nur, daß es mir geht wie Herrn Nnier, dem's zu «kleinteilig» ist. Bisweilen habe ich den Eindruck, es wird ähnlich dem darin kritisierten Schmierblatt rezipiert: Und noch ne Sensation ... So manches Mal frage ich mich bei dortigen Kommentaren, ob deren Autoren wohl auch bereit wären, die Reportagen von Herrn Wallraff-Esser oder den Gossenreport von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen, um zu verstehen, was da seit Jahrzehnten gespielt wurde und weiterhin unverbrüchlich inszeniert wird.

Und sage keiner, ich wüßte nicht, wovon ich spreche. Ich flaniere ja nicht nur an südfranzösischen Urlauberstränden, sondern fahre häufig mit der Deutschen Bahn. An fast jedem zweiten Platz ist so ein Exemplar zurückgelassen worden, und das nicht nur in der Holzklasse. Damit habe ich diejenigen nicht eingerechnet, die mitgenommen wurden, weil die Lieben zuhause das ja auch noch lesen möchten. Denn irgendwoher müssen die Leserreporter-Hinweise ja herkommen – eben auch im Bildblog.

Das wird es wohl unter anderem sein, was die oben erwähnten Zwillinge zu etwas Besserverdienenden macht. Denn mit der Welt der Lübecker oder anderer Nachrichten ist das wohl eher weniger zu schaffen.


jean stubenzweig   (24.09.08, 18:11)   (link)  
Der Hamburger
oder jetzt Berliner Kai, mark793, oder andere, da haben Sie sicherlich recht: Eher weniger dem «kulturellen Firnis» zugetan. Ich hatte im Lauf der Jahre das Vergnügen, zwei seiner Vorgänger kennenzulernen (wie noch einige andere dieser hierarchisch etwas weiter unten angesiedelten Isestraßen-Kneipengänger). Die Gespräche verliefen teilweise durchaus angenehm, in Einzelfällen traf man sich durchaus freundschaftlich. Und wer liest schon ständig Lettre international? Auch in Heinrich Bauers Playboy gab's Lesevergnügen. Und ich stimme Ihnen, nicht nur deshalb, völlig zu, daß der Einzelfall entschieden zu kurz greift, «ohne den funktionalen Zusammenhang im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu sehen».

Mit Sicherheit gibt es «ein anthropologisch konstantes Bedürfnis nach Trash und Schund, dem die Medienmacher halt Rechnung tragen». Nehmen wir als Beispiel die früheren Theater, die ja zu größten Teilen nichts anderes waren als Volksvergnügen. Aber eben durchaus auch mit aufklärerischen Inhalten versehen. Shakespeare – das war Volksthater! Letzteres wird heute völlig – was für ein Wort! – entartet auf der Kracherlbühne bei Millowitschs oder Ohnesorgs aufgeführt. Das Gleiche geschieht mit der Volks-Musik. Alles völlig der ursprünglichen Bedeutung entrissen. Fernsehen gab's ja noch nicht zu Zeiten, als die Thespiskarren eines Molière oder anderer durch die Lande rollten. Ebensowenig Zeitungen – die man ohnehin nicht hätte lesen können.

Später kam dann die Zeit der Aufklärung, mit deren Hilfe dann die eine oder andere Wahrheit an die Wirklichkeit gezerrt wurde. Zunächst mit Hilfe von Vorlesern. Dann aber setzte irgendwann die Alphabetisierung ein. Im fortgeschrittenen Stadium könnte die heutzutage als Kontrollorgan geeignet sein. Das tut sie aber nicht, da ja auch noch welche – ich weiß nicht mehr genau, ob's tatsächlich der berühmte Nazi-Richter gesagt hatte, den man (aus eben diesem Unwissen heraus?) zum baden-württembergischen Ministerpräsidenten wählte – arbeiten müssen. So ähnlich jedenfalls.

Meines Erachtens wird das angestrebt und in letzter Zeit zunehmend (wieder) gefördert: Die Bildung der Masse eben so gering wie möglich zu halten, sie nur noch auf das möglichst rasch zu eringende Bruttosozialprodukt hin zu eichen. Dankend wird das auch im akademischen Bereich von vielen angenommen: mittels kürzerer Schul- und Turbostudienjahre schnell Geld verdienen. Und Steuern zahlen. Selbstverständlich hat das entsprechende Auswirkungen. Und bei den anderen, die arbeiten, besteht logischerweise kein Interesse an so'm 3sat oder arte-Langweilkram. Deshalb gibt's ja die Privaten und die Öffentlich-Rechtlichen, die denen, nicht nur im Vorabendprogramm, den Schund nachahmen. Bedürfnis erfüllen.

Mittlerweile verstehe ich's sogar, bin ich doch seit einiger Zeit raus aus dem elfenbeinernen Glashaus, habe Bodenkontakt bekommen zu Menschen, deren harter Arbeitstag beziehungsweise deren Bildungshintergrund diese «Abgehobenheiten» nicht verkraftet. Aber immer wieder stelle ich dabei auch fest, wie groß das Interesse ist, wenn man den Menschen nicht nur was zum Auswendiglernen hinpackt, sondern ihnen Zusammenhänge erklärt. Dann wird es manchmal auch ihnen ein leichtes, den Boden der Geschichte zu berühren. Dieses alles verkürzende und weder Wirklichkeit vermittelnde geschweige denn auf Wahrheit zielende und deshalb von bestimmten Gliedern dieser Gesellschaft gewünschte Klitterungsblatt ist dann ohnehin kein Thema mehr.

Es geht. Ich weiß es. Aber einige haben das nicht so gerne.


mark793   (24.09.08, 18:40)   (link)  
Ja,
da geht einiges, anderes aber nicht. Ich schaffe es ja nicht mal, meine Frau (eine Akademikerin, die den Verblödungszusammenhang durchaus durchschaut) argumentativ davon abzuhalten, gelegentlich den Promiklatsch auf blöd.de anzuklicken oder das Mami-Buch von Katja Kessler zu verschenken. ;-)

Ich hatte bezüglich der "Bild"-Frage manche engagierte Diskussion mit meinem früheren Kollegen Peter Turi, der ja dem Treiben der Springers, Burdas und Holtzbrincks sehr viel wohlwollender gegenübersteht als ich. Er hat immer gesagt, es wäre illusorisch, davon auszugehen, dass alle "Bild"-Leser die FAZ oder ihr jeweiliges Regionalblatt lesen würden, wenns es den Kauftitel mit den vier Buchstaben nicht gäbe, vielmehr würden die Leute dann gar nichts lesen und nur RTL 2 oder dergleichen gucken. Das ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen, aber eine plausible Begründung, warum das Blatt so mies ist wie es ist, liefert das natürlich nicht. Und da halte ich Ihre Hypothese, dass die Verdummung des Volks durchaus gewollt ist, für wesentlich plausibler.

Gleichzeitig (und das beantwortet auch die alte Frage, wo denn das Positive bleibe) sind natürlich auch mehr Nischen entstanden, in denen man (so man lustig ist) diesen Trubel relativ weiträumig meiden kann. Von daher könnte ich jetzt gar nicht mit Bestimmtheit sagen, dass wir dem Untergang des Abendlades heute wesentlich näher sind als zu Spenglers Zeiten.


nnier   (24.09.08, 19:45)   (link)  
Die Idee, das eine durch das andere Abonnement zu ersetzen, hat zwar ihren Charme, ich würde aber bezweifeln, dass dann plötzlich die Karikatur von Manfred Deix flächendeckende Realität würde (zwei Klischee-Bauarbeiter sitzen beim Pausenbrot , der eine deutet auf die Zeitung und sagt zum anderen: "Sauerei! Hier wird schon wieder eine Frau zum Sexualobjekt degradiert!").
Ich bin selbst niemand, der U von E trennt und interessiere mich gelegentlich für Musiker, Schauspieler und Fußballer. Was man aber doch auf jeden Fall sagen kann, ist, dass das bestimmt vorhandene Bedürfnis nach Prominentenberichterstattung und leichter Zerstreuung auch auf eine Weise gestillt werden kann, die nicht hysterisch, diffamierend, menschenzerstörend ist. Es ist ein Unterschied, ob man z.B. "Leserreporter" loshetzt und Restbestände von Diskretion und Anstand durch finanzielle Anreize und die Aussicht auf fünf Minuten Ruhm noch schleift, oder ob man journalistisch berichtet (und ich bin weit entfernt davon, dass dies automatisch Hofberichterstattung sein müsste). Es werden ja Bedürfnisse auch erst wieder künstlich geschaffen - wenn es irgendwo heißt "hier die schockierenden Bilder", dann juckt es eben, auch hinzuklicken, und wenn man "Prominente" vorführt, die Kakerlaken fressen. Das hat meiner Ansicht nach vorher niemand vermisst; erst als diese Dinge im Fernsehen künstlich inszeniert wurden, kamen die Leute auf die Idee, sich das auch anzusehen. Will sagen: Das eine ist ein Bedürfnis nach leichter Lektüre und eine gewisse Neugier darauf, wie die Promis so leben, was der Adel treibt, wer sich nach dem Spiel gegenseitig angeschrien hat und so fort; das andere sind bewusste und kalkulierte Angriffe auf vieles, was unsere Gesellschaft zivil macht.


vert   (25.09.08, 14:03)   (link)  
das gelegentliche scheitern in der eigenen bezugsgruppe trifft einen natürlich unwesentlich härter als die abstrakte erkenntnis, dass viel zu viele leute dieses machwerk lesen;-)
diese zeitung ist wie eine massenkarambolage auf der autobahn - es ist schrecklich, aber man guckt doch.

grundsätzlich befürworte ich die existenz eines mediums, das information vermittelt ohne viel worte zu machen; ich fürchte, herr turi hat in diesem fall mal recht.
der versuch, menschen ohne lesehintergrund wohlmeinend und paternalistisch auf "gute" zeitungen umzupolen ist elitäre bevormundung und muss kläglich scheitern. warum aber eine solche bild-zeitung derartig widerwärtig sein muss, bleibt mir ein rätsel.
nein, doch nicht: es liegt ausschließlich in der bereits benannten niedertracht und dem miesen charakter der herausgebenden begründet, die als schmierige steigbügelhalter der mächtigen selber macht bekamen und sie niemals wieder hergeben werden.
zur erfolgreichen "verdummung des volkes" würden sie auch heroin in den vorstädten verteilen.
leider ist das verboten oder der staat besorgt das selbst.















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