Neu- und altgierig Da's ein Thema für sich zu werden droht, kommt's auf Seite 1. Mit der nach Wissen strebenden Gesellschaft meine ich zunächst einmal das, was ich gerne Klappentext- oder auch Kreuzworträtselwissen nenne. Bei Bouvard und Pécuchet gibt es hübsche Parallelen insofern, als die beiden meinen, dadurch zu höherem Ansehen zu gelangen, zumindest zu gewinnen: «Wissen ist Macht, nichts wissen macht nichts — doch wie macht man sich das erworbene Wissen zunutze? Wenn man weiß, daß man nichts weiß — woher weiß man, was man wissen soll, und wie kommt man an das Wissen heran? Schließlich kann das Gefühl von Unwissenheit enorm nagend sein.» Nimmt man heutige Quiz- oder Wissenssendungen, schaut nach den gefragten Titeln im Buchhandel, scheint das in diese Richtung zu laufen. Es ist noch nicht so lange her, als der Geschäftsführer eines Zeitungsverlages mir gegenüber äußerte, das sei der neue Trend — und verwies auf die Ausschlachtung aller Zeitungsartikel des Hauses, eingepackt von Buchdeckeln, alles so geistig edel wie das führende Blatt des Hauses selbst. Dann überrollte ihn das Internet wie ein mit Makulatur beladener LKW; Papier hat enormes Gewicht. Aber nicht nur davon kann man überrollt werden, wie die Literaturliste zu Dummheit, Irrtümer et cetera belegt, was die beiden Nachfahren der Encyclopédistes ja auch dazu bewegt, die Welt korrigieren zu wollen. Allerdings sind die Korrekturen selbst längst vom US-Großscanner digitalisiert, so daß auch wirklich jeder die Fehler des anderen aus dem Internet ab- und und in den Qualitätsjournalismus hineinschreiben kann. Walter Vitt hat das mal thematisiert, einige Zeit vor dem aufrechteren Gang von Wikipedia, wo allerdings ohnehin nie wirklich niemand abschreibt, und es später in ein Büchlein binden lassen.* Doch zurück zu der nach Wissen strebenden Gesellschaft und den ganzen Rätseleien. Es ist auch kein Wunder angesichts der aktuellen curricularen Systeme, die zumindest im Hochschulbereich genau das beabsichtigen, was man zuvor eigentlich nur von den juristischen Repetitorien kannte: Auswendiglernen; schulisch beispielhaft bekannt als das vielzitierte 333 — Issos Keilerei. Aber weshalb und wieso es zur kriegerischen Auseinandersetzung kam, das Wissen um Zusammenhänge fand in Benotungen kaum Niederschlag (schon gar nicht in Bayern, wo der aus der Fremde hinzugezogene Abiturwillige als erstes einen Malus einidruckt bekam). Und so sieht's heute bei den Universitätsabgängern aus. Nicht nur bei den Bachelors. Da habe ich einiges an jüngsten Erfahrungen. Wobei auch diese Neuheit ein alter Hut zu sein scheint, wie ich hier erfahren mußte, bezugnehmend auf die «eingeschränkte Halbwertzeit», nach der beispielsweise für viele Kunsthistoriker die Geschichte der Kunst, mit, sag ich mal, bei Beuys beginnt. — Hintergründe zum Dilemma sind auch in Somlus Welt angerissen. Und genau das scheint viele Menschen wißbegierig werden zu lassen, aus dem mittlerweile ein ebenfalls sprachlich reduziertes neugierig geworden ist. Was dann entwicklungstechnisch den Nagel auf den Kopf trifft: altgierig ist nicht cool. Außerdem müßte man da möglicherweise komplette Bücher lesen. Wofür keine Zeit ist, denn die benötigt man für die zwei oder drei Jobs; zum Beruf hat's die ökonomische Ausrichtung des Studiums nicht kommen lassen; möglicherweise lag's am reinen Auswendig- oder am Zuweniglernen. Pech gehabt. Mit den aktuellen Ereignissen kam mir auch leicht Vergangenes in Erinnerung. Kürzlich ärgerte sich die junge Frau in der Familie sehr darüber, daß die Note für die Diplomarbeit wegen ein paar Zehnteln nicht für den Höchstwert gereicht hatte. Aber bereits Mitte der Neunziger nahm der Freund eine geradezu ungeheuerliche Rigorosum-Schlacht auf sich, um den Doktor auf den Schild eines auch wirklich nicht mehr besser zu bewertenden summa cum laude zu heben. Andererseits — was nutzt die ganze wißbegierige Leserei, wenn's einem so ergeht wie unseren beiden Helden Bouvard und Pécuchet (die in die Kommentare verbannt sind): * Walter Vitt: Palermo starb auf Kurumba. Wider die Schlampigkeiten in Kunstpublikationen. Köln/Nördlingen 2003. — Vitt beklagt die vielen biographischen und sachlichen Fehler, die in Künstler-Lexika und Katalogen zu finden sind und durch unkritisches Abschreiben dann in der Häufigkeit ihres Aufscheinens zu «Wahrheiten» mutieren. Der Autor vertraut der Verläßlichkeit lexikographischer Arbeit im Kunstbereich nicht mehr. Mademoiselle Mimi gehört zu ihm. Aber man darf unter CC.
«... verdummt, statt zu bilden»
«Zuerst lasen sie Walter Scott.Es war, als entdeckten sie eine neue Welt. Die Menschen der Vergangenheit, die bisher nur Schemen oder Namen für sie waren, wurden zu lebendigen Wesen — Könige, Fürsten, Zauberer, Diener, Jagdhüter, Mönche, Zigeuner, Kaufleute und Soldaten, die in der Waffenkammer der Schlösser, auf der schwarzen Bank der Wirtshäuser, in den winkligen Straßen der Städte, unter dem Schutzdach der Verkaufsstände, im Kreuzgang der Klöster beratschlagen, kämpfen, reisen, Handel treiben, essen und trinken, singen und beten. Kunstvoll gezeichnete Landschaften bilden den Schauplatz des Geschehens gleich einem Bühnenbild. Man verfolgt mit den Augen einen Reiter, der im Galopp den Strand entlangsprengt. Zwischen Ginsterbüschen atmet man den frischen Wind, der Mond bescheint einen See, auf dem ein Boot dahingleitet, Rüstungen funkeln in der Sonne, Regen fällt auf Laubhütten. Ohne die Vorlage zu kennen, fanden sie die Darstellung lebensecht, die Illusion war perfekt. Darüber verging der Winter. Nach dem Mittagessen ließen sie sich im kleinen Salon zu beiden Seiten des Kamins nieder, und mit einem Buch in der Hand einander gegenübersitzend, lasen sie schweigend. Wenn der Tag sich neigte, machten sie einen Spaziergang auf der Landstraße, aßen in aller Eile zu Abend und setzten ihre Lektüre bis in die Nacht fort. Um sich vor dem Lampenlicht zu schützen, trug Bouvard eine blaue Brille; Pécuchet hatte den Schirm seiner Mütze tief über die Stirn gezogen. Germaine war nicht fortgegangen, und gelegentlich kam Gorju, um den Garten umzugraben, denn aus Gleichgültigkeit hatten sie nachgegeben, die materiellen Dinge vergessend. Nach Walter Scott ergötzte sie Alexandre Dumas wie eine Laterna magica. Flink wie Affen, stark wie Ochsen und vergnügt wie Buchfinken treten seine Personen unvermittelt auf und führen schroffe Reden, springen vom Dach aufs Plaster, ziehen sich furchtbare Wunden zu, von denen sie genesen, werden für tot gehalten und tauchen plötzlich wieder auf. Da gibt es Falltüren im Fußboden, Gegengifte, Vermummungen, und alles ist miteinander verwoben, kommt voran, entwirrt sich, ohne eine einzige Minute der Besinnung. Die Liebe wahrt den Anstand, der Fanatismus ist heiter, die Blutbäder entlocken ein Lächeln. Von diesen beiden Meistern verwöhnt, konnten sie den schwülstigen Stil Béllisaires, das törichte Geschwätz Numa Pompilius', Marchangys und des Vicomte d'Arlincourt nicht mehr ertragen. Frédéric Soulie (wie auch der Bibliophile Jacob) erschien ihnen zu farblos, und Villemain entrüstete sie, weil er auf Seite 83 seines Lascaris eine Spanierin darstellt, die eine Pfeife raucht, «eine lange arabische Pfeife», und das mitten im 15. Jahrhundert! Pécuchet schlug in der Biographie universelle nach, um Dumas auf wissenschaftliche Genauigkeit hin zu überprüfen. In den Zwei Dianen bringt der Autor die Daten durcheinander. Die Vermählung des Dauphins Françoise fand am 15. Oktober 1548 und nicht am 20. März 1549 statt. Woher will er wissen (siehe Der Page des Herzogs von Savoyen), daß Katharina von Medici nach dem Tode ihres Gatten den Krieg wieder beginnen wollte? Es ist wenig wahrscheinlich, daß der Herzog von Anjou sich nachts in einer Kirche krönen ließ, wie in einer Episode der Dame von Montsereau zu lesen ist. Die Königin Margot vor allem wimmelt von Irrtümern. Der Herzog von Nevers war nicht abwesend. Er gab noch vor der Bartholomäusnacht seine Zustimmung vor dem Rat, und Heinrich von Navarra folgte nicht vier Tage später der Prozession. Heinrich III. kehrte nicht so bald aus Polen zurück. Und außerdem: wieviel abgedroschenes Zeug! Das Wunder des Weißdorns, der Balkon Karls IX., die vergifteten Handschuhe der Jeanne d'Albret; Pécuchet hatte kein Vertrauen mehr zu Dumas. Er verlor sogar jede Achtung vor Walter Scott wegen der Schnitzer in seinem Quentin Durward. Darin ist die Ermordung des Bischofs von Lüttich um fünfzehn Jahre vorverlegt. Robert de Lamarcks Frau war Jeanne d'Arschel und nicht Hameline de Croy. Er wurde ganz gewiß nicht von einem Soldaten getötet, sondern von Maximilian umgebracht, und auf dem Antlitz Karls des Kühnen lag, als man seine Leiche fand, keine Drohung mehr, denn die Wölfe hatten es halb abgefressen. Bouvard setzte dennoch die Lektüre von Walter Scott fort, aber schließlich langweilte ihn die ständige Wiederholung der gleichen Effekte. Die Heldin wohnt gewöhnlich mit ihrem Vater auf dem Lande, und der Liebhaber, ein geraubtes Kind, wird in seine Rechte wieder eingesetzt und triumphiert über seine Rivalen. Immer gibt es philosophierende Bettler, einen mürrischen Schloßherrn, jungfräuliche Mädchen, schnurrige Diener und endlose Dialoge, eine dumme Prüderie und den völligen Mangel an Tiefe. Voller Groll gegen diesen Plunder griff Bouvard zu George Sand. Er begeisterte sich für die schönen Ehebrecherinnnen und die edlen Liebhaber, gern wäre er Jacques, Simon, Bénédict, Lélie gewesen und hätte in Venedig gewohnt! Er seufzte, wußte nicht, was mit ihm war, und kam sich selbst verändert vor. Pécuchet, der sich auf historische Literatur verlegt hatte, studierte nun Theaterstücke. Er verschlang zwei Pharamonds, drei Chlodowige, vier Karl der Große, mehrere Philippe-Auguste, eine Unmenge Jeanne d'Arcs und zahlose Marquisen von Pompadour und Verschwörungen von Cellamare. Fast ausnahmslos kamen sie ihm noch dümmer vor als die Romane. Denn für das Theater gilt eine Konvention, die durch nichts zu zerstören ist: Ludwig XI. wird nie versäumen, vor den Figürchen auf seinem Hut niederzuknien; Heinrich IV. wird stets jovial, Maria Stuart weinerlich, Richelieu grausam sein; kurzum, sämtliche Charaktere erscheinen, aus Liebe zum gedanklich Einfachen und aus Respekt vor der Unwissenheit, wie aus einem Guß, so daß der Dramatiker erniedrigt, statt zu erheben, verdummt, statt zu bilden.» zitiert nach: Bouvard und Pécuchet. Aus dem Französischen von Thomas Dobberkau; Verlag Rütten & Loening, Berlin 1980, 2. Auflage 1987, S. 146f., bzw. nach Laubacher Feuilleton 1.1992, S. 3 >> kommentieren Oh,
da machen sie jetzt aber ein Fass auf; eines das ich nicht zu füllen vermag, schon weil mir nicht einmal vollständig klar ist wie groß es ist und so möchte ich mich auch nur bruchstückhaft vortasten. Bouvard und Pécuchet sind doch tragisch-komische Figuren einer neuen gescheitert-gelungenen Welterfahrung durch Wissen. (Wenn ich mich recht erinnere und mit heutigem Wissen die verflossene Leseerfahrung auffülle. Wenn ich mich vertue, korrigieren sie bitte.) Ihre Sehnsucht, die Enzyklopädisten ernst nehmend, sich die Welt durch Wissen erfahrbar zu machen, führt sie zu, ja wie könnte man das nennen? zu einem romanhaften(?), zu einer neuen narrativen, im Gegensatz zum mythologischen Weltbild, das ja auch einen erzählenden Welterklärungszugang herstellte, privaten, feuilletonistischen Weltorientierung. Forsters Reise um die Welt, die ich ja gerade am Wickel habe, ist vielleicht das „ernste“ Gegenstück einer empirisch-wissenschaftlichen Welterfahrung dazu. Ach ja, und der Streit zwischen Kant und Forster über Empirie vs. begriffliche Einordnung in der Studierstube gehört ja auch dazu. Wobei, jetzt unabhängig vom Gegenstand ihrer Auseinandersetzung, den „Menschenrassen“, ja beide Recht haben. Lustig ist, dass Forster eigentlich ja dichter am Kreuzworträtselwissen dran ist, als Bouvard und Pécuchet? Sie spüren schon: ich bin hier etwas am schwimmen. «Bouvard und Pécuchet
sind doch tragisch-komische Figuren einer neuen gescheitert-gelungenen Welterfahrung durch Wissen.» Selbstverständlich läßt sich das so rein lesen. Es geht jedoch auch anders («... ein Minenfeld für Interpreten» schrieb Katharina Rutschky). Und ob das ein Faß ist, das ich aufmache? Ich sehe die beiden, neben meinem Amusement, auch in Flauberts wutschnaubenden Ausfällen gegenüber den damaligen kleingeistigen Emporkömmlingen und verlängere es – auch ich fröhne manchmal dem postmodernen warholschen anything goes oder besinne mich der gerne vermischenden oder nicht eben gradlinigen Romantik – zu den heutigen scheinbar Wißbe-, nein Neugierigen, die sich über alles hermachen, was sich irgendwie verwerten läßt, ob's nun verstanden wird, etwa in seiner kulturhistorischen Bedeutung, oder nicht, vielleicht durch Reduktion auf eher schlichte Vorkommnisse des Lebens. Stefan Zweifel nennt es «eine globale Boulevardisierung». Das habe ich im Kopf, wenn ich Bouvard und Pécuchet heranziehe. Womit wir wieder bei den Zusammenhängen wären. Ein bißchen altgierig möchte schon sein, ganz ohne den Versuch, zumindest in die Zeit Flauberts hineinzutauchen, meinetwegen auch noch hundert Jahre zurück, geht's eben dann doch nicht. Na gut, der Kritiker als solcher ist so gut wie ausgestorben. Und sein Überbleibsel rutscht mittlerweile vor breitem Publikum als Clown auf der Resterampe ins Internet.Hans Platschek hat dazu mal, als beispielsweise Matthias Mattusek noch nicht in die Video-Hampelei verbannt worden war, sondern zu Zeiten, als er sich aus dem ein klein wenig subkulturell Stadtzeitungstechnischen gelöst hatte (was biographisch irgendwie verlorengegangen zu sein scheint), einen köstlichen Text verfaßt mit dem Titel: Bouvard und Pécuchet im Wechselspiel. Zur Vertiefung: Stefan Zweifel 2003 Hildegard Haberl, 2005
Ich muss hier wohl ein paar Umdrehungen verpasst haben und frage mich nun, in welchem Zusammenhang Mad Matussek mit all dem steht. Oder dient das nur zur zeitlichen Orientierung?
Matthias Mattusek
steht hier (auch) für den von Hans Platschek erwähnten Clown (obiger Link). Platschek schrieb das zu einer Zeit auf, als Matussek noch in den Niederungen schlichterer Publizistik um sein Emporkommen schrieb. Also zeitliche Beispielbrücke. Aber er dient mir vor allem als Sinnbild für den abgehalfterten (Kultur-)Kritiker, hier einer, der (noch einmal?) öffentlich kundtun durfte (am vergangenen Sonntag auf arte), er würde über seine Clownerien im Medium (Internet-)Video ein neues Publikum erreichen – das sich jedoch für die Thematik an sich weniger interessiere, sondern eher Unterhaltung suche. Auch dieser Aussage wegen habe ich ihn erwähnt (und deshalb verlinkt).
Ich glaube, was Flaubert in Bouvard und Pecuchet und seinem Wörterbuch der Gemeinplätze vor allem kritisiert, ist das verdinglichte "Wissen", das Adorno als Halbbildung bezeichnete: also nicht die Hälfte der Bildung, sondern die Unfähigkeit, die (Bildnungs-)Phänomene im Lichte eigener Erfahrung zu betrachten. Flaubert hatte, wie übrigens später Ödon von Horvath, ein sehr starkes Empfinden für bzw. gegen diese Art Schablonenbildung, die mit moderner Ent-Individuierung einhergeht, und hat ihr mit fast lustvoller Akribie nachgespürt.
Größtenteils stimme ich
Ihnen zu, was Flauberts Intentionen betrifft; ähnlich hatte ich mich ja geäußert. Nur daß Flaubert eben vor einem Hintergrund stand, der in der Regel heute so nicht (mehr) existiert, da nur noch wenigen dieses «Licht eigener Erfahrung» aufgeht, da ihnen kaum mehr jemand erklärt, erklären kann, was das überhaupt ist; auch, weil es die meisten nicht interessiert.Ich halte es schlichtweg für grauenhaft, wie hier und heute an Schulen, und, noch schlimmer, an Universitäten Bildung vermittelt wird, auch, über welche Bildung teilweise Lehrer verfügen. Das ist natürlich größtenteils den Arbeitspensen geschuldet. Andererseits das wiederum das Ziel der aktuellen und akuten Bildungspolitik ist, die von nichts anderen beherrscht ist als dem Denken ans Geldwerte der Gesellschaft(en), in die Schablonen passend. Hauptsache produktions- und konsumfähig. Endlos.
der gesellschaftliche nutzen wird in einen ausschließlich indviduellen umgebogen. und diese individuelle dividende akademischer bildung darf sich das individumm auch gefälligst mal etwas kosten lassen.
überraschenderweise verändert sich in diesem gefolge die vorstellung von bildung und ihrem gesellschaftlichen wert. die unis sind bergwerke geworden, in denen vermeintlich nach wertvollem geschürft wird. in großem stil wird bildung abgebaut und kirmestandgleich meistbietend verhökert. zurück bleiben: bildungslücken und -löcher (später dann erdrutsche).
@ Jean Stubenzweig: D'accord.
Individuelle Dividende?
Dem, verter universitärer Bergwerker, kann ich nicht so recht folgen. Meinen Sie das, was heute im allgemeinen unter Individualität verstanden wird: kaufen (neudeutsch: konsumieren), solange noch Geld da ist? «Individumm» = Dividende?Vielleicht verstehe ich Sie aber irgendwie und -wo doch und will nur nicht wahrhaben, wie unnütz die ganze Fingerwundschreiberei samt Fransen am Maul war. Ein gesichtsloser Alter auf einer klapprigen Mähre, der nicht begreifen will, daß das Land heute nunmal anders funktioniert. Uni – früher Abenteuerspielplatz, heute Bergwerk. Irgendwas läuft da falsch ...
@stubenzweig (0:24): ich habe mich ja ein paar jahre im universitaeren mittelbau abgekrueckt, zwei davon in deutschland. und ja, teilweise ist das niveau dort grauenhaft, doch ich gebe zu bedenken, dass ich (wie auch zwei kollegen) - und jetzt will ich nicht so viele klischees wie moeglich bedienen - ungefaehr zwei wochen nach meinem eigenen examen von dem werten herrn chefprofessor eine vorlesung, ein hauptseminar und einen lektuerekurs uebernommen habe, neben dem eigenen lehrdeputat von 2 seminaren. das ganze mit vermutlich so etwas wie fortgeschrittenem studentischen wissen, und natuerlich fuer 1000 euro netto im monat, es gibt ja nur eine halbe stelle, und eigentlich ist die ja dafuer da, internationale projektantraege zu schreiben.
das hochschulrahmengesetz tut sein uebriges. alle die, die es sich fachlich leisten koennen, sich aus deutschland wegzubewerben, tun das und fluechten. denn nach sechs bzw. zwoelf jahren plackerei steht man eh da und macht ein dummes gesicht, waehrend die herren chefprofessoren schon ganz hektisch werden, weil sie ploetzlich wieder selber lehren/pruefen sollen. in deutschland bleibt dann vielleicht die b-liga und die, die oertlich nicht so flexibel sind. das ist natuerlich ein wenig ueberzogen. es gibt grossartige professoren, gute lehrende, unausgenutzte mittelbauer, natuerlich. doch in den beiden anderen laendern, in denen ich den gleichen job gemacht habe, hatte man zeit und motivation, gute arbeit zu leisten. hier war der tiefpunkt erreicht, als ich fuer bat ii/a schnittchen servieren musste. sie treffen da einen wunden punkt, da ich gerade sehr, sehr viel nachdenken muss, womit und wo ich mich denn nach der beebiepause selbstverwirklichen moechte. und vor drei tagen ist zumindest schonmal die erste entscheidung gefallen: eine deutsche uni wird es nicht mehr. (dann kann man mir auch hinterher nix vorwerfen, wenn die nation weiter verdummt). Bestätigen muß ich das,
ein wenig über eigene, massiv jedoch über Erfahrungen des rund fünfzehn Jahre jüngeren Freundes (ähnlich den Ihren), der während seines Habilitations-Stipendiums nur für den «Chefprof» geknüppelt hat – und dann sehen mußte, wie er klarkommt. Gut, er hat's dennoch prima hingekriegt. Aber ich muß mich immer wieder vor dieser Leistung verbeugen, deren Konsequenzen mir bei Besuchen dort immer wieder mal vor Augen geführt wurden. Von daher wäre mir nicht bang bei ihm als Professor, denn er lächelt nach wie vor, wenn er gebündelt lehren und prüfen muß. Ich aber, das ist klar, hätte das nicht mitgemacht. Nicht, weil ich faul bin, sondern weil ich das für eine Zumutung halte, was da mit dem Mittelbau – und damit auch mit den Studenten – gemacht wird.Meine frühen Erfahrungen stehen dazu völlig konträr. Dieser Tage habe ich's dem verten universitären Bergwerker erzählt: Zu meiner Zeit gingen die Assis mit den Studis erstmal eine Runde Tischtennis oder sonstwas spielen. Sicher, das ist unwiederbringlich vorbei, da sorgen schon die Massen für. Aber es sollte schon möglich sein, daß zumindest die Mittelbauer gemeinsam mit den Lehrlingen ein akzeptables Denk- und damit Lebensgebäude zu konstruieren in der Lage sind – das letztlich der Gemeinschaft zugute kommt. Da unsere Politiker – die offenbar nie in den Genuß eines angenehmen Studiums gekommen zu sein scheinen – das jedoch nicht wollen, sondern immer nur, wie Vert meinte, «bergwerke [...], in denen vermeintlich nach wertvollem geschürft wird», anstreben, wird das wohl auch nichts. Späte Erfahrungen habe ich aber auch, ein wenig hierzulande und dann (ganz) weit weg, erstere eher schlechte, die fernen sehr angenehm: keine Massen und dadurch wohl auch ein weitaus höheres Interesse. Es ist machbar. Sie haben es angerissen. Deshalb verstehe ich Ihre Entscheidung, «eine deutsche uni wird es nicht mehr», nur zu gut.
wenn sie es dann bitte eben meinen eltern erklaeren koennten?
kleiner spass. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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