Glücklich machende Frau Glücklich

Überfüllte gastronomische Räume sind mir ein Greuel, für mich ein Grund, sofort wieder umzudrehen und in die Freiheit der Straße zurückzueilen. Doch die junge, sympathische Frau war schneller als mein offensichtlich so quälend lahm wie meine Beine gewordener Fluchtreflex. Ihr lächelnder Fingerzeig deutete zumindest noch einen weiteren Platz an. Nun denn, wenn man schon den langen Weg durchs Städtchen gegangen war bis hin zu diesem abgelegenen, wahrlich nicht fußläufigen Ort und ohnehin und logischerweise kein Schaufenster weit und breit war, vor dem es sich kurzzeitig temporär regenerieren ließe, das Gestell ...

An dem es mir mit Sicherheit gefallen würde, meinte die kürzlich von der Stadt am Meer ins Meeresstädtchen umgezogene frische Diplom-Biologin. Denn beim letzten Mal habe sie dort immer nur leise jene französische Musik gehört, wie sie exact meinem kitschigen Geschmack entspräche, und alleine deshalb würde es mir dort sicherlich gut gefallen. Ich unterwarf mich derartigem Erkenntnisreichtum. Ein winziges Tischlein war's zwar nur, aber begleitet von der immer noch lächelnden Bemerkung, der nächste freie, großzügigere Platz sei somit bereits reserviert. Gefangennehmend hinzu kam der Ausblick auf einige Sorten Torten, die meiner Vorliebe für Crèmes aller Arten extrem entgegenkam. Und deutlich in den optischen Vordergund schob sich eine jener großen italienischen Kaffeemaschinen einer scheinbar älteren Generation, die zumindest einen ordentlichen Espresso verhieß.

Dann sah ich zunächst einmal eine ungemein stabile dunkelbraune Crema und schmeckte alsbald einen südlichen Hauch, etwa Genua. Als mir eigentlich lobkargem Griesgram das auch noch rausrutschte, rief die Büddenwarderin laut nach der Chefin und erklärte der sogleich mit besorgtem Gesicht Herangeeilten und offensichtlich mit verbaler Dresche Rechnenden, sie habe sie glücklich gemacht. In der Nichtgescholtenen verdrängte ein Lächeln das Besorgte, verstärkt von der Bemerkung, deshalb heiße sie schließlich Frau Glücklich, und aus diesem schlichten Grund sei auch ihr kleines Café nach ihr benamt. Und ob sie fragen dürfte, welche Ursache denn die des hier offenbar spezifizischen Glücks sei. Daß sie das noch erleben dürfe, sprach die Antwortgebende, daß, auf mich weisend, dieser Herr nicht nur äußere, der Espresso sei gut, sondern auch noch außergewöhnlich gut für Norddeutschland, und dann auch noch Nordostdeutschland und irgendwas mit Genua, er, der sich damit abgefunden habe, daß es einen passableren als den im hamburgischen levantinischen Gemäuer wohl nicht mehr geben würde trotz jahrelanger Suche im norddeutschen Raum, allein das zu erleben, habe die Anreise und sogar den langen Gang für den lahmenden Herrn gelohnt und würde deshalb wohl auch bald wiederholt.

Ich durfte dann auch mal was sagen, wenn auch nur kurz, quasi als Begleitprogramm dieser unablässig beredt schweigenden Anrainerinnen des Mare Balticum, die mit den weitaus westlicher lebenden Ostfriesinnen verwandt sein müssen, denn niemand schweigt so unaufhörlich wie diese beiden Völker. Meine Bemerkung, ein etwas anderer Kaffee als der handelsübliche in Kombination mit entsprechender Apparatur trage doch erheblich zur positiven Geschmacksveränderung auch unter den Vernachlässigten bestimmter Regionen bei, wurde durch Frau Glücklich unterbrochen von einem Vortrag, den normalerweise ich halte, hier zusammengefaßt mit: «Man muß es aber auch können.» Konstante Wassertemperatur (nie die Maschine ausschalten über Nacht!), Mahlgrad des Kaffeepulvers und und und. Später, als das kleine Café die Frühstückstammgäste nachhause und Mutter samt Tochter zum Lädchengucken geschickt hatte, philosophierten Frau Glücklich und ich eine Weile über die erfreuliche Entwicklung einer Art Romantik im Cafégewerbe, die sich dieser mehr als seltsamen, geradezu militanten sogenannten Aufklärung entgegenstellt, die die Geschmacklosigkeiten der Nahrungsmittelindustrie auch in der Gastronomie zu verbreiten trachtet.

Denn zunächst einmal folgten von Buttersahnecrème gestützte Himbeeren. Die junge Frau meinte, nirgendwo hätte sie eine Eisschokolade wie diese genossen, weshalb sie auch sofort eine zu sich nahm. Zuvor hatte sie mir eine Fibel vorgehalten, aus der die Existenzberechtigung von Schokolade hervorging. Adressaten des Büchleins waren, für mich unverständlich, ausnahmslos Frauen. Worauf die ansonsten ständig mit gewichtigen Göttern irgendwelcher Ideale hadernde Büddenwarderin ein Stück Schokoladentorte orderte, das einer Magd des 19. Jahrhunderts als Wochenenergiebedarf ausgereicht hätte. Die ersten Happen waren noch nicht bewundernd belobigt, zogen wir auch schon um an einen lichten Fensterplatz mit Blick auf das Sträßchen mit zwei Tischen und zugehörenden Stühlen, seitlich befriedet noch von einem fast zur Straßenmitte reichenden Rosengewächs, das sich seine Nahrung holte aus der Erde unter dem Pflaster, das noch vor der DDR als Strand installiert worden sein dürfte.

Außer der nicht nur wegen ihrer Leisheit sanften Musik gab es noch etwas ausgesprochen Französisches in diesem Idyll, das ich in deutschen Landen nie für möglich gehalten hätte, da dort doch bald Kinder demnächst als eigene Gattung ausgewiesen werden dürften, und dann das: eine Toilette für alle, sehr klein, aber ausreichend, sogar ein klappbarer Wickeltisch für die heranwachsende neue Species hatte noch Platz. Der Unterschied zu meiner anderen, eigentlichen Heimat dürfte darin bestehen, daß das Örtchen von außerordentlicher Sauberkeit beherrscht war. Das nenne ich deutsch-französische Freundschaft: jeder bringt seinen positiven Einfluß ein.

Und eben auch diesen: Jede gute Küche wird bestimmt von ihren einheimischen Zutaten beziehungsweise den Ahnen der Rezepturen. So, wie die vielgepriesene französische Cuisine aus Italien stammt (wie der gute Café aus Frankreich). Der grand maïtre hört es zwar nicht so gerne, aber die Florentinerin Medici war es schließlich, die sie eingeschleppt hatte, die nämlich gesagt haben soll: Diese gallische Bauernfraße iche nixe fresse. So bestätigte die glücklich aussehende Frau Glücklich meine Vermutung, hier seien die Aufzeichnungen von Groß- und Urgroßmüttern eingeflossen. Ja mehr, ergänzte sie, die Mitarbeiterinnen und sogar die Gäste brächten zu Papier gebrachte Lieblingskuchen und -torten aller ihrer Omas und Uromas mit. Sie tue lediglich das — und das wäre jetzt eigentlich wieder mein Vortrag gewesen —, wie die Küchengeschichte es nunmal geschrieben habe: sie verändere hier ein bißchen, dort ein bißchen, sie verbessere in der Art, wie sie meine, daß es Verbesserung sei. Anders machen es die Artisten mit ihren Personalgeschwadern in der mehrsternigen Küchenkuppel auch nicht. Frau Glücklich allerdings macht alles alleine, auch die im besten Wortsinn süßen kleinen Törtchen, die im Gewand des Panettönchens daherkommen und hervorragend als Präsent geeignet sind und glücklicherweise nicht so nachhaltig wie das eingeflogene Sträußlein aus Lateinamerika, oder die, womit wir wieder beim Thema wären, Schokoladenhörnchen. Das Backen mache ihr einfach Spaß, außerdem sei sie auf diese stimmige Weise weg von der Straße.

Auch auf den Kaffee kommt noch einmal die Sprache. Ins Schwärmen gerät sie gar, als sie von dem freundlichen Herrn aus Nicaragua in seinem winzigen Lädchen am Markt erzählt. Der mache es genauso wie sie — alles selber. Er fahre eben manchmal nachhause, kaufe die Bohnen bei seinen Landsleuten und verfeinere sie — in seiner kleinen Rösterei.

So erhalten wir uns unsere kleine Welt. Nein, so holen wir sie uns zurück. Auch (oder gerade?) im fernen Nordosten. Es ließe sich auch sagen, wir vergrößern die (kleine Welt-)Familie. Langanhaltener Applaus, dabei gemütlich und glücklich sitzend.


Café Glücklich
 
Di, 30.06.2009 |  link | (2989) | 13 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache


nnier   (30.06.09, 11:17)   (link)  
Jetzt bin ich aber froh glücklich, dass am Ende, wenn man schon ungeduldig ruckelt und zappelt, niemand aus seinem allzu schönen Traum aufwacht. Wismar, dahin wollte ich schon immer.


jean stubenzweig   (30.06.09, 16:43)   (link)  
Auch mal überraschen
muß ich ja hin und wieder. Träumen kann schließlich jeder.

Ein wirklich hübsches Städtchen. Seit vier Jahren komme ich hin und wieder dorthin (der Schwiegersohn oder so ähnlich doktort dort an der Hochschule an einem Roboter herum; die junge Frau ist ihm nun gefolgt, nicht dem Roboter).

Den Hafen sollte man meiden. Es sei denn, man fühlt sich wohl als urlaubender Rentner unter Rentnern oder solchen, die bereits als solche zur Welt gekommen sind, und Unmengen geräuchertem Fisch (das wird noch ein leicht furorisches Thema bei mir). Andererseits: Augen zu und durch.


vert   (01.07.09, 18:10)   (link)  
dann sollten sie dahin, es lohnt sich wirklich.

unschön: eine freundin mit gehbehinderung hat alleine angst dort.
das schlimme daran ist: wahrscheinlich zu recht.

aber bisher war ich nicht bereit die stadt aufzugeben.

(danke für den tipp.)


jean stubenzweig   (01.07.09, 19:34)   (link)  
Mit Gehbehinderung
tut man sich schwer dort, das verstehe ich. Selbst ich, der ich wenigstens noch einigermaßen gerade stehen kann vor den Schaufenstern, eiere ziemlich herum auf diesem Pflaster aus einer vergessenen (?) Zeit. Aber es ist allemal hübscher anzuschauen als die schnöden planen Flächen, die sie beispielsweise jüngst am Hafen angelegt haben für altersklapprige Dauerfreizeitler.

Es sei denn, Sie haben das irgendwie anders gemeint ...


vert   (02.07.09, 02:07)   (link)  
etwas anderes, auch
in ermangelung von ausländerInnen oder jüdischer bevölkerung wird dort "inländerfeindlichkeit" grade hip. zum beispiel so. (spulen sie vor bis 1:27).

kein grund zur hysterie, aber ein problem.


jean stubenzweig   (02.07.09, 04:26)   (link)  
Das war mir neu.
Allerdings habe ich mich mit der Stadt auch noch nicht näher beschäftigt; ein bißchen Historie, mehr nicht. Aber ich werde mal anklopfen bei den Jungen. (Zumal die in einer der typischen DDR-Plattensiedlungen wohnen, wobei ich nicht weiß, ob das von Bedeutung sein muß.) Da wäre – eventuell – was über die Situation an der Hochschule zu erfahren. Auch werde ich beim nächsten Aufenthalt bei Frau Glücklich deshalb mal anklopfen; das scheint, so mein Eindruck, dort zumindest gefahrlos, da die Klientel nicht unbedingt negativ beeinflußt sein dürfte.

Wie auch immer – schlimm. Das verleidet mir's dann doch ein wenig.

Das mit «spulen sie vor bis 1:27» verstehe ich nicht.


vert   (09.07.09, 03:46)   (link)  
machen wir uns nix vor: ähnliche bilder könnten sehr wohl auch woanders entstehen. nur die dramatik dieser aufnahmen dürfte erstmal schwer zu toppen sein.

der abschied mit "wir-kriegen-euch-alle" ist sicherlich auch wenig höflich, aber die umgangsformen sind dort schon seit geraumer zeit eher ...herzhaft.

[gemeint war: schieberegler nach rechts schieben: ab minute 1:27 geht die besagte stelle los, vorher gibt's nur die übliche antifa-show. und "vorspulen" war so schön analog, ich dachte, daran hätten sie vielleicht spaß gehabt...]


damenwahl   (01.07.09, 00:41)   (link)  
Überfüllte oder zu eng gesetzte Restaurants und Cafés sind in der Tat ein Greuel - zum Beispiel die typischen Italiener für die Bank-Klientel in Frankfurt - brrrrrr. Zum Essen gehört ein gutes Gespräch und das möchte icht nicht mit den umstehenden Tischen teilen - aber das sehen andere eben anders. Es soll ja Leute geben, die in solche Läden nur gehen, weil sie alles mit allen teilen können.

Aber in diesem Fall scheint es ja die Enge wert gewesen zu sein - schon beim lesen läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Ihr Kuchencontent ist selbst bei der Lektüre schon Sünde! Ich habe mir heute sagen lassen, daß bei mir in nächster Zukunft Affenhirn als regionale Spezialität auf der Speisekarte steht. Ich werde dann berichten...


hanno erdwein   (01.07.09, 08:31)   (link)  
Gastronomien
mit klaustrophobischem Charakter sind auch mir ein Greuel. Schön viel Platz drumrum und gedämpftes Stimmengemurmel bei Geschmacksnerven herrlich anregenden Düften - das ist es! Da laßt uns wohl sein.


jean stubenzweig   (01.07.09, 11:57)   (link)  
Enge und Ansammlung,
das ist ein Phänomen, das mich immer wieder irritiert, obwohl ich doch nun wirklich wissen sollte, daß der Mensch an sich sich gerne eine Höhle gräbt, in der für alle Platz ist beziehungsweise er dort, wo das Tal weit genug wäre, um jedem sein individuelles Plätzchen zu gewähren, er sich gerne auf engstem Raum drängt. Oder fährt. Menschen auf Rädern beispielsweise, gerne auch die mit Motor. Auch hat sich sich ja längst so etwas wie eine Staukultur entwickelt; darüber wurde bereits Forschungsarbeit geleistet. Viele Menschen suchen ja geradezu den Stau. Sonst wäre die schönste Zeit des Jahres ja unvollkommen. Aber selbst mit 120 würde ich das nicht verstehen. Ich werde es, wie Herrn Nnier gegenüber angekündigt, mal zu thematisieren versuchen. Vielleicht komme ich beim Verfertigen der Gedanken auf einen auch für mich selber nachvollziehbaren Schluß.

Das Angenehme in Frau Glücklichs Weimarer Café war, daß es sich nach unserem Eintreffen relativ rasch dorthin entleerte, wo die Pfade für alle getreten sind, Richtung Hafen beispielsweise. Dort aß die Masse dann Räucherfisch. Während Frau Glücklich Zeit für unsere kleinen Philosophierereien hatte und ich in Ruhe noch einige Espressi sowie eine dieser ebenfalls glücklich machenden Stullen verdrücken konnte, bei der mich Enge und Masse, hier die der Zutaten, dann allerdings weniger störte. Obwohl ich nicht mehr gut bin zu Fuß – unangenehm für einen ehemaligen stundenlangen Pflastertreter wie mich –, werde ich alleine der Pâtisserie (hier mal nicht Pastisserie) wegen diesen Weg wieder gehen. Aber dank des längeren Aufenthaltes und des Gesprächs weiß ich ja nun, wann er sich dort drängt, der Mensch, und wann er das Weite sucht in seine andere Enge. Frau Glücklich mag das möglicherweise nicht eben glücklich machen, aber ich alleine versuche ja den Umsatz ein wenig anzuheben, und meine beiden Damen benötigen auch mal ein Päuschen vom Lädchengucken.

Und Ihre, Madame Damenwahl, Assoziation Torte-Sünde-Affenhirn, die ist nun tatsächlich naheliegend – alles, was gut ist, darf die Nähe in einem Behältnis suchen, hier eben im eigenen Kopfgewölk. Gerne erwarte ich Ihren Bericht. Wobei er mich sicherlich nicht erschüttern wird, da ich schon immer die Zentren anderer genossen habe, sei es gebraten oder als Paté sowie als Ragoût. Und obwohl es verboten ist wie bald alles in Europa, in Marseille beispielsweise erhält man's – wenn auch unterm Ladentisch versteckt, wie alles Sündenhafte. Aber dort leben ja fast soviele der Menschen wie die, bei denen Sie gerade zu Gast sind. Bon appétit.


hanno erdwein   (02.07.09, 08:28)   (link)  
Der Zwangs-Veganer
Erdwein delektiert sich dennoch schamlos an den stubenzweigschen herrlich sündigen Auslassungen gastronomischer Leckereien. Danke fürs geistige Mitsündigen!


caterine bueer   (06.09.10, 13:18)   (link)  
Macht glücklich.


jean stubenzweig   (27.10.10, 08:25)   (link)  
Ist das nicht wunderbar?
Da fragt eine Frau eine Suchmaschine: «Wie mache ich mich als Frau glücklich?» Selbstverständlich leitet die gebildete und kluge Verkehrsreglerin Maschine die Dame zu mir Fachmann, hierher um. Ich war schließlich Gasthörer in der von Thomas Lehnerer gegründeten Weltgesellschaft für Glück und bin von ihm persönlich hämisch grinsend und mit Knoblauchöl in den Katholizismus gerieben worden.















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