Katholische Methoden Vier dieser an Eisen und Stahl und Stein gewohnten Hände packten ihn, zwei an der linken, zwei an der rechten Schulter, vier weitere zogen ihm die Füße vom Boden weg, alle zusammen zwängten ihn auf den Tisch. Andere kamen hinzu, um ihn zu fixieren. Ein großes Tuch wurde ihm um den Hals und vor die Brust gelegt. Jemand bewegte eine mit gelblicher Flüssigkeit gefüllte Karaffe in die Nähe seines Gesichtes. Noch flacher drückte man ihm die Schultern auf die Tischplatte. Es spürte die Sinnlosigkeit seiner Gegenwehr. So schloß er die Augen. Laut und vernehmlich drang ein lateinischer Singsang an sein Ohr. Die ängstliche Neugier ließ ihn die Augen öffnen. Die Litanei kam von diesem auffallend gutaussehenden Schwarzgelockten, dem er ein solch hämisches Grinsen nicht zugetraut hätte; allen anderen Umherstehenden durchaus, aber nicht ihm, den er immer für fleischgewordene Sanftmut gehalten hatte. Unbeirrt setzte dessen ritualisierendes Gebrabbel sich fort. Das Gefäß mit dem unangenehm aussehenden Inhalt näherte sich seinem Gesicht, bewegte sich über seinen Kopf. Er ergab sich seinem Schicksal, schloß die Augen wieder. Ölig ergoß die Flüssigkeit sich über ihn. Sie roch extrem nach Knoblauch. Dieselben Hände, die ihn niedergerungen und in die Horizontale gezwungen hatten, stellten ihn wieder auf, wischten ihm die Rückstände aus dem Gesicht, nahmen ihm das Tuch ab, klopften ihm auf die Schulter. Unter laut lachendem Beifall der Zuschauer verkündete der schöne Exekutor, es sei vollbracht. Vollbracht worden war das, was als Voraussetzung genannt worden war für die offensichtlich unbedachte Antwort auf die Frage, ob er getauft sei. An einem der letzten alkoholseligen Abende hatten der Kritiker und sein kunstdozierender Freund geäußert, wenn sie, die allesamt anderes als Künstler seien, sondern nichts als taugenichtse Zauberlehrlinge, weiterhin so massiv Front gegen die gemeinsam geäußerte Opposition machten, würde man aus Protest zur Ehe fahren. Auch oder gerade deshalb, da Kunst gesellschaftlich so obsolet sei wie Kirche. Diesem aus dem Alkohol aufsteigenden Brodem war als Argumentation von der Runde begeistert bis grölend zugestimmt worden. Die Vereinigung von Kritik und Kunst, das war es. So könne man, meinte einer noch, von den anderen unverstanden, die beiden Möchtegernanarchen endlich vereint in ihren jüngerschen Kanal schicken, aus dem man sich vermeintlich aus der Meinung der Masse graben könne. Im Rahmen der Abschlußfeier der überaus erfolgreichen Gemeinschaftsausstellung der rund vierzig Bildhauer sollte die Hoche Zeit vollzogen werden. Das traditionsreiche, altehrwürdige Gemäuer böte zudem dafür den idealen Rahmen. Die Exekution unter ritueller Lateinei und Knoblauchöl, erklärte man ihm, sei die für eine gutbürgerliche Ehe erforderliche Taufe gewesen; beim Partner sei das bereits im Vorstadium der Kindheit vonstatten gegangen, wenn auch weniger gewürzt und nicht so dickflüssig. Er nahm es samt der Huldigung an seine Vorliebe für mediterrane Würze lächelnd zur Kenntnis, sich hin und wieder Ritualreste des studentischen Ulks aus Ohren und Augen wischend. Solange es sonst nichts sei, grummelte er, sich in die hochzeitliche und sonstige Feierei bis in die frühen Morgenstunden hineinbegebend ... Der Tag zeigte sein Gesicht. Das des Exekutors rückte nahe an das seine, darin wieder dieses feixende Grinsen. Er wisse doch, so sein wohlgestaltetes, feingeschnittenes Gegenüber, daß er parallel zum Studium der Kunst auch das der katholischen Theologie absolviert habe? Bestätigendes Nicken. Aber ob er auch wisse, daß ein Magister dieses Studienganges einen priesterähnlichen Status innehabe? Verneinendes Kopfschütteln, begleitet von ahnungsvoll aufkommender Atheistenpanik. Ja, die am frühen Abend vorgenommene, für die Ehe erforderliche (Not-)Taufe sei gültig ... Sie würde Folgen haben, diese Geschichte. Aber das ist nochmal eine andere Geschichte. Erzählt ist sie innerhalb dieser Geschichte. 18.06.08 | 277
Thomas Lehnerer
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