An der postmodernen Zivilisation erkranktes Griechenland. Ein Postwunsch.

Ausgeliehen bei Eduthek Schule Austria

Als die Post modern wurde, kamen die Zivilisationskrankheiten endgültig über uns. Das war in den achtziger Jahren, gut zwanzig Jahre, nachdem ein US-amerikanischer Literaturwissensschaftler mal wieder einen handfesten Begriff aus dem ungestümen wilden Westen ins mittlere Europa blies. Dessen Bruder lieh sich die schlagzeilige Formulierung aus, transponierte sie in die Architektur, womit die mitteleuropäische Bevölkerung endlich sprachlichen Halt fand in der sich ankündigenden Flutwelle der heutzutage nahezu ausnahmslos unter dem Schlagwort Globalisierung im Umlauf befindlichen Verquickungen. Seither wird hierzulande fröhlich kombinierend kolportiert, ob die Historie nun korrekt aneinandergereiht ist oder bisweilen komische Überkreuzwege nahm oder auch nicht.

Auch ich ehemaliger Purist kam spät, aber dennoch unter dieses Landunter, aber erst, nachdem ich definitiv erfahren hatte, welche Tristesse die dauerhafte, sich letztendlich auch als eine politische erweisende Korrektheit in mir erzeugte. Anders als die meisten meiner irdischen Mitbewohner, die mit zunehmendem Alter auf eine Wahrheit hinsteuern, die als die einzige, quasi göttliche gilt, begann mich das Durcheinander zu begeistern, gemeinhin — einmal mehr darf mein Lehrer Brockhaus mir zur Hilfe eilen — weniger unter dem griechischen χάος und vielmehr als Chaos bekannt, ein alltagssprachlich auch als Tohuwabohu bekannter, aus dem Buch der Bücher übernommener diffuser Gegenbegriff zur beispielsweise unter Deutschen sehr beliebten Ordnung und Sauberkeit, besonders beliebt bei Reklamationen gegenüber Reiseveranstaltern, die auch die Levante im Programm haben, und in Bekanntschaftsanzeigen, die Offenheit nach allen Seiten hin bekunden. Vorherrschend sein dürfte dabei vermutlich die Kluft, aus der das Wort seine eigentümologische Wurzel zieht, die zwischen deutschen Tugenden und deren gähnenden Leere besteht. Und da in dieser Leere sich nichts weiter Bedeutsames befindet, erachtet man sich auch keine weiteren Gedanken darüber zu machen, daß das Chaos Physiker seit weit vor der Gründung europäischer Kultur in Griechenland rätseln läßt, was es mit dem Universum auf sich haben könnte. Eine langjährige gute Bekannte, so etwas wie eine Freundin, also eine richtige, nicht so eine des eher zufälligen Häkelmusters Livre de face oder auch der rictuisierten Fröhlichkeit, wo Zahlen lediglich zur algorythmisierten Penunzenmacherei dienen, beschäftigt sich nicht erst seit Einführung der modernen Post als, wie auch anders, Künstlerin mit den verschiedenen Chaostheorien und landete bei Mathematik und Primzahlen. Das hat mir aus den Mysterien dieser Rechnerei zwar ebensowenig herausgeholfen wie auch das Töchterlein aus denen ihrer spezifischen Natur-wissenschaft Zellforschung. Aber es hat mir immerhin eine Anleitung zum Landen inmitten der Unebenheiten des Urseins gegeben. Womit ich wieder bei den Griechen gelandet wäre, waren sie es doch, die sich laut allgefälliger Geschichtsschreibung als erste dafür interessierten, aber zu keinem nennenswerten Ergebnis kamen, zu keiner entmystifizierenden Welterklärung, ansatzweise vergleichbar mit Rudolf Bultmanns Versuch der Entmythologisierung. Dieses unverständliche Durcheinander wird auch der Grund dafür sein, daß Lieschen und Fritzchen oder Marius et Jeannette sich für den Urzustand der Welt nicht sonderlich interessieren. Ich habe mich dem angeschlossen und ignoriere seit meiner chaotischen Erleuchtung die Bergschlucht auf den Peleponnes. Da steckt mir zuviel des altnordischen urzeitlichen Ginnungagab drinnen. Das ist eher was für Münchner Oberstadtregenten mit Zielrichtung Landesväterei, die seit Jahrzehnten in Griechenland urlauben und dort vermutlich die Werdung Bayerns suchen:
Urzeit war es, da Ymir hauste:
nicht war Sand noch See noch Salzwogen,
nicht Erde unten, noch oben Himmel,
Gähnung grundlos, doch Gras nirgend.
Das habe ich jetzt aus der Volksbildungsanstalt Wikipedia geborgt.
Die Konservativen also, die Bewahrer der Kultur, bleiben hingegen dabei, daß die nunmal aus Griechenland zu kommen habe. Daß das Land pleite ist, interessiert die nur marginal, allenfalls dort, wo man ihnen vermeintlich in die Geldbörse zu greifen beabsichtigt. Die kulinarischen Verheißungen kennen sie ohnehin nur vom gehobenen Griechen um die Ecke, der als Gastarbeiter lieber hiergeblieben war, weil er zuhause nicht mehr essen wollte. Deshalb kultivierte er die fremdheimisch gewordene Kost auch insofern, als er sie, wie gleichzeitig die Italiener, dem Geschmack seiner Gastgeber anpaßte. Dabei bewies er ein geradezu ungeheuerliches Talent, nicht behördenrecht erschaffenes Geld nicht abgeben zu müssen. Er erschuf die Taverne, meist unter Mykonos oder ähnlichen Titeln bekannt. Sirtaki wurde in den gemütlichen Stuben getanzt, bacchanalisch berauscht von Weinstöcken entnommenem Harz, man aß nebenbei mit Oliven angereichertes Öl, auch Auflauf genannt. Den gab es zwar nicht gerade in den Anfangszeiten dieser lukullischen Weltöffnung, doch mit der sangesfreudigen, weiße Rosen aus Athen herbeisingenden späteren Unicef-Sonderbeauftragten Nana Mouskouri, nach der vermutlich Mousaka, das deutsch-griechische Standardgericht vereinter Hinterhöfe, benannt wurde, wurde der weltoffene Konservative bald vertraut, mußte er doch Gaumen und Zunge wie gewohnt nicht sonderlich anstrengen, denn:
Die griechen haben fisch schon immer trockengegrillt serviert, was für freunde der holzkohle ein gaumenschmaus sein mag, für mich ist es nichts. vielleicht haben sie auch deshalb von der zubereitung in butter abgesehen, weil sie damit deren zukünftiges fehlen auf dem brot abwenden wollten, schon jahrhunderte zuvor, aber wie man erfahren hat, hat es nichts genutzt. wie ja überhaupt ein griechisches kochbuch mit 20 seiten und einem rezept je seite sein auskommen findet. es gibt wenig tristeres als die dort servierten, in olivenöl ertränkten speisen. ich glaube ja nicht, dass der verzehr des dortigen olivenöles die griechen älter werden lässt als den rest der europäer, und wenn, dann nur indirekt: weil sie von ihrer seltsamen kost nur wenig essen, weil sie ihnen selbst nicht schmeckt, erreichen sie die mitteleuropäischen ‹zivilisationskrankheiten› nicht in dem umfang wie westlich des balkans. das wort ‹zivilisationskrankheiten› verdiente eigentlich einen eigenen ausführlichen post, finden sie nicht auch?
Enzoo, übernehmen Sie! Sie haben schuld an meiner unkungfutzuianischen Konfusion, Sie haben schließlich damit angefangen. Denn meine Wirrnis, diese Krankheit dürfte mit der offensichtlich aus Griechenland stammenden Zivilisation zu tun haben. Ich bin ratlos, zumal ich griechische Tavernen allenfalls zwei- oder dreimal aufgesucht habe. Und immerzu muß ich bei der derartigen Kultivierung an eines denken: ans Geld. Jetzt haben nämlich diese Griechen auch noch Deutschland hinunter- oder wie es im reduzierten Wortschatz der einheimischen Kosmopoliten heißt, heruntergeratingt, wie gedownloatet. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Das Wetter ist schuld. «Das Blau des Himmels, das Weiß der Wolken». Wie in Bayern, wo lediglich das Weiß vor das Blau geratingt wird. Wo dessen künftiger roter, nämlich sozialistischer Landesvater herstammt, aus Isar-Athen. Sonnendurchflutetes, vom Föhn verwirrtes Griechenland. Genaugenommen ist das ohnehin Ihr Part. Schließlich hatte Ihre Österreicherin gewordene einstige Landesmutter Sisi dort ihre nicht nur geistigen Latifundien, da beißt eine bayerische Herkunft sowie ein solcher gegen Multikulti gewandter Kini keinen Faden ab. Also hochkulturell: Die Sonne bringt es an den Tag.
 
Do, 26.07.2012 |  link | (1921) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Aus der andern Welt


enzoo   (27.07.12, 10:13)   (link)  
ich verbrachte
einen guten teil meiner jugendjahre in griechischen tavernen. der heute n-euro-tische staat war mehrfach und über eine zeitlang sogar das einzige ziel meiner fahrten aus ostarichi hinaus, als gäbs nichts anderes, nahm mangels nötigem kleingeld auch 48 stündige zugfahrten in kauf statt zu fliegen - ja damals war zugfahren noch billiger als aeroplane zu benutzen - um ins land, über das das österreichische trio "STS" seit jahrzehnten singt: "und irgendwaun bleib i daun durt, loss ollas liegn und steh, geh vo daham fia imma furt" ohne diesen vorsatz selbst realisiert zu haben, der damaligen träume zu gelangen, wo ich dann manchmal einfach nur war, häufig in tavernen, oder auch, und das stellte den in jeder hinsicht einsamen höhepunkt der reisetätigkeit meines gesamten lebens dar, kreta von west nach ost durchquerte, zu fuss, meist allein, streckenweise begleitet von männlicher oder weiblicher gesellschaft, die ich unterwegs irgendwo kennengelernt und aufgelesen hatte. es war dies eine wanderung, besser knochentour, ohne jeden metaphysischen überbau, keine kirche oder gar basilika wartete auf mich und auch ich erwartete keine, wenngleich ich manchmal in der einsiedelei eines mönches nächtigte und dessen gastfreundschaft in anspruch nahm. damals lernte ich die kreter, die ja ebenso keine griechen sind wie die corsen franzosen, ein wenig kennen und viel schätzen. stirnrunzelnd hörten sie mir zu, wenn ich mein vorhaben in holperndem griechisch, das ich mittlerweile restlos vergessen habe, erklärte und liebevoll nannten sie mich einen spinner, während sie den nächsten schnaps ins glas schenkten, wo ich doch viel lieber noch wasser gehabt hätte. wenn die männer mich und mein in ihren augen sinnloses tun mittels einiger schnäpse verdaut hatten, übergaben sie mich ihren frauen und töchtern zur weiteren pflege, und es mangelte mir an nichts. ihre grosszügigkeit schien grenzenlos, und wenn ich heute so darüber nachdenke, dann zahlen wir halt heute die (schon ziemlich hohe) rechnung für diese wesensart, die jeder, der je in griechenland gewesen ist, mitbekommen und von ihr geschwärmt hat. in meiner sentimentalen erinnerung ist jeder euro rückwirkend gut angelegt. auch paradiese haben ihren preis. ich will auch gar nicht weiter drüber nachdenken. es wird sich mittlerweile viel geändert haben, ich mag nicht mehr hinfahren, wo ganzen küstenstreifen mit hässlichen all inclusive hotelbauten zubetoniert wurden, wo vorher die fragwürdige idylle sommersonnenverbrannten grases mit steinen und schafen vor phtalogrün.weiss-schäumenendem meeressaum herrschte.

die zivilisationskrankheiten, herr stubenzweig, sind aber nach wie vor ihr part.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6028 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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