(Auto-)Biographien

(um wenigstens in der Nähe des Themas zu bleiben, zu dem ich noch Antworten schuldig bin)

beginnen bekanntlich mit Reisetätigkeiten. Grand-père kennt das aus eigenen, frühkindlichen Verschickungsmaßnahmen, in denen man dem Kleinen allerdings noch jeweils ein Schild um den Hals hängte, was gar nicht notwendig gewesen wäre, denn zu dieser Zeit verbrachten solche Winzlinge im Regelfall die ersten Jahre im trauten Heim und wurden noch lange nicht Tante Stewardeß oder Onkel Zugschaffner anvertraut. Für mich war dieses Unterwegssein nahezu ein Normalzustand, der vermutlich mit zu meiner Unstetigkeit geführt haben könnte. Heutzutage ist das Reisen der Kinder längst Alltag, viele fahren bereits los, bevor sie überhaupt zur Welt gekommen sind. Auch unser Henri II ist als Folge neuerer Erziehungsmethoden längst ein Souverain. Allerdings zeigte er schon früh, vermutlich bereits in Mamans Leib und, über die Brustduftdrüsen, mittels derer ihm der Mutter genüßliche Reminiszenzen an Münchner Zeiten wie a Weißwurscht, a Brezn und selbstverständlich das dazugehörige Schluckerl von'd Maß zugeführt wurden, nicht zu vergessen Papas Anleitungen zum Hummer streicheln, Interesse an fremden Ländern und deren Sprachen.
Denn es ist nunmal so, daß Kinder früher — etwa in meiner Kindheit oder auch noch eine Generation später – in der Regel nicht via Kaiserschnitt aus Mutterns Leib gehoben wurden, um Rückblicke auf eine Schwangerschaft zu vermeiden, oder gar als Frühchen keine Muttermilch bekamen, was eine entsprechende Geschmacksbildung verhinderte. Denn nur via Madame Mamans Brustduftdrüsen, so synapste das kleine Gehirn, daß diese sich gerne die tägliche Milchportion direkt vom Bauern in den Mund strullen ließ oder frischen Fisch mit Kräutern bevorzugte oder ungemein gerne ein Omelette von Eiern aß, das aus Würmer und Käfer und Samen vertilgenden Hühnern kam, auch die netten weißen Trüffelschnitzchen dazu sehr schätzte und auch lieber mit der Weinkanne zum Winzer ging, um sich dessen Haustrunk nicht nur abzuholen.

Mamans Brustduftdrüsen
China und dessen Chinesisch würden erst später gewürdigt werden, zur Individualreise sowie zum vorbereitenden Sprachkurs ist er via Vermittlung durch den Kindergarten bereits angemeldet. Zunächst jedoch soll es die nähere Umgebung sein, die es zu erkunden gilt. Während seines gelegentlichen, maximal einstündigen Blicks in die Ferne über die bewegten und bewegenden Bilder des aufklärungsbewußten öffentlich-rechtlichen Kinderkanals sah er die zwar fremdartige, aber auch sehr lustige Kleidung der Menschen des Landes, das er dann aus Studiengründen, er wird ohne jede Frage Ethnologe oder weltreisender Testesser werden müssen, zu bereisen gedachte, worauf er als kommender Kosmopolit beschloß, es sei wohl am diplomatischsten, sich sogleich deren Tracht anpassen zu wollen, um nicht übermäßig aufzufallen. In Hamburgs Provinzbahnhof Dammtor war das allerdings noch der Fall. Die dortigen Einheimischen sahen vermutlich kleine grüne Männchen kommen. Auf der Wiesn würde er dann als Primus inter pares gesehen und entsprechend gehätschelt werden. Die Kladden für Notizen späterer Romane — alles sei autobiographisch, meinte Jochen Gerz einmal — werden in Behältnissen erforderlichen Ausmaßes mitgeführt. Da kann der unautobiographisierte Opa nur irritiert leuchtende Augen machen.

Ausstaffiert von einer Tante des Luxus und der Moden, die ihren Wohnsitz im bayerischen Einzugsgebiet hat.

 
Mo, 08.10.2012 |  link | (1717) | 21 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kinderkinder


jean stubenzweig   (08.10.12, 16:14)   (link)  
Vor seiner Abreise
in die (bayerische) Fremde, in der nach Karl Valentin der Fremde bekanntlich fremd ist, hat Henri II noch dem Natürlichen die Ehre erwiesen. Geschmack, also Unterscheidungsfähigkeit erwirbt man durch frühes Kosten des Ursprünglichen, nicht etwa durch Vorgaben aus der in Chile oder China angesiedelten europäischen bioglogisch-dynamischen Obst- und Gemüseindustrie.




jean stubenzweig   (08.10.12, 20:10)   (link)  
Aus Äpples
werde auf wundersame Weise Wein. Ach nein, das kennt man nicht in Schleswig-Sibirien. Dort macht man eher Körner draus. Dann strebt niemand mehr eine Autobiographie an.




enzoo   (09.10.12, 10:40)   (link)  
die
anti-autobiographische wirkung von appelkorn wird allgemein schwer unterschätzt.

als ich noch 17 lenze zählte, also ungefähr vorgestern, erfuhr ich, dass nachbars tochter, die nicht mit ihren reizen, für die mann in dieser lebensphase, ach unsinn, immer, besonders anfällig ist, gar nicht geizte, dies in biologischem sinn erfolgreich getan hatte, sprich: schwanger war. als ich die neuigkeit aufgeregt meinen eltern vermeldete, "stellt euch vor, die michaela ist schwanger!" antwortete mein vater lakonisch, von der zeitung, die anscheinend interessanteres vermeldete, aufblickend: "na hoffentlich nicht von dir!" immerhin, mutter war schon interessierter. obwohl man in diesen zeiten als ledige mutter nicht mehr die ächtung erfuhr, die einem noch wenige jahrzehnte davor sicher gewesen war, heirateten die beiden mit vorangehendem polterabend, und unter anderem kam bei dieser freiheitsentzugsfeier eine flasche appelkorn, der damals hierzulande modern war wie heutzutage aperol oder hugo, auf den tisch. was danach geschah, im besondern mit dem vorher gegessenen gulasch, will niemand wissen, weshalb es nie in meine ohnehin nie zu schreibende autobiographie eingang finden wird. der übermässige genuss von appelkorn reinigt also die schriftliche selbstbeschau von einem nachfolgenden zeitraum wie penicillin die wunden, für deren desinifizierung man, wie ich jüngst in werner grubers neuem buch "gedankenlesen durch schneckenstreicheln" lesen durfte, auch, falls die apotheke am wochenende bereits geschlossen hat, das angelzubehörsgeschäft aber noch geöffnet, zerquetschte maden verwenden kann, da diese eine leicht antiseptische wirkung haben, haben müssen, weil die maden nach deren verpuppung und den tagen bis zum lästigen fliegendasein sonst verderben würden, von bakterien aufgefressen, halten sie sich doch mit besonderer vorliebe in kot und unrat auf.

und da es nun wirklich ekelig zu werden droht, ist damit jetzt aber schluss.


jean stubenzweig   (09.10.12, 12:52)   (link)  
Entgegen
sonstigen, wenn auch nicht immer gelingenden Bemühungen, die Etikette der Reihenfolge der Beantwortungen oder Gegenreden nach zeitlichem Eingang der Einlassungen einzuhalten, sehe ich mich gezwungen, die berühmte Ausnahme von der Regel in Anspruch zu nehmen. Deshalb zuerst Enzoo:

Sie haben es geschafft, meinen durch ein unerfreuliches Telephonat nicht eben angenehm begonnenen Tag aufzuhellen, als ob ich einen, früher allerdings zu zu vorgerückterer Stunde zu mir genommenen, Äppelkorn gereicht bekommen hätte, also wie einst selbst zusammengeschüttet und nicht bereits fabrikatorisch zusammengeschüttet, in jener Kneipe, in der ununterbrochen die immer greinende Stimme von André Heller dudelte: Glabst i bin bled, das i woas, wie i hoas?

Ja, die gute alte Zeit, als man noch von der Gesellschaft zu Freiheitsentzug verurteilt wurde, wenn Michaela angesetzt hatte, wie das zu meinen jüngeren Jahren auch genannt wurde und von dem ich jetzt lang und breit erzählerisch ausholen könnte, wäre ich nicht immer noch ein wenig in niedergedrückter Stimmung. Aber es scheint sich zu verbessern. Vielleicht sollte ich mir'n Krug Appelkorn zuzusammenschütten.


kopfschuetteln   (08.10.12, 21:43)   (link)  
das ist ja ein fesches kerlchen.
und körner aus äppeln beziehungsweise aus äpples? ich stehe mal wieder auf der leitung.


nnier   (08.10.12, 22:33)   (link)  
Appelkorn!
Ja, das ist eigentlich zu schade. Saft und Moscht dagegen konnte ich auch nie genug bekommen. Und saß öfter mal in genau so einem (gefüllten) Korb wie oben abgebildet. Müsste ich mal wieder machen!


kopfschuetteln   (09.10.12, 13:28)   (link)  
ah! oh, da hätte ich
auch selbst drauf kommen können.


jean stubenzweig   (09.10.12, 14:44)   (link)  
Ach, liebe Kopfschüttlerin,
ich hab's lediglich mal wieder etwas kryptifiziert, tief in mir steckt das, das romantisch assoziative Rätseln. In holsteinisch Sibirien läßt man die noch von Ur-Opa angebauten Äpfel eher verfaulen oder gibt sie höchstenfalls zum Mosten weg, kauft für die Gesundheit der Kinder lieber die leckeren biodynamischen aus Neuseeland oder Patagonien. Allenfalls käme man auf die Idee, die Körner zu brennen, auf daß ein Korn daraus entstehe, der nicht nur zu Freiheitsentzugsfeiern getrunken wird. Korn ist also gemeint, das Nationalgetränk der Hiesigen, das ansonsten bevorzugt aus dem Grundstoff Weizen hergestellt wird. Aber wer weiß, vielleicht müssen die hiesigen Einheimischen in Bälde Mais-Korn trinken, denn das Korn schwindet zusehends zugusten des Automobilantriebsstoffes. Ach, mir ist schon wieder so assoziativ zumute.

Und das Kerlchen, das ist vor allem fesch, weil es ansonsten glücklicherwise nicht so maschkeradisiert durch die Gegend läuft. Aber seinen Spaß hatte es zweifelsohne, wie Kinder wohl am allgemeinen. Dabei ist er das, was normal genannt wird. Daß der Lütte bei seiner sprachlichen Höchstbegabung demnächst wird bairisch Konversation betreiben wird, das sehe ich kommen.


jean stubenzweig   (09.10.12, 18:02)   (link)  
Das Glück war mir
hold, bester Nnier, es in jüngeren Jahren erleben zu dürfen, wie Most von Streuobstwiesen schmeckt. Ich hatte mich vom Studium beurlauben lassen, um werktätig zu sein; Sie wissen es, das taten seinerzeit einige. Bei einem Bäckereinnungsmeister war es, mit beziehungsweise bei ihm buk ich eine ganze Weile Brot und Brötchen. War das Backwerk im Laden, gab's Frühstück. Dazu wurde ich in den tiefen Keller entsandt, um eine Kanne Most aus dem Faß zu zapfen und nach oben zu bringen. Aufgesammelt habe ich die Äpples im Rahmen meines Fortbildungsprogramms titels Wir nennen es Arbeit später auch selber. Das mag mit ein Grund dafür gewesen sein, die obigen Photographien einzustellen: Nostalgie. Wobei es sich auch insofern nicht um eine Verklärung der Erinnerung handelt, da es aktuell sehr viel bedächtiger, geradezu gemütlicher zugeht als seinerzeit. Ich weiß sehr wohl noch, daß es in meinen jungen Jahren tatsächlich Arbeit war, das Aufklauben, das Sichern der Grundnahrung. Heutzutage schmeißen sie alles weg, um es dann als Instant anderswo einzukaufen. Oder es als allerfeinst Komponiertes im Delikatessenladen zu erstehen.


kopfschuetteln   (09.10.12, 22:49)   (link)  
also, ich muß das mal
sortieren: in ihren breitengraden wird korn als nationalgetränk nicht nur zu freiheitsentzugsfeiern getrunken. aus äppeln korn zu machen ist aber unüblich. und essen will sie auch keiner. dafür jedoch müssen die einheimischen bald mit genmais-korn vorlieb nehmen, da zunehmend sozusagen das korn in den tanks der automobile verschwindet.
das ist schlecht.
korn war im osten auch ein nationalgetränk oder goldkrone. oder beides.

und bairisch ist doch eine schöne fremdsprache. des bassd scho. sie wissen ja selbst, man muß schon früh anfangen, eine biographische legende zu stricken.


enzoo   (10.10.12, 16:27)   (link)  
das klingt
nach gefährlicher drohung:

"Wilthener Goldkrone ist ein Weinbrandverschnitt, der aus Agraralkohol mit einem Zusatz von 20 % Weinbranddestillat besteht und mit Zuckerkulör gefärbt ist."

wobei ich nicht genau einschätzen kann, was da mehr kopfweh macht: die wilde mischung oder das verneuerechtschreibte "Zuckerkulör". va fan culo , wie der italiener dazu eventuell sagt.


kopfschuetteln   (10.10.12, 20:14)   (link)  
ach, das ist ganz harmlos,
so ein verschnitt. ich muß sagen, ich weiß nicht genau, was die anderen ostblock-staaten in dieser richtung so gemacht haben und wie es heutzutage zum beispiel in nordkorea ausschaut mit solchen sachen. auf jeden fall war die ddr verschnitt-weltmeister, aus meiner erfahrung sozusagen.

ich habe mir, als im sommer auf kurzurlaub in der alten heimat weilte, aus einem artikel der thüringer allgemeinen ein paar notizen gemacht. (ich wollte das wahrscheinlich irgendwann mal bloggen).
am 26. juli 1977 verordnete das politbüro den ostdeutschen den "kaffeemix" - "erichs krönung". der brachte selbst funktionäre auf die plame und löste die "kaffeekrise" in der ddr aus. dem kaffee-verschnitt, der mixtur, die ab august 1977 bei behörden und einrichtungen, der armee, betriebskantinen sowie gaststätten niederer preisstufen zu verabreichen war, sollten zu jeweils fünf prozent zichorie, getrocknete zuckerrübenschnitzeln und spelzanteile, sowie zu 34 prozent ein roggen/gerste-gemisch beigemischt werden. es hieß (folgerichtig): "der kaffee schmecke wie halb und halb, halb wintergerste, halb sommergerste." nachdem die weltmarktpreise 1978 für kaffee wieder sanken, entschärfte sich die lage.

und, herr stubenzweig, verzeihen sie mir die ausschweifung. aber manchmal sind die parallelen oder auch antiparallelen bemerkenswert. normierte äppel hätte sich die ddr nicht leisten können. apfel ist eben apfel und davon gab es, glaube ich, genug. andererseits, auf zusammengeklebte wurst oder "kunstkäse": früher beziehungsweise später wären auch die darauf gekommen. ist ja auch nicht viel anderes als verschnitt.


enzoo   (11.10.12, 10:26)   (link)  
vom zichorien-kaffee
erzählte auch meine grossmutter immer, nur nannte sie ihn waldviertlerisch "ziguri-kaffee", und im zusammenhang mit der not des krieges. aber auch in späten jahren, als die pension für reinen bohnekaffee längst gereicht hätte, mischte sie in ihren filterkaffee noch malz"kaffee" hinein, also geröstete gerste, nicht der farbe wegen, wie sie sagte, auch weils gut sei. der geschmack war also schon ge- bzw. verbildet. als ich sie als erwachsener einmal nach wien einlud, wohin sie natürlich nur ungern gefahren ist, "wos soi i denn do?", und mit ihr ins café ging und einen espresso trank, wollte sie gar nicht glauben, dass so wenig kaffee verkauft werden dürfe, sie trank ja immer aus grossen tassen, "bitschen" genannt.

der "erich-kaffee" erinnert mich an eine andere kommunistische skurillität, aus china in diesem fall, von der ich jüngst hörte. in zeiten der chinesischen kulturrevolution wollte man das verkehrsampelsystem derart umstellen, dass "rot" weiterfahren bedeutete, weil rot ja die farbe des fortschrittes ist. ein paar politbürodiener waren anscheinend noch nicht ganz der unvernunft anheim gefallen und stellten sich quer. schliesslich einigte man sich darauf, dass man bei rot weiterhin stehen bleiben müsse, die interpretation der verkehrsampel wurde aber dahingehend geändet, dass rot nun nicht mehr "stop", sondern sicherheit für das chinesische volk bedeutete.


kopfschuetteln   (11.10.12, 12:14)   (link)  
muckefuck oder mocca faux
kenne ich auch noch. oder im nu, den haben wir kinderkaffee genannt und (mit viel milch und zucker) in große tassen gegossen, um das brot darin zu „ditschen“, einzutunken.

eine rote ampel bedeutet sicherheit? na, es geht in diktaturen immer, noch öfter als anderswo – das kann man sich eigentlich nicht vorstellen, wenn man das nicht erlebt hat - um deutungshoheit. skurrile deutungen bis zur realitätsverweigerung bleiben da nicht aus.


jean stubenzweig   (11.10.12, 13:18)   (link)  
Verschnitt
ist deutscherseits durchaus handelsüblich. Wein kommt mir dabei in den Sinn. Nicht meines Wissens, aber meiner Vermutung nach dürfte der weitaus größte Anteil der verkauften gepreßten und vergorenen Trauben zusammengeschüttet sein, von Bulgarien über Marokko bis an die Mosel. Allein der Weingeist weiß, was da ansonsten noch für Mittelchen wie industrielle Ersatz- sowie Zusatzstoffe beigemischt werden. Es wird eben schmackhaft gemacht für diejenigen, die Geschmack nie erlernt haben.

Das, was Sie als «Kaffeemix» bezeichnen, habe ich in ganz jungen Jahren während meiner Besuche bei Onkel und Tante im Saarland kennengelernt. Dort gab's nach dem letzten großen Krieg kaum anderes als Muckefunk. Für richtigen Kaffee, der meist nur sonntags gereicht wurde, mußte man über die Grenze machen, in die deutsche Pfalz, und die Bohnen nachhause schmuggeln. Das waren noch Abenteuer. Ich war dabei! Der Unterschied zwischen Gerste und Kaffee war mir bekannt, denn meine Mutter war eine leidenschaftliche Mokkatrinkerin. Da heraus mag meine Vorliebe für Espresso entstanden sein.

Normierte Äpfel, wie die Deutschen sie bevorzugen, Kartoffeln und sonstiges Gemüse müssen ebenfallls ebenmäßig gewachsen sein, sonst wird es weggeschmissen oder den Säuen vorgeworfen. Ich kaufe so etwas schon lange nicht mehr, habe es eigentlich nie gekauft. Ich tue mich seit einiger Zeit zwar leicht, da ich lediglich ein paar Stufen hinabgehen muß, um derartige Früchte von den Bäume zu pflücken (siehe oben), aber auch anderes Obst und Gemüse erstehe ich direkt bei den Erzeugern, und das sind nicht unbedingt biodynamische, die, wie in letzter Zeit hier erwähnt, sich zunehmend dem Massengeschmack annähern. Mich stört es keineswegs, ob da ein paar «unnatürliche» Beulen oder sonstige Auswüchse zu sehen sind. Kürzlich durfte ich mal wieder einen Pfirsisch essen, der auch nicht sonderlich attraktiv war wie diese Damen vom Laufsteg der alltäglichen Moden. Es war ein bäuerlicher aus Südfrankreich, mit manch einer Schramme, aber geschmeckt hat der wie die Offenbarung, man möge doch bitteschön nicht immer nach der Normierung rufen, von der der Handel, im besonderen der der Supermärkte, behauptet, sie sei um des Verkaufes willen notwendig. Dieser Markt ist es, der sich die Kunden erzogen hat. Hinzu kommt, wie ich gestern aus dem Fernsehen meine Vermutung bestätigend entgegennehmen durfte: Die Preise der Wochenmärkte, auf denen überwiegend die Hersteller zugange sind, seien beileibe nicht höher, im Gegenteil, mancherorts gar günstiger. Der Fäkalienmarkt, wie die Münchner ihren Viktualienmarkt schnoddrig nennen, oder der Hamburger Isemarkt müssen es selbstverständlich nicht sein, zahlt man dort doch wie bei jeder Nobelmarke dafür den Aufpreis. Es gibt schon noch ein paar andere, abgelegenere von den Hochpreismoden. Aber alles ist eben eine Frage der, im besten Wortsinn, Kultur, Kultivierung. Ob auf dem Dorf oder in der Stadt Frankreichs, wo Speis und Trank nach wie vor einen weitaus höheren Stellenwert haben als im Deutschen, wo das Äußere, der schöne Schein etwa der Technik mehrwert gilt, überall dort stößt man dort täglich auf das, was von Berchtesgaden bis Flensburg Wochenmarkt genannt werden muß.

Wer schweift hier aus? Wenn Sie mir schon mit Parallelen kommen, dann bin ich nicht zu bremsen, bestätigt es doch einmal mehr meine These: Es gibt nichts ohne Zusammenhänge.


jean stubenzweig   (11.10.12, 15:50)   (link)  
Ihrer Oma Erstaunen,
lieber Enzoo, über die Kaffeemenge in Tassen im öffentlichen Verkauf erinnert mich an ein Gespräch mit einem italienischen Kaffeekoch. Ausgangspunkt unseres Austauschs war mein Klageleidlied darüber, wie wenig das Personal die Technik der ganzen Ferrari und Maserati in den aufkommenden neuen Moden, der neuen Bars im Griff habe. Ich erzählte ihm von dem bekannten Opernsänger, der bei einem renommierten Münchner «Italiener» zu Gast war und mehrmals den ihm vorgesetzten Espresso zurückgehen ließ, unter anderem deshalb, da die Tasse fast bis zum Rand gefüllt war — und eben entsprechend schmeckte. Mein kleiner Italiener nannte den Grund dafür: Bei den Deutschen habe die Tasse immer voll zu sein. Einen richtigen Espresso, wie er etwa in Neapel getrunken werde, also lediglich ein schmackhaftes Schlückchen, lehne er entrüstet als minderwertig ab, Quantität sei seine Qualität. An diese deutschen Kriterien habe sich die italienische Gastronomie eben angepaßt. Man sei schließlich kein Gastarbeiter mehr.


enzoo   (12.10.12, 12:49)   (link)  
gegen geschmackskonzentration
an sich ist ja nichts einzuwenden. so liebe ich eineinhalb centimeter espresso mehr als fünf davon, mit einer spur zucker versetzt. das geht so richtig unter die zunge und bleibt dort für lange zeit. darum wird das wasser zum kaffee auch immer vorher getrunken, um den herrlichen geschmack nur ja nicht wegzuschwemmen. wo man meiner meinung nach noch besseren kaffee macht als in italien ist portugal. die dort kredenzte bica ist kaffeemässig nach dem, was ich kenne, unschlagbar. (allerdings habe ich den affenkatzenkackekaffee noch nicht genossen und werde weiterhin davon abstand nehmen, aus verschiedensten gründen.)

anders sieht es bei der geschmackskonzentration für mich bei der ohnehin mehr und mehr in vergessenheit geratenden molekularküche, die die verwöhnten gaumen in den letzten jahren zu diesen kläglichen lustschreien hinreissen liess, aus. was wurde da ge-aht und ge-oht! nichts gegen das zusammenspiel von wissenschaft und küche, schliesslich wusste auch schon uroma, dass man für einen ordentlichen erdäpfelteig für mohnzelten "ein paar erdäpfel, so ungefähr eine handvoll mehl und diesen häfen halbvoll mit wasser" nehmen musste (ein "richtiges" rezept war ihr nicht zu entlocken und so verging ihr wissen mit ihr). ihr wissen kam ohne diplom und exakte masseinheiten aus, schaffte aber durchaus höchste genüsse. werner grubers buch "die genussformel", ein ratgeber für kulinarische physik, vermittelt praktikables wissen, was man aus physikalischer sicht bei der zubereitung verschiedener speisen unbedingt nicht oder unbedingt schon, je nachdem, machen muss, will man ein optimales ergebnis, ist ein schönes beispiel von wissenschaft, die die ergebnisse der küchen, egal ob privat oder gewerblich, fördert. auch bin ich der kombination von vordergründig unzusammenpassenden aromen und geschmäckern nicht abhold, wenn es nicht gar zu verkrampft daherkommt. aber wenn man mir melonenkaviar mit blumenkohlespuma vorsetzen will, dann ergreife ich sicherheitshalber die flucht und geh auf ein burenhäutel zum würstelstand ums eck. überhaupt diese schäume. "als hätte der koch noch schnell darübergejankert", (man möge sich bitte selbst vorstellen oder googeln, was das heisst) wie mein sohn es so schön auszudrücken geruhte, als wir mal wieder in so einem tempel speisten. seitdem sehe ich diese schäume anders, und keinesfalls symphatischer.


kopfschuetteln   (12.10.12, 13:16)   (link)  
ach, wie das gut tut,
herr enzoo. für mich, ich möchte aber niemandem zu nahe treten, ist ja molekularküche spielen mit essen. bis zum nächsten trend, zu häppchenlöffel(chen) oder, das klingt doch toll: „petit-fourisierung, pralinisierung und pointierung“. das, lieber herr stubenzweig, dürfte meiner meinung nach nicht als kultivierung bezeichnet werden. wollte ich nur mal gesagt haben.


jean stubenzweig   (12.10.12, 20:53)   (link)  
Soviel Banause
bin ich, mit Verlaub, dann doch ebenfalls, daß ich dem nichts abgewinnen mag. Mir lief bereits das Künstlerisch-Kochen-Gesabbele und -Geschreibse während der vorletzten Documenta gegen die Geschmacksnerven, bei der dieser Hochleistungskatalane aufgelaufen wurde. Sowas kommt mir nicht in den Topf. Möglicherweise ist danach das benannt, das unter Dekadenz firmiert. Ich nenne es Mumpitz. Die Leutchens machen es teilweise nach und fühlen sich einer privilegierten Klasse zugehörig. Dabei sollten sie erstmal richtig riechen und schmecken, geschweige denn kochen lernen, eine Hühnersuppe zum Beispiel, das Allheilmittel schlechthin, ein wohlschmeckendes obendrein. Die alte Henne dazu gibt es beim Bauern. Dazu benötige ich keinen Delikatessenladen.

Jene Kultur, also Kultivierung, liegt mir näher, die sich im Küchen-Bereich der Uroma von Enzoo befindet, dem ich einmal mehr danke für seine unterhaltsamen Abweichungen vom Pfad des (all)gemeinen Denkstroms der Klasse der «gehobenen» Cuisine.


seemuse   (09.10.12, 10:51)   (link)  
mit
dem rasenmäher zur apfelernte. auch nicht schlecht. bei uns gibt es einen, der fährt mit dem rasenmäher (samt anhänger voll krempel) zum flohmarkt.


jean stubenzweig   (09.10.12, 20:22)   (link)  
Rasenmäher?
Ich darf doch sehr bitten. Was sind denn das für Wahrnehmungsfenster? Burgenländische? Das da oben ist des holsteinischen Landlords neuer Renntrecker. Und heutzutage ist es schließlich üblich, zumindest in dieser zwar extraterristischen, gleichwohl binneneuropäischer Binnenzone, an seinem SUV eine Anhängerkupplung dranzuhaben, und das nicht nur auf dem Land, denn auch städtisch wird viel Mist gemacht. Der professionelle Trödler in unserem Haus nimmt für diese Zwecke eine Zugmaschine von Mercedes. Aber zu seinen Landausflügen auf den Golfparcour fährt der obige Rennrasentreckerpilot dann tätsächlich mit seinem Porsche. Der ist zwar schon etwa betagt. Doch sein Herrchen ist schließlich auch nicht mehr der Jüngste.

Das ist Demokratie: die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten friedlich unter einem Dach vereint.
















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