Klümp in alter Henne

Der Juniorste der Familie hat seine erste, für alle Zeiten sturmfreie Bude wohlweislich in Madame Mamans Nähe immobilisiert. Bei ihr taucht er so oft auf wie selten in den letzten Jahren. In Muttertopfnähe läßt sich eben rascher mal der Deckel heben. Das tat er dieser Tage mal wieder in unsereiner Anwesenheit. Ansichtig wurde er einer gut fetten Brühe, das Ergebnis einer jahrzehntelang frei durch holsteinische Gärten marschierenden und tausende von Eier gelegt habenden Federviehexistenz, die, wie es hieß, vor tristem, nahezu ewigem Leben auf dem Lande dorthinein geflüchtet war. Doch das dürfte nicht wirklich der Grund gewesen sein. Wie aus gut unterrichteten Kreisen zu erfahren war, hatte sie sich dort hineingestürzt, weil sie ein Leben als Hartz-IV-Henne nicht ertrug: wegen sogenannt mangelnder Produktionskraft ausgemustert und somit ihres Lebensinns beraubt. Ausgelöst hatte das die Wurmknappheit. Sogenannt kreative Investoren hatten vom hohen Proteingehalt der sich preisgünstig von Erde ernährenden Kriecher gehört und in einem Weltrettungsexperiment die letzten holsteinischen Bauerngärten umgraben lassen.

Der Jüngste machte sich allerdings darüber keine quasi tiefschürfenden Gedanken. Er hatte nur Augen für die in der Brühe schwimmenden Klümp. Die waren so groß wie die Augen des jungen Mannes, die immer größer wurden. Da ich noch immer nicht richtig assimiliert, sozialisiert bin, gehören diese Klümp oder auch Klüten weder zu meinem Wortschatz noch zu den Mitteln, die einem Einheimischen den angedeuteten Genuß verheißen. Aber einer, der den lieben langen Tag nichts zu tun hat als Frösche zu fressen, kann auch nicht wissen, was gut ist. Der Juniorste weiß das. Und deshalb geht auch der komplette, nicht eben kleine Kopf in diesen Topf eines Ausmaßes, das notwendig ist, wenn ein Tier dort hineinmuß, das fünfzehn Jahre lang den Hof von Würmern und sonstigem Kleingetier befreit hat.

Ich wagte zu fragen, welcher Herkunft und welcher Menureihenfolge diese Klümp denn zuzuordnen seien. Das seien Sattmacher — nicht Sättigungsbeilagen! —, antwortete stolz und standesbewußt Schmieds Töchterlein, sich damit vernehmlich von der zudem «jüngeren DDR» abgrenzend. Hergestellt würden sie aus dem, was man früher immer im Hause hatte: Mehl, Eier, Wasser und Salz. Der Topf habe immer über dem Feuer in der Esse gehangen, frühmorgens stahl man der Henne die Eier und haute sie anschließend in den Topf. Die Eier mit dem gesalzenen und gewässerten Mehl. Das Huhn habe erstere ja erstmal zu liefern. Für eine Weile jedenfalls. Ah so, dachte unsereins, so etwas wie der Alemannen Knöpfli oder der Schwaben Spätzle, allerdings ohne Linsen. Man ließ mich dann auch teilhaben an dieser Betonierung des Mageninnenraums.

Ja, so einfach sei das Leben gewesen, setzte die Suppenköchin ihre Erinnerungen fort, wenn es galt, den Schmiede-Hunger zu stillen. Es scheint auch bei Tischler-Eleven zu funktionieren. Nach meinem Wissen ist das die einzige fleischlose Kost, die sie zu sich nehmen ... Doch es sei ja, so die Klümperin, via Nahrungsmittelkette zuvor via Henne bereits einiges hineingelangt. Da ist es offensichtlich nicht weiter von Bedeutung, daß ein Feder- kein Rindvieh ist.

Unsereins gab im sich anschließenden küchenphilosphischen Quartett — ein weiterer Junior hatte von dieser verheißungsvoll fleischentsagungsreichen Mahlzeit gehört und war rasend schnell mit Hilfe eines Reisbrenners aus Hamburg angereist — eigenes Wissen zum besten: In anderen Kreisen werde dem Federvieh ein Stück der Kuh beigegeben, die nichts anderes (mehr) zu tun hatte als dumm zu gucken. Als weiterer Geschmacksverstärker komme ein Bein des Tieres hinzu, das sich zuvor jahrelang und nichtstuend grunzend im hofeigenen Morast gesuhlt hatte. Gemüse aus dem nebenerwerbsbäuerlichen Garten dürfe ebensowenig fehlen wie das eine oder andere Kräuterlein. Auch ein ordentlicher Schuß oder besser zwei des trocken-fruchtigen elsässischen Rieslings, erst in den Schlund, dann in den Topf, würde es geschmacklich nicht verunstalten.

Aufmerksam lauschte das zum Quintett angewachsene Auditorium. Zwar sei ihr bekannt, meinte die mit herbeigeeilte junge Frau des einen, daß diese Französen ohnehin nichts anderes zu tun hätten als den lieben langen Tag zu essen und während des Essens über das Essen zu reden, aber woher, bitte, wisse denn ein Mann kurz vor der Notschlachtreife das alles? Ihnen — als Jungfrauen! — habe man in schulischer Kochunterweisung lediglich vermittelt, wie man richtig, also das Billigste bei diesen Heimers einkaufe, Wasser für Nudeln erhitze und die Packung einer Fertigsauce fachgerecht öffne. Serviert worden wäre dieses Komplettmenu dann auf Plastiktellern, die mitsamt den Löffeln und Gabeln aus demselben Material auf dem Tapeziertisch lagen. Kochen gelernt hätte sie in dem Sinne also nicht im Kochunterricht. Der ihr beisitzende Junior nickte mit klümpvollem Mund heftig. Nach dem Runterschlucken faßte er nach, doch zuvor meinte er noch, das habe er im Werkunterricht ebenfalls erfahren. Irgendwie kam mir dabei ein gewisser Kaspar Hauser in den Sinn: Es sei alles schonmal dagewesen.

Da nimmt man doch gerne noch so ein Klümp aus dem über der Esse hängenden alten Hennentopf. Wenn die Junioren noch eines übriggelassen haben. Doch selbst wenn nicht — Mehl, Eier und Wasser habe man schließlich immer im Haus, meinte ja die Klümp-Kreateuse. Und vielleicht wäre es ja, ergänzt unsereiner, nicht so ganz arg von Übel, das Geklümp mit ein wenig Kräutern etwas hinaufzuparfumieren. Wie neulich die köstlichen Plätzchen mit frischem Knob- und Schnittlauch. Plätzchen? Ja, aus Kartoffeln. Aber davon erzählt der nächste Gang.
 
Di, 17.06.2008 |  link | (4000) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache


jean stubenzweig   (21.03.09, 05:28)   (link)  
Der hochtalentierteste Juniorste
aus dem legendären Nachbardorf und dessen Begleiter, die ich hin und wieder begleiten darf, wollten hier auch hinübergerettet werden nach Toresschluß auf der anderen Seite. Aber wohin? Zwar geht es um Musik, aber der Einfachheit setze ich ihn als Kommentar unter seine Lieblingsbeschäftigung: Klümp in alter Henne.

Der einleitende Text zu
Moritz F. — ein grenzüberschreitender Virtuose
ist bei Frau Braggelmann zu studieren.
•••
Mittlerweile haben die künstlerischen Interessen des Moritz F. die Grenzen überschritten, das Geviert des Zeichenblattes engte ihn zu sehr ein. Zwar ist er nach wie vor zeichnerisch tätig, doch die angestrebte De-Konstruktion des Chaos' setzt sich überwiegend musikalisch fort. Dazu angeregt hat in sein Manager Tim F., eine zur Zeit noch im Staatsdienst tätige Persönlichkeit hoher kommunikativer Energie und Kompetenz und ebenfalls musikalisch tätig. Und längst reiht sich eine Moritz-F.-Vorstellung an die nächste.

Doch zunächst sollte es sich nicht so günstig angehen. Beim ersten Konzert zeigte sich der Kritiker Eduard Hanslick im — gleichwohl gefürchteten — Hahnheider Landboten offensichtlich noch nicht so recht angetan: «Was wir von ihm [F.; Anm. jst] kennengelernt, bot (etwa mit Ausnahme des leichtfließenden pikanten D-Dur-Solos) ein seltsames Gemisch von Originalität und Rohheit, von glücklichen Einfällen und trostlosem Raffinement. So auch sein neuestes, langes und anspruchsvolles Gitarrenkonzert. Eine Weile bewegt es sich maßvoll, musikalisch und nicht ohne Geist, bald aber gewinnt die Rohheit Oberhand und behauptet sich bis ans Ende des ersten Satzes. Da wird nicht mehr Gitarre gespielt, sondern Gitarre gezaust, gerissen, gebläut. Ob es überhaupt möglich ist, diese haarsträubenden Schwierigkeiten rein herauszubringen, weiß ich nicht, wohl aber, daß Herr F., indem er es versuchte, uns nicht weniger gemartert hat als sich selbst. Das Adagio mit seiner weichen norddeutschen Schwermut ist wieder auf bestem Wege, uns zu versöhnen, zu gewinnen. Aber es bricht schnell ab, um einem Finale Platz zu machen, das uns in die brutale, traurige Lustigkeit eines holsteinischen Feuerwehrfestes versetzt. Wir sehen lauter wüste, gemeine Gesichter, hören rohe Flüche und riechen den Fusel. Friedrich Vischer behauptet einmal bei Besprechung lasziver Schildereien, es gebe Bilder, ‹die man stinken sieht› [es steht an zu befürchten, daß damit F.s Werke gemeint sein könnten; Anm. jst]. F.s Gitarrenkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört.»

Nach dieser doch recht herben Kritik zog Moritz F. sich zunächst einmal zurück. Doch es sollte nicht lange dauern, bis Moritz F. die Ehre zuteil wurde, die ihm gebührt.

Mit einem erneuten Konzert — die an ihn Glaubenden hatten ihn gar in die berühmte Hamburger Tonhalle gebeten — kam der Durchbruch. Ein bislang noch nicht so recht in Erscheinung getretener Musikerkollege F.s, ein gewisser Robert Schumann, der ab und und an auch schriftstellerisch-kritisch tätig ist, schrieb im einflußreichen Lübeckischen Markt voller Hingabe: «Denke man sich, eine Äolsharfe hätte alle Tonleitern, und es würfe diese die Hand eines Künstlers in allerhand phantastischen Verzierungen durcheinander, doch so, daß immer ein tieferer Grundton und eine weich fortsingende höhere Stimme hörbar — und man hat ungefähr ein Bild seines Spieles. Kein Wunder aber, daß uns gerade die Stücke die liebsten geworden, die wir von ihm gehört, und so sei denn vor allem die erste in As-Dur erwähnt, mehr ein Gedicht als eine Etüde. Man irrt aber, wenn man meint, er hätte da jede der kleinen Noten deutlich hören lassen; es war mehr ein Wogen des As-Dur-Akkords, vom Umgriff hier und da von neuem in die Höhe gehoben; aber durch die Harmonien hindurch vernahm man in großen Tönen Melodie, wundersame, und nur in der Mitte trat einmal neben jenem Hauptgesang auch eine Tenorstimme aus den Akkorden deutlicher hervor. Nach der Etüde wird's einem wie nach einem sel'gen Bild, im Traum gesehen, das man, schon halbwach, noch einmal erhaschen möchte.»

Und so, wie scharfe Kritik am Können erschöpfen kann, so ist es auch der Erfolg, es folgt mittlerweile eine Vorstellung der anderen — demnächst wird Moritz F. gar ein Freiluftkonzert geben, vor dem Wahrzeichen Hamburgs, der Kirche Sankt Michaelis.

Doch selbst in der Ruhe bedingt der Erfolg ein intensives Arbeiten. Wie schrieb doch Robert Schumann: «Je gereifter das Urteil, desto einfacher und bescheidener wird es sich aussprechen. Nur wer durch zehnfach wiederholtes Lernen, durch gewissenhaftes Vergleichen in lang fortgesetzter Selbstverleugnung den Erscheinungen nachgegangen, weiß, wie spärlich unser Wissen sich mehrt, wie langsam unser Urteil sich reinigt, und wie wir demnach vorsichtig in unseren Aussprüchen sein müssen.» Doch wie schön — kurz zuvor hatte Moritz F. die Mitteilung eines ihm zugeneigten Herrn erhalten. Ein gewisser E. T. A. Hoffmann ließ ihm zukommen: «Ich war so glücklich, mich allein in der Loge zu befinden, um ganz ungestört das so vollkommen dargestellte Meisterwerk mit allen Empfindungsfasern wie mit Polypenarmen zu umklammern und in mein Selbst hineinzuziehn! ein einziger Ton, der obendrein albern sein konnte, hätte mich auf eine schmerzhafte Weise herausgerissen aus dem herrlichen Moment der poetisch-musikalischen Begeisterung!»

Der Hauschronist, 2007

Der junge Künstler

















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