Sprachgesinnungstreue

Aus (immer) aktuellem Anlaß:

Roland Duhamel, Ordinarius für deutsche Literatur an der Universität in Antwerpen und Präsident des Belgischen Germanisten- und Deutschlehrerverbandes, hat in einem Offenen Brief «von den Deutschen mehr Sprachloyalität» gefordert. Es erstaunt ein wenig, den Verein Deutsche Sprache e. V. Fremdwörter veröffentlichen zu sehen — müßte es nicht heißen: Sprachgesinnungstreue? Bei ihm heißt es schließlich auch «Zukunftsertüchtigung unseres Wortschatzes». Wie auch immer, über diese Sprachhüter, genauer: Sprachbereiniger mag man denken, wie man will. Einiges hat seine Berechtigung (davon mal abgesehen, daß der nicht eingetragene Gegen-Germslang-Verein Laubacher Feuilleton [bitte weiterblättern] schon sehr viel früher zusammengefunden und beinahe täglich seine fröhliche, dem Französischen entlehnte Blaue Stunde im, zugegebenermaßen fremdwort- und alkoholhaltigen, Vereinslokal Cocorico hatte). So manchem ist beizupflichten. Aber es tümelt auf jeden Fall so manches Mal sehr deutsch und schon hin und wieder auch ein bißchen arg national in den Reihen dieser vielen (Ein-)Pauker kurz vor (oder nach) der Pensionierung und diesen paar anderen Hape Kerkelings, Hallervordens oder irgendwelchen weiteren wenigen kulturpolitischen Hinterbänklern. So scheint es naheliegend, daß Duhamel von «100 Millionen Deutschen» schreiben durfte.

Hat er Liechtenstein, Luxemburg, Österreich, die Schweizer Garde, die hundertjährigen Elsässer, die Trientiner oder diejenigen, die vor Eupen den Rand Belgiens bevölkern oder vor 200 Jahren nach Nordamerika ausgewandert sind, hinzugerechnet zu den 82 Millionen Deutschen?

fragt sichtlich irrititiert unsereiner,

der es allerdings auch nicht versäumt haben will, auf diese sehr interessante Lektüre hingewiesen zu haben: Hermann H. Dieter und Gerd Schrammen: Reden und Widerreden — Argumente zur deutschen Sprache. Dabei geht es beileibe nicht nur ums verunstaltete Deutsche. So heißt es beispielsweise oft: «Die deutsche Sprache ist umständlich, schwer zu erlernen und ohne Witz.» Diesem Argument halten die Autoren entgegen:

«Vergleiche zeigen, dass mal englische, mal deutsche Wörter kürzer oder auch länger sind. Für ihren Alltagstauglichkeit ist dies kaum entscheidend. Auf Verständlichkeit, Treffsicherheit und Geschmeidigkeit kommt es eher an. Benjamin Franklin, der große Physiker und nordamerikanische Staatsmann, schrieb Ende des 18. Jahrhunderts: Die Möglichkeiten zur Bildung zusammengesetzter Substantive und die flexible Wortstellung machen die deutsche Sprache der englischen in mancher Hinsicht überlegen.

Das grammatische Formensystem regelt den Zugang zu einer fremden Sprache. Es ist die allgemein zugängliche Grundlage für die Möglichkeit differenzierter Aussagen. Nur zu Beginn bereiten scheinbar grammatiklastige Sprachen mehr Mühe als Englisch. Ein anspruchsvolles Englisch ist wegen des hohen Anteils fester Wortverbindungen und -stellungen, die den regelgeleiteten Sprachzugang ersetzen müssen, schwieriger zu erlernen als die meisten europäischen Sprachen. Und die lautliche Vieldeutigkeit des Englischen führt häufig zu Problemen bei der Verständigung (auf Englisch) mit nicht anglophonen Ausländern anderer Sprachkreise.

All das sind nicht gerade ideale Voraussetzungen für eine Weltsprache.

Demgegenüber mag sich eine gewisse Neigung, die Dinge der Welt kompliziert und mitunter grüblerisch zu betrachten, in bestimmten Eigenheiten und Unfertigkeiten des Neuhochdeutschen besonders treffsicher fassen lassen. Genau deshalb hält es aber auch spezifische Möglichkeiten für tiefgründigen Humor, Doppeldeutigkeit und Ironie, sprachspielerischen Witz und messerscharfe Satire genau so reichhaltig für uns bereit wie andere Sprachen mit ihren Mitteln für deren Sprecher.»


Und ein Argument von Dieter und Schrammen habe ich bekanntermaßen zuvor bereits unterschrieben:

«Denglisch ist nicht ‹multi-kulti›, sondern bestenfalls ‹bi-kulti› (deutsch + US-amerikanisch). Im Zeichen solch falschen multi-kulti findet weltweit kultureller Kahlschlag statt. Alle Sichtweisen auf die Welt neben der US-amerikanischen werden globalisiert, bestenfalls zu schmückendem Beiwerk.

Selbst Kritiker der Bush-Krieger und ihrer Hintermänner aus Kommerz und Militär sind oft nicht fähig, zwischen kulturindifferentem Globalismus und kulturell interessiertem Internationalismus zu unterscheiden. Beider Freiheits-Symbole sind Levi's-Jeans und Coca-Cola.


Globalization is us schrieb Thomas Friedman, der bekannte US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler, 1997 in der International Herald Tribune. Globalisierung ist demnach nichts anderes als die ‹Cocacolisierung› der restlichen Welt, das heißt, ihre Anpassung und Unterwerfung unter die kulturelle, wirtschaftliche und politische Hegemonie der USA. Dem entspricht das unbestimmte Gefühl, dass [...] etwas Grundlegendes falsch läuft. [...] Jedes zwischenmenschliche Gefühl, jeder Ort wird in eine Ware verwandelt. (Naomi Klein)

Auch der Wert der Sprache wird von den Global players (‹Weltverspielern›) nur in Kategorien des Warenverkehrs gemessen: Je weniger Sprachen, desto schrankenloser der Markt! Endzustand wäre eine Einheitssprache, die alle kulturellen Eigenheiten einebnet. Was daran gut sein soll, ist beim besten Willen nicht einzusehen.»


Nicht durchrutschen und damit unbedacht sein sollte allerdings auch das da: We are wieder wer — Kritik des Sprachpurismus' und des Verein Deutsche Sprache (VDS)
 
Do, 07.08.2008 |  link | (1682) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5811 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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