Herr Gott (flieht) Frankreich

In Frankreich mit dem PKW unterwegs sein und Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Überholverbote einhalten, sei es inner- oder außerorts, das heißt: den Verkehr behindern. Wer beispielsweise in Lyon an der Rhône entlangfährt und dabei die vorgeschriebenen achtzig Stundenkilometer einhält, kann sich böse Blicke nicht nur der anderen Autofahrer, sondern durchaus auch den der Polizisten einhandeln. Alles hat zu fließen. Die Blitze donnern auf einen ein, wo's eng ist (und wo man zugleich einfacher sofort zur Ader gelassen werden kann). Das war und ist so im Land der Automobile mit Kennzeichen, die bis vor gar nicht so langer Zeit noch mit Kreide beschriftet werden durften — auch nach verstärkten Kontrollen und seit Beginn des Jahrtausends der schrittweisen Einführung von TÜV (durch DEKRA) oder des Strafpunktesystems nach gut deutschem Flensburger Beispiel.

Eines der kuriosesten Beispiele aus den Vorzeiten französischer exekutiver Disziplinierungsversuche gab im Sommer 2002 die Landpolizei zum besten: den nationweiten Versuch der Gendarmerie, rücksichtsvolle Autofahrer mit Benzingutscheinen zu belohnen. Da es den Uniformierten trotz tagelanger, landesweiter Beobachtung des Individualverkehrs nicht gelingen wollte, einen höflichen Autofahrer oder eine mitdenkende -fahrerin zu ermitteln, reduzierten die Behörden die Versuchsanordnung erheblich: Mit teurem Essence beschenkt werden sollten dann nur noch diejenigen, die sich im wesentlichen an die Straßenverkehrsordnung hielten.

In der Folge war unter den pilotierenden Galliern dann das Chaos endgültig ausgebrochen. Denn als die einigermaßen Gesetzes-Treuen zur Belobigung beziehungsweise Prämierung an den Straßenrand gewunken werden sollten, waren die sich sicher, zumindest einen Regelverstoß begangen zu haben — und gaben Gas.

So erfolgte eine abermalige Reduktion der verkehrserzieherischen Maßnahmen. Bei den mittlerweile normalen Verkehrskontrollen verteilten die gewohnt bestimmten, wenn auch immer freundlichen Gendarmen, Benzingutscheine an diejenigen, die einen gültigen Führerschein besaßen und weniger als 1,2 Promille intus hatten.

Seither sind die Alkoholkontrollen durch die Polizei beziehungsweise die verhängten Strafen in Frankreich allerdings in dem Maß exorbitant gestiegen wie die Preise für Tabakwaren, um ein Sehrvielfaches. So hat die Anpassung an Europa und damit der Welt den Franzosen zwar den Rohmilchkäse gelassen, ihnen dafür jedoch die (all-)tägliche Dröhnung ebenso genommen wie, zumindest in den größeren Städten, die zweistündige Mittagspause. Das hatte zehntausende Schließungen von Bistrots zur Folge.

Gott scheint seinem eigenen Land mit Grausen den Rücken zuzudrehen.
 
Sa, 22.11.2008 |  link | (3631) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Linksrheinisches


hanno erdwein   (22.11.08, 08:42)   (link)  
Gallischer Hahn und preußischer Adler ...
welches Wappentier darf es sein? Ich würde das gemütlich krähende Federvieh trotz allem noch dem scharfäugigen krallenbewehrten Hohheitssymbol vorziehen. Das empfinde ich wie Heinrich Heine in seinem "Deutschland, ein Wintermärchen". (Hanno Erdwein)


prieditis   (22.11.08, 23:16)   (link)  
...haben Sie mal beobachten können, wie sich zwei handelsübliche Gockel beharken, wenn sie aufeinandertreffen- also, ohne Einzelkämpferausbildung, versteht sich? Mein lieber Koloschinski, da ist aber was geboten...


jean stubenzweig   (23.11.08, 09:26)   (link)  
Gallisches Federvieh
oder preußisches oder francophiles Wintermärchen. Es gibt noch den polnischen Adler. An den werde ich durch den kohlenpottlerischen Koloschinski erinnert. Und den nehm ich jetzt einfach mal her als Aufhängersynonym, für ein paar erinnerliche Assoziatiönchen.

Mag er noch so als ruhrgebietlerisches (handelsübliches?) Ausrufezeichen herhalten müssen, einen Koloschinski hatte Frankreich (sehr) lange vor dem Kohlenpott. Die Polen fühlten sich meist sehr wohl im westlichen Land Europas und machten beispielsweise Musik oder sonstigen Unsinn. In Nancy hat ein solcher sogar kräftig regiert und, wie üblich unter solchen Herren, hübsch bescheiden gebaut, wonach das Zentrum dann auch seinen Namen erhielt: place Stanislas. Meine Mutter war von diesem Kulturverständnis derart beieindruckt, daß sie – Krieg hin oder her – ihre Wohnung in Metz mit einer in Krakau tauschte (von wo aus dann auch mein Bruder zum ersten Mal in die Welt blickte) und auch dann, als das Gemetzel zuende war und wir längst woanders durch die Geologie meines Vaters zogen, keine Gelegenheit ausließ, in der polnischen Hohen Tatra die Ski laufen zu lassen.

Mir muß davon was geblieben sein: Mich beeindruckt dieses Volk nachhaltig (dieses Wörtchen gab es bereits, bevor deutsche Politiker es erfunden haben). Beispielhaft ist das Erlebnis mit einem Münchner Taxifahrer, mit dem ich ins Gespräch kam und der mich bescheiden fragte, wohin die Reise denn gehe. Es stellte sich heraus, daß er nicht der Tradition gefolgt war, als Pole (vor der EU-Schlagbaumanhebung) nach Frankreich zu fliehen, was jedoch seine Geschwister für ihn übernommen hatten und er so dort immerhin mehrere Anlauforte hatte. Als ich daraufhin Nancy nannte und auf die place Stanilas verwies, hielt er mir einen beindruckenden Vortrag, so daß ich beinahe meinen Zug verpaßt hätte oder ihn gerne als erzählenden Reisebegleiter mitgenommen hätte.

Wahrscheinlich hätte er mir auch noch das deutsche Wintermärchen vorgetragen, auf polnisch und französisch.


nnier   (22.11.08, 21:59)   (link)  
Mit Kreide!
Das hatte ich wirklich vergessen! Zu Zeiten, als man noch was davon merkte, in ein anderes Land zu fahren, also vorher Geld umtauschen und seinen Pass vorzeigen musste und so weiter, habe ich mir über diese Sitte tatsächlich den Kopf zerbrochen, so als Kind auf dem Rücksitz im Kadett. Denn dass Nummernschilder so etwas wie ein fälschungsssicherer Identitätsnachweis fürs KFZ sein müssen, stand für mich damals fest. So wie übrigens auch Baustellen wie bei Playmobil auszusehen hatten, bis der italienische Freund, der mal auf Besuch war, sich über die deutsche Baustellengestaltung gewundert hat: Schilder zuhauf, blinkende Baken, gelbe Markierungen auf der Fahrbahn usw., all das nur für ein auszubesserndes Schlagloch. "Bei uns stellen sie da ein paar Kübel außenrum, manchmal mit einer Fahne drin".


prieditis   (22.11.08, 23:17)   (link)  
ja, die Kreide, ich werd sentimental. Ausserdem war es nachts immer schön gemütlich, mit der gelben Beleuchtung der Autos (falls vorhanden)















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5813 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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