Zaungast



«In einem typischen Berliner Prachtbau der zwanziger Jahre mit lichten Deckenhöhen bis zu 3,80 m können Sie sich in die Zeit zurückversetzen, zu der die großen nationalen und internationalen Film- und Bühnenstars hier ein- und ausgingen.»

•••

«Daß er nur der Zaungast sein darf, bestärkt den Zuschauer in dem Glauben, hinter dem Zaun läge das Paradies: Daß die Gezeigten selbst Betrogene sind, der Prominente sein eigener Komparse, die Kaiserin ihr eigenes Mannequin — die makabre Ironie dieses parasitären Blitzlichtbetriebes durchschaut der Zuschauer nicht. Weit entfernt, an der kaiserlichen Würde zu zweifeln, die sich der Kamera preisgibt, bekleidet er mit ihr noch das Mannequin, das sie imitiert. Der Darsteller, der dem Zaungast ein gesellschaftliches Paradies vorspielt, ist von ihm abhängig, genau wie der Dompteur vom Affen; das Verhältnis beider ist dialektisch verschränkt; die Dressur des Zaungastes wirkt auf den Darsteller zurück; der eine ist jeweils Affe und Dompteur des anderen, beides zu gleicher Zeit.»

Hans Magnus Enzensberger (1962)

in: Scherbenwelt, Die Anatomie einer Wochenschau, aus: Einzelheiten I, Bewußtseins-Industrie, edition suhrkamp 63, Frankfurt am Main 1964
 
Mo, 17.08.2009 |  link | (2559) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


nnier   (18.08.09, 10:02)   (link)  
Das Zitat ist interessant, und eines hat sich seit damals wohl verändert: Heute herrscht da wesentlich mehr Zynismus, und zwar auf beiden Seiten. Jedenfalls wissen große Teile des Publikums sehr genau, was die "Prominenten" gefälligst zu liefern haben.


jean stubenzweig   (18.08.09, 12:23)   (link)  
Was den Zynismus
betrifft, da mögen Sie recht haben. Aber die Liebe zwischen Affe und Dompteur scheint mir eher aus Zeiten zu stammen, als das Medium noch aus dem Jenseits kam.


apostasia   (18.08.09, 14:37)   (link)  
Dieser Prachtbau
am Kurfürstendamm hat oder ist mittlerweile aber auch nicht mehr als ein Portal – der Erinnerung? ...


jean stubenzweig   (18.08.09, 19:36)   (link)  
Dessen Innenleben
ist mir unbekannt. Ich habe bei dem Namen ohnehin etwas anderes in Erinnerung.


apostasia   (18.08.09, 21:17)   (link)  
Anderes?
Wie ist das zu verstehen?


jean stubenzweig   (22.08.09, 17:39)   (link)  
Ein Hotel dieses Namens
war mir an einem anderen Ort Berlins bekannt, schräg gegenüber vom Bahnhof Zoo. Es ist abgerissen. Und ich war völlig verwirrt, als ich das auf dem Kudamm sah.

Aber möglicherweise versagt mein Erinnerungsvermögen völlig, und das Hotel, das ich meine, hatte doch einen anderen Namen. Ich sollte mal einen Berliner fragen. Vielleicht sogar einen aus dem Schwäbischen stammenden. Solche gab's dort ja schon in den Siebzigern.


g.   (23.08.09, 08:22)   (link)  
Direkt am Hardenbergplatz ist mir kein Hotel in Erinnerung. Um die Ecke, in der Nähe des Elefantentors an der Budapester Straße gibt oder gab es noch den Schweizerhof, der 1997 abgerissen wurde.
Um die andere Ecke, in der Hardenbergstraße, ist dann noch das Excelsior, das aber, nun ja, wenig Erinnernswertes zu bieten hat. Ein anderes Hotel am Zooist mir nicht bekannt. Das alles hilft ihnen aber wohl auch nicht weiter?


jean stubenzweig   (23.08.09, 09:23)   (link)  
Budapester Straße
war es auf keinen Fall, also auch nicht der Schweizerhof, den ich kenne, kannte, auch nicht direkt in der Hardenbergstraße, sondern, ich bin bereit zu schwören, an der Joachimstaler. Aber so langsam fürchte ich, zu einem Meineid bereit zu sein.

Es ist verrückt da in meinem Kopf. Einige Male stand ich – am Rand meines ehemaligen Heimatquartiers – vor diesem mir nicht sonderlich bewunderten Straßenkämpfer, zumindest am Ausgang der Hardenbergstraße, an dem er eine riesige Baugrube verriegelte, und meinte, dort müßte es gewesen sein, wo mein Vater nach seinem Besuch bei mir seine neunzig Jahre ausgehaucht hatte. Meine Güte, ich war zwanzig, und das ist jetzt fünfundvierzig Jahre her. Vielleicht muß ich noch ein paar Jahre weitermachen, bis 120, wie man bei uns sagt(e), auf daß ich mich genau besinne; ich stelle ja fest, daß die Langzeiterinnerung zunehmend Einzug hält, je älter ich werde.

Dennoch Dank für Ihre Hilfe!


apostasia   (24.08.09, 04:15)   (link)  
Mal nachfragen
beim örtlichen Hotellerieverband?


jean stubenzweig   (24.08.09, 14:45)   (link)  
Auf die Idee
hätte ich längst kommen können. Ja, das werde ich tun.















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