Biederb(r)aumeister

Bezüge hier und dort

Auf Helmut Jahn aufmerksam wurde ich mit dem Messeturm in Frankfurt am Main, der um 1990 eingeweiht worden sein dürfte. Da überkam mich jenes Schaudern, das mich nach wie vor überkommt, wenn von postmoderner Architektursprache die Rede ist, die von verbeamteten oder demokratisch gewählten Baukunstexperten immer noch gesprochen wird, weil sie wiedergewählt worden sind und behördliche Planung eben etwas länger benötigt — davor dieser von Jonathan Borofsky multiplegleich weltweit in die Manager-Vorgärten gestellte hämmernde Gartenzwerg, das sind für mich Symbole einer trivialeklektizistischen Baukunst. Nun gibt es sicherlich erträgliche Ergebnisse dieser Postmoderne (übrigens ein Begriff, der mit der Literaturtheorie der sechziger Jahre aufkam und vom Architekten Charles Jencks in eine Sprache überführt wurde, die bald von vielen gesprochen werden sollte: so etwas wie das Denglish oder der Germslang des zeitgenössischen internationalen Bauens der Siebziger bis Neunziger). Aber was Jahn an weiterentwickeltem Architektur-Kauderwelsch überall hingestellt hat und stellt, war und ist die Ausgeburt dessen, was da gerade zusammengekracht ist: der Geld-Schein. Nicht beton brut im Sinne eines (oftmals bewußt mißverstandenenen) Le Corbusier, also der reine Beton, das sichtbare Material, sondern das protzig zugehängte derer, die dem Volk zeigen wollen: Schaut, hier ist euer Geld gebunkert. Sicher. Und da das Volk sich nunmal gerne beeindrucken läßt, im besonderen die kleinen Bankschalterangestellten, die sich gerne Bänker nennen und für mich in der Achtung weit unter den zeitgenössischen Bäckern stehen, weil die nämlich wissen, daß sie den Leuten Chemiegemisch als Brötchen zusammenrühren, klebt Jahn hier eine Applikation aus edlem Gestein hin und stülpt dort ein bißchen Tand über schlichten Entwurf und banalen Baustoff, nennt es, meinethalben, Phantasie des Fortschritts und wird von den vielen Bankkaufmannsgehilfen oder BWL-Bachelors und den ein bißchen Rendite begehrenden Sparanlegern auch staun- und glotzäugig und letztlich auch noch stolzbrüstig so wahrgenommen.

Gerade am Beispiel der jahnschen Architektur wird deutlich, was in den Köpfen ihrer Bauherren vorgeht: so stellen sich die Lieschens und Fritzchens Müller bis hinauf in die Vorstandsvorsitzendenetage vor, würden Ludwig der Vierzehnte, eher vielleicht der bis heute verehrte königliche Bayern-Baumeister von Neuschwanstein vermutlich gebaut haben, lebten sie in der Jetztzeit. Es ist das Architekturdilemma schlechthin, daß immer wieder ein solcher (Ver-)Blender wie Jahn seine protzige Einfallslosigkeit aus einer seiner drei Schubladen ziehen darf. Aber vom Schein lebt diese Gewinnmaximierungsgesellschaft nunmal. Und ausgerechnet der Moderne werfen diese aber auch rein garnix wissenden Apologeten der Nachmoderne ff. vor, sie sei der Verursacher der Unwirtlichkeit unserer Städte; von dieser Formel haben sie irgendwann mal gehört. Daß die sogenannten Hochlicht-Türme in München, wo nicht allzu lange vor deren Errichtung ein Kaufhaus in (Alt-)Schwabing einen Kopf kürzer gemacht wurde, um das Stadtbild wieder herzustellen, ausgerechnet an der Mies-van-der-Rohe- beziehungsweise Walter-Gropius-Straße liegen (dürfen? müssen?) — am Ende hat man diesen Bau mit diesen Namen aufgewertet (die beiden können sich ja nicht mehr wehren) —, schlägt der Architekturgeschichte die Wirklichkeit der Ignoranz in die Bücher. Das wäre ein Grund gewesen, die Stadt zu verlassen, um in Kurz-vor-hinter-Sibirien Ananas zu züchten. Aber ich war glücklicherweise schon weg, um im tiefen Süden das Stangeneis zu produzieren, das meine Wut über diese Art von Kultur(-verständnis) runterkühlt.

Die Hansestadt Bremen im schönen jahnschen Schein. Das ist, mit Verlaub, so provinziell, wie's provinzieller nicht mehr geht. Es deckt sich mit den Eindrücken, die ich noch jedesmal hatte, wenn ich dorthin kam: irgendwie eine etwas zu groß geratene Kleinstadt. Über das neue Bremen muß ich mich erst noch richtig informieren, aber so viel sehe ich jetzt schon: Hamburg holt sich die meines Erachtens zu recht gepriesenen Herzog und Meuron für die (gleichwohl zum Finanz- und Sozialdebakel geratende) Elbphilharmonie, die eine Synthese aus alter und neuer Architektur bauen; das ist, wenn's denn durchdacht ist, ein immer erstrebenswerter Ansatz, da er Fortschreiten und Rückblicken zugleich zeigt, da in der Zukunft auf die Vergangenheit verwiesen wird (ein Beispiel). Das nette Bremen läßt (naheliegenderweise?) diesen Kerl bauen, der ständig auf der Suche nach Mitteln ist, sein fränkisch-kleinteiliges Denken zuhängen zu können. Bei diesem protestantischen SUV-Piloten auf dem Supermarktparkplatz kam bei mir von Anfang an der Verdacht auf, eigentlich säße er ja lieber im Bratwurstglöckla oder braute und/oder söffe beim weit- und weltfernen Schlenkerla Rauchbier. Dieser unpleonastisch provinzielle Nörmbärcher Provinzzubetonierer, dieser (Vor-)Gaukler, der so gerne bei Hofe auftreten möchte, aber immer nur vom hinterwäldlerischen Niederadel eingeladen wird, der hierarchisch bedingt eben nichts zu bieten hat als niederes Wild, also Karnickel und ein paar aufgeschreckte Hühner, weshalb die unteren Grade der höfischen Gesellschaft auch so heißen, er möge dem unterworfen werden, was Herr Pfitzinger als weltweites Motto vorgeschlagen hat: «No Jahn inside». Womit nicht der mit den Hendln gemeint ist! Aber dessen Architektur ist ohnehin längst zusammengebrochen ...


08.11.08 | 131
 
Fr, 15.10.2010 |  link | (4687) | 23 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


sethos   (15.10.10, 20:33)   (link)  
Ich habe mal den Messeturm in einem meiner Online-Schreibprojekte* als Hauptquartier des Bösen hergenommen.

Anscheinend lag ich da doch gar nicht so falsch...


* auf Englisch, zusammen mit anderen Leuten, und auf einer Plattform, die inzwischen pleite gegangen ist -- also kein Link!


jean stubenzweig   (15.10.10, 21:37)   (link)  
Ich habe in den Text
noch einen Satz sowie einen Link zu den Münchner Türmen eingefügt, nicht zuletzt, weil die Wikipedia-Autoren zwar einen «Hochhausstreit» erwähnen, aber offenbar keine Kenntnis davon hatten, wie lächerlich sich die Bewahrer des sogenannten größten Dorfs der Welt zuvor gebärdet hatten in ihrer Sehnsucht nach heiler Welt. Das war mir, seit ich in den Siebzigern in diese Stadt zog, immer mit ein Grund, wieder wegzuwollen. Aus beruflichen Gründen sollte es mir erst dreißig Jahre später gelingen, endgültig alle Zelte abzubrechen.

Frankfurt, das in seinem, gleichwohl in Randlage gelegenen Innersten letztendlich ja auch als recht kleinstädtisch zu charakterisieren wäre, war mir immer angenehmer: zumindest im Zentrum hatte ich das Gefühl, mich in einer Großstadt zu befinden, wie ich sie von anderswo her kenne. Und sicherlich kann man über die Hochhaussituation dort streiten. Aber bei dem Jahn-Bau klinke ich mich auch nach zwanzig Jahren aus jeder Diskussion aus. Er verkörpert nämlich diese zwanghafte und peinliche Nachbeten dieses american way of life, das auf mittlerwelie geradezu evangelikalem Puritanismus basiert. Beten und arbeiten, Hauptsache, die Kasse stimmt, egal, was für ein (auch geistiger) Müll produziert und konsumiert wird. So gesehen empfinde ich die Bezeichnung «Hauptquartier des Bösen» als ungemein treffend. Schließlich steckt der Teufel im Detail.


sethos   (15.10.10, 23:09)   (link)  
Der 'Hochhausstreit' bezieht sich darauf, daß niemand innerhalb des mittleren Rings höher bauen durfte als Traufhöhe Frauenkirche, um die Silhouette der Stadt zu erhalten?

Deshalb befinden sich die Hauptquartiere des Bösen in München in verschiedenen historischen Palais knapp nördlich der unmittelbaren Altstadt statt in irgendwelchen Türmen...


jean stubenzweig   (16.10.10, 00:06)   (link)  
Ja, es ging seinerzeit,
wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, um besagte Traufhöhe. Deshalb wurde das schwarze Kaufhaus abgestuft. Selbst alteingesessene Schwabinger waren fassungslos ob dieses Irrsinns. Aber der hat(te?) Tradition in der Stadt. Der Föhn.

Nur vermuten kann ich jetzt den Ort Ihrer Zuschreibung: ganz in der Nähe des Siegestors, ein Platz, benannt nach altem Herrschergeschlecht.


sethos   (16.10.10, 00:38)   (link)  
Einer der Orte. Wenn man da die Straße weiter entlangradelt, dann kommt man noch an einigen solchen Hauptquartieren vorbei. Da sitzen so ein paar ganz unsägliche Venture-Capital-Fonds der Beyerischen Landesbank, zum Beispiel.

Den Ort nahe dem Siegestor habe ich natürlich ganz besonders auf dem Peil, aber ich würde nicht annehmen, es ist die einzige Zentrale allen Übels.


jean stubenzweig   (16.10.10, 21:53)   (link)  
Ist vom Siegestor an
die gesamte Straße gen Norden, über den Bonsai-Triumphbogen hinaus, nicht der Boulevard der Schlechtigkeit schlechthin? Oder sitzt die Bösartigkeit am Marienplatz? Aber vermutlich ist der Amtskettenträger dann doch zu brav, um tatsächlich dem Vorstand allen Übels zu vorzusitzen. Allerdings könnten Sie auch die Straße in westlicher Richtung meinen, wenn die auch längst nicht so lang und ausufernd ist.

Ich bin nicht mehr auf dem laufenden. Ich war lange nicht in «unserer kleinen Stadt», wie ein Münchner Feuilletonist vom fernen Hamburg aus sie eine Zeitlang regelmäßig köstlich hämisch zukolumnisierte.


sethos   (16.10.10, 22:00)   (link)  
Westlich. In der Brienner Straße sitzen ohne Ende Bankster und dergl.-


jean stubenzweig   (17.10.10, 22:56)   (link)  
An die Brienner Straße
erinnere ich mich allenfalls deshalb, weil sich dort zu früheren Zeiten eines der wenigen gastronomischen Lokalitäten befand, in denen man bis drei Uhr früh noch etwas zu essen und zu trinken bekam im tropischen München. Das mit der gestrengen Sperrstunde soll sich ja mittlerweile geändert haben.

Aber auch das mit den Banken rechts von der Brienner Straße ist ja mittlerweile wohl einigen Veränderungen unterworfen worden.

Ach ja, links abzweigend gab's noch das Literaturhaus. Da befanden sich mittags überwiegend Menschen drin, die nichts anderes lesen konnten als Zahlen.


nnier   (16.10.10, 11:18)   (link)  
Also in Bremen, muss man sagen, hat der Herr die ganze Stadt aufgewertet.


jean stubenzweig   (16.10.10, 14:11)   (link)  
Ja, der Bremen-Jahn,
ja, da war wohl seine altfränkisch-postmoderne US-Phase vorüber. Nach der Post baute er dann wohl nur noch modern. Aber er hat schließlich drei Schubladen.


ilnonno   (16.10.10, 23:20)   (link)  
Es ist wohl nicht ganz das Thema, aber dass sie das Olympiastadion zugunsten dieser seltsamen, in grausliger Umgebung liegenden "Arena" (kleiner haben sie es nicht) vergammeln lassen, das ist schon eine Schande.


jean stubenzweig   (17.10.10, 01:07)   (link)  
Das Münchner Thema Olympia
gab's hier bereits. Das Gelände an sich im Zusammenhang mit der Architektur ist hier mehr oder minder behandelt; das Olympiadorf samt dessen «Ränder» kommt dabei in den Kommentaren zur Sprache. Die «Arena» allerdings – alles hat einen Zusammenhang, Sie sind also mittendrin – liegt dann doch ziemlich weitab vom Stadion, nämlich nahe der ehemaligen Riesel- und auch Trümmerfelder, dort, wo's vor gar nicht so langer Zeit so sehr gestunken hat, daß man sich nicht einmal über die zu bauende Moschee aufgeregt hat (ich war bei einem Bildhauer, der der geringeren Kosten und vor allem der Ruhe wegen dorthin «ausgesiedelt» war, des öfteren zu Gast). Mich hat über all die Zeit immer wieder arg verblüfft, mit welcher Geschwindigkeit dieses Bauvorhaben, einschließlich der Umsetzung der erforderlichen Infrastrukturen wie S-Bahn et cetera genehmigt – durchgezogen wurde. Mir ist nicht bekannt, daß es dazu nennenswerte Proteste gegeben hätte; aber München war, sieht man von gewissen Epochen und kleineren Ereignissen ab, ohnehin weniger protest- als eher freizeitkulturinteressiert. In dem mich nach wie vor entzückenden Olympiastadion – ich war ein halbes Jahr vor Tschernobyl an dessen unmittelbaren Rand gezogen, bin ich nicht nur in Ehrerbietung der architektonischen Leistung, sondern auch der ingenieurischen (Frei Otto wird gerne unterschlagen) und überhaupt des Wohlgefühls wegen gerne dort, ausgenommen Wochenenden, genießend spaziert und hatte meine Wohnung im sogenannten Schwabing-West bis zur endgültigen Aufgabe 2003 –, daß sie das, wie Sie's nennen, «vergammeln lassen», das ist mir nicht bewußt. Wenn dem so ist, dann ist es mehr als eine Schande. Dann ist es (einmal mehr) eine Bankrotterklärung.

Und was ist mit dem angestrebten, dem neuen Olympia? Ich bin, wie bereits erwähnt, nicht so recht informiert. Auf der Rentner-Insel hat man nicht soviel Zeit.


ilnonno   (17.10.10, 17:09)   (link)  
Mit "vergammeln lassen" meine ich, dass eine kontinuierliche Nutzung jenseits einiger Konzerte oder Leichtathletik-Veranstaltungen fehlt.

Immerhin bleibt die Hoffnung, dass das neue Ding außerhalb nicht ewig hält.


jean stubenzweig   (17.10.10, 22:30)   (link)  
Wird es nicht.
Es besteht schließlich aus Licht und Luft; eine Blase also – euroglobale Wirtschaftsordnung. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis das Ding Deutschland-Arena heißt, weil wieder mal eine Allianz pleite gegangen ist und verstaatlicht werden mußte?


ilnonno   (18.10.10, 00:01)   (link)  
Eine Pleite wird nicht reichen. Das Stadion in Frankfurt heißt auch immer noch nicht Steuerzahler-Arena...


jean stubenzweig   (18.10.10, 12:01)   (link)  
Ach, in dieser Stadt
hält doch der Kommerz die Welt aufrecht. Was macht da so ein bißchen Unterstützung durch das Volk aus. Ob das überhaupt merkt, was da abgeht, wenn es in die Stätte des goldenen Kalbs pilgert? In den von ihm goutierten Medien wird das doch so gut wie nicht thematisiert.

Schon wieder als komisch empfinde ich die Erinnerung daran: Unter diesem (seinerzeit noch) dachfreien, am Wald gelegenen Stadion habe ich als sportlicher Jüngling zwischenzeitlich unbehelmt Pucks abzuwehren versucht. Gesiegt haben die Bucks. Bald darauf auch in Berlin, wohin ich zurückgekehrt war, um in Frieden weiterzuschubbern. Bis ich mich vollends ungeschützt ins haltlose Nachtleben stürzte.


genova68   (18.10.10, 13:30)   (link)  
Guter Text. Die Aufarbeitung der Herangehensweise der Postmoderne an die Moderne harrt sowieso ihrer Aufarbeitung. Das, was in den Siebzigern als durchaus kritische Betrachtung des modernen Städtebaus und der Charta von Athen begann, ist ja flächig schnell von postmodernem Kommerzdenken trivialisiert worden. Da ist Jahn ein Beispiel. Im Zuge dieser Städteaufwertung haben heute Investoren fast komplett die Stadt und ihren Sinn besetzt. Zumal die Kommunen kein Geld mehr haben, um noch gestaltend einzugreifen.


ilnonno   (18.10.10, 20:55)   (link)  
Ich fürchte, das ist ganz praktisch gesehen noch viel einfacher. In Europa gibt es kaum mehr als eine Hand voll "Projektentwicklungsfirmen". Wenn die sich eine Stadt ausgesucht haben, brauchen sie jeweils nur einen aus den beiden großen Fraktionen im Gemeinde- oder Stadtrat, den sie von dem gewünschten Projekt "überzeugen". Eine "Mehrheit" ist so schnell geschaffen und es muss nur noch überlegt werden, was anstelle des Sterns vor "*-Arkaden" oder "*-Zentrum" stehen soll.

Dass diese "Arkaden" überall gleich aussehen und immer die gleichen Kettenfilialen beherbergen: jo mei.

Als letzte jammern die Einzelhändler am Ort noch ein wenig, aber erstens jammern die ja immer und zweitens wollen die doch nur Geld verdienen.


charon   (18.10.10, 23:46)   (link)  
Auch des anderen Jahns Konstruktionen hielten nicht immer den Naturgewalten stand.

Wenn man es platt wenden möchte, dann hatte der Neoliberalismus im architektonischen Postmodernismus seine ihm ganz eigene Ausdrucksform gefunden. In seiner Radikalität am beeindruckendsten wohl hier und hier zu sehen. In der Provinz angekommen, ist der Spuk ja auch schon fast wieder vorbei.

Eines der noch immer eindrucksvollsten Dokumente zu den Planungsexperten solcher Nicht-Orte ist Harun Farockis Die Schöpfer der Einkaufswelten, wo die Entlarvung des Stumpf- und anderen Un-Sinns eben keiner Entlarvung bedarf. Die traurigste Gestalt liefert im übrigen der sich prostituierende Architekt. Vielleicht sind auch die Star-Architects nichts weiteres als Edelhuren, die für ihren escort service halt ein bisschen mehr verlangen können. Jetzt auch in Ihrem Theater!


jean stubenzweig   (19.10.10, 12:16)   (link)  
Der fränkische Heißsporn
ging da aber auch mächtig ran bei «seinem first major project»: «Kemper Arena was built in 18 months in 1973–74» (die deutschsprachige Wikipedia führt das Sportswerk in der Jahn-Hitliste erst gar nicht an), achtzehn Monate Bauzeit, das ging noch ja schneller als mit dem Münchner Heißluftballon. Ich kann mir nicht helfen – diese Raserei auch beim Bauen verschafft mir seit je ungute Gefühle. Ich verstehe auch bis heute nicht die dahintersteckenden Marktmechanismen, die grundsätzlich mit Hetzerei verbunden sind.

Das übertragt sich ja offensichtlich auf das Kaufrauschpublikum in diesen gigantischen Tempeln, in denen die Tänzer nicht einmal mit Muße ihre Lustobjekte umrunden (dürfen?), sondern nur raffen, weil man ihnen fortwährend einredet, sie hätten keine Zeit. Als das in Europa, vor allem auf Frankreichs grünen Wiesen (das das US-amerikanische System des Supermarkts auf den alten Kontinent geholt und damit den Einzelhandel zerstört hat) losging mit diesen riesigen, zuächst noch uninspirierten Schlachthäusern des Konsums – bekam ich die ersten Beklemmungsgefühle. Aber mittlerweile, ja, befinden sie sich in den Zentren der Städte, diese Jahrmärkte des «schönen» Scheins. Und was tun die Leute in diesen Glitterpalästen? Sie rennen, schieben und treten (dem Nachbarn – mindestens – auf die Füße). Nichtmal unter Androhung aller (Liebes-)Entzüge kriegt man mich in diesen Bau nochmal rein. Höchstenfalls im tatsächlich fast noch gemütlich (weil nicht ganz so aufgesetzt?) wirkenden Haus mitten in der ollen Mönckebergstraße lasse ich mich abstellen, nicht etwa, weil es wirklich annähernd nach Levante riechen würde, sondern weil der Kaffee in einem bestimmten Café dort wirklich konstant gut ist (und man mich auch wiedererkennt und herzlich begrüßt, wenn ich mich ein Jahr nicht habe sehen lassen). Aber die Suggestion, offensichtlich via zuviel Werbefernsehen, von der schönen Welt hat funktioniert, nach der sie vor allem eines zu sein hat: schnell. Da ist mir der Kaufrausch an der kleinen Isestraße sogar lieber.

«In der Provinz angekommen, ist der Spuk ja auch schon wieder vorbei»? An den Rändern der Zentren, in den Kleinstädten geht das doch erst richtig los. Wir hatten das hier und dort zwar bereits, es sei aber nochmal darauf hingewiesen (es gibt Neuankömmlinge; das Interesse am Thema hat, wie die Klicks zeigen, sichtbar zugenommen): Bis die geistig verbeamteten Planer der Unterzentren in ihrem architektenstarähnlichen Äußeren die Shopping-Träume der sie umgebenden Dörfler – «[...] sie wollen Stadt sein, Vorstadt immerhin, ein bißchen Film- und Fernsehkitsch dazu [...] – verwirklicht haben, braucht es seine Zeit. Und welcher Investor will schon ernsthaft in so ein Kaff Geld stecken*, das dauert ebenfalls, aber vermutlich geht es dann doch schneller als die dringende Sanierung sonstiger Infrastruktur. Es wird also erst ankommen, wenn auch diesem Jahn die Hendln übers Grab fliegen.

* Und wenn, dann endet das oft genug so: vorhernacher (fast identisch mit dem Standort Preetz).


enzoo   (19.10.10, 15:22)   (link)  
die
europapassage erinnerte mich bei meinem besuch in hamburg vor zwei jahren an einen umgedrehten schiffsrumpf. das fand ich für hamburg passend und gefiel mir daher recht gut. die geschäfte darin habe ich allerdings nicht wahrgenommen - was die planer/erbauer vielleicht weniger freut.


jean stubenzweig   (19.10.10, 19:13)   (link)  
In Hamburg erinnert vieles
an große Pötte, das bekannteste Beispiel ist vielleicht dieses fast direkt an der Elbe gelegene Verlagshaus, aber auch die Elbvielharmonika und einiges mehr läßt die Assoziation an die nicht nur von den einheimischen Lieschens und Fritzchen heiß- und inniggeliebte, immer wieder mal auch für die auswärtigen Gelblattleser anschwebende Tante Marie zu. Aber vermutlich fallen diese Architekturträume den Besuchern noch eher auf als den Einheimischen. Man befindet sich schließlich in der Hansestadt und sozusagen auf hoher See, auch wenn die noch gut hundert Kilometer entfernt zu tosen beginnt, auf daß einem richtig schlecht werden kann. Allerdings kann man mit so einer Art Wasserjagdflugzeug ein Stückchen dorthin bis nach Stade brettern.

Aber immer noch am schönsten ist eine Fahrt mit Kind und Kegel auf Schulter, am Rücken und im Tragesack auf den städtischen Verkehrslinienschiffchen nach Finkenwerder oder Peter Rühmkorf über den lieblichen Elbstrand hinweg einen letzten Gruß zuwinken. Aber wahrscheinlich haben Sie das alles absolviert (beim nächsten Mal gibt's ein richtig leckres Eis).




enzoo   (20.10.10, 17:38)   (link)  
natürlich habe ich vieles
davon "konsumiert" und manches davon genossen. meist ist man mit der eigenen wohnstadt ja viel strenger als mit besuchten metropolen, aus verschiedenen gründen. ich fühlte mich gleich recht wohl und heimisch in hamburg, was umgekehrt zwei hamburger, die ich kenne und die jetzt in wien wohnen, ebenfalls behaupten. daraus schliesse ich, dass die beiden städte einander trotz offenkundiger unterschiede in lage und bevölkerung ähnlich sind.

und richtig schön war die persönliche entdeckung der ostsee, die damals in form eines ausfluges nach travemünde stattgefunden hat und die zu einer reise nach rügen und hiddensee und fischland-darss-zingst (diese namen!!!) im heurigen jahr geführt hat.















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