Gespräche übern Gartenzaun

Meine nördlichen Nachbarn und ich leben seit nunmehr auch schon bald acht Jahren in friedlicher Eintracht miteinander. Nichts trübt unsere Gemeinsamkeit. Fast.


Die zur linken Seite der Revolutionskate sind zwar erst vergangenes Jahr hinzugezogen, aber mir ist, als ob sie bereits viel länger im Land wären als ich. Im Grunde trifft das auch zu, da der männliche Teil des Ehepaares rund dreißig Jahre auf einem Ostsee-Lehrstuhl saß und die mehr oder minder Wißbegierigen in ostgermanischen Märchen und Mythen unterwies. Nach seiner Emeritierung zog er mit der Gattin, einer Pyschologin, in die ferne Hauptstadt, ums endlich auch mal aktuell kulturell krachen lassen zu können. Aber dann sehnten sie sich doch wieder zurück in die Ruhe des lieblichen holsteinischen Landlebens. Dessen Sonnenseite bewohnen sie unter uns, und dort findet, wenn ich unterwegs bin zum Entenunterstand, immer wieder mal das vielzitierte Gespräch übern Gartenzaun auch ohne den statt, oder wir sitzen auch schon mal gemeinsam in südliche Richtung blinzelnd am runden Kaffee-und-Kuchen-Tisch und pflegen die Tradition des Rentnertratschs. Die Geschichten vom Theater, der Sohn zieht als Regisseur durch die Städte und die beiden gerne hinterher, kommen mir alle ein bißchen bekannt vor, aber wenn der zehn Jahre ältere und dem Baltikum verbundene Fachmann über die Entstehung von Mythen erzählt, höre ich sogar auf meinem eigentlich fast tauben Ohr wieder.

Auf der unteren rechten und damit dunkleren Seite des ansonsten nicht nur wegen seines Solarbetriebes recht freundlichen Hauses lebt mit einer seiner Gefährtinnen seit bald zwei Jahrzehnten der gute Geist, der von meinen holsteinischen Anfängen an ungefragt den Rasen um meine Sommerresidenz drumherum mähte oder auch schon mal den aus Altersgründen verklemmten Bowdenzug zur Drosselklappe meiner motorbetriebenen Trödelkarre wieder gangbar macht. Lebensunfähig, der ich bin, behindere wegen solcher Lapalien nämlich durchaus mal den hamburgischen Berufsverkehr, weil die gute alte Eier-, Wein- und Kartoffeltransporteuse mal wieder ein paar Schlucke zuviel gesoffen hat. Er aber hat vor etwa fünfundvierzig Jahren in Bergedorf Autoschlosser gelernt und kennt sich nicht nur in solchen Gangbarmachungen aus, auch alte DDR-Seitbordmotoren kriegt er wieder zum laufen. So etwas kauft er in der Ostzone, rüstet es wieder auf und verkauft es dann in den ehemaligen Ostgebieten wieder. Aber nicht nur Maschinen findet er dort in alten Schuppen, sondern auch andere Seltsamkeiten wie beispielsweise alte Kacheln oder nachgebaute Käthe Kruses. Derentwegen klingelt er dann hin und wieder bei mir, um sich Rat zu holen. Meist geschieht das vergebens, denn kein Vermittlungsversuch hat zum Erfolg geführt. Seit er weiß, daß ich an einer Universität unter anderem etwas mit Kunst getrieben habe, bleibt er bei seiner Überzeugung, einer wie ich müsse wissen, wieviel Prozent Gewinnsteigerung eine von ihm von einem Dachboden weg günstig erworbene und mit ordentlich Chemie aufpolierte und seiner Meinung nach uralte friesische Fliese zu erwarten ist. Meistens gehen wir dann nach unten, setzen uns am nachmittäglichen Westsonnenplatz an den rechteckigen DDR-Gartentisch, ich bekomme einen eigens für mich angeschafften Anis, er würde dieses Zeugs nicht schlucken, seine Frau kommt manchmal hinzu, und beide hören sich dann meinen philosophischen Vortrag über die Völkerwanderung der Westfriesenfliese in den sowjetisch beeinflußten Ostkulturraum an. Aufmerksam hören sie mir zu, um solche Abwegigkeiten auch sofort wieder zu vergessen. Es gibt schließlich Wichtigeres.

Gestern fing er mich auf dem Weg zum 2 CV-Unterstand ab, um sich nach meinem nach wie vor leicht maladen körperlichen Zustand zu erkundigen, der mich mittlerweile in die Niederungen der Kreatiefität treibt. So ergab sich Frage über Frage, dazu gehörten auch solche des öfteren bereits beantwortete nach bestimmten Stationen meiner Studien. Beim Ausräumen einer Hinterlassenschaft war er auf ein Hinterglasbild gestoßen und erinnerte sich dunkel daran, daß ich ihm einmal von den teilweise sehr hohen Werten dieser Kunstwerke erzählt hatte. Da er wohl nicht allzu offensichtlich mit der Tür ins Haus fallen wollte, nahm er einen Umweg über das Christentum, das den ollen Russen ja auch, irgendwie sei mal meine Rede davon gewesen, die Köpfe durcheinandergebracht hätte. Schließlich landete er beiläufig bei der, ob ich überhaupt an irgendetwas glauben würde. Das einzige, war meine spontane Antwort, an das ich je geglaubt hätte, sei Willy Brandt gewesen.

Bei diesem Namen zuckte sein Oberkörper zunächst nach hinten weg, um sich dann vorsichtig, wie er nunmal ist, aber doch auch bestimmt zu äußern. «Willy Brandt? Na ich weiß nich. Der war doch auch so ein Verbrecher.» Sämtliche Alarmglocken legten bei mir los. Daß er so rechtslastig denkt, so in Richtung Vaterlandsverräter und so, das hätte ich von ihm dann doch nicht erwartet. Aber vorsichtshalber fragte ich nach (hinterfragen nennt man das heute wohl), wie er denn, da wir schon dabei wären, um des lieben Himmels Willen zu einer solchen Meinung käme. Den aufklärerischen Vortrag dazu hatte ich im Kopf. «Na wegen der RAF und so», war seine Entgegnung. «Der gehörte doch zu denen.»

Mehr als ein heftiges Kopfschütteln und zwei gestammelte verneinende Sätzchen brachte ich zunächst nicht zuwege. Doch dann hakte ich nach und wollte wissen, wie er denn zu einer solchen Erkenntnis gelangt sei, woher er das habe. Schulterzucken seinerseits. Das erzähle man eben. Wo?! wollte ich wissen. «Na überall eben.»

Ich erzähle das heute deshalb, weil ich gestern in der dunklen Seite davon gelesen habe, wie offensichtlich auch noch um einiges Jüngere (als ich, der ich, das nebenbei, in keinem der Deutschlands zur Schule ging und möglicherweise deshalb tiefer in derartige Rituale der Bildung vordringen durfte, wie der Nichtgläubige sich eben wappnen muß durch gründlichere Kenntnisse allerlei religiöser Bücher) fragwürdigen Geschichtsunterricht oder nur in Teilen erteilt bekamen. Dennoch hat mich das ziemlich ins Grübeln gebracht, hat es doch den Anschein, nicht nur technisch lebensunfähig zu sein.
 
Mi, 06.04.2011 |  link | (2460) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben


nnier   (06.04.11, 11:00)   (link)  
Huch. So etwas habe ich höchstens noch aus fernen Kindertagen in Erinnerung, aber dass man solche "überall eben" erzähle, kann ich nun wirklich nicht bestätigen. Der Willy mit seinem Ypsilon (ist das da oben Absicht?) war denen fremd und verdächtig, das bekam man auch als Kind mit, der Emigrant, der mit dem geänderten Namen - aber spätestens seit den Wendezeiten, in denen was zusammenwachsen sollte, war das doch passé.


jean stubenzweig   (06.04.11, 11:19)   (link)  
Der Willi sollte
eine Anspielung auf den Behaupter sein. Aber da war ich mal wieder zu hermetisch nach innen, das versteht ja niemand. Also korrigiere ich es.

Nun ja, diesen Verräter mit dem geänderten Namen und so, den kenne auch ich. Die Härte ist dann aber doch der von der RAF. Ich werde ihn nochmal zu befragen versuchen, woher er das hat. Meine Vermutung, daß das auf seinem eigenen Sondermüll-Komposthaufen gewachsen ist, verstärkt sich ohnehin. Denn diese These war mir noch nie untergekommen.


mark793   (06.04.11, 12:43)   (link)  
Also das schlimmste,
was in dem katholisch-konservativen Umfeld meines Elternhauses über Willy Brandt gesagt wurde, war: Der wäre "von Moskau ferngesteuert" oder auch "nützlicher Idiot Breschnews", aber mit der RAF hat den meines Wissens nie jemand in Verbindung gebracht (das klingt fast, als wäre das auf dem Mist von Dittsche gewachsen).


jean stubenzweig   (06.04.11, 16:57)   (link)  
Ditsches «Kamose»,
das wird's sein. Al Kaaka, Niveau-Limbo. "Gott oder Väterchen Frost.» «Entweder du nimmst die Beleidigung zurück, oder ich hab sie überhört.»

Ich sollte meinem Nachbarn diesen (prall großartigen!) Ditsche mal vorspielen. Vielleicht erkennt er sich ja wieder.


charon   (06.04.11, 12:26)   (link)  
Die menschliche Phantasie ist grenzenlos und zuweilen haltlos. Knapp 250 Jahre Aufklärung haben daran nicht viel ändern können, und auch weitere 250 Jahre werden nicht ausreichen.

Ein berühmter Kollege von mir bemerkte einmal, daß selbst einhundert in den historischen Wissenschaften tätige Experten mit ihren ausgefeilten methodischen Apparaten, mit tausenden von Quellennachweisen und analytischen Instrumenten nichts gegen einen einzigen Satz eines "Betroffenen" (in dem Fall ging es um NS-Verstrickungen) ausrichten können:

Ich weise dies zurück!

Die Welt ist eben nicht nur so, wie sie ist, sondern vor allem so, wie wir sie uns denken. Aber sagen Sie das einmal Ihrem Willi.




jean stubenzweig   (07.04.11, 08:01)   (link)  
Sagen will ich's Willi,
ob's was nutzen wird, scheint mir fraglich. Andererseits habe ich dann doch wieder den Eindruck, daß das eine oder andere Partikel meiner Reden über die Welt sich in seinen Windungen verfängt. Und meine spontane Entrüstung könnte zudem bewirkt haben, ein Erinnerungsmal hinterlassen zu haben. Ich werde wohl dranbleiben, da zumindest Lernbereitschaft vorliegt. Und vielleicht verkauft er seinem bäuerlichen Freund das demnächst als neue, als eigene Erkenntnis. Dann hätte ich schon wieder ein bißchen Welt gerettet.

Vorher muß ich aber noch Ihre Zurückweisung unterschreiben.


charon   (07.04.11, 13:07)   (link)  
Sie sind ja eine Autoritätsperson!
Meine Erfahrung ist, daß ich mit aufklärerischem Gedankengut, das zudem mit gesichertem Wissen angereichert ist, weniger überzeugen kann als mit einer knalligen Behauptung. Und ist ein Gerücht erst einmal im Umlauf... na ja, Sie wissen schon.

Aber sagen Sie mal, war Brandt, der Vaterlandsverräter, nicht Bomberpilot bei der Royal Air Force? Denn: „Eines wird man Herrn Brandt doch fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“

Treitschke fragt, wer war's?


jean stubenzweig   (07.04.11, 17:19)   (link)  
Zu irgendwas muß ich
schließlich auch taugen, in der Not geht eben auch die Autoritätsperson.

Treitschke? War das nicht der der vom anderen Stern, aus des Führers Bunker?















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