Bild und Nachbild

Original und Urheber

Ein Kunsthändler erzählte mir gestern von seiner fünfundzwanzigjährigen Mitarbeiterin, die nach ihrem Abschluß des Studiums der Kunstgeschichte seit etwa einem halben Jahr seinen früher fast ausnahmslos den Auflagen, der Idee Kunst-für-alle gewidmeten, aber seit einiger Zeit auch mit (immer noch erschwinglichen) Originalen etwa von Beuys, Polke et cetera handelnden lustigen Laden hütet. Der Galerist der Sandwich-Generation, der nach den 7000 Eichen, bei denen er dem Schöpfer des anderen Kunstbegriffs zur Hand gegangen und anschließend von Kassel in die Hamburger Admiralitätsstraße umgezogen war, beschrieb die junge Historikerin der bildenden Artistik als jemanden, deren Interessen in der Zukunnft lägen, also an dem, was an Ereignissen käme. Künstler, deren wirkungsvolles Schaffen etwa bis zu dreißig Jahren zurückläge, die also nicht mehr unbedingt von Schlaglichtern des aktuellen Marktrummels mehr erhellt würden, seien ihr so gut wie nicht bekannt. Der gerne tiefer in die Furchen kultureller Landbestellung Blickende äußerte sich nicht negativ oder gar abfällig über seine einzig im und für das Hier und Jetzt lebende wissenschaftliche Hilfskraft, sondern in seiner gewohnten Art eher gelassen bis schulterzuckend: Das sei es, was heutzutage an den Universitäten gelehrt werde. Mit leicht traurigem Blick erinnerte er dennoch an die fortschrittliche Unruhe, die beispielsweise der Gesamthochschule des nordhessischen Oberzentrums auch außerhalb der heute überwiegenden Klientel der Kunstkucker einen international gehörten Ruf einbrachte, weil dort in Zusammenhängen beziehungsweise nach der Erkenntnis gedacht wurde, nach der es keine Zukunft ohne Vergangenheit geben kann.

Mir nötigte das einen Rückblick auf an Geschehnisse im Münchner Kunstverein, dessen Ende der achtziger Jahre wegen seines Rufs als Erneuerer aus Brüssel geholter künstlerischer Leiter eine Ausstellung über Informel und die Situationistische Internationale vorbereitete, aber den Namen eines der Mitbegründer der deutschen Sektion dieser Gruppierung nicht einmal kannte. Es mag daran gelegen haben, daß der Maler, um den es sich handelte, ohnehin als Essayist bekannter war und als dieser mit messerscharfem Federkiel Tendenzen des Luxus und der Moden zerlegte, sich einer gegen den Zeitgeist gerichteten Figuration zugewandt hatte, die während dieser Phase der Kunstgeschichtsschreibung auch von einschlägigen Medien ignoriert worden war, die sich zu dieser Zeit ohnehin auf die Synonymisierung von Kunst und Markt einzupendeln begonnen hatte. Mitte der Achtziger war an einigen deutschen Kunsthochschulen für Zweitsemester die Einführung in den artgerechten Umgang mit dem Handel eingeführt worden.

Wenn also die sich seit einiger Zeit auch gerne Wissenschaft nennende retrospektive Bildbetrachtung den Blick nur noch nach vorn richtet, weil mit der Vergangenheit offenbar kein ruhmverheißendes güldenes Kalb ins Regal der eigenen Biographie zu stellen ist, wer kann denn dann noch Zusammenhänge erkennen? So erscheint es zwingend logisch, daß selbst der nicht als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingekaufte jungdynamische Mann der Urheberschaft keinerlei Bedeutung mehr zukommen lassen kann. Das Original verschwiemelt in der virtuellen Darstellung und löst sich auf in einer breiigen Masse namens Kopie. Längst ist Authentizität zum Synonym für gestaltliche Echtheit verkommen. Wer Denglish oder Germslang zur Lingua Franca einer internationalen Gemeinschaft erklärt, ohne über eine eigene sprachliche Ressource zu verfügen, der kann nicht verstehen, daß mit dem Schlagwort Globalisierung nichts als augenwischende Schön- oder besser Falschrederei betrieben wird, in der es alleine um die ganz hoch gehaltene Fahne des Wirtschaftswachstums geht und nicht etwa um den Austausch von Wissen oder auch die gemütlich-freundliche Plauderei zwischen Menschen aller möglichen Länder beziehungsweise Regionen. Ein Original wird nur erkennen, wer der eigenen Identität sicher ist und dem nur deshalb der Unterschied zur anderen klar und deutlich werden kann. Der internationale Konsumklimaindex taugt dabei eher weniger als Leitfaden. Wer als junge Kunstgeschichtlerin die historische Rückblickskala mit dem Marktührer Gerhard Richter abschließt, die darf sich nicht wundern, wenn der Mädchentraum Direktorin eines Museums nicht einmal im Kunstverein Tripstrill an der Heide Wirklichkeit werden will. Denn gerade so etwas ist kein Ponyhof, dort werden teilweise ganz alte Gäule mit Bezug zur Geschichte etwa der Region gestriegelt.

Überhaupt habe ich Zweifel daran, ob jemand, der als historischer Kunstmensch von akademischen Graden die Entwicklung des Bildes nicht penibel erforscht, befähigt sein kann, einen Cayenne von einem Reisbrenner zu unterscheiden. Auch ein Damien Hirst ist nicht fälschungssicher. Da haben selbst altgediente Fachheroen mit weit nach hinten reichendem Horizont schlechte Erfahrungen machen müssen. Sicher, niemand ist dagegen gefeit, Fälschungen aufzusitzen. Aber das Risiko reduziert sich mit dem Maß umfangreicher Studien. Wer aber nur noch Nachbildungen anschaut, der wird irgendwann die Kopie für das Original oder dasselbe gar nicht mehr für schützenswert halten. Reine Oberflächenbetrachtung läßt keinen Blick ins Innere zu. Wer vor lauter Shoppen nicht mehr zum Einkaufen kommt, dem fällt geschmacklich der Unterschied zwischen Produktionen der weltweit agierenden Aromaindustrie und der nach Kriterien des Börsengewinns einkaufenden Konzerne, zwischen dem analog genannten (Nicht-)Käse und einem auch nach Napoleon noch köstlichen, vermutlich wegen seines hohen Fett- und Bakteriengehaltes sowie der krankmachenden Rohmilch von den EUropäischen Gesundheitsnormierern am liebsten verbannten Fleur du maquis oder überhaupt eines AOC-Produkts nicht mehr auf. Ist doch sowieso Alles Käse. Wie eine Rose nunmal eine Rose, also ein Bild ein Bild ist.

Ein solches Bewußtsein läßt sich im übrigen leicht auch ohne Internet herstellen. Ein von mir sehr geschätzter und recht bekannter Maler des Informel ohne sonderlichen Verkaufstrieb wurde deshalb von seiner Ehefrau insofern beklaut, als sie viele seiner Gemälde kopieren ließ und damit reichlich Reibach machte. Als diese Geschäftspraxis aufflog, ließ das logischerweise die früher beachtlichen Marktwerte im Keller verschwinden wie gleichermaßen einst das für rund achtzig Millionen Dollar ersteigerte Portrait im katakombischen eines japanischen Papierherstellers oder die durch eine Kunstankaufskommission gesetzespflichterworbene Politplastik im Totbewahrdepot eines Landeshauptstadtmuseums. Aber ihm war das irgendwie egal, bei ihm war das sozusagen wertfrei, immer schon, da hatte die wertlose Liebe sich verspekuliert. Er wollte nämlich immer nur eines: Kunst machen.
 
Fr, 26.08.2011 |  link | (2652) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges


prieditis   (01.09.11, 23:30)   (link)  
Nun,
die Arbeitsteilung macht auch vor der Historie nicht halt. Es gibt schließlich jeden Tag ein Stück mehr Geschichte und da bleibt, bedingt auch durch die strammen Mittelschichtenstatusängste, kein Platz mehr für eine universale Bildung. Spezialisten, Facharbeiter sind gefragt, und keine "Springer" (um im Industriejargon zu bleiben), die alles können.

Ich will ja auch, zwar nicht alles aber so viel wie möglich, selber künsteln. Und wenn das dann am Markt vorbeiläuft-- hey, ich hab immer noch meinen Flurförderschein! Ha!


jean stubenzweig   (05.09.11, 11:18)   (link)  
Als Statusangst
empfinde ich beispielsweise das Verlangen nach universaler Bildung nicht – so es denn überhaupt vorhanden ist in dem Teil des Mittelstandes, der sich als solcher reklamiert. Ich und noch ein paar andere waren immer Befürworter des Anhebens, nicht des Absenkens des Niveaus. Mir hat es immer mehr Freude bereitet, mich mit Maurern oder anderen Handwerkern zu unterhalten, deren Wissenswünsche über das Einmaleins des Rechnungsschreibens und Ausrechnnens der verbleibenden schönsten Tage es Jahres hinausgingen. Glücklicherweise hatte ich solche Begegnungen, und ich habe sie sogar heute noch, auch unter jüngeren Menschen, die Kunst nicht für eine alchimistische Methode zur Goldherstellung halten. Besonders über die aktuelle und eben auch akute Definition des Bildungsbegriffes ärgere ich mich tagtäglich aufs neue, weil nach aktueller Schreibweise dahinter letztendlich ein wirtschafts-, gewinnmaximumifizierendes Planen steht und meinem Ideal von gleichberechtigtem Wissen entgegensteht.

Künsteln kann und darf jeder. Bei manch einem habe ich allerdings den Eindruck, er bewirbt sich alleine deshalb an einer Kunstakademie, weil er hofft, dort in die Geheimnisse des Kunst-Monopoly eingewiesen zu werden, seine Arbeit in die Parkallee-Wertung eingestuft zu bekommen. Tatsächlich waren bereits vor fünfzehn Jahren an den höheren Kunstlehranstalten die ersten Anzeichen zur Umsetzung dieser Praxis deutlich erkennbar: im zweiten Semester die Einführung in den Kunstmarkt. Seither scheinen immer mehr Künstler werden zu wollen – solche, die sich am Markt «durchsetzen». Mit dem Phänomen Kunst scheinen sich meines Erachtens die wenigsten auseinandersetzen zu wollen.

Nicht eben wenige Talente sind auf der Strecke geblieben, weil sie bei diesem Ballyhoo nicht mitmachen wollen oder können. Aber zu meiner Freude sind es genausoviele, die trotz ihres Mitwirkens beim artistischen Celebritätenaufmarsch nie auf den roten Teppich gelangen. Doch wem beim Gedanken an Zukunft lediglich die Dollar- oder Eurozeichen im Kopf aufblitzen, dem wünsche ich dasselbe wie diesen ganzen Verkäufern von Luftnummern am Finanzpapiermarkt, Die haben vermutlich noch nicht einmal eine Prüfung für den Flurförderschein abgelegt – was auch immer das sei.

Aber ich sehe es ein: Meine schöne Welt des Spezialisiert auf das Nichtspezialisiertsein befindet sich tief in der Klimakrise.


prieditis   (05.09.11, 15:43)   (link)  
Der Flurförderzeug-
scheininhaber darf Gabelstapler fahren, das ist ungemein praktisch, z.B. für große Kunstwerke auf Palette...also, Euro-Palette.

Die von mir angesprochene Statusangst beziehe ich eher auf den Weg hin zur Spezialisierung. Universale Bildung, dafür bleibt kaum Platz, geschweige denn Zeit. Zeit ist nämlich Geld, habe ich mir mal sagen lassen, und selten beachtet. Ich bin nun einmal neugierig und probiere gerne mal was aus.

Und was den Kunstmarktzirkus betrifft, da sehe ich mich ganz hinten, weil, die Clowns, die kommen zum Schluß! Hihi.


jean stubenzweig   (05.09.11, 18:52)   (link)  
Im Gegensatz zu mir
haben Sie immerhin etwas Anständiges gelernt. So manches tät ich gerne auf Euro-Palette gabelstapeln dürfen.


prieditis   (05.09.11, 23:15)   (link)  
Geradezu
hochstapeln darf man dann. Mit Brief und Siegel!















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