Zeige ihre Wunde

Die nächste documenta dräut.

Gestern rief schrecklich aufgeregt die die Kunst vermutlich ein bißchen mehr als mich schätzende Frau Braggelmann, die als von mir so bezeichnete Doktor Blaulicht ohnehin für Verletzungen zuständig ist, an und erzählte etwas von einem Mordversuch an der Schönheit durch Nichtwissende. Eine Putzfrau habe ein Kunstwerk zerstört. Meine erste Frage: Nordrhein-Westfalen? Sie ging gar nicht darauf ein und ließ weiterhin die Sirene auf dem Kopf via Mundwerk heulend attackieren. Nach ihrer staccatoartigen Schilderung der Berichterstattung aus einem öffentlich-rechtlichen Organ mußte ich annehmen, sie habe vermutlich nicht gemerkt, daß das eine dieser Wiederholungen der fünfundzwanzig Jahre alten Nachrichten war, die immer wieder mal darauf hinweisen, daß früher doch nicht alles besser war. Der Vorfall mit der Fettecke in Beuys' Badewanne war mir nämlich spontan eingefallen, bei der ein Düsseldorfer Saubermann für die Reinheit der deutschen Kunst sorgen wollte, indem er ihr das Zuviel an Cholesterin und Kalorien nahm. Doch der war ihr nicht bekannt, löste allerdings eine ausgeprägte Empörung bei ihr aus, und sie setzte, nachdem ihr lautes Lachen abgeebbt war, mit ihrer meinen Irrtum korrigierende Nachberichterstattung fort und wies auf einen aktuellen Fall hin, von dem sie allerdings nichts Genaueres wisse, da sie nur den Rest mitbekommen habe, weil sie gerade auf der Suche gewesen war für eine ihre Kosmetikseite verschönert haben wollende Freundin, vielleicht eine «klassisch schöne» (das ästhetisch hat sie gerade noch unterdrückt) Darstellung eines Hamam. Da mir bei klassisch immer sofort das Alarmsignal Klassizismus ausgelöst wird, empfahl ich ihr eines der vielen <a href="http://www.ecosia.org/images.php?q=Jean-L%C3%A9on+G%C3%A9r%C3%B4me">Badebildchen eines Künstlers, der von dort stammt, wo nach meiner Meinung Frankreich und damit die Ästhetik des Schönen erst beginnt. Ungefähr ab Vesoul, mit dem Franche-Comté, setzt in südlicher Richtung nämlich beispielsweise die Malerei von Verkehrsschildern auf Felswänden ein, was daran liegen mag, das sich ohnehin niemand mehr um Regelungen kümmert, weil die sinnlichen Genüsse (durchaus auch jüngeren Menschen) immer deutlicher in den Blickpunkt geraten, etwa das Federvieh oder der Wein der Bourgogne.

Ich begab mich sofort in meine zwar manchmal nicht besonders ertragreiche, aber jedenfalls andere Suchmaschine und gab ihr den Befehl, nach Kunstzerstörung zu fahnden. Nach vielen Seiten über Bildersturm und Beuys gab sie das nach den vielen Fälschungen und fragwürdigen Kunstbewertungen überhaupt etwas ins Hintertreffen geratene Thema schließlich preis. Das einzige, was an meiner Annahme stimmte, war Nordrhein-Westfalen. Gereinigt und damit die Kunstbewertung wieder ins Gespräch gebracht hatte die Kunst eine Putzfrau in Dortmund. Das ist die Stadt, in die ich in den Achtzigern des öfteren gereist war, weil ich den Direktor des dortigen Museums am Ostwall sympathisch fand und ihn unterstützen wollte in seinem Kampf gegen die Vernachlässigung seines Hauses durch die Kommune, die ihre vom Durchschnittsbürger gezahlten Gelder lieber in eine ästhetisch anspruchsvollere Gestaltung des Zentrums investierte, die sich darin zeigte, daß die vorab erbenden Söhn- und Töchterleins der alten Kohle- und Stahlmagnaten nach ihrem wochenendlichen Ausführen der schnieken Cabriolets das abschließende Gläschen Champagner unmittelbarer und quasi, heute würden sie in der Sprache der Fachwelt souverän von alles authentisch plaudern, genießen konnten, während ein paar Schritte weiter unten der Nachwuchs der Verlierer spielerisch Pfennige gegen die Wand warf. Es hat sich viel geändert seither in den Museen des Landes, der Zahn der Zeit hat edle Füllungen bekommen.

Der Ostwall, dessen damals offensichtlich zu antizipatorischer Kunstverteidiger im Verließ der Resignation verschwand, hat nun zum Beispiel einen Kippenberger — wenigstens geliehen bekommen. Der Geehrte ist zwar nicht unbedingt an seinem Ruhm zu Lebzeiten, sondern allenfalls an anderen Elexieren des Teufels zugrundegegangen, aber da ein toter Künstler für die ihn verwaltende Nachwelt ein besserer Künstler ist, weil der sich nicht mehr gegen seine Vereinnahmung wehren kann, ist er mittlerweile dann doch immerhin ordentlich was wert: 800.00 Euro. Das setzt die Inflation, die auch auf dem Kunstmarkt herrscht, ins Bild: Zu Beuys' einsetzenden Hochzeiten kostete die Verletzung einer späteren Reliquie noch 40.000 Mark. Aber immerhin setzt es die Diskussion über den Stellenwert der Kunst außerhalb der feinen Gesellschaft in Dortmunds Zentrum wieder ingang.

Ich als autorisiertes und damit zu einem Urteil fähigen Mitglied des Internationalen Gesellschaftskritikerverbandes (Association internationale des critiques d'societé: aics) rückte mir den Vorfall, bevor ich genauere Informationen hatte, selbstverständlich ins vermeintlich rechte Licht. Ausgegangen war ich von der Tatsache, daß mittlerweile auch Stadtverwaltungen indirekt Billigstlöhne zahlen, indem sie keine steuerträchtigen Festangestellten mehr, sondern bei niederen Tätigkeiten längst Fremdfirmen mit der Sauberkeit auch des Inneren beauftragen. Folglich vermutete ich eine aus dem immer mehr in den fernen Osten rückende beziehungsweise kommende preiswertere Bodenpflegerin, die mit den ästhetischen Urteilen der westlichen Welt verständlicherweise nicht unbedingt vertraut ist. Doch ich habe mich geirrt. Die Werteverletzerin war eine Dame des Hauses, die, entgegen ihrer Anweisung, mit einem Mindestabstand von zwanzig Zentimetern um die Kunst herumzuputzen und diese keinesfalls zu berühren, den ihren Schönheitssinn verletzenden Fleck beseitigte. Damit dürfte der Beweis erbracht sein, daß der Mindestlohn alleine deshalb dringendst erforderlich ist, weil jederman und -frau das Recht haben muß, mehr Geld in seine Bildung investieren zu können.

Aber wenigstens darf der kanalisierte Qualitätsjournalismus namens RTL endlich wieder einmal urteilen: «Darüber lacht die Republik.» Ja, nun auch die anfänglich empörte Frau Braggelmann. Ich auch, und zwar um das Gewese, das sich mal wieder um die Kunst rankt, ohne daß diese Meinungsmacher ihr wirklich nahe kommen wollen. Die Gesellschaft zeigt eine ihrer Wunden. Ob ohne oder mit Beuys.
 
Sa, 05.11.2011 |  link | (1943) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges


nnier   (05.11.11, 18:12)   (link)  
Bei aller Abneigung gegen die ganz billigen Witzchen über Kunst und -fuzzis hat mir der Titel eines Bühnenprogramms sehr gut gefallen, mit dem Mike Krüger neulich unterwegs war: Is' das Kunst, oder kann das weg?


jean stubenzweig   (06.11.11, 10:11)   (link)  
Ob Mike Krügers Spruch
von ihm selbst stammt oder ob er Volkes Stimme entfleucht ist und er ihn sich zueigen gemacht hat, das kann ich nicht beurteilen. Auch weiß ich nicht, ob er sich damit gezielt über die (bildende) Kunst lustig machen und so verstärkt bei seinem sogenannten breiten Publikum ankommen will. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er problematisch ist, der Spruch. Nur weil ich etwas nicht verstehe, heißt das deshalb noch lange nicht, daß es deshalb achtlos weggeschmissen gehört. Ich habe ohnehin das Gefühl, manch einer trennt seinen Abfall sorgsamer als eigene Gedanken von den Müllhalden aus den Volksmäulern.

Was meines Erachtens fehlt, ist die anderweitig ständig und wie selbstverständlich eingeforderte Toleranz. Soll einer doch schlicht sagen oder anzeigen, meinetwegen wie bei Farcebuch: Daumen hoch oder runter. Aber nicht diese historisch seit Mitte des 18. Jahrhunderts, seit Baumgarten nicht mehr geltende Wertung einbringen: Kunst kommt von Können. Alles andere ist Dreck. Das mit dem Können war zu einer Zeit so, als sie noch vom Handwerk geprägt war. Doch dazu habe ich mich, Sie wissen es, oft genug auch an diesem Ort hier geäußert; deshalb für Zufallsbesucher oder Drüberflieger wenigstens das Eindeutige.

Ich selbst bin nicht frei davon. Besonders in meinen Sturm- und Drang-Zeiten, also hier verknappt jenen, in denen ich überemotionalisiert vom richtenden Genie in mir überzeugt war, gab ich Urteile ab, die ich mir nicht hätte leisten dürfen, weil es es mir am Vermögen dazu mangelte. Die Erfahrungen haben mich gelehrt, mich zurückzunehmen. Heute sage ich eher: Gefällt mir oder gefällt mir nicht. Und um eines klarzustellen: Lachen tue ich über die Dummköpfe in den Medien, die Wissen vorgeben statt Kenntnis zu haben, die zudem heuchlerisch den anderen Hohlköpfen die volksbelustigende Stimmung (und damit die eigene Einschaltquote) nicht vermiesen wollen, aber durchaus auch über jene Fachleute, die nicht minder eine eigene Meinung vermissen lassen, sondern häufig genug ohne eigene Gedanken nachplappern oder abschreiben.

Kunst war und ist immer kontrovers gewesen, auch in früheren Zeiten, in denen dem handwerklichen Können Priorität eingeräumt wurde. Aber die haben sich nunmal geändert. Wenn jemand Rechtschreibung und Grammatik beherrscht, heißt das noch lange nicht, daß er damit den Nachweis des Künstlerischen erbringt. Hingegen kann ein Rechtschreibschwächling von Ideenreichtum durchsetzt sein. Während ein perfekter Studiomusiker, ein ebensolcher Maler oder eine mit aller stimmlichen Ausbildung ausgestattete Sopranistin deswegen noch lange keine großen Künstler sein müssen. Es zählt die eigene Idee, selbst die häufig scheinbar dilettantisch umgesetzte.

Die Pflicht des Urteilenden, in einer sogenannten Bildungsgesellschaft allemale, obendrein einer, die Informationen sehr viel leichter zugänglich macht als noch vor zehn Jahren, jedoch bleibt: Wer richtet, also (ver)urteilt, der muß wissen. Dazu zählt das Unterscheidungs-, auch Vergleichsvermögen, also die intellektuelle Fähigkeit, zu abstrahieren. In allen anderen Fällen empfehle ich mal wieder den guten alten Wittgenstein in Paraphrase, mit freundlicher Unterstützung von M. A. Numminen.


jean stubenzweig   (06.11.11, 11:04)   (link)  
Soeben eingefallen
ist mir noch ein oben angeführtes Beispiel: der Maler Jean-Léon Gérôme. Viele halten ihn für einen großen Künstler, jedenfalls seit der Blick immer weiter in die gute alte Zeit zurückgeht und Bilder der aktuellen Zeitgenossen kaum mehr bezahlbar sind (ich weiß, ich schnoddere). Das Künstlertum will ich ihm nicht absprechen, zumal er durchaus zu einer eigenen Bildsprache gefunden hat (was ja oft genug erst lange Zeit nach dem Tod von Künstlern festgestellt wird, also ausreichend Zeit vorhanden war, sich mit deren Werken auseinanderzusetzen). Mir aber mißfällt an ihm, wie an vielen seiner Zeitgenossen, daß er sich sehnsuchtsvoll der Antike zugewandt, da heraus er seine Sujets bezogen und diese in einem für mich oftmals unerträglichen Manierismus umgesetzt hat. Dieser Klassizismus ist zwar nicht der, jedenfalls teilweise, «grandiose» Kitsch, als den ich diese Malerei am Kollegen-Stammtisch bezeichnen würde, weil es um die Verneinung der Scheiße geht, wie Milan Kundera ihn definiert hat. Doch er hat sich im wesentlichen allzu (selbst-)gefälliger Inhalte und, vor allem, Formen bedient. Ganz viele halten das für große Kunst, allen voran der Winkelmann-Fan-Club. Mir gefällt's nicht. Wahrscheinlich deshalb, weil ich es für für zu eng, für zu kleingeistig halte, sozusagen für kunstvoll verbrämtes Biedermeier.


prieditis   (06.11.11, 16:49)   (link)  
Zunächst hatte ich gedacht: Für den kommenden Besucherzuwachs der Ausstellungshalle (weil nun viele Menschen mehr als sonst die unrestaurierbare Zerstörung sehen wollen werden) gebühre der Dame zumindest eine Aufenthaltsgenehmigung. Doch hatte auch ich mich geirrt...


jean stubenzweig   (07.11.11, 15:55)   (link)  
Im Nachhinein
erfahre ich, aus dem Tagesspiegel: «Die Reinigungsfirma habe ihre Versicherung eingeschaltet, ein Gutachter prüfe den entstandenen Schaden.» Also Fremdarbeit. Wahrscheinlich für drei Euro die Stunde oder sonstwie irgendwelche Klippen wie Tarifverträge umschiffend. Genaues weiß ich nicht. Reine Spekulation.

Der Spiegel hat noch ein bißchen was erzählt.

Die Ehrenbürgerschaft der Stadt Dortmund stünde ihr zu, zumindest eine Aufenthaltsgenehmigungsverlängerung. Aber das fällt wohl gesetzlich in einen anderen Zuständigkeitsbereich.


kopfschuetteln   (07.11.11, 22:36)   (link)  
ich hab ja keen keller, um es nicht mehr zu schaffen, hinabzueilen zum lachen. ich hätte es auch sicher nicht geschafft.
sie wieder!
(kann es kunst sein, wenn es weg muß?)















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