Der Mensch ist des Menschen Wulff

Oh weh. Aber das mußte sein. Ich führe es auf meinen Zustand zurück. Trotz aller Schlaffheit raffe ich mich angesichts der laufenden Ereignisse zu dem Gedankengang hin: Was wäre gewesen, wäre das Faß nicht übergelaufen?

Es wäre beim alten geblieben. Bei genauer Ausleuchtung sehe ich, er wäre nach wie vor der weniger rechte, aber richtige Präsident der Deutschen, exakt in der Waage zwischen Recht und Unrecht. Ich gehe davon aus, daß seine Lebenspraxis die «seines» Volkes in entsprechender Befürwortung spiegelt. Es verschafft sich Vorteile, wo es nur geht, die Nachteile mögen die anderen haben, die sich dagegen nicht wehren können. Die Haltung gegenüber der «Faulheit» Anderslebender ist exemplarisch. Die sich scheibchenweise distanzierenden Politikerkollegen sprechen die gleiche Sprache. Auf einmal herrscht, wie es soeben bei Phoenix hießt, «sprachloses Entsetzen».

Menschen anderer Länder wird vorgeworfen, was im eigenen Land unter den Teppich gekehrt wird.

Es regt mich fürchterlich auf, wie alle so tun, als ob das nicht längst der Normalzustand wäre.
 
Fr, 17.02.2012 |  link | (2907) | 12 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


kopfschuetteln   (17.02.12, 13:58)   (link)  
ich rege mich auch auf. aber, wenn ihrem zustand das schadet, bitte nicht zu sehr aufregen.


jean stubenzweig   (17.02.12, 15:21)   (link)  
Nicht, daß Wulff mir
sonderlich sympathisch wäre. Er war mir bereits vor seiner Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen als eine dröge, unsäglich spießige Figur aufgefallen. Und das scheint mir der Knackpunkt: Er hat das gelebt, was so viele leben würden, hätten sie die Gelegenheit dazu. Das Volk ist proportional durchsetzt von potentiellen Vorteilnehmern, bei weitem nicht nur unter Politikern, so meine persönlichen Erfahrungen. Es ist eine einzige Scheinheiligkeit, die sich in diesem gesamten Vorgang spiegelt, der meines Erachtens durch die Medien nicht eben gemildert, sondern eher gefördert wird, da die Ursachen nicht wirklich hinterfragt werden, die in eine säkular bestimmte Moral, in eine Wertfreiheit dieser Art mündete. Ich nehme nicht an, daß sich das ändern wird, solange das nicht geschieht.

Ich will dieser Republik zugestehen, daß sie einen Ersatzmonarchen oder eine -in benötigt, um sich (vor allem im Ausland) repräsentieren zu lassen. Das sollte dann endlich mal jemand sein, der nicht irgendwie vom Parteienproporz vereinnahmt oder am Ende gar gekennzeichnet ist. Warum schaut man sich nicht mal dort um, wo einigermaßen Unabhängigkeit herrschen dürfte, beispielsweise im kulturellen Leben, in Wissenschaft und Forschung? Das würde ein ganzes Volk fast anarchisch «adeln».

Diese Verlogenheit ist es, die mich weiterhin aufregen wird. Sag ich's mit dem Berliner: Und das ist gut so.


kopfschuetteln   (17.02.12, 20:24)   (link)  
ich bin froh, daß sie von einer einigermaßeren unabhängigkeit schreiben - kulturelles leben, wissenschaft und forschung. (sonst hätte ich einspruch erhoben.)
ich glaube, das wäre eine gute idee, sich nicht nur unter den politikern umzuschauen. andererseits denke ich, daß das interesse für dieses amt bei anderen persönlichkeiten nicht besonders hoch sein dürfte. das ist irgendwie die zwickmühle: das parteigeschacher um diesen posten geht gar nicht und ein nichtpolitiker wird sich kaum finden lassen, geschweige denn, daß man sich auf ihn einigen kann beziehungsweise will.

die medienmaschine tobt sich jetzt richtig aus, phönix fast den ganzen tag, ab 19.25 steigt das zdf ein und jauch macht heute eine sondersendung - ich hab erst gedacht, das letztere ist ein witz (ein anderer witz lautete nämlich in form der frage, ob wenn jetzte wulff zurückgetreten ist, man dann die jauch-sendung einstellt.) online, print, fernsehen. jetzt geht es um klicks, einschaltquoten, auflage. auf jeden fall nicht um information oder gar ursachenforschung oder ... - das müssen sich die medien zuschreiben lassen.
in zwei tagen ist, abgesehen von der nachfolgerfrage, ist das thema durch. das kann nur bewältigt werden, wenn man an der oberfläche bleibt, das publikum will zum großen teil auch nichts anderes.

ich hab den wulff nie recht wahrgenommen, der ganze klatsch interessiert mich auch nicht. so richtig helle im köpfchen scheint er ja nicht zu sein, das ist mein fazit.


nnier   (17.02.12, 21:43)   (link)  
"Er hat das gelebt, was so viele leben würden, hätten sie die Gelegenheit dazu", das ist sicher der Fall, und was mich wirklich sprachlos gemacht hat, war dieser erschreckend enge Horizont. So wie mancher die Welt aus der Perspektive seines Kleingartens erklärt, ist er geistig vom Typ "pragmatischer Lokalpolitiker" geblieben. Das ist ja das Spießige, nicht das Klinkerhaus, nicht der Gardena-Schlauch.


jean stubenzweig   (18.02.12, 11:47)   (link)  
Passiver Teilnehmer
war auch ich an dieser Rundumschmierenkomödie. Ich bin ja zur Zeit an der Flucht gehindert, da hab ich's mitgenommen, man will ja informiert sein. Außerdem hat es mich, der ich gerne so gelassen tue, seltsam, weil eigentlich unergründbar bewegt, aufgeregt eben, wahrscheinlich durch dieses alles entzündende Medienpektakel, so daß ich dranzubleiben gezwungen war. Wäre ich ein Freund des Karnevals, ich wäre bereits vor Toreschluß in der fleischlosen Zeit angelangt. Wäre ich nicht dabeigewesen, ich hätte es nicht geglaubt, was da für ein Tohuwabohu veranstaltet worden war. Sogar bei Jauch war ich, zum erstenmal überhaupt, dabei, wenn auch nur ein paar Minuten, weil ich's nicht ausgehalten habe, dieses Expertengewäsch. Lediglich mein persönlicher Altinnenminister hat mich in seinen paar von ihm gesprochenen Sätzen mal wieder überzeugt. Gerhart Baum hatte ich im Vorfeld der letzten sogenannten Wahl dieses Schafs im Wulffspelz bereits erwähnt, gehört er doch zu den Politikern, die meines Erachtens eine Vorbildfunktion ausfüllen könnten; und das erfordert dieses Amt nunmal, unabhängig von der Frage, ob es überhaupt notwendig ist. Von ihm war und bin ich überzeugt, das haben Leistungen bewirkt, Gespräche mit ihm ergeben. Aber letztendlich geht es schließlich um Macht. Ich vermute, auch er würde abwinken, gewiß nicht nur aus Altersgründen.

Noch vor dem finalen Selbstabschuß des Wülffschens war mir spontan Julian Nida-Rümelin eingefallen, nicht als ins Pöstchengeschacher zu schiebende Person, sondern als Beispiel für eine Möglichkeit. Man erinnere sich an seine frühere Tätigkeit als Staatsminister für kulturelle Angelegenheiten, in der er mich überzeugt hat: gleichermaßen dran an der Sache, den Kollegen, zum Ende, aber nicht zuletzt jedoch am Menschen. Er war nicht nur nahe an ihm, er war auch in der Lage, stundenlang mit ihm zu sprechen, auch mit dem aus der Banlieu, eben nicht nur zu reden, dieser praktische, durch und durch demokratische Philosoph. Womit wir am Dilemma wären, daß Sie ausgeschrieben haben: Er hat, auch wenn er das sicherlich nicht so nennen würde, resigniert, ist lieber wieder zurückgekehrt in seine Berufung als Hochschullehrer. Eine gewisse Unabhängigkeit: In diese Richtung visioniere ich ein solches Amt, auch wenn mich ein Altbundeskanzler dafür zum Arzt schicken würde.


jean stubenzweig   (18.02.12, 11:50)   (link)  
Auf einer Linie
befinden wir uns da wohl: «Das ist ja das Spießige, nicht das Klinkerhaus, nicht der Gardena-Schlauch.» Die unterschiedlichsten Versuche der Kitsch-Definitionen fallen mir dabei ein, die auf Volk und (Ex-)Präsidenten gleichermaßen zutreffen. Eine der meines Erachtens besten stammt von Milan Kundera, die ich aus gegebenem Anlaß mal wieder zum besten gebe:
«Der Streit zwischen denen, die behaupten, die Welt sei von Gott erschaffen, und denen, die denken, sie sei von selbst entstanden, beruht auf etwas, das unsere Vernunft und unsere Erfahrung übersteigt. Sehr viel realer ist der Unterschied zwischen denjenigen, die am Sein zweifeln, so wie es dem Menschen gegeben wurde (wie und von wem auch immer), und denen, die vorbehaltlos mit ihm einverstanden sind.

Hinter allen europäischen Glaubensrichtungen, den religiösen wie den politischen, steht das erste Kapitel der Genesis, aus dem hervorgeht, daß die Welt so erschaffen wurde, wie sie sein sollte, daß das Sein gut und es daher richtig sei, daß der Mensch sich mehre. Nennen wir diesen grundlegenden Glauben das kategorische Einverständnis mit dem Sein.

Wurde noch vor kurzer Zeit das Wort Scheiße in Büchern durch Pünktchen ersetzt, so geschah das nicht aus moralischen Gründen. Sie wollen doch nicht etwa behaupten, Scheiße sei unmoralisch! Die Mißbilligung der Scheiße ist metaphysischer Natur. Der Moment der Defäkation ist der tägliche Beweis für die Unannehmbarkeit der Schöpfung. Entweder oder: entweder ist die Scheiße annehmbar (dann schließen Sie sich also nicht auf der Toilette ein!) oder aber wir sind als unannehmbare Wesen geschaffen worden.

Daraus geht hervor, daß das ästhetische Ideal des kategorischen Einverständnisses mit dem Sein eine Welt ist, in der die Scheiße verneint wird und alle so tun, als existierte sie nicht. Dieses ästhetische Ideal heißt Kitsch.»



kopfschuetteln   (18.02.12, 12:48)   (link)  
nur ganz kurz:
ich hab mir heute teile der wiederholung (jauch) angeschaut. der baum gefällt mir auch, sehr.
jetzt will ich aber kochen, denn nachher geht es raus zum müggelsee; die enten füttern.


g.   (18.02.12, 09:03)   (link)  
Georg Schramm werden wir wolle nicht zugeteilt bekommen, mit Töpfer oder Lammert könnte man leben, Göring-Eckardt oder Gauck wären ein Grund zum auswandern. Ja, und sich über Korruption in Griechenland mokieren während man ein umfassendes Amigosystem pflegt: Man kann gar nicht so viel fressen ...
(Jetzt geht blogger.de wieder. Sakratürkenscheißdrecknocheinmal zu den Zeiten zu denen ich meistens unterwegs bin skripterrorholesderteufelundsoweiter. Nix für ungut.)


jean stubenzweig   (19.02.12, 14:30)   (link)  
Eine ideale Persönlichkeit,
meinen Sie und vielleicht auch ich, denn Georg Schramm stellt überwiegend die Mehrheit dar. Aber er wäre eben doch ein Minderheitenpräsident. Als Klartextredner wird er wohl eher als Verbalterrorist wahrgenommen, wenn überhaupt, er ist doch nichts für ein Volk, das sich redlich aufrecht in der Mitte versteckt, um keine unsauberen Ränder aufscheinen zu lassen.

Katrin Göring-Eckardt, nach Gauck schon wieder so eine Predigerin, dazu noch eine aus dem Osten. Aber der Partei von drüben verweigert man die Beteiligung. Ich werde schwarz-grün im Gesicht, wie von Liebermann gemalt, wenn auch unter anderen Voraussetzungen (doch auch der junge Max war in jungen Jahren wandelbar; hier die Skizze zur ersten Fassung des Gemäldes).

Am Rande: Frau Braggelmann hat Herrn Stoiber vorgeschlagen, der wäre am ehesten geeignet für das Land.

Skripterrorholesderteufelundsoweiter ist schon in Ordnung. Sie als Überfrühaufsteher sind ja so eine Art Nachtmensch, ein Beleg für Andersleben, für gesellschaftsschädigendes Minderheitsverhalten. Strafe muß sein.


jagothello   (18.02.12, 10:22)   (link)  
Gutt-Menschen
Ich schlage einen Dirigenten vor. Oder seinen Sohn. Oder eine Doppelspitze, verstärkt um Steffi.


jean stubenzweig   (19.02.12, 10:23)   (link)  
Ennoch is nich enoch
(frei nach Gottfried Benn alias Konstantin Wecker). Gleichwohl, es entspräche den Adelssehnsüchten eines Volkes, das die Jagd auf das niedere Wild als Ziel auserkoren hat; Niederwild als Synonym für Demokratie mit einem Parfumhauch von Basis, nicht nach oben wollen, da das eigene Unvermögen dies ohnehin nicht zuläßt, genannt Niveauregelung. Auch die Regel der Erbfolge würde im rückschreitend modernen Deutschland wieder eingeführt.

Oder so: Das Schaf im Wulfspelz war der einzig richtige, er hat es, vermutlich zu seinem Leidwesen und auch vielleicht mehr noch zu dem seiner Gattin, schließlich nie geschafft, sich in Kreisen ablichten zu lassen, die es sozusagen nicht nötig haben, höher hinauszuwollen, sondern immer nur inmitten der Halbwelt, die sich früher aus anderen Arten der Prostitution rekrutierte; mit dem Unterschied, daß die ehrlicher waren.

Das Volk will Opernball für alle. Ordne ich's der Pleonexie (ohne theologische Bedeutung oder Wertung!) zu: wahllos, ohne jede Prüfung alles haben wollen, ob man's braucht oder nicht, ob man's ist oder nicht, sozusagen gleich sein. Es versucht sich zu erhöhen, dort «oben» will es sich gespiegelt sehen. Deshalb bleibt es unten, das Volk. Geistigem Adel (so diese Begriffskombination überhaupt zulässig ist) zu folgen, das wäre dem fleißigen Volk zu anstrengend.

Wo treibt sich bloß mein Adelsexperte herum? Höllenhund, wo steckt Er?!


einemaria   (22.02.12, 18:11)   (link)  
eine andere Sicht der Dinge>
haetten es die Gruenen in Stuttgart nicht geschafft, waere der Bahnhof vielleicht nicht volksentschieden worden, haette es Bush noch ein x-tes mal geschafft, haette die Opposition evtl die kritische Masse erreicht> aber immer wenn sich 'unten' (wo ist das bei uns ueberhaupt noch, wenn mans mal von Burmesien aus sieht) was rueht in Schbackenland, gibt es einen Umschwung oder eine Einsicht. Das koennte auch mal anders laufen. Eine weiter wachsende Unzufriedenheit als bis zum Rockzipfel einer Opposition, die eigentlich nur das gleiche mit anderem Vorzeichen verspricht, oder mal nicht einfach nur vorbeizuschrammen an einer neuen Idee - die Hoffnung stirbt zuletzt.















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