Niveau: auf gleicher Ebene «wenn wir die ‹getrüffelte rauchschwalbenwangen an natternzungensorbet-region› betreten, wie ich die hoch(preis)gastronomie gerne nenne, spätestens. dass natternzungen nicht das lispel-werkzeug der kriechlinge sind, sondern auch in europa heimische farne, ändert daran nichts. gutes essen muss nicht teuer und schon gar nicht ‹exotisch› sein.»QDer Freund selig unterlag meines Erachtens dem Fehler, den die meisten sich als links Bezeichnenden fortsetzen. Er setzte, bis ans Ende seiner Tage, auf die bleibende Vermassung. Er berücksichtigte nie die Individualität, die in jedem einzelnen Wesen ihre Entfaltung sucht, beim einen mehr, bei der anderen weniger ausgeprägt; et vice versa. Fragte man mich, wie ich politisch einzuordnen sei, käme dabei eine zögernde Antwort heraus: links. Das Zögern aber nur deshalb, da ich mich in dieser Schublade ebenso nicht wohlfühle wie in der des (verkommenen) Liberalen, ich grundsätzlich nicht vor und gar nicht hinter all dem, sondern auf Seiten oder auch, je nach Anlaß, inmitten derer stehe, die sich für Gemeinsamkeit, für Gemeinwohl aussprechen. Also nicht das uninformierte oder desinformierende Nach- oder überhaupt Geplappere sogar sogenannter seriöser, aus der Wissenschaft kommenden Journalisten und Frankreich-Korrespondenten wie Gero von Randow von einer Gleichheit, die es selbst in der, nenne ich sie mal so, als Gesetzgebung aus der französischen Revolution hervorgegangenen Égalité nicht gegeben hatte. Sie bedeutet nichts anderes als Gleichheit vor dem Gesetz. Doch nicht einmal die hat man hingekriegt. So liegt es nahe, daß der Mensch sie sich wenigstens im oberflächlich betrachteten gesellschaftlichen Status herbeizuträumen versucht, vor allem dort, wo man es mit den sprachlichen feinen Unterscheidungen nicht sonderlich genau nimmt, genau nehmen kann, da die Bildungsbereitschaft auf einem Niveau verharrt oder bewußt gehalten oder gezielt dorthin abgesenkt wird, das mich bisweilen an die des Revolutions-jahrhunderts erinnert. Das Halten oder Absenken fand überwiegend seit den achtziger Jahren statt, als die Nachdenklichkeiten vollends aufgegeben worden waren, nicht zuletzt, weil es versäumt wurde, auf das Individuum einzugehen, auch weil die neu entstandene Klasse der sich intellektuell höher Wähnenden intern aufgerieben oder auch kein wirkliches Interesse an Aufklärung hatte, wie es etwa zu Zeiten der Diderot und d'Alembert et coll. geschah. Beispielsweise über Kosmetik oder die Empfindung eines Akkords und sonstige Banalitäten wie Bibliomanie aufzuklären überließ man mehr oder minder ungerührt und auch weil man vielleicht selber aus der Klassenlosigkeit heraus im Niveau eine Stufe emporgestiegen war. Den Klassenkampf hatte man aufgegeben und es dem kohlschen Verständnis von Aufklärung überlassen, eine Gemeinschaft zu bilden. Das Privatfernsehen schuf sie. Das schuf eine (Wirtschafts-)Macht, die das Bildungsniveau gezielt absenkte. Das deutsche (das französische oder italienische und so weiter nicht minder) Volk begann vollends zu verblöden, nicht zuletzt deshalb, da die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten sich in Ihrer Programmgestaltung zunehmend an die Privaten anzupassen gezwungen sahen und Bedürfnisse befriedigten, die ich nur als niedere bezeichnen kann. Die Märkte sollten fortan alles bereinigen, eine mehr als fragwürdige Gleichheit herstellen.1983 hieß es fragend: «Wieviel Arbeit, wieviel Freizeit also wieviel Zweitkühlschränke, Dritt-Trimm-dich-Jogging-Anzüge aus Goretex und Viertfernsehgeräte benötigen wir denn? Wieviele Sonderangebote, also leichtfertig gekauften und nach (meist baldigem) Nichtgefallen schwierig zu (wie sich ein euphemistisches, von Politikern geprägtes Modewort abzeichnet) entsorgenden Sperr-Müll, also Überflüssigem aus dem Baumarkt, der sich, bezeichnend für unser Geschichts- und Geschmacksverständnis und mit seinem kleinteiligen, um nicht zu sagen kleingeistigen Ornamentsangebot völlig gegenläufig zur klaren Struktur dieses Mutterhauses der Vernunft-Form verhält, vielerorts Bauhaus nennt?! Wieviel hat denn die Industrie, der Handel seinerzeit bei den überall propagierten Zweitbremsleuchten innerhalb einer kürzesten Zeitspanne umgesetzt — 15 Millionen Mark. Da hat man den ewig Sicherheitsbedürftigen gewaltig auffahren lassen.» Der Club of Rome hatte einige Zeit zuvor bereits darauf hingewiesen, daß es mit dem Wirtschaftswachstum seine Grenzen habe. Nun merken es wieder ein paar wenige, wieder die Jüngeren, daß da irgendwie was schiefgelaufen sein muß. Aber über die Jahrzehnte hin war es diesen Gewinnmaximierern längst gelungen, jedwede kritische Sichtweise in den Hintergrund zu drängen. Sie war in der Masse versunken, die man angeblich (?) zu erreichen versuchte. Die Zweitkühlschränke, Dritt-Trimm-dich-Jogging-Anzüge aus Goretex und Viertfernsehgeräte haben lediglich andere Namen. Die Masse plappert längst den Sprach(re)formern aus Indusrie und Handel nach, anstatt selber mal wieder in die Wirtschaft zu gehen und sich mit anderen zusammenzusetzen. Aber selbst wenn Sie's täten, erzeugten sie Transparenz, indem sie nebeneinander am runden Tisch hockend sich gegenseitig Kurzmitteilungen unverständlicher Art zusendeten, die via Gefühlsglyphen erklärt werden müssen. À propos Sprache. Erst vorgestern hörte ich es wieder, noch erschüttert es mich: Zur sogenannten besten Sendezeit sprach so ein öffentlich-rechtliches Reporterinnen-Lieschen davon, die Mütze für das Hartz-Vier-Kind in der privat betriebenen Kleiderkammer sowie die Lebensmittel der örtlichen Tafel seien von den Händlern Soundso «gesponsert» worden. Weiß eine vermutlich gut ausgebildete Journalistin nicht einmal mehr, daß Sponsoring nichts anderes ist als der ökonomische Einsatz von Finanzmitteln mit dem Ziel der Gewinnmaximierung, also zur Förderung des Absatzes? Wenn sie wenigstens noch gesagt hätte, es sei mäzent worden. Diese ganzen Medicis wollten zwar auch nicht anderes als Kohle machen wie die Fugger in Augsburg, aber sie haben wenigstens, ohne das an die große Glocke zu hängen, ein paar Künstler am Leben erhalten oder auch reich gemacht oder ein paar Wohnhäuser gebaut, weil sie so etwas wie gesellschaftliche Verantwortung empfanden oder zumindest so taten. Das ist versäumt worden. Die Masse hat sich im Materiellen aufgelöst und bekommt Individualität vorgegaukelt, die käuflich zu erwerben sei. Ich bleibe in Deutschland. Lieschen und Fritzchen Müller schauen und fahren massenweise in die Ferne. Man spielt ihnen via Fernsehen und Internet virtuell die Möglichkeit der Identitätsfindung zu. Man hätte sie nicht unbedingt an die Region der «getrüffelte(n) rauchschwalbenwangen an natternzungensorbet» heranführen müssen. Man hätte ihnen unter anderem vermitteln sollen, daß gutes Essen und Trinken zum normalen Lebensstandard gehört, den man gegebenfalls nur dann erreichen kann, indem man auf anderes verzichtet, das eben mehr Wert bedeutet als den neuesten Drittflachbildschirm in Söhnchens Zimmer. Man hätte Lieschen und Fritzchen klarmachen müssen, daß sie im Zweifelsfall auch ein Recht auf das haben, was ihnen als Spitzengastronomie vorgeführt wird und oftmals nichts anderes zeigt als ein durchschnittliches französisches Abendessen. Nein, die beiden regen sich lieber darüber auf, daß so ein Linker einen Porsche fährt und gerne gut ißt. Anstatt sich mit ihm zu freuen. Ich habe im Lauf meines Lebens sehr viel Geld in der Gastronomie gelassen. Es hat mir Freude bereitet. Ich möchte es, nicht zu vergessen, die dazugehörende Geselligkeit, die Gemeinsamkeit nicht missen. Gute Nacht. Deutschland. Vielleicht wache ich irgendwann wieder auf. Dann motze ich noch ein bißchen weiter so ins Unreine. Als ob ich mal was Anständiges gerlernt hätte.
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