Gastartikel

Eine Londoner Agentur, die Digitales im Schilde führt, schrieb mich und vermutlich einige mehr an mit der Frage, ob ich «Gastartikel akzeptieren» würde. Die freundliche Dame meint damit vermutlich mein kleines elektrisches Tagebuch. Ich muß annehmen, daß es sich dabei um den Versuch handelt, mit völlig neuen Methoden Werbung einzuschleichen, wie wir aus Alters- ergo Zipperleinsgründen Kenntnisreiche in der Medizin das flapsig umbenennen, zumal der Begriff SEO leicht, aber unübersehbar zwischen den Zeilen hervorlugt. Oder haben die nur das Reizwort aus den digitalen, quasi für jeden einigermaßen Versierten sichtbaren Akten herausgeschnüffelt: Verlag?


Lernt man im Marketing nicht, die entsprechenden Seiten seines Gehirns effektiv oder gar effizient einzusetzen? Mit ein wenig Gefühl für die Sachlage müßte einem doch beispielsweise auffallen, daß in meinem Brauser nahezu alles, wie es auf Neudeutsch heißt, deaktiviert ist beziehungsweise nur zum Einsatz kommt, wenn es gar nicht anders geht, ich also gezwungen werde, ansonsten keine Cookies, kein Javascript et cetera lassen die Netzüblichkeiten hinein in mein gemütliches Plauderstübchen. Das wäre doch zumindest ein Anhalts- oder Inhaltspunkt. Doch es wäre sicherlich auch zuviel verlangt, erwartete man von den einen anschreibenden Verantwortlichen, sie schauten bei mir hinein und stellten mit ein wenig Aufmerksamkeit fest, daß ich möglicherweise nicht der ideale Kunde sein könnte, der eben obendrein, da wären wir allerdings bereits einen Schritt weiter, bei dem des ein bißchen genaueren Hinkuckens, sprich Lesens, immer wieder gegen diesen ganzen Konsumrummelplatz donnerwettert. Oder sind mittlerweile diese Gehirnfunktionen völlig außer kraft gesetzt, etwa die, daß sich jüngere und mittlerweile auch mittelalte Menschen ohne diese kleinen kleinrechnerverzierenden Apps und sonstigen elektrischen Navigationshilfen gar nicht mehr frei bewegen können? Hat Manfred Spitzer damit recht, entscheidungstreffende Körperteile könnten, trotz ständigen Muckibuden- und Stöcketrainings der Muskulaturen auch in der freien Natur Schaden nehmen?

Apps, das ist die Kurzform eines Begriffes, den ich näher kennenlernte, als eine der Hauptdarstellerinnen des Schauspiels Das Opfer Helena, eine hochgewachsene feine Frau wie vom Hofe eines Sonnenkönigs der Nachkriegszeit, von Strass-Applikationen redete, also nicht von der aktuellen und akuten Volkskrankheit Stress, sondern von billigen Klunkern, die Ersatz sind für Diamanten, die die Damen lieber trügen, die sie aber auf Geheiß ihrer ihnen gebietenden Gatten nicht tragen dürften, da sie Gefahr liefen, geklaut zu werden, die Edelsteine, wie man sie auch kennt von Jeans oder den Hundehalsbändern, die heutzutage die Millowitsch-Töchter der Nation schmücken. Die Landlordgattin, deren einzige Besucherin und ich sprachen während unseres sitzenden Austausches im Rahmen des Golfballs über das Reisen. Meinte diese eine, später dann weglaufende zu mir, ich kennte mich anscheinend recht gut aus in der Welt. Sicher, meinte ich, denn ich sei grundsätzlich auf Nebenstrecken unterwegs gewesen, und zwar ziellos, allenfalls einen Kompaß zuhilfe nehmend. Sagt mir doch, hier muß ich mich korrigieren, was meine Bemerkung zur weiblichen Zurschaubesetzung des Golfturniers betrifft, die aus der unmittelbaren Nachbarschaft beisitzende, noch lange nicht an die Dreißig hinreichende, recht gütlich erbende Tochter von Madame und Gutsherrn, die nichts zu tun hat, als ihrem Gatten abends das Essen hinzusetzen und hin und wieder ihren zwei über die Koppeln hoppelnden Kindern einen Blick nachzuwerfen, die jungen Menschen hätten aber auch heutzutage nicht die Zeit wie die Alten.

Sind mittlerweile eigentlich alle junge Menschen so reduziert auf das Wesentliche, das keinen Blick mehr nach dem Prinzip der rechts- oder linksdrehenden Gedanken zuläßt? Funktionieren die alle nur noch mit den Krücken der Navigation? Ist längst alles in dieser unsäglichen Masse unter-gegangen, die selbst dem schlichtesten Denken Fremdbestimmtheit zuweist? Oder haben die einfach tatsächlich nur keine Zeit? Welche Zukunftsvisionen. Hatte der ehemalige deutsche Bundeskanzler damit recht, als er sagte: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen?

Ist die Wirklichkeit nur noch mit Camus zu ertragen? Der Philosoph des Suizids als Synonym für die Gesellschaft.

 
Sa, 18.08.2012 |  link | (1520) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Mediales


enzoo   (20.08.12, 11:26)   (link)  
der grund
dass man just sie und ihren anti-konsumismus-donnerwetter-blog auswählte liegt vermutlich in der kraft des marketing-serienbriefes (papier oder nicht papier, das ist hier nicht die frage). da wird nicht mehr inhaltlich kontrolliert, ob man zur zielgruppe passen könnte, sondern da wird zb nach postleitzahl selektiert, bundesland-flächenbrandmässig werden da die republiken abgeklappert, und zwar, weils eh wurscht ist. die erfolgszahl von massmailing geht ohnehin gegen null, aber man kann sich hernach selbst auf die schultern klopfen und stolz auf sich sein, noch mehr, wenn man sich für die "fertigstellung" selbst einen engen termin gesetzt hat, denn dann kann man auch noch schwitzen dabei und "im stress sein", das höchste adelsprädikat, das die aktuelle arbeitswelt zu vergeben hat.

elektronisches massmailing ist ja vergleichsweise symphatisch. dafür muss kein tropen- und auch kein heimischer wald abgeholzt werden, es gelangen keine papiererzeugungsabwässer in den fischteich und keine zustellungs-lkws liefern sich auf der zweispurigen autobahn minutenlange überholmanöver mit 91,5 kmh gegen 91 khm, während dahinter stressgeadelte werktätige in dunklen audi- und vw-passat-dienstkombis abwechselnd für den angesprochenen hörbar ins mobiltelefon und unhörbar für den überholenden lkw-fahrer nach vorne blaffen - das braucht nur die zeit und die geduld der empfängerInnen und ein paar atomkraftwerke, die die stromversorgung der benötigten server aufrecht erhalten.

wir sind eine kleine firma mit wenigen angestellten in kooperation mit vielen grossen der branche, und da kommt es immer wieder zu erheiternden situationen, z.b. wenn wir im zuge einer mass-mail wieder einen neuen mitarbeiter oder eine neue mitarbeiterin "bekommen". längst habe ich den überblick verloren, wie viele mitarbeiterInnen, die erfreulicher weise nicht bezahlt werden müssen, weil sie auch noch nie im büro waren, daher auch keine gehaltsforderungen stellen, schon post bekommen haben, die an sie persönlich adressiert war, aber fünfzig werden es schon gewesen sein. eine zeit lang haben wir die kuverts mit den mystery-employees aufgehoben, aber irgendwann sind sie einer grossen entrümpelung zum opfer gefallen. "passieren" wird dies vermutlich dadurch, dass, man verzeihe mir, irgendwelche markteing-tussies die excel-adress-dateien mit firmennamen und ansprechpartnern sortieren und dabei den hammer nicht am griff halten, sondern irgendwie, sodass firmennamen und ansprechpartner einander falsch zugeordnet werden.

ein wenig anders lag die sache bei professor friedrich fürstenberg, der in linz an der johannes-kepler-universität lehrte. in seinem büro hing, hinter glas gerahmt, ein kuvert, welches folgendermassen adressiert war:

an hrn. prof. johannes kepler
friedrich-fürstenberg-universität
a-4040 linz


jean stubenzweig   (20.08.12, 15:58)   (link)  
Geantwortet hat sie
tatsächlich, die Dame aus London. «Ich meine, dass wir einen Artikel schreiben (Sie bestemmen das Thema), und ich setze zwei Backlinks :)» Suchmaschinenoptimierung. Gestemmt iber Motzje Stubenzweig. Das ist ja zum Berühmtwerden.

Jetzt haben Sie's mir nun wirklich erklärt, und ich hatte dabei einmal mehr meine Freude beim Lesen, das Schmunzeln schien zu einem botoxischen Dauerlächeln gefrieren zu wollen. Mir ist dennoch unerklärlich, was dieser ganze elektrische Almauftrieb soll. Bei meinen paar Abonnenten und den geneigten Zusatzlesern kann dabei doch nichts herumkommen. Oder gibt es da klammheimlich noch ein paar Geheimnisse? Heißen die Masse, die den Kohl fett machen? Nur Selbstadelung, das kann ich gar nicht glauben. Ich möchte gern auch zu den Esoterikern der Informationstechnologie gehören, auch wenn es eigentlich Informationstechnik heißen muß, da es sich um eine Anwendung des Erforschten handelt. Aber ach, wir sind ja sowas von verdenglisth oder gegermslangt.

Und was das wunderschöne Ende betrifft: Dabei ist mir allerdings der Hammer aus dem Gehirn gefallen. Das nenne ich Emporhebung: an hrn. prof. johannes kepler, friedrich-fürstenberg-universität Linz. Absender kann doch nur ein österreichisches Unternehmen gewesen sein. Andererseits auch wieder nicht, fehlt da doch der Doktorgrad. Ach, ich rede dummes Zeug, weiß ich doch nicht einmal, ob der Kepler überhaupt promoviert war. Denn dann wäre er nämlich nicht wirklich relevant. Aber, na gut, immerhin war er Mathematiker bei Hofe.


Marginalie: Copernicus fällt mir dabei ein. Nein, über den schwadroniere ich jetzt nicht. Ich reiße mich am Riemen. Und außerdem ist Nickerchenzeit. Der Aufruhr im Dorf war anstrengend.


sturmfrau   (20.08.12, 20:31)   (link)  
Ich sollte auch animiert werden, einen Gastbeitrag bei mir zu veröffentlichen. Gastbeitrag ist ein Euphemismus, im Klartext bedeutet das bloß, dass man mir an meine Ecke pinkeln möchte. Allerdings geht mir am Allerwertesten vorbei, dass dann meine Zugriffszahlen steigen würden. Horden von Trampeltieren im heimischen Garten braucht ohnehin kein Mensch. Da kann man mir noch so viel Honig um den Bart schmieren.

Und während ich bei den letzten Anfragen dieser Art noch geantwortet habe, mein Blog sei unkommerziell und man solle mich zukünftig nicht mehr anschreiben, habe ich dieses Mal einfach auf den Knopf mit dem roten X gedrückt. Adieu, SEO.


enzoo   (21.08.12, 10:54)   (link)  
dass sie
und ihr blog kein niemand und kein nichts sind, belegt dies:

http://666kb.com/i/c6kexccr894q408ry.gif

suchmaschinenoptimierung bedeutet nun mal auch, so viele links auf die eigene seite zu haben wie nur möglich. und in der not frisst der teufel ja bekanntlich fliegen, selbst wenn er prada trägt.

vielleicht ist es auch ein spiel mit dem selbstbewusstsein. es wird schon eine menge blogger geben, die sich durch trampeltierhorden im heimischen garten ((c) sturmfrau) plötzlich wichtig finden und meinen, das abgesonderte werde besser, wenn es mehr klicks darauf gibt. und wer nicht so gefestigt ist im bewusstsein um die qualität seines/ihres tuns, gibt dieser verlockung vielleicht schnell nach.















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