Lesen wie ein Toter im Meer Jemandem ein Hörbuch ans Herz legen täte ich nie, jedenfalls keine Schrift, die meines Erachtens fürs Lesen geschaffen wurde, auf daß die Phantasie sich im Kopfkino entfalte, wie ich es nenne. Geschrieben, gemeint hatte ich: Für Menschen, die beim Lesen nicht mehr fühlen können oder keine, meinetwegen auch keine Zeit mehr dafür haben, für die gibt's das (auch) auf die Ohren. Also allenfalls ersatzweise. Auch ein Christian Brückner, an dem sich viele überhört haben mögen, den ich dennoch auch nach Jahrzehnten als Sprecher nach wie vor schätze, kann mir die Blumen des Bösen nicht derart vermitteln, wie mein Gehirn, je nach Stimmung, also unter Zufuhr aller möglichen Botenstoffe, dazu in der Lage ist. Das mag, um bei Baudelaire zu bleiben, wie bei gesungener Musik Melancholie hervorrufen oder auch den kritischen Geist in mir wecken. Les Fleurs du Mal kamen zögerlich aus dem Bücherregal auf mich zu, da ich in einem anderen Zusammenhang nach einem Bild suchte, sie sich anboten, und ich mich daraufhin in diesen gemeinhin als unbeschreibbaren Landschaften verlor, ich nach langer Zeit wieder einmal durch diesen Sumpf versuchte voranzukommen, darin steckenblieb, ich in diesen an allen erdenklichen hervorquellenden Quellen der Sehnsuchtssprache lag wie im Toten Meer. Tatsächlich sehe ich auch ich beim Lesen von Belletristik kein Experiment. Das mag daran liegen, daß ich seit langem keine Neuerscheinungen mehr lese. An eine erinnere ich mich insofern bemerkenswert negativ, als ich Folgen im Radio gehört hatte und ich nach der zweiten begeistert in die, mittlerweile auch nicht mehr existierende, Buchhandlung des nächst-gelegenen Städtchens gerannt war, um das Buch zu erstehen. Es stellte sich heraus, daß der Autor, ein bekannter Schauspieler, sich sein Werk quasi aufs Maul geschrieben haben muß; ich kenne das aus meiner Hörfunkzeit, als ich bei sogenannten Hörbildern, auch unter Feature bekannt, mich bemüht habe, mit Vergnügen meine Diktion den mir bekannten Sprecherinnen und Sprechern anzupassen. Im Nachhinein hatte ich gar den Eindruck, das Buch (nach der Sprache?) könnte überhaupt erst nach der Ausstrahlung entstanden sein. Kurzum, gelesen war es eigentlich eine ermüdende Angelegenheit. Ich war eben einem Sprechartisten aufgesessen, der kein Artist der denklichen Sprache war. Es erwies sich als ein verbales Soufflé, das in sich zusammenfiel und flach liegenblieb. als im Kopfkino eine Tür aufging und Frischluftzug entstanden war, Nehme man's als Marginalie. Es ist mir eben spontan, wenn auch zusammenhanglos eingefallen, nachdem ich bei Melusine Barby gelesen habe. Auch früher habe ich gerne auf das Neueste verzichtet, doch die später dann nebenberufliche Beschäftigung mit der unterhaltenden Materie Buch hat mich immer wieder mal hineingestubst. Da landete so manches an. Heutzutage tue ich das, was ich mir für den Eintritt des Ruhestands vorgenommen habe: Altes wiederlesen oder überhaupt zum ersten Mal lesen. Da ist einiges liegengeblieben, das sich vermutlich nicht einmal mehr auf der Liste der lieferbaren Bücher befindet, weil es längst im Ramsch gelandet ist, wie so vieles bereits nach einem halben Jahr. Es besteht kein Respekt mehr vor Autorinnen und Autoren, die sich häufig jahrelang an ihren Büchern abgegearbeitet haben. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß es lesenswertes Neues gibt. Aber ich sehne mich nicht danach. Ich liege im Toten Meer auch der Belletristik.
Ach, Bücher.
Es gibt derer schon so viele, und ständig werden neue geschrieben. Dabei sind noch so viele Klassiker von mir ungelesen, und was meine Frau an Lesestoff mit in die Zugewinngemeinschaft eingebracht hat, ist (abzüglicher mancher Doublette) zum Teil auch noch unentdecktes Land. Ich bin manchmal versucht, die Tasse, mit der ich versuche, das Meer alles Geschriebenen auszuschöpfen, einfach am Strand stehen zu lassen. Und dann landet doch wieder etwas an, was ich nach anfänglicher Skepsis doch nicht weglegen kann. Aber mit Hörbüchern werde ich einfach nicht warm. Wenn ich längere Strecken mit dem Auto pendeln müsste, wäre es vielleicht weitere Versuche wert. Aber das Problem ist ja auch, dass ich beim Lesen mein jeweils eigenes Tempo finde, und geht mir die Vorleserei oft schlicht zu langsam voran. Ich bin so ausgeleert.
Und dann werde ich auch noch aufgefüllt mit Seltsamkeiten. Gerade stelle ich verdutzt und auch verärgert fest, daß mein einziges von mir hin und wieder gehörte Buch, von dem ich gerade erzählen wollte, mein Oblomow, von meinem Rechner verschwunden und auch von allen anderen externen Sicherungsfestplatten. Ein schlechter Traum??? Wollt' einen Scherz sich jemand mit mir machen? Können solche Dateien einfach so verschwinden? Und dann funktioniert, wie von Geisterhand, mit einem Mal auf meinem G5 das eMail-Programm wieder. Wochenlang habe ich immer wieder daran herumgearztet, und nichts ging. Nun habe ich einmal das Symbol angeklickt, und pling, eine eMail aus der Documenta-Welt ist da. Dafür kriege ich mein Adreßverzeichnis vom G4 nicht herüberkopirt. Ach. Und da soll der Mensch über Wasser und Tomaten und Zwiebeln, gar noch über vorgelesene Bücher schreiben? Vielleicht sollte ich mich besser mit anderen an einen runden Tisch setzen und Händchen halten. Irgendwas mit Abradakabra und Om. Oder so.Mark. Lesegeschwindigkeit. Interessanter- oder witzigerweise habe ich vergangene Nacht davon geträumt, ich hätte mich darüber ein wenig geärgert, jemand habe schneller gelesen als ich. Ich habe ihn eindeutig identifiziert. Es handelte sich um einen einst guten Bekannten, fast so etwas wie ein lieber Freund, zu dessen Lieblingsbeschäftigungen das Lesen von Büchern nicht eben gehörte. Er saß lieber unter Menschen und hörte aufmerksam zu, was sie zu erzählen hatten. Was man nicht alles so mit ins Bett nimmt an Tagesnotizen ... Mich haben schon zu Zeiten, als ich noch regelmäßig auf allen möglichen Buchmessen herumschlurfte, diese Massen alleine in den Belletristik-Hallen erschlagen. Selbst unter Kleinverlagen, die mich persönlich immer mehr interessierten, schien mir das Angebot schier unbewältigbar. Eigentlich war mir, der ich inmitten von Büchern aufgewachsen bin, immer unerklärlich, wie man diese ganzen Berge erklimmen soll. Lange Zeit bin ich bemustert worden. Unüberwindbar. Vieles scheint mir im nachhinein auch auf meinen einstigen Empfehlungsseiten als Selektion des Zufalls. Und was da ansonsten noch alles hinzukommt, das gelesen wird, man braucht nurmal nachzuschauen, was alleine hier in der Gemeinde unter «Rezensionen» firmiert, fast durchweg Übersetzungen aus dem englischsprachigen Ausland, ich kucke da nicht mehr durch. Ja, manch ein Klassiker bleibt un- oder angelesen. Obwohl ich seit den Siebzigern in dessen Besitz bin, habe ich es noch immer nicht geschafft, Zettels Traum zuende zu träumen. Ich brauche mich nur vor meinen alten Apo-Schrank zu stellen, den ich zum Tresor für anscheinend besonders Bewahrenswertes umfunktioniert habe, in dem zum Teil schöne ältere Gesamtausgaben stehen, von denen keine einzige bis zur letzten Zeile gelesen ist, von der Hamburger Ausgabe des geheimen Raths angefangen über Hoffmann, Hölderlin, Kerr, Kraus, Nietzsche, Paul, Schiller, Schopenhauer und so weiter und so fort. Hörbücher waren meine Sache nie. Im Auto habe ich nahezu ausnahmslos das gehört, was die Sender an gesprochenem Wort angeboten haben. Nun bin ich kaum noch unterwegs, und wenn doch, dann eben das. Der Hörfunk hat mich anscheinend sozialisiert. Allerdings gibt es das eine oder andere, in das ich zuhause hin und wieder hineinhöre, weil die Dramaturgie stimmig, weil das tatsächlich Hörtheater ist und nicht einfach nur eigenes vorgelesen wie das dieses Schauspielers, ach, na ja, zu gewollt und aufgesetzt, dessen Erzählerei sich als leseunfreundlich erwies, da seine Diktion sich zu sehr an der Rampe orientierte, wo das Mikrophon steht, davor die Sau sich bläht. Im Morgenradio hörte sich das so unterhaltsam und durchaus geistvoll an. (Ich bin mir völlig im Unklaren, weshalb ich mich jetzt ausgerechnet an dem so reibe.) Also, der verschwundene, von Axel Milberg gesprochene Oblomow, begleitet von weiteren theatererprobten Mimen wie Felix von Manteuffel oder Otto Sander als Erzähler sei erwähnt. Die CD erreichte mich mal als Geschenk, und ich gab sie weiter. Den gibt es offensichtlich in einer Neuübersetzung mit Felix von Manteuffel als im Nichtstun gebetteter Titelheld, gesendet von der Anstalt Ihrer zweiten Heimat, über den Franz Schuh notiert: ein «Mann, der nicht handelt, der sich nicht herausbewegt aus seiner Handlungsverweigerung.» Ich bin Oblomow. Wahrscheinlich nicht mehr nur bei (Hör-)Büchern. Ich gebe auf, vom Apo-Schrank zur gleichnamigen Zeit. Das Bißchen, das ich lese, kann ich mir offenbar nicht einmal mehr selber schreiben. Mich ist so wirr im Kopf. Vielleicht sollte ich mehr Wasser trinken. Aber welches? Das gehört doch alles ... Aber dazu später. Ich werde wohl besser erstmal Nickerchen. Aber dann fange ich wieder an zu träumen. Ach. Ruhen Sie wohl!
Und weil Sie bei Frau herzbruch zu Protokoll gaben, für Reiseliteratur nicht viel übrig zu haben - da hätt ich vielleicht was für Sie. Ist nicht wirklich hohe Literatur, sondern Reiseberichterstattung aus den 60ern, die mir in den 80ern mal in die Hände fiel und die mich sehr amüsierte. Ich hätte nicht erwartet, dass die noch lieferbar und darüber hinaus für wohlwollende amazon-Kritiken gut sind.Erwacht!
Wenn auch nach wie vor müde. Vor ein paar Tagen noch saunaähnlich geschwitzt, heute alles grau und hingezogen an die Heizung.Von Manfred Schmidt meine ich, vor ewigen Zeiten sogar mal etwas gelesen zu haben. Ich werde es mal Frau Braggelmann gegenüber anklingen lassen, die solche Lektüre verständlicherweise recht gerne mag, da sie nicht so beschweren dürfte nach dem harten Arbeitstag. So wird das Buch gegebenenfalls auch bei mir landen und mich vielleicht erheitern. Ich habe das ohnehin dringend nötig, auch ohne schwergewichtige Arbeit. Danke für den Tip. >> kommentieren enzoo (14.09.12, 14:38) (link) ich habs versucht,
so, wie ich das elektrobuch versucht habe, auch auf langen autofahrten, das mit dem vorlesenlassen eines buches: es geht nicht. dabei gab es in der zeit meiner jugend noch das hörspiel im radio, beinahe täglich lauschte meine mutter häkelnd oder strickend am nachmittag einem solchen, während wir kinder im zimmer nebenan unsere hausaufgaben machten oder zumindest so taten als ob. danach kam, nach einer kurzen musikalischen unterbrechung, der roman in fortsetzungen, einmal, ich erinnere mich noch gut daran, melvilles moby dick, bei dem mein bruder und ich immer ins wohnzimmer kamen und uns zur mutter kuschelten, um für diese halbe stunde zuzuhören. aber seitdem ich keine hausaufgaben mehr machen muss: das viele, das ich lese, lese ich dann lieber doch selbst. beim autofahren sind meine gedanken sofort wo anders, liege ich auf der terrasse, mit den stöpseln im ohr, schlafe ich sofort weg. aktiv lesen kann ich mehrere stunden lang, aber passiv ists wie beim rauchen: das kann ich nicht leiden. neuerscheinungen dürfen sein. einige grosse leseabenteuer boten die bücher von gerhard roth mit seinem "orkus"-zyklus oder paul austers und christoph ransmeyers dunkel-düstere welten, auch john irvings frühe bücher, bis er nach "owen meany" anfing, nur mehr sich selbst zu kopieren, thomas glavinics "die arbeit der nacht" macht mir heute noch gänsehaut, wenn ich daran denke. es gibt auch heute noch viel zu entdecken, auch wenn, ähnlich wie in der masse der fernsehsendungen nur wenige perlen in den zahlreichen muscheln zu finden sind. >> kommentieren Beinahe unseriös
[...] Das Gerede vom Erreichen der Leser ist dabei sowieso schon immer ein Schmarrn, egal ob Blogs oder Bücher betreffend, denn das Lesen findet im Geheimen statt, in der Privatvereinzelung, das ist das Besondere daran, im Gegensatz zu Kollektiverlebnissen wie Theater oder Konzert. Daher kann eben keine Maschine abzählen, wieviele Leute einen Blogtext oder ein Buch wirklich gelesen haben. Gezählt werden Klicks oder Kaufakte, nicht aber Akte des Lesens. Wenn ich den Blick kurz über die hier herumstehenden Bücherstapel gleiten lasse, wird mir sofort schmerzlich bewusst, dass ich viel zu viel Geld für Bücher rauswerfe, die ich dann gar nicht lese. [...]–cabü >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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