Der Anti-Amerikaner, ein alter Hut, möchte man meinen, aber nein, er wird schließlich immer wieder in Form gebracht. Vor allem einer bemüht sich kontinuierlich in seiner Art der Hutmacherei darum. Ich erinnere mich einigermaßen an ihn, als er in den Sechzigern, es mögen vielleicht auch die anfänglichen Siebziger gewesen sein, ins Abenteuer Israel aufbrach und relativ rasch, aus welchem Grund auch immer, wieder zurückkehrte in die Bundesrepublik Deutschland. (Erinnert werde ich deshalb im besonderen daran, da ich einige Zeit zuvor eine bereits feststehende Umsiedlung wieder rückgängig machte, weil ein Krieg ausgebrochen war, in den ich nun wirklich nicht ziehen wollte.) Seit dieser Zeit, verstärkt in den letzten Jahren, gebärdet er sich, als wäre er ein Sabre. Dieser also nicht unbedingt geborene Anti-Anti-Amerikaner kam mir dieser Tage wieder unter, obwohl ich nicht auf die Seite gehen mag, auf der er in Maßen umherzlt wird. Daniel Hans Rapoport, Lübecker Forscher im Bereich Zelluläre Biotechnologie, der nicht nur eine naturwissenschaftliche und damit auch familiäre Tradition fortsetzt, sondern dem nicht nur als säkularisiertem Juden und Glossist, aber auch Essayist, der Musiker mag nicht vergessen werden, eine gewisse feuilletonistische Kompetenz nicht eben abgesprochen werden kann, der versuchte 2002 wenigstens ein Debättchen ingangzusetzen. Es kam nicht dazu. Was auch immer Rapoport versuchte, mit dem Herrn in einen schriftlichen Austausch zu kommen, der potentielle Gesprächspartner verweigerte sich mit eher bildungsfernen Äußerungen wie «sie sind ein gediegener schwätzer» oder «sie promovierter dummbatz». Das veranlaßte Rapoport, den Briefwechsel, wenn man das so nennen kann, in seinem Blog, wenn man das so nennen kann, zu veröffentlichen. Davon mal abgesehen, daß es sehr amüsant ist, nachzulesen, wie einer so überhaupt nicht willens ist zu argumentieren: Daniel Rapoport empfiehlt in seinen Texten zwar immer wieder das Vordenken, aber auch das Nachdenken scheint ihm hin und wieder angebracht: «Wenn also dereinst [...] wieder einmal amerikanische Bomben auf den Irak fallen, dann sollen wir ‹Westeuropäer› aufgeklärt schweigen. Schliesslich hatten wir unsere zwei Weltkriege, unser Bosnien und unseren Kosovo, sollen die USA also ihr Hiroshima, ihr Vietnam und ihren Irak haben. — Dass es jemandem einfallen könnte, all diese Entgleisungen der Menschen, Amerikaner oder Deutsche, in Krieg und Jahrzehnte währendes Leid zu verdammen und vehement dagegen einzutreten, fällt [...] nicht ein. Dass ein Deutscher aus rationalen Gründen zur Kriegsgegnerschaft gelangen könnte scheint ihm absurd. Wahrscheinlich sogar, dass man überhaupt zur Kriegsgegnerschaft gelangt. (Dabei kann man durchaus beweisen, daß die Kulturlosigkeit auch ohne Krieg Bestand hat).» Alles weitere ist zu denken nach diesem «erhellenden Notenwechsel».
«Religiöser Wahn in der Horizontalen» ist bei Exportabel getitelt, und Autor sowie Eigner Genova68 bezieht sich dabei auf «Ein skurriles Detail, das einem in Jerusalem auffällt: Die Grenzen verlaufen dort nicht nur horizontal, sondern auch vertikal: Die (jüdische) Klagemauer in der Altstadt beispielsweise und damit angeblich der letzte Rest des ersten Tempels liegt etwa zehn oder zwanzig Meter unter dem (muslimischen) Felsendom. Die Juden wollen natürlich nicht auf die Mauer verzichten (wie gesagt, erster Tempel!) und die Muslime wollen natürlich nicht auf die Stelle obendrüber verzichten, denn von dort ist Kollege Mohammed in den Himmel geritten (und das auch noch auf seinem Lieblingspferd!) Ganz klar: Solche heiligen Stätten müssen mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. Damit verläuft eine imaginäre Grenze zwischen oben und unten, diesmal nicht nur übertragen, sondern ganz real.» Das alleine ist interessant zu lesen (und anzuschauen), nicht zuletzt wegen des Verweises auf die dortige Situation, auch auf «das Buch des Architekturtheoretikers Eyal Weizman, Sperrzonen, Israels Architektur der Besatzung. Es ist schlicht notwendig, daß darauf immer wieder hingewiesen und darüber debattiert wird, zumal es sich dabei nun wahrlich nicht um den ach so fernen, sondern um den nahen Osten handelt, wo es heftig schwelt. Die Debatte erfolgt dann auch. Allerdings bildet sich rasch ein Nebenschauplatz heraus, der mit einem Hinweis auf eine längst bestehende «Lösung» eröffnet wird: Die Ringparabel von Lessing in Nathan der Weise. Und dann folgt eine Auseinandersetzung, die als solche zwar nicht neu ist, deren historische Argumentation im allgemeinen aber gerne ausgelassen wird.
Rauch- und andere Zeichen «Ich mag Schornsteine im Winter, aus denen so viel weißer Rauch steigt, als habe jedes Haus seinen eigenen Papst gewählt.» Andreas Glumm: Ich mag «Überhaupt seh ich es nicht gern, wenn die Gräfin an Fremde ihre Werke verkauft, deren Entstehungsprozess ich unmittelbar verfolgt habe und die ich von daher als meine eigenen betrachte. Als hätte ich sie selber gemalt. Mit anderen Worten: Finger da weg.» Andreas Glumm: Ich tanze, basta!
«Goldene Plazenta» Während meiner Überprüfung dessen, der am Gitter rüttelt, stieß ich, es muß an der Vorweihnachtsszeit liegen, auf den oben zitierten Mutterkuchen. Er stammt von einem Polizisten einer niedersächsischen Gemeinde, wohl etwas größer als Frau Braggelmanns idyllisches, weil schleswig-holsteinisch und überdies polizeifrei, Dörfchen Büddenwarder, der offensichtlich nicht zu denen gehört, die ihre Protokolle nach dem Adlersystem in die alte Olympia hineinhacken müssen. Auch ließe sich sagen, der Mann kann schreiben. Zum Beispiel solches: «Es ist noch gar nicht so lange her, dass in Berlin der Posten-Poker gespielt wurde, bei dem so manche im ersten Moment nicht nachvollziehbare Entscheidung getroffen wurde. So stand die Gewinnerin der goldenen Plazenta, Ursula von der Leyen, plötzlich völlig perplex vor einem jungen Mann mit Migrationshintergrund, der ihr den so heiß begehrten Posten im Gesundheitsministerium vor der Nase weggeschnappt hatte.» Das ist die eine Geschichte, die es weiterzulesen lohnt. Eine andere wäre die der angedeuteten Vorweihnachtszeit. Die mir die frühen Morgenstunden derart versüßt hat, daß ich andere gerne daran teilhaben lassen möchte. «Nein! Hihihi», antwortet das Rentier. «Ich bin der Guido!» Das zweite Tier sagt mit leicht näselndem Tonfall: «Und ich bin der Ronald.» Herr Sliggel ist deshalb schweißgebadet aufgewacht. Ich aber kann mich jetzt ruhig schmunzelnd in den Schlaf begeben. Sozusagen befitticht von einem Polizeibeamten, der mir Guido und Ronald vom Traum fernhält. Danke, nicht nur liebes Internet. Sliggels Blog: Es weihnachtet
Internet-Favelas Ich will es nicht versäumt haben, auf diesen (und weitere) Artikel von Jörg Wittkewitz in dessen digitalpublic hinzuweisen, in denen es um das Begehren der Verlage nach einem «Leistungsschutzrecht» geht. Da heißt zum Beispiel: «Mit dem Internet aber entstehen Favelas. Die Landbevölkerung, die zumeist nicht in die hohe Kunst der Sprach- und Schriftverwaltung eingeübt ist, sucht ihr Glück in dem beschützenden Areal der Stadtmauern namens Internet. Die Hohepriester der Wissenschaften lassen sie gewähren, weil sie die akademischen Kreise nicht gefährden. Aber die Schreiber und mittleren Beamten aus der Presse und Zeitungswelt bekommen es mit der Angst. Denn die Slums wachsen verdächtig nahe an ihre Bürgerhäuser.» digitalpublic Netzluft macht frei?
Lehrling und Meister Nikolaus Lenau meinte: «Eckermann und Goethe — Blaserohr und Flöte.» Und wie schrieb Heinrich Heine so schön: «Zu Weimar, dem Musenwitwensitz, Da hört ich viel Klagen erheben, Man weinte und jammerte: Goethe sei tot Und Eckermann sei noch am Leben!» Und darüber einen Hauch Anton Kippenberg: «Auf Winsen sich die Ruhe legt; Kein Windeshauch die Luhe regt. Da hebt Gemuh', Gemecker an: Die Herde heim treibt Eckermann.»
Ein bißchen Geschichte(n) Zigeuner (so sagte meine zigeunische Freundin) scheinen den meisten die Wesen von ferner Welt. Jeder weiss, die bestehen, viele wissen nicht, wer sie sind. Diese Situation verdanken sie nun zum Teil eigener Einstellung denjenigen gegenüber, über die sich beschweren, daß sie sie nicht verstehen: «gadjas», «die Weißen». Ich pflegte damals «Roma» zu sagen. Warum? meinte Eva. Kann was ändern, daß du «Roma» statt «Zigeuner» sprichst? Weil «Zigeuner» nicht weniger pejorativ als «Pole» ist. Zigeunische Evas Blut störte sie nicht, sich freie, kluge Frau zu fühlen. So ist sie, aber dafür hatte sie hohen Preis bezahlt: eigene Familie anerkannte sie als «magerdo» — «unsauber». Menschenguide: Polen, Deutsche, Russen ..., Moolaade V Erinnerung Wir sollten die Polen nicht stören, sagt laut Doktor K. Diese Kirche war früher deutsch, die Polen sind hier zu Gast und heutzutage ist der Ökumenismus sehr wichtig! In diese Kirche, Herr Pastor, gingen vor der Kriege auch Polen. Sie lebten in Masuren wie Deutsche und Juden. Juden, Juden, in Synagoge kann ich ebenso beten, es macht mir nichts aus, der liebe Gott ist überall. In Sensburger Synagoge gehen Sie nicht rein. Wer verbietet mir, du vielleicht? Da, wo sie war, steht heute Wäscherei, da, an der Straßenkreuzung. Pastor muß was dringend im Bus suchen. Menschenguide: Polen, Deutsche, Russen ..., Moolaade VI Moslemisches Dörfchen irgendwo in Afrika. Die Bewohner und Dorfrat haben feierliche Versammlung, die von einer weinender Frau gestört wird. Sie schreit, zwei Mädel sich aus Aungst vor Beschneidung in Brunnen ertrunken hatten. Der Dorfrat beschliesst: «Inshallah, Allah akbar, oh, Allah akbar ... wir sprechen drüber morgen, Allah hilft ihnen.» «Moolaade» — so hieß der Film. Auf evangelisch, katholisch, moslemisch — alles Inshallah. Menschenguide: Polen, Deutsche, Russen ..., Moolaade VIII Der Film Moolaadé.
Fleisch und Buch «Ein Mensch kann die Literatur noch so sehr lieben, aber er kann niemals zur Literatur selbst werden. Wer Traum und Wirklichkeit durcheinanderbringt, wer zu sehr in der Welt der Literatur aufgeht, begeht eine Torheit. Er wird irre oder im günstigsten Fall unglücklich. [...] daß Ehebruch mit Hilfe der Literatur um vieles reizvoller ist als ein Ehebruch im Grünen mit einem Mann aus Fleisch und Blut.» Anil Ramdas, Madame Bovary
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