Kinderkinder Da saßen kürzlich drei Generation zusammen und sprachen über Erziehung; die vierte konnte noch nicht nicht mitreden, da wir eins waren in der Meinung, Kinder seien keine Erwachsenen. Der etwas jüngere Vater als ich hatte seiner Dreijährigen aus der vorausgegangen Beziehung zuvor auf dem Computer ein, ich glaube, man nennt das so, «interaktives Spiel» vorgeführt. Mir behagte das nicht, zumal sein gerademal zwei Monate junger Jüngster in direkterer Beziehung zu mir stand. Aber ich äußerte mich nicht dazu, denn mir war klar, daß er dabei dem Mädchen nicht von der Seite gewichen war. Ebenso leuchtete mir ein, daß es weltfremd wäre, die Kinder von diesen Medien fernzuhalten. Am Abend aber, nachdem der Vater sanft und behutsam die Kleine ins Bett gebracht und Zeit für uns hatte, wurde das Thema nochmals aufgegriffen und über Stunden besprochen: Weshalb brächen seit langem in Schulen Welten aufeinander, die unverkennbar die Welt auseinanderbrechen lassen. Ich erlebe das selten direkt, etwa daß ein kleines Mädchen in der Kinderarztpraxis die Mutter vors Schienbein tritt, weil es lieber nach Hause möchte, aber nicht, um im Garten, sondern am Computer zu spielen. Auch kommt mein Staunen über die Mutter weniger oft vor, die sich nahezu ungerührt weiterhin und auch sicher nicht ganz schmerzfrei traktieren läßt. Das sei, sagt mir die Büddenwarderin, alltäglich. Mütter ließen ihre Kinder seit langem teilnahmslos gewähren, wenn ihre Sprößlinge immer wieder aufs neue das Wartezimmer zerlegten. Und spräche man sie darauf an, die Mütter, aber immer öfter auch die erzieherisch aktiven Väter, erhielte man in der Regel die Antwort: Ach, das sind doch Kinder. Dieselben Eltern seien es, die immer wieder nach einem Fernsehgerät für die Wartezeit fragten, denn diese viele Bücher machten die Kleinen doch allenfalls Bauklötze staunen, und schließlich gehöre das doch zum Standard, wie zuhause. Ich werde eher seltener damit konfrontiert, weil ich es familienintern nicht kenne. Ich würde mich aber auch nicht treten oder anspucken lassen, nur weil ich wie weiland Peter Lustig gesagt hätte: Ausschalten. Die Kiste. Dafür spräche ich über das neue Buch mit ihnen oder darüber, was sie im Kindergarten oder in der Schule wieder geärgert hatte. Über die möglichen Ursachen pädagogischer Fehllei(s)tungen spräche ich nicht mit ihnen, sondern mit den Kindergartentanten oder den Lehrern. Ihnen die Welt aus der Perspektive der sogenannten Erwachsenen zu erklären, halte ich nicht für richtig. Ich hocke mich lieber hin und lasse mir von oben erzählen, wie sie die Welt sehen. Daraus läßt sich nicht nur eine Menge lernen, sondern man erfährt darüber hinaus auch, wie man's nicht machen sollte. Heute nun hatte ich das vielzitierte Aha-Erlebnis. Bei Vert schildert Nnier, wie's ihm als Jugendlichem mal ergangen ist: «... habe ich mich mal überreden lassen, einen Zombiefilm mit anzusehen. Ich hab's nicht ausgehalten und hatte die Bilder noch lange im Kopf.» Genau so erging es mir auch. Mir ist unerklärlich, wie man sich sowas überhaupt anschauen, geschweige denn mögen kann. Und dann, im Absatz drüber, noch die Schilderung eines die letzten Tage oft erwähnten Videospiels. Ungeheuerlich. Darüber hinaus hält Nnier fest: «Seit den 90ern stehen Fernseher, Videogeräte, Spielekonsolen und PCs in den Kinderzimmern. Seit dieser Zeit haben sich die Schulleistungen von Jungen und Mädchen deutlich auseinanderentwickelt. Und so weiter. Aber man kann eben keine Gehirne aufschneiden und darin Kausalzusammenhänge beweisen. Es bleibt bei mühsam herausgearbeiteten statistischen Korrelationen — oder man muss sich qualitativ damit auseinandersetzen. Kann sein, dass man dann in Abgründe blickt.» Was aber befindet sich in diesen Abgründen?! Wer hat diese Bombentrichter verursacht?! Nnier verweist beziehungsweise verlinkt auf die Studie Die PISA-Verlierer — Opfer des Medienkonsums. Gelesen habe ich sie (noch) nicht. Doch vorab muß ich fragen: Wenn dem also so wäre, wie kommt es dazu? Weshalb lassen wir Alten es zu? Daß wir uns nicht mehr um unsere Kinder kümmern müssen, daß wir uns von ihnen vors Schienbein treten und uns bespucken lassen? Ist das die angestrebte gleiche Höhe mit ihnen, dieses schrecklich und grundsätzlich falsch verstandene und obendrein nicht unterschiedene laisser-faire beziehungsweise laisser-aller? Bei dem nicht bedacht wurde, wie ich mal notierte: «Daß dieses französische, vor allem im Süden beheimatete Sein- oder Gehenlassen sozusagen aus dem Substantiellen herrührt, nämlich den anderen in seinem Sein nicht zu behindern, also dem Nachbarn auch nicht meine ganz persönliche Interpretation von Freiheit aufzwingen zu wollen, wird bis heute auch als Mißverständnis nicht anerkannt.» Das eben nie heißt: Die Kleinen machen lassen, was sie wollen, ohne Rücksicht auf Verluste. Es erfordert Unterscheidungswillen, und dazu gehört das -vermögen. Man muß sich also damit auseinandersetzen. Mit sich. Kinder sind keine Erwachsene. Sie benötigen Grenzen. Man sollte sie ihnen aufzeigen. Damit sie sich später um so freier bewegen können.
Die Namen der Damen Jennifä-Jakkeline, komm rauf, Essen is fäddich. Jennifer-Jacqueline — so hat's der Standesbeamte brav aus dem mitgelieferten Büchlein abgeschrieben und auch den erbetenen Verbindungsstrich nicht vergessen — heißt in der Regel mit Nachnamen Krummhakenhörn oder so ähnlich. Ich hatte vor rund 30 Jahren beim Bunten Funk eine Kollegin, die trug den aparten Namen Carmen Kranklhuber (leicht geändert) und erinnerte auch eher an Kranklhuber denn an Carmen. Nicht nur ihrer fein ziselierten südostniederbayrischen Sprachfärbung wegen, mit der sie der geneigten Hörerschaft die Notizen aus dem weltweiten La Mancha vortrug. Allerdings kannten Carmens Eltern nach deren Geburt das von der privaten Medienwirtschaft eingeführte Nachmittagsbildungsfernsehen noch nicht. Sonst hätten die Kranklhubers sich vielleicht Gedanken gemacht über mögliche Auswirkungen von Namenskombinationen aufs soziale Gefüge. Ihre leidenschaftliche Lust auf Bizet oder das Urlaubsmitbringsel Flamenco hätte dann möglicherweise nicht solchen lebenslangen Niederschlag gefunden. Man bekommt seinen Namen über den Kopf gestülpt wie einen Eimer, paraphrasiere ich mal Heimito von Doderer. «Ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will.»* Ich kenne einige Beispiele dieser Unglücklichen, darunter so manch einen, der sich im Erwachsenenalter einen anderen Namen — oftmals einen noch unpassenderen — zulegte. Und damit meine ich nicht (nur) eine Carmen, die sich jahrelang Andalusiens Gluthitze aussetzte, dort allerdings lediglich das rhythmische Fußstampfen erlernte und deshalb weiterreiste nach Ballorca, in der Hoffnung, dort einem ehewilligen Einheimischen zu begegnen, der sie von ihrer Pein erlösen würde (es mußte selbstverständlich schiefgehen, da sie fortwährend auf irgendwelche Daxlmüllers oder Wagenknechts stieß, die sich dort eine Immobilie zugelegt hatten). Völlig anders verhält sich das bei Berühmtheiten aus Film, Funk, Fernsehen und was es sonst noch alles gibt an Öffentlichkeit. Die Kinder solcher Eltern werden ohnehin allesamt ebenfalls berühmt. Vielleicht bleibt ihnen aber auch gar nichts anderes übrig bei Namen wie diesen, die ihnen von ihren weltweit renommierten Schauspieler-Eltern zugewiesen worden sind (wobei es Nachnamen gibt, bei denen es ohnehin schon sozusagen keine Rolle mehr spielt). Allerdings läuft die Namensgebung auch nicht immer so reibungslos ab, wie unsere Kreativen sich das wünschen. Ein Beispiel wäre Frank Zappa und dessen Sohn Dweezil: «Das Krankenhaus weigerte sich nach der Geburt des Jungen, eine derart verworrene Buchstabenkombination auf das Namensschildchen des Kleinen zu schreiben. Frank Zappa wählte daraufhin die vorübergehende Notlösung Ian Donald Calvin Euclid, eine Mischung aus den Namen seiner ehemaligen Bandmitglieder.» Aber auch die etwas länger zurückliegende Vergangenheit hatte mit der Namensgebung bereits ihre Schwierigkeiten. Darauf weist Friedemann Bedürftig (ja, der heißt tatsächlich so!) auf der Seite EchteNamen hin, zu lesen unter dem Titel Die Hunde im Souterrain, einem Feuilleton über Thomas Manns Novelle Der kleine Herr Friedemann. Ach ja, das sollte nicht verschwiegen werden, es gibt einen aktuellen Anlaß. Vor gut einem Jahr hatte ich eine vorausgegangene heftige Diskussion zum Thema (für mich) abgeschlossen mit der Bemerkung: «Aber wenn's denn sein soll, so schlage ich fürs kommende Töchterlein vor: Emilia-Galotti-Kleopatra. Das dürfte der EU-Norm entsprechen, und der Förderung der deutschen Leitkultur dürfte damit auch Genüge getan sein.» Daraus geworden ist Emelie Marie. Einjährig wurde das vergangene Woche gefeierte wonneproppige Mädchen. Und gerufen wird's, wie konnte es sich anders ergeben, kurz und knapp: Emmy. Paßt ohnehin besser zum Nachnamen. * «Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will.» (Tangenten, 1940 – 1950)
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