Älterwerden Daß er sich «manchmal gar nicht so drauf» freue, las ich dieser Tage beim Herrn über Mumien, Analphabeten und Diebe, «alt zu werden». Froh sei ich, sagte ich gestern zu der schönen jungen Frau, die mir von ihren etwas über vierzig Jahren viele wunderschöne geschenkt hatte, ähnliches nun seit längerem einem anderen sympathischen Herrn gegenüber tut, was sich in einem schon sehr, sehr dicken Bauch quasi ausdrückt, der demnächst sozusagen plumpsartig wieder verschwinden wird, alt, na ja, älter zu sein.* Das habe ich nicht zum erstenmal, sondern des öfteren und auch schon vor vielen Jahren geäußert. Nicht so sehr, weil ich es nicht erwarten konnte, endlich von der Jugend unbeäugt der Alterslust («essen ist der sex des alters.») frönen zu können. Aus dieser Brille betrachtet wäre ich schon sehr lange und obendrein steinalt. Die erwähnte schöne junge Frau und der werdende Papa an ihrer Seite im übrigen ebenso, übersetzen doch auch sie (und glücklicherweise noch ein paar andere) das französische Wort Restauration ins Deutsche nicht unbedingt mit Hauptsache sattwerden oder (wenngleich im beschriebenen Fall allerdings berechtigt) mit «nicht schön, aber sättigend». Sicher doch, wie anders, der Auslöser meines relativen Frohseins über meinen Status war, mal wieder, das Essen. Wir hatten über unseren gemeinsamen mittäglichen Restaurantbesuch in Uhlenhorst gesprochen, und ich hatte rekapituliert: Drei Gänge inclusive Apfel- oder Rebensaft, ein feines Süßkartoffelsüppchen, der Fisch war aus der Nordsee in die Pfanne geschwommen und wurde in Butter gebraten, das Parfait an sich und auch die Spritzer des leicht süßenden Sößchens darüber perfekt, alles zusammen zu einem Preis, der mit seinen siebzehn Euro beinahe an das kleine Mittagsmenu in Frankreich heranreicht, nicht ganz an den der Ärmerenspeisung, aber die Revolution ist in Deutschland ja ohnehin nie angekommen, jedenfalls nicht in der Form, die einschneidende Verbesserungen fürs Volk erbracht hätte. Am Schluß, aber nicht zuletzt stand da die Bemerkung zur natürlich-freundlichen, eben nicht servilen oder auch hochnäsigen Bedienung, die, wäre sie nicht so jung gewesen, durchaus an Madame hätte erinnern können, die sich trotz der Geschäftigkeit noch Zeit nimmt für ein Schwätzchen, wie ein jeweiliger plauschiger Gaumenkitzler zwischen den Gängen. Warum denn das nicht geschätzt würde im Land der wie so vieles so gerne von unseren überseeischen Freunden übernommenen Selbstbedienung, fragten wir uns. Tagaus, tagein nehmen die Besucher der Wiederherstellungsstationen den Besitzern dieser Schnellfreßläden die Arbeit ab, ob bei Bratklops zwischen zwei Pappbrötchenhälften in Tristesse oder irgendwo baltisch gewickelten original japanischen Fischreisröllchen inmitten edler Hölzer, vermeiden dringend benötigte Geldverdienplätze, maximieren den Ketteninhabern die Gewinne, indem sie ihr Essen nicht nur selbst abholen am Tresen, sich das durch Zusatz von Kohlensäure vom Leitungs- zum Tafelwasser Aufgehübschte am Automaten abfüllen, Flaschen selber öffnen, Besteck nachpolieren et cetera, erstmal den Tisch säubern und am Ende alles auf-, also brav abräumen sowie beinahe auch noch die Spülmaschine bestücken. Nur so sei das günstige Preisleistungsverhältnis zu halten, heißt es da. Ach ja, die Lohn(neben)kosten. Dieselben Schnellrestaurantbesucher bedienen dann im Bahnhof beziehungsweise Flughafen den Automaten, wenn sie's nicht ohnehin bereits via Internet erledigt haben wie auch den Kauf der erforderlichen Utensilien für die schönsten zwei, vielleicht drei Wochen des Jahres. Sollten sie die tausend oder zweitausend oder noch mehr Kilometer mit dem Auto absolvieren, wiederholt sich das Sparprocedere in den Raststätten. Gehören sie einer gemächlicheren Gattung an, checken sie ein- bis dreimal an der Autobahn oder Autoroute oder Autostrada oder Autopista ein in Hotels genannte Naßzellen mit angeschlossenen Betten, garantiert frei von lästigem Personal, alles mit Hilfe von Karten und Nummern. Möglicherweise haben sie auch das vorausschauend bereits zuvor übers flotte Netz gebucht, man weiß ja nie während der Hauptreisezeit, und Zeit will man letztlich ja nicht verlieren, was ein Ausritt ins nächste Dörfchen oder gar Städtchen nämlich zur Folge hätte, am Ende gar noch eine wegen des lahmarschigen Kellners und den sonstigen Gängen viel zu lang dauernde Abfütterung in einem Bistrot oder einer Trattoria oder einer Hosteria, nicht auszudenken. Der Strand wartet (nicht). Gebräunt bis verbrannt und von ein paar Rettungsringen verziert, aber weniger aus dem nautical shop als aus der Gastronomie, somit rundum glücklich zurückgekehrt, berichten sie beseelt von den südlichen Serviceoasen und deren Gemächlichkeit. Herrlich war's, sich den lieben langen Tag reihum bedienen zu lassen. Und so freundlich waren die alle dort. Das bekämen die Deutschen einfach nicht hin, sie seien einfach kein Volk der Dienstleistung. Da könnten sie noch so schön herbeireden wollen, die Politiker. Schlimm, das alles. Ein paar Tage nur gehen ins Land, dann helfen sie ihnen wieder sparen, auch sich selbst, Zeit und damit Geld, den schnellen Restauratoren und den Billig- oder Nichtsobilligheimern, reihen sie sich ein in die Kassen- oder sonstigen Warteschlangen, drücken ihnen zur Kostenreduktion und sich zur Zeiteinsparung wieder alle erdenklichen Knöpfe, touchen die Screens, im Nah- oder Fernverkehr, ob öffentlich-rechtlich oder privat gewinnorientiert, updaten Behördenformulare, aus Gründen der Papierersparnis, sagt der mittelalterliche Finanzamtsleiter, und druckt die zweizeilige eMail aus, um sie aktenkundig zu machen. Ich stehe lieber beim deutschen Dorfkramer (oder dem arabischen in der Stadt) an der Kasse, die ja ebenfalls längst hochelektrisch scannt und mir, entgegen der landläufigen Meinung, obendrein keinen höheren Preis abverlangt als der augenwischerische Supermarkt und bei dem's auch nicht länger dauert als dort, obwohl er noch dies und das aus dem Hinterstübchen oder der Kühlung holt, um Sonderwünsche zu erfüllen. Mittlerweile haben ein paar wenige kluge jüngere Menschen sich der Lebensqualität erinnert, die die Älteren mal hatten mit ihrem zeitraubenden Rumgequatsche. Das wäre eine Zukunftsperspektive. Madame Reverchon im beschaulich-betulichen hochprovençalischen, etwa eine Autostunde vom Meer entfernten touristenfreien Dörfchen, wies mich in einem Gespräch über südfranzösische Gepflogenheiten ausdrücklich darauf hin, daß es in Marseille erst gar keine Papierkörbe gebe. Es würde sie ja doch niemand benutzen. Die etwa fünfzigjährige, sehr gepflegte und nicht minder bürgerliche Dame setzte dann noch ein d’accord drauf: Das ist in Ordnung, da haben die Menschen Arbeit, und der Dreck kommt zweimal täglich wieder von der Straße. Und, nebenbei, an vielen Busstationen stehen freundliche, nicht nur auskunftsbereite Helfer, die nicht nur den kleinen Französinnen in die Kiste helfen, sondern durchaus auch schonmal der damenbehaarten Fischersfrau oder deren Altem nach dem zehnten, sozusagen aus dem Ruder gelaufenen Pastis. Die machen das einfach so, man muß sie auch nicht betasten oder drücken. Angesichts der hiesigen Verhältnisse muß man allerdings froh sein, nicht mehr jung sein zu müssen. * Ja, das war jetzt der klassische deutsche Satz im Sinne von Mark Twain, wie ich ihn manchmal sehr gerne mag, ihn und ihn.
Gott in Frankreich sein ...
Wie fühlt man sich als bekennender Dichter- und Denker-Ländler in Gottes eigenem Land Frankreich? Uns Mediterranofilen würde es sehr entgegenkommen, sich mal so recht nach südfranzösischer Art kulinarisch verwöhnen zu lassen. Auch mal in Pagnols Stadt herauszufinden, wo der "Goldene Anker" seinen Ursprung hat und die würzige Mittelmeerluft atmen dürfen. Die macht dann wieder hungrig - das ist das Gute am Seeklima. Mit berechtigtem Neid, Hanno>> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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