Romantik

4. Fortsetzung. «— ich nannte sie schon meine Narzisse.»

Didier. Bei mir du benötigst keine Capote. Capote anglaise. Mon Dieu! Ich muß immer so lachen, wenn die Deutschen dazu Pariser sagen. Empêchement parisien, mais vrai. Didier! Wir haben das nie gebraucht. Wir beide waren immer nackt. Wie unsere Seelen. Werde es wieder! Ich möchte es wieder sehen, dein Herz! Bitte. Ich will nicht streiten. Es macht mich traurig.

Ach so — laß die Grammatik den Leuten, ich studier’ den Geliebten? Es lebe der alte Mystiker Qadi Quadan. Oder wie?

Oui, Didier! C'est ça! Juste au milieu. «Und eine einzige Letter les' ich, und les' sie immer wieder!» Immer und immer wieder dieses eine Zeichen lesen. Nur so lerne ich ein verborgenes Gesicht kennen, wenn ich es immer und immer anschaue. Dein Gesicht schaue ich immer wieder an! Ich habe es getan, als du mit mir warst. Als wir waren ein glückliches Paar. Und ich habe es immer angeschaut, nachdem su weggegangen warst. Du hast mir zwar keinen Brief wegen deiner Flucht gelassen, doch dein Gesicht. Es ist bei mir geblieben, es ist immer bei mir. Es befand sich immer, über diese ganze drei Jahre und mehr, meinem gegenüber. Die alten Mystiker — à l'ouest ou à l'est, tout le monde! — haben ihr Wissen nur deshalb erlangt, weil sie intensiv die Herzen des Menschen betrachtet haben, immer dieses eine Zeichen. Und der Mensch ist dieses eine Zeichen. In gleichem Maße innen und außen. Die Grammatik ist ihm nicht zunutze, wenn er das Geheimnis dieses Chiffre nicht kennt, aus denen die Zeichen entstehen, die er später im Alphabet zu beugen vermag. Nur so entsteht Geschichte — Geschichten in den Herzen, aus denen Histoire wird in den Köpfen der Menschen. Non. Dans le fonds de cœur. Nicht diese Seele der deutschen Romantique, die nur in Männern wohnt. Bereits diese Ondine von Fouqué hatte gesprochen: «Es muß etwas Liebes, aber höchst Furchtbares um die Seele sein. Um Gott, mein frommer Mann, wär' es nicht besser, man würde ihrer nie teilhaftig? Schwer muß die Seele lasten, sehr schwer! Denn schon ihr annahendes Bild überschattet mich mit Angst und Trauer. Und ach, ich war so leicht, so lustig sonst!»

Meine Güte, was sie alles im Kopf haben! Da grüble ich mich dann doch durch mein Staunen. Sie hecheln die Romantik durch?!

Didier! Ich habe es einmal gelernt. Und es ist verdammt, daß du es nicht weißt. Nicht mehr weißt. Alle unsere Gespräche. Es war einmal die Wissenschaft. Die Romantique, die Reception des Romantisme. Es ist vorüber. Lange. Die Theorie. Nun habe ich es in meinem Herzen. Tief. Mein Herz ist auch in meinem Kopf. Denn es ist das, was mich vorantreibt. Das Thema der Melusine — du hast mich eine Nymphe genannt! deine Nymphe, Didier! Friedrich de la Motte Fouqué nach Paracelsus, Heinrich Heine, dann Oscar Wilde, Jean Giraudoux — der Médiateur franco-allemand par excellence! Nicht Kohl et Mitterand. Alles dieses. Und wir haben es einmal gemeinsam getrieben. Vor ein paar Jahren. Écoute! Giraudoux' Ondine, Ihr Hans war ein Pataud. Non. Er war nicht ein Pataud, nicht ein — wie heißt es? Ah! Tolpatsch —, er war ein Vaniteux, ein Mann voll Eitelkeit. In einer Weise, wie ihr Männer es so oft seid. Er war nicht einmal denkende Seele. Wie sagte es Ingeborg Bachmann? Diese Logik habe ich gelernt, daß ein Mann Hans heißen muß, daß ihr alle so heißt, einer wie der andere, jedoch nur einer. Es ist immer nur einer, der diesen Namen trägt. Mon Dieu! Didier! So oft habe ich an diese Worte denken müssen: Und wenn eure Küsse und euer Samen von den vielen großen Wassern — Regen, Flüssen, Meeren — längst abgewaschen und fortgeschwemmt sind, dann ist doch der Name noch da, der sich fortpflanzt unter Wasser, weil ich ihn nicht aufhören kann zu rufen, Didier, Didier ... Eh bien, passé. Das ist die Erinnerung, aber nun ...

Ich darf doch sehr bitten ...

Pah ! Didier. Du bittest mich? Du darfst es. Vor kurzer Zeit erst hast du Bachmann gelesen. Ich habe es gesehen. Ich habe dein Buch in der Hand gehabt. Auch ich habe darin gelesen ...

Das ist doch nun wirklich die Höhe ...

Oui. In der Höhe. Sie steht weit oben bei dir. Oben in deinem Regal. Vor Balzac und neben Gottfried Benn. Darüben in dieser kleinen Bibliothek. Dort stehen offenbar alle deine persönlichen Freunde. Alle diese. Unsere, Didier! Ich habe gesehen, daß du ...
Sie rast — hinüber ins andere Zimmer. Sie kennt sich offensichtlich gut aus bei mir. Und sie kommt rasend schnell mit Ingeborg Bachmanns Buch Das dreißigste Jahr zurück. Sie hat es aufgeschlagen.
Ici! Écoute. Hierin habe ich eine Taxirechnung gefunden. Aus Paris! Hier ist sie. Sie ist eine Woche alt! Erfreulich nicht aus Marseille! Hier ist etwas angestrichen. Es sieht aus, als ob es sehr oft gelesen ist. Diese Histoire ist verknickt. Écoute:
«Denn ich habe die feine Politik verstanden, eure Ideen, eure Gesinnungen, Meinungen, die habe ich sehr wohl verstanden und noch etwas mehr. Eben darum verstand ich nicht. Ich habe die Konferenzen so vollkommen verstanden, eure Drohungen, Beweisführungen, Verschanzungen, daß sie nicht mehr zu verstehen waren. Und das war es ja, was euch bewegte, die Unverständlichkeit all dessen. Denn das war eure wirkliche große verborgene Idee von der Welt, und ich habe eure große Idee hervorgezaubert aus euch, eure unpraktische Idee, in der Zeit und Tod erschienen und flammten, alles niederbrannten, die Ordnung, von Verbrechen bemäntelt, die Nacht, zum Schlaf mißbraucht. Eure Frauen, krank von eurer Gegenwart, eure Kinder, von euch zur Zukunft verdammt, die haben euch nicht den Tod gelehrt, sondern nur beigebracht kleinweise. Aber ich habe euch mit einem Blick gelehrt, wenn alles vollkommen, hell und rasend war — ich habe euch gesagt: Es ist der Tod darin. Und: Es ist die Zeit daran. Und zugleich: Geh Tod! Und: Steh still, Zeit! Das habe ich euch gesagt. Und du hast geredet, mein Geliebter, mit einer verlangsamten Stimme, vollkommen wahr und gerettet, von allem dazwischen frei, hast deinen traurigen Geist hervorgekehrt, den traurigen, großen, der wie der Geist aller Männer ist und von der Art, die zu keinem Gebrauch bestimmt ist. Weil ich zu keinem Gebrauch bestimmt bin und ihr euch nicht zu einem Gebrauch bestimmt wußtet, war alles gut zwischen uns. Wir liebten einander. Wir waren vom gleichen Geist.»
Darüber haben wir sehr oft gesprochen. Und auch darüber, daß du es nicht mehr möchtest. Dieses, das zuvor war, bevor Ondine gekommen war und gesagt hat: Steh still, Zeit! Bevor ich gekommen war, denn du hast mich so gerufen: Ondine. Und, écoute, auch dieses war unser Gespräch:
«Ich habe keine Kinder von euch, weil ich keine Fragen gekannt habe, keine Forderung, keine Vorsicht, Absicht, keine Zukunft und nicht wußte, wie man Platz nimmt in einem anderen Leben. Ich habe keinen Unterhalt gebraucht, keine Beteuerung und Versicherung, nur Luft, Nachtluft, Küstenluft, Grenzluft, um immer wieder Atem holen zu können für neue Worte, neue Küsse, für ein unaufhörliches Geständnis: Ja. Ja. Wenn das Geständnis abgelegt war, war ich verurteilt zu lieben; wenn ich eines Tages freikam aus der Liebe, mußte ich zurück ins Wasser gehen, in dieses Element, in dem niemand sich ein Nest baut, sich ein Dach aufzieht über Balken, sich bedeckt mit einer Plane. Nirgendwo sein, nirgendwo bleiben. Tauchen, ruhen, sich ohne Aufwand von Kraft bewegen — und eines Tages sich besinnen, wieder auftauchen, durch eine Lichtung gehen, ihn sehen und ‹Hans› sagen. Mit dem Anfang beginnen.»
Wir haben mit dem Anfang begonnen. Es war auch, weil ich anders war als diese Ondine von dieser armen Ingeborg Bachmann. Mein Herz war nicht so schlimm verwundet wie das ihre. Gar nicht war es verletzt. Es hat nicht geblutet. Jedoch es hat gebrannt. Non. Wie heißt es deutsch — ah! es war entflammt. Denn meine Liebe war frei. Sie hatte gewartet. Und mein Hans war gekommen. Du und ich, Didier, wir haben einen Teil dieser Seele, die bei uns ein Herz ist, einmal den Männern, deinem verehrten Novalis, die religieux-schwebende Seele in etwas verwandelt mit ein wenig mehr Lust auf Fleisch, vielleicht auch mit viel mehr, mit Lust auf Opulence, sie herausgeschnitten und in die Frau hineingeformt — nicht mehr nur dieses: «Mag die Flamme der Liebe und Sehnsucht auflodern und dem Geliebten Schatten, die liebende Seele nachsenden.» Allons donc! Mais non! Was sage ich?! Ihr kommt aus uns! Die Frauen, so waren wir beide uns einig, verstehen nicht nur sehr viel, sondern sehr viel mehr von der Gemeinschaft als Männer. Bereits Fouquè hat keinen Zweifel daran gelassen, daß Ondine ihrem Ehemann überlegen ist. Er ist unfähig, das Absolute ihrer Liebe zu erwidern oder auch nur zu verstehen. Bei Giraudoux es gibt keine Zeit für sie und keine Ewigkeit. Lassen wir also Staat, Kirche und Öffentlichkeit dem Mann, haben wir laut gerufen. Für die Gemeinschaft ist die Frau Geborgenheit. Aus ihrem Leib ist sie geboren. Lassen wir auch diese Ondine française eingehen in ihr Idéal von einer philosophische Liebe für das grand Amphithêatre, für ein Staunen von einem großen Auditoire. Wir haben sie mit Oscar Wilde in uns hineingeführt — Liebe ist besser als Weisheit. Wie Merleau-Ponty geschrieben hat, Lévinas, Riccœur gedacht haben — Leib und Seele stehen nicht contraire zueinander, sie sind Einheit. Der Leib ist Nature, er gibt dem ein Gesicht, was wir Culture nennen, was sich in deiner fühlenden, nicht alleine in deiner denkenden Sprache, was sich in unserer — deine und meine! — Sprache Liberté d'esprit, auch Valeurs spirituelles, vielleicht auch nur das Spirituelle nennt — alle Bedeutung in einem, in fühlendem Denken und denkendem Fühlen. Wir haben der Seele, diesem deutschen Geist des Romantisme einen anderen Namen gegeben. Liebe ist besser als Weisheit, das haben wir mit Oscar Wilde gerufen, als wir hinübergefahren ...

Ach! Doppel-Merde! Mystifikation. Ich und Mystifikation. Was hab ich denn mit dieser Gottsucherei zu tun?! Ich halte es eher mit Diogenes. Der hat mit seiner Laterne in die Ecken der Athener Agora hineingeleuchtet und Menschen gesucht. Und bei Jean Baruzi heißt es, es gibt keine mystische Entzückung der Seele ohne vorherige Entleerung. Aber Wildes Fischer hatte außerdem ein Verhältnis mit seiner Seele, une liaison avec ihr, mit der war er eigentlich eher verheiratet. Und er hat auch gesagt, daß diese Liebe nicht nur besser ist als Weisheit und kostbarer als Reichtum, sondern auch schöner ist als die Füße der Töchter der Menschen, daß die Feuer sie nicht zerstören können und die Wasser sie nicht ertränken. Und? Was war dann? «Keine Blumen wuchsen dann mehr auf dem Grab.» Der Pfaffe ist sogar hops gegangen, ist irre geworden daran, hat sich Chorhemd und Stola abnehmen lassen ...

Oui! Weshalb opponierst du? Weil du es mußt? Auch Marquis de Sade hat es betont. Nichts würde gehen, ohne daß beides ist in Harmonie, eine Einheit. Vielleicht ist es dir lieber? Weil du meinst, in Opposition gehen zu müssen? Als einen Grundsatz deiner selbst?

Aber der Marquis de Sade hat die Pfaffen niedergemacht! Er hat sie allerdings nicht ermordet. Er hat sie niedergeschrieben. Er hat's zumindest versucht. Wenn's auch nix geholfen hat. Das einzige, an das de Sade geglaubt hat, war der Mensch. Hier de Sade und seine Laterne. Aber nix Sonne, Mond und Sterne als Produkt eines göttlichen Wesens. Er hatte mit diesem Mystifikationskram nichts am Hut. Alles Lug und Trug.

Sogar die Révolution hat Gott wieder erscheinen lassen. Monsieur!

Uff! Als ob ich je ein Anhänger der Revolution gewesen wäre! Jedenfalls nicht dieser Revolution. Nicht des Terrors ...

Dein von dir nicht sehr geliebter Goethe? Ist es möglich? «Weil ich nun aber die Revolutionen haßte, so nannte man mich einen Freund des Bestehenden. Das ist aber ein sehr zweideutiger Titel, den ich mir verbitten möchte.»

Ach du meine Güte! Eckermann. Das halt ich ja im Kopf nicht aus. Herr Gott Goethe und sein gelehriger Lehrling Eckermann. «Eckermann und Goethe — Blaserohr und Flöte.» Nikolaus Lenau. Und wie schrieb Heine so schön:

«Zu Weimar, dem Musenwitwensitz,
Da hört ich viel Klagen erheben,
Man weinte und jammerte: Goethe sei tot
Und Eckermann sei noch am Leben!»

Und dann noch der Hauch von Anton Kippenberg:

«Auf Winsen sich die Ruhe legt;
Kein Windeshauch die Luhe regt.
Da hebt Gemuh', Gemecker an:
Die Herde heim treibt Eckermann.»

Es ist ein Phénomène! Ein sehr komisches, das muß ich betonen. Wann immer man dir gibt das Stichwort Goethe, es kommt aus dir wie eine springende Quelle. Es ist, als ob man ein Zauberwort spricht, als ob man wäre im Buch Harry Potter. Man muß nur die beiden ersten Buchstaben sagen, und es kommt zu einem Ausbruch, wie aus einem Gefängnis. Es sind enorme heiße Quellen in diesem Anti-Goethe-Vulkan Didier. Es ist mir also wieder gelungen. Wie früher. Es ist alles noch in Funktion. Wenigstens dieses.

Sie wissen sehr viel. Seltsam viel.
 
So, 28.12.2008 |  link | (2568) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Zwei Tage


jean stubenzweig   (06.12.11, 12:42)   (link)  
Einsprengsel
Ursprünglich wurde Zwei Tage • Eine sentimentale Reise 2001 verfaßt. Hin und wieder läuft mir mittlerweile sogar die jüngere Vergangenheit in Form solcher Tagebuch-Fitzelchen nach. Das mag damit zusammenhängen, daß sich mir Gegner aller Mahnmale (mit Ausnahme derjenigen, die verschwinden wie das Harburger oder das Saarbrücker), mir Feind jedweder Geburts- oder Gedenktage oder Jubiläen ein solches als zehnjähriges in die offensichtlich nicht zu umschiffenden Fährnisse des Erinnerns eingeschlichen hat.

Ich weiß auch dieses, Didier. Du hast mich dorthin gebracht. Non, Du hast es mir mitgebracht nach wieder einmal einem langen Gespräch. Du hast es in Auftrag gegeben, es kommen lassen, dieses kleine Buch. Wenn ich mich amusieren möchte, greife ich dorthin. Und es steht auch bei Dir. Allerdings gibt es eine Partie, die ich fast im Kopf habe. Doch ich muß es lesen, weil seine Sprache schwierig ist für mich zu sprechen. Ich hole es also herbei. Bon, hier steht es, direkt neben Monsieur Goethe. «Ich lebe zu einsam», hat er geschrieben, dieser Jakob Haringer «um einsam zu sein. Aber von Goethe möchte ich nichts geschrieben haben. Schon deshalb nicht, weil ich ihn dann mit dem teutschen Professorendreckgeschwerl und allen übrigen Hakenkreuzlern gemein hätte, die alle Dummheit gepachtet und keine zwanzig Zeilen in ihrem Leben schreiben, ohne sich auf ihn zu berufen, Ihn zu zitieren. Wo nimmt die Bande nur die Frechheit her, vom Großen Hellenen zu quitschen.» Es fällt mir schwer, diese Sprache, dieses teutschen Professorendreck ..., es geht noch, jedoch Gesch-w-e-r-l, dieses Hakenkreu-z-le-r-n, dieses quitschen ist gut, weil es besser ist für unsere Zunge. Bon, es ist auch harmlos. Und ich habe es geübt. Weitaus mehr wichtig empfinde ich seine Sentence, in der er Goethe zitiert. Du hast mich darauf hingewiesen, und es ist bemerkenswert: Man höre: Über gothische Baukunst: «kauzende, übereinander geschichtete Heilige der gothischen Ziereien — unsre Tabakspfeifen Säulen ...» Oder: «In Indien möcht' ich selber leben, hätt' es nur keine Steinhauer gegeben ... die indischen Götzen sind mir ein Graus ...der Italiener darf sich keiner eignen Baukunst rühmen ...‹ und später natürlich schmiert dieser Geck über Paladio: ‹es ist wirklich etwas Göttliches, völlig wie die Form des großen Dichters ...» Für ihn ist «E. Th. A. Hoffmann unerträglich...pathologischer Fall.»

Erstaunlich. Sie verblüffen mich. Fürwahr. Wären Sie's nicht schon, alleine das machte Sie sympathisch. Goethe, der Fürstenknecht. Der geht mir doch wahrlich sonstwo vorbei ...

Das glaube ich nicht. Du würdest sonst nicht immer wieder ...

Ja. Ist ja wohl richtig. Also. Der hat's ja auch dauernd mit dem lieben Gott, seinem Nebenbuhler um die Gunst der braven Glaubenden gehabt. Womit wir wieder beim Thema wären: Der Kult des höchsten Wesens? Wahrscheinlich hat dieser andere wohl in seinem tiefsten Inneren heimliche Fürstenliebhaber namens Robbespierre dabei an sich persönlich gedacht. Staatsreligion! Dieser Idiot! Auf dem Humus des Glaubens ließ sich der Gehorsam besser ziehen. Das kannte das Volk. Damit konnte man es fangen. Das war es! Allein dafür haben sie ihn zu recht einen Kopf kürzer gemacht. Da fühle ich mich sehr viel eher den Aristokraten näher, die den Atheismus erfunden haben.

War Stalin dann ein Aristokrat? Obwohl er hat Robespierre nachgeeifert?

Ach was. Der hat ihn nur nicht kapiert. Nein. Er hat sich rausgepickt, was er brauchte. Nein. Das Volk hat's nicht kapiert. Wie heute. Das betet — im Zweifelsfall! — sogar den Atheismus nach, wenn's ihm nur einen materiellen Wohlstand bringt. Ein neues Auto. Aus Japan. Das versteht es unter internationale Beziehungen. Solange es nur billiger ist, interessieren uns keine Grenzen. Nur wegbleiben sollen sie, diese ganzen Schlitzaugen. Ein Häuschen. Für das es dann ein Leben lang bezahlt. Übel bezahlt. Es singt das Deutschlandlied und ist zu faul, das einfachste Lexikon aufzuschlagen, wo nachzulesen ist, daß Hugo von Hoffmannsthal mit «Deutschland, Deutschland über alles» was anderes gemeint hat, als dem Nachbarn den Kopf einzuschlagen, weil dessen Birnen übern Gartenzaun hängen. Nix Nationalismus! Einigkeit. Meinetwegen Europa. Letztendlich war es kein anderer Wunsch als Einigkeit. Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt, das kommt ja fast hin. Nicht Deutschlandlied, sondern Europalied. Oder wie die Franzosen, die die Fête Nationale feste feiern, die Place de la Bastille mit Plastikmüll überhäufen und nicht wissen, was sie da feiern, was in diesem Hyperknast los war. Oder im Gefängnis Saint-Lazare. Wo sie den aussätzigen Adel zum Aussätzigen Lazarus mit reingesteckt haben. Aber mich angiften, wenn ich über die militärisch paradierenden Feuerwehrleute an der Canebière grinse. Die wissen genauso wenig, wie die Marseillaise entstanden ist. Jedenfalls nicht in Marseille. Sondern in Strasbourg. Oder auf dem Marsch dorthin.

Jedoch, es waren die Troups de Marseille! Du weißt es. Es ist das Wichtigste. Daß Du es weißt. Absolument. D'accord. Das ist ein weiter Ausflug, Didier, den Du machst. Eh bien. Ich kenne Dich so. Und es hat auch Logik. Es ist ein Ziel: Saint-Lazare und die Liebe.

Ach. Sie kennen mich? So? Nun denn, ein bißchen was hat man Ihnen über mich erzählt. Fürwahr. Unsinn. Davon spreche ich: eben nicht die Materie, von der der Aufklärer de Sade geschrieben hat. Das hat Stalin nicht begriffen. Anders: Er hat auch Marx nicht richtig gelesen. Die Wahrheit der Poesie — und ein Poet war Marx eben auch! Irgendwie. Vielleicht nicht der größte. Die Wahrheit der Poesie war ihm zu trivial. Weil er, Stalin oder wie sie alle heißen, trivial war. Oder einfach nur ein Despot, der alles negiert hat, das ihm nicht zunutze war.

Und ihr Combattantes de la Révolution de Mai 1968? Monter au Créneau? Ihr habt Marx richtig gelesen? Deshalb ihr seid alle Membres du comité de direction geworden? Es klingt in der deutschen Sprache sehr harmlos: Vorstandsmitglied. Das kann auch sein ein Premier von einem Club de 2 CV. Oder wenigstens Patron geworden? Wie Du.

Das ist ja nun wirklich die Härte.

»D'accord. Ich will nicht ungerecht sein. In Deinem Geist ist nichts, das über andere befehlen möchte. Du hast eine andere Révolution in Deinem Kopf. La révolution de la anarchie ...

Von mir aus auch Anarchie. Aber nicht als Staatsform. Wie das einige von diesen Klappentextgebildeten, von diesen Nichtskapierern gerne hätten. Anarchie der Vernunft. Meinetwegen. Liberté. Für alle.

Oui. Es ist Dein alter Wunsch. Jedoch — auch wenn eure Révolution sich gewandelt hat, mehr hineingemündet ist in eine materielle Entleerung, vielleicht sogar im Sinne von de Sade, eine Entleerung des männlichen Körpers hinein in uns — mit ihm gedacht, in einer kleinen Excursion, ist es zu vergleichen. Es ist der Geist, der fließt. Er fließt mit. In allem. Es ist correct: Es ist auch Entleerung der Seele. Es ist euer petit mort! Es war unser Gespräch. Zu diese Zeit nicht de Sade, jedoch andere. Oscar Wilde. Darüber haben wir gesprochen. Und über andere. Wir beide haben es uns gewünscht ...

Wie bitte?! Wir haben uns ...

»Oui, Didier. Es ist so! Es ist dasselbe wie das Weggeben oder das Sich-Entkleiden. Dieser Gott in uns! Nicht dieser bärtige Mann dort oben in einem diffusen Himmel, eine komische Person, gemalt von einer Kirche oder vielen Kirchen, die wir nicht akzeptieren. Über den sich de Sade hat lustig gemacht. Zu Recht. Also nicht dieser Zustand einer religiöse Gnade. Unser Nacktsein vor uns. Wie Du. Wir waren an einem Abend zur Île Ratonneau in unsere Calanque neben dem Digue Berry. Wir haben den Étoile du berger gesehen. Du hast es zu mir gesagt, Du hast gesagt, Wilde hat recht, was soll ich mit einer Seele?! Mit einer Seele, die den Kopf immer über Wasser haben muß, um ständig abwägend den Sauerstoff des Dualismus‘ von Gut und Böse, von Sein oder Nichtsein atmen zu können, eine Seele, die keine Kiemen hat, die nicht hineintauchen kann in die Gezeiten des Sein-Lassens. Also, hast Du zu mir gesagt, gehst Du viel lieber mit mir, mit Deiner Ondine von Wilde, ins Meer. Ich habe Dir meine Füße gegeben, und Du hast gesagt, sie sind die Füße von Ondine zu Lande. Und ich habe Dir geantwortet, daß wir sollen endlich geben auch den Frauen eine Seele. Und dem Mann ein Herz. Ein Herz und eine Seele. Alles für beide. Eine Seele ist ein Herz! Désormais! Für uns in der Zukunft. Wir haben Nietzsche zur Hilfe gebeten. Zumindestens dort, wo wir ein wenig die Wahrheit weit weg von diesem schlimmen Dualismus von Gut und Böse gesucht haben, die uns dieser spät, jedoch nicht zu spät gekommene Romantique angeboten hat: «O meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkel-Tugend von dir ab und überredete dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehen. Mit dem Sturm, welcher Geist heißt, blies ich über deine wogende See; alle Wolken bließ ich davon, ich erwürgte selbst die Würgerin, die Sünde heißt.»Q Und dann sind wir in das Wasser gegangen, hinein in das weiche Fruchtwasser Mer méditeranée, so hast Du es genannt, hineingetaucht in die Liebe. Wir beide. Deinen Océan hast Du mich genannt, in dem es immer warm ist und weich. Wir sind geschwommen. In uns. Weil Liebe besser ist als Weisheit.


Von allem der Anfang. Und hier schreibt sich das Einsprengsel fort.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5808 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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