Ort und Nicht-Ort Sympathisch ist mir das Gesicht immer gewesen. Und seit er mit einem alten VW-Bus, den ich ihm von Anfang an als attitudenfreies Teil seiner selbst zugestand, durch Schleswig-Holstein tuckert, als wär's ein alter Trecker oder auch Fischerkahn, bin ich, wenn es sich gerade ergibt, mit dabei. Manchmal warf bei mir notorischem Zweifler die Unbefangenheit dieses vor zweihundert Jahren aus Schweden eingewanderten gelösten, wohl weil dilettierenden Reporters die Frage auf: Ist diese ungezwungene, lässige Fröhlichkeit Schauspielerei oder das, was als Authentizität in den Sprachalltag eingedrungen ist? Seit einigen Tagen bin ich sicher: Der ist echt. Vor allem im Beweis des Gegenteils dessen, das dem Norddeutschen landläufig unterstellt, er sei unnahbar und wortkarg. Nicht ganz zu unrecht gilt er dem NDR ja als Vorzeige-Kieler. Das führt Milberg allerdings auf die Tatsache zurück, daß er seiner Heimatstadt im zarten Alter von achtzehn Jahren den Rücken gekehrt habe und sie vermutlich deshalb so gerne immer wieder aufsuche, offensichtlich nicht nur beruflich. «München war gut zu mir», war seine schlichte, aber einleuchtende Begründung. Solche Erfahrungen hatte ich durchaus auch, aber letztendlich erging es mir anders, aber das ist eine andere Geschichte; sie dauerte so lange, wie Milberg in der Stadt lebt, die ich dann endlich verlassen durfte. Selten geschah es, daß ich einem Schauspieler so gerne zugehört habe wie in dieser in die Nacht versteckten Hörfunk-Sendung Leute des SWR, in der bei eingeschalteter Kamera Gespräche mit allen möglichen Menschen stattfinden. Alleine sein gepflegtes, gleichwohl unprätentiöses Deutsch, bar jeder breitenwirksamen Schnoddrigkeit, wäre es wert gewesen, ihm zuzuhören. Aber zu sagen hatte er auch was. In den dreißig Minuten sprach er, knapp, aber dennoch kenntnisreich befragt von Stefan Siller, über sich als Schauspieler, über das sich daraus ergebende Leben et vice versa. Zwar warf er bei einer tiefergehenden Frage nach dem Privaten ein Stop-Schild beinahe leyendischen Ausmaßes in sein Gesicht, gab dann aber doch einiges preis, beispielsweise weshalb Patchwork und Liebe einander nicht ausschließen, stringent und ohne paraphilosphische Weisheiten. Zum Ende des Gesprächs wurde ich dann noch wacher, als ich es ohnehin war der unterhaltenden Inhalte wegen, kam doch ein Thema auf, das mich seit langem beschäftigt und das ich, zumindest wenn's ums Essen geht, auch immer wieder aufgreife: Nachhaltigkeit. So unangenehm der Begriff auf mich auch wirkt, weil ich ihn für eine irreführende oder auch von der eigentlichen Problematik ablenkenden Politikerphrase halte wie den der Entsorgung, so werde ich dennoch mit ihm leben müssen, da mich sonst bald niemand mehr versteht, wenn ich ihn vermeide. Von Gesprächspartner Siller darauf angesprochen, begründete Milberg schlüssig sein Engagement bei einer Stiftung, die es sich zur Aufgabe gemacht habe, «frei von Ideologie» nachhaltig zu leben. Öko schwinge da gar nicht mehr mit oder es ginge auch ohne oder so ähnlich drückte Milberg sich aus und sprach von «strategischem Konsum». Das machte mich dann doch stutzig. Und nachdem ich auf der Seite des Vereins war, der sich den Namen eines Begriffes gegeben hat, den ich eigentlich der Literatur, vielleicht gar der Philosphie zuordne und der als Nicht-Ort, als nicht umsetzbarer Wunschtraum von einer Gesellschaft bezeichnet wird, wurde ich darin bestätigt. Letztendlich geht es doch wieder um nichts anderes als um das, was ich in Faire Ritter mal leicht gröblich skizziert habe. Sicher, es ist modifiziert, das Nachhaltige. Aber es bleibt unterm Strich doch nichts weiter als die Aufforderung zum Konsum. Und daß er «strategisch» genannt wird, bedeutet nichts anderes als Krieg, entstammt der Begriff doch der militärischen Terminologie; mein dickbuchiger kluger Kluge sagt mir: der Stratege ist ein Heerführer. Demnach: Öko, das alte, auf weniger ist mehr basierende Haushalten, ist der -logie beraubt, besteht nur noch aus Kopf, hat keinen Leib und keine Seele mehr und ist damit tot, so tot wie die Grünen als einstige Bewahrer, die jetzt als falschkonservativ ihre Villen in der Toskana einfordern. Auf in den Kampf, el capitalismo.
Alle Utopien münden am Ende in Herrschaft, Produktion und Konsum, wie auch Lenin den Sozialismus als Sowjetmacht plus Elektrifizierung bezeichnet hat. Warum? Weil nicht nur vor, sondern auch nach der Moral das Fressen kommt. Nach den großen kommen die kleinen Zeiten, nach dem Schweinebraten das Müsli, nach der Ökologie die nachhaltige, strategische Fütterung. Heeresführungsziel
klar erkannt. Danke für die klaren Worte.Es ist allerdings mehr als bedauerlich, daß sich solche ansonsten denkfähigen Sympathlinge selber vor den Karren spannen. Aber vielleicht tut er das ja aus Überzeugung. Dann wäre es allerdings wider jede Aufklärung zu sagen, Nachhaltigkeit ginge auch ohne Öko. Ich empfinde die Bezeichnung «strategischer Konsum» als zynisch, wenn sie im Zusammenhang mit der Bewahrung der Umwelt genannt wird. Es klingt wie der Slogan einer Werbeagentur (die Oberstifterin hatte eine) für einen BDI oder ein Wirtschaftsministerium oder ein «zukunftsorientiertes, ökologisch tätiges» Unternehmen. Arbeitsplätze im Zeichen der neuen Zeit und so. Doch andere werden mich einen romantischen Spinner oder auch Spießer heißen, der in die Ecke gestellt gehört, weil er der Realität nicht in die Augen schauen will. >> kommentieren caterine bueer (04.05.09, 12:37) (link) Selbstdarstellung?
Klassifizierung? Sich abgrenzen von anderen "Klassen"? Sich höher werten wollen als "untere Schichten"? In den USA gehört das ja längst zum "sex appeal" der Stars und denen, die sich mit in deren Glanz sonnen wollen. Ob da wirklich politisches Kalkül eine Rolle spielt?Der Verschwörungstheoretiker
würde vielleicht sagen: Die Grünen in ihrer politischen Bedeutung entleiben. Insofern also durchaus politisches Kalkül. Aber es stellt sich die Frage, ob die ehemaligen Ökos sich nicht längst kastriert haben, zumindest der sogenannte realpolitische Flügel ist doch seit langer Zeit zur grundkapitalistischen Idee hinübergeschwebt. Wobei ich zur Basis nichts sagen kann, aber Basic ist ja bereits mit dabei in Utopia, wie der Seite zu entnehmen ist. Und wer dort einkauft, sieht keine Armen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand oder in der Geldbörse.Andererseits ist auch darüber nachzudenken, wie es ohne das, was gemeinhin unter Kapitalismus firmiert, funktionieren soll? Ohne Produktion, Handel und so weiter kann es doch gar nicht gehen. Und was spricht dagegen, daß das unter menschen- und umweltfreundlicheren Bedingungen geschieht? US-Moden
sind das sicherlich auch, wie das meiste, das aus dem Bereich der Celibritäten kommt, mittendrin in Europa immer einen guten Landeplatz findet, möglicherweise früh angenommene, denn Utopia.de gibt es ja bereits seit 2007. Politisches Kalkül? Je nachdem, wie man das definiert.Die Grünen haben sich doch längst selbst kastriert. Auch ließe sich behaupten: ideal angepaßt, besser integriert in CDU oder FDP, jedenfalls an die erneuerte letztre. Allgemeinwohl? Güterverbreitung? Wer so kompromißlos Kompromisse macht um einer Machtposition willen, den interessiert das nicht wirklich.; wie es so schön heißt: das Hemd näher als die Hose. Vereinzelt gibt es sicherlich Wohlmeinende (über die Basis weiß auch ich nichts). Aber die findet man in anderen Parteien auch. Und Kapitalismus? Wie wäre es denn wenigstens mit dem rheinischen? Wobei die Variante von Herrn Becker nicht vergessen werden sollte. Ich bin etwas ermattet. Da gibt der Kopf nichts Kluges her. Ich lese bei Utopia.de,
die Tendenz der Aussage: der Verbraucher entscheide über die Produkte. Das kommt mir bekannt vor. «Und ich glaube nämlich überdies nicht an die These: Unbesiegbar ist der Endverbraucher, der es gelernt hat, die verlockenden Angebote, die ihn versklaven sollen, zu unterminieren. An seiner subversiven Phantasie werden alle Konzepte scheitern: Bill Gates' Microsoft Paradies wie auch seine apokalyptische Negation. Das hat mal einer im Rundfunk behauptet, ich glaub, es war im Deutschlandfunk oder im Deutschlandradio. [...] Meiner Meinung nach verliert der Endverbraucher, weil er eben alles frißt, was sie ihm ihm vorsetzen. Bill Gates' Microsoft ist doch das allerbeste Beispiel dafür. Der zahlt seine Strafe aus der Portokasse, mit Zinsgewinn, weil er den Prozeß mit Hilfe seiner gigantischen Rechtsabteilung über Jahre hinzieht. Oder sie wird ihm erlassen oder zumindest reduziert. Und ich Endverbraucher fresse, weil ich gezwungen bin, mich diesen Monopolisten zu beugen. Wenn ich's nicht tue, bin ich als Massenendverbraucher abgeschnitten vom Weltweitenweb. Mit einem Minderheitenprogramm bin ich chancenlos. Also kauf ich's. Gezwungenermaßen. Und gleich noch 'nen neuen Computer dazu.» Das entnehme ich einer mir vorliegenden Schrift eines Jean Stubenzweig aus dem Jahre 2002. Zu dem «einer im Rundfunk behauptet, ich glaub, es war im Deutschlandfunk oder im Deutschlandradio» gibt es eine Note: Klaus Kreimeier: »Die Unbesiegbarkeit des Endverbrauchers. Horkheimer/Adornos Kritik der Kulturindustrie». DeutschlandRadio Berlin, Studiozeit, 13.8.99, 20:10 Ich sehe es in anderen Gebieten ähnlich. Und Yves meint, die Papilles und der Geruch würden mutieren durch das anwachsene Monopol der Industrie der Agroalimentaires. Das würde für Utopia.de sprechen. Aber wir brauchen diesen nicht existenten Ort nicht. Wir haben viele kleine, cf.: confédération paysanne. Bises Anne (et Yves) >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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