Choucroute-Choreographie

Eine schwierige Phase gab es in meinem Leben, nachdem man mich hinaufgeschickt hatte neben mich mit Sirren, nicht Sirenen, ich dann aber wieder hinunter mußte zu mir, in mein damals noch einziges Ego hinein, weil die Medizin meinte, ich sei noch nicht so weit, da oben neben mir und meinen anderen Ichen herumzuschweben. Zwar begann ich nach ein paar Wochen wieder das zu werden, was man gemeinhin als gesund oder auch arbeitsfähig bezeichnet, aber ein leicht rosafarbenes Flimmern umgab fortan meinen Blick in die Wirklichkeit. Da fühlte ich mich unter anderem geborgen auf der abgelegenen, aber deshalb wohl auch seligmachenden Insel inmitten der weiten Fernsehwelt. Über arte ließ ich nicht nur nichts kommen, sondern ich beteiligte mich an der Verschönerung dieses Eilands, indem ich unter anderem den einen oder anderen Geranienkasten vor Balkonien aufhängte, schließlich sollte das Dorf noch schöner werden. Meine positivkritischen Briefe wurden auch dankbar entgegengenommen, ja sogar teilweise veröffentlicht. Ich fühlte mich der Gemeinschaft oder auch Gemeinde zugehörig. Und tatsächlich schien mir neben meinem Tagwerk, in dem ich mich mit dem schnöden, eine harte Wirklichkeit spiegelnden Alltag der schönen Künste zu beschäftigen hatte, nichts zu bleiben als dieser wunderschöne Schein einer Welt, die morgens um sieben eben nicht noch in Dortmund, sondern, wie Marcus Hammerschmitt es trefflich formulierte, «auf den Hochebenen Perus» befand. Auch mich interessierten (nicht nur) die «Wasserknappheit» da oben im fernen Lateinamerika oder «die neuesten Entwicklungen auf dem vietnamesischen Buchmarkt» sowie der «Yakmist in der Energiewirtschaft der inneren Mongolei». Es waren auch die Damen, über die ich mich dann allerdings, als die Zuneigung zu meiner Insel irgendwann doch nachließ, da es so eng zu werden schien wie weiland das eingemauerte Berlin, leicht despektierlich äußerte.

Jahrelang war ich also diesem Senderchen in Strasbourg geradezu hoffnungslos verfallen, ob ich nun rechts oder links des Rheins hockte, in dessen Süden ich mir Anfang des Jahrtausends einen Fluchtgang gegraben hatte wie weiland Ernst Jüngers Anarch in Eumeswil; ich war für die wirkliche Welt verloren. In Strasbourg stand mein Rückzugswäldchen. Bis die Politikerstimmen lauter wurden, die mehr Zuschauer forderten, im anderen Fall Schließung oder Vereinigung mit 3sat. Man schickte 1999 NDR-Intendant Jobst Plog an die Präsidenten-Front. Es begann auf der Suche nach der Quote im riesigen Zuschauerhaufen eine seltsame Rumstocherei mit der Stange im Nebel. Die erbrachte bisweilen arg unfreiwillig komisch anmutende Choreographien mit verstärkten Hinweisen auf das Menschliche. Das animierte mich dann zu bisweilen heftigen Ausfällen. Aber wie so oft kriegt der Überbringer der Botschaft die Prügel. Auf das Personal habe ich nämlich eingedroschen. Und in meiner offensichtlich unerwiderten Liebe haben die Mädels am meisten abbekommen. Sie seien offenbar allesamt aus einer Mannequinschule Ost entlaufen. Schwer ins Visier meiner ungezügelten Vorhaltungen kam zum Ende hin Simone von Stosch. Von ihr meinte ich, sie trüge erheblich zum Charme des deutsch-französischen Ostzonenfernsehens bei. Es war aber auch zu grotesk, wie sie sich vor der Kamera bewegte.

In unserem norddeutschen Büro im ehemaligen Zonenrandgebiet lassen wir uns analog bestrahlen, regional werden wir vom NDR (bis kurz vor Hamburg) als deutsches Ostgebiet besendet. Wer also Neuigkeiten aus Schleswig-Holstein via Weltraum betrachten möchte, bekommt Mecklenburgisch-Vorpommersches vor die Augen. Und damit Frau von Stosch. Schaut man diese Provinzneuigkeiten nicht allzu oft, vermag dabei durchaus der Eindruck entstehen, sie hätten keine andere Moderatorin da rechts oben zwischen Usedom und Schwerin. Das geht so weit, daß sie mittlerweile sogar digitalisiert erscheint, auf EinsExtra, mit dem SMS- oder auch twittrigen Nachrichtenprogramm der ARD, der Niedergang der Welt in Sekunden nur. Doch das ist unerheblich. Denn Madame Simone bewegt sich so — es ließe sich auch behaupten, sie tue es nicht —, wie ich es mir manchmal bei arte gewünscht hätte, daß sie es täte: etwas zurückhaltender, nicht mit dieser affigen Attitude, von der die elsässischen Lischen et Fritzchen sich vermutlich vorstellen, sie stelle pariserische Leichtigkeit dar. Aber man hat eben seinen Glucksmann nicht gelesen, der da schrieb: «Die Franzosen schienen Affen zu sein, die rückwärts von Ast zu Ast auf einen Baum hinaufklettern und oben angekommen den Hintern zeigen.» (Von der Herkunft Frankreichs aus dem Geist der Philosophie.)

Nun müßte ich mich bei Simone von Stosch entschuldigen für die verbalen Früchte, die mein Füllhorn über sie erbrach. Ich werde es nicht tun. Denn nun erlebe ich sie als eine, die da vor der Kamera sitzt oder steht, von der besagte Lieschen und Fitzchen, diesmal die von Rügen oder Oh! so dumm, annehmen müssen, das sei die weltstädtische Vornehmheit, wie sie nunmal in der Hauptstadt des Norddeutschen (Rundfunks) gepflegt würde. Vermutlich entspricht dieses Tantenhafte ohnehin eher ihrem Naturell, weshalb das mit dem Elsässischen Ballett auch so gar nicht richtig klappen wollte, und möglicherweise ist sie selber aus dieser Strasbourger Operetten-Choreographie in die des schwerinischen Bauerntheaters geflüchtet.

Aber die Frage bleibt, wer da nun der Regisseur bei arte ist, der diese seltsamen Bewegungsabläufe vor allem der Moderatorinnen inszeniert? Nun gut, auf den Internetseiten scheint es sich gegenüber früher ein wenig zu normalisieren, sieht man mal von Nena ab, die sie mit der Sackkarre auf die Sommerbühne geschoben haben. Aber vor der arte-Kamera steht die eigentlich geschätzte und beim Heimatsander WDR bequem sitzende oder stehende Judith Schulte-Loh immer noch da, als wollte sie gleich einen mongolesisch-sauerländischen Sauerkrauttanz starten.


Nein, es war kein Traum.
 
Sa, 27.06.2009 |  link | (3421) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau


nnier   (27.06.09, 11:30)   (link)  
Tatsächlich ist es weder Paris noch Hamburg. Den Beweis entdeckte ich unlängst anner Küste hinterm Deich.




jean stubenzweig   (27.06.09, 15:01)   (link)  
Wo waren Sie
da denn, bitteschön – mit solchen Duschvorschlägen. Ist das dänisch-bürgerliches Dynamit?

Aber selbst wenn Sie die Photoladenapparatur so perfekt beherrschen sollten: sehr apart.

Ich könnte ja auch die Wahrheit sagen – ich habe schallend lachen müssen. Schmunzeln tu' ich immer noch.

An alle (wegen Post und so): Ich bin ab Nachmittag eine Weile unterwegs.


nnier   (27.06.09, 17:46)   (link)  
Isse Deutshland, isse am Elbmündung-West.

(Gänzlich unmanipuliert.)


hanno erdwein   (29.06.09, 09:50)   (link)  
Judith Schulte-Loh
kenne ich nur aus dem Hörfunk (WDR5) und den dort ausgestrahlten magazinsendungen. Ich mag sie nicht. Wirkt auf mich ein wenig zu arg emanzenhaft. Hör nur zu, um weltweit informiert zu sein.
ARTE konsumiere ich relativ selten mit den Ohren. Lieber Phoenix, 3SAT und die übrigen Doku-Sender. Da wird viel kommentiert und man kann das fehlende bild gut kompensieren.


prieditis   (29.06.09, 12:23)   (link)  
ich erinnere mich an regelmäßige Auftritte im Morgenstund-TV...
Sie war mir oft zu schnippisch - aber klar, um die Uhrzeit ;o)


jean stubenzweig   (29.06.09, 16:20)   (link)  
Um die Dame
geht es ja nicht alleine bzw. die mag jeder bewerten, wie er will. Auf jeden Fall bewegt sie sich innerhalb des WDR anders, sprich natürlicher als im Beglückungssender. Und das liegt eben an den Verantwortlichen von arte und deren Choreographen, die das Programm einpacken, als müßten sie Tinnef umschönen. Und das aber wäre gar nicht nötig, da die Inhalte im wesentlichen von guter bis außerordentlicher Qualität sind, die ich nicht missen möchte. Das verpackende Getue ist überflüssig. Allerdings scheint mir das hauptsächlich aus der französischen Ecke zu kommen.


apostasia   (30.06.09, 00:10)   (link)  
Eine eigene Ästhethik
möchte das sicherlich sein. Aber »französische Ecke«?


jean stubenzweig   (30.06.09, 12:59)   (link)  
Französische Ecke
deshalb, da mir die Sehnsucht nach Kitsch etwa im Sinne von Milan Kundera im Land um einiges noch ausgeprägter scheint als rechts des Rheins. Und immer wieder bricht sich die Sehnsucht nach der glorreichen Vergangenheit Bahn: irgendwelcher Abklatsch von irgendwas dem Höfischen ähnelnden, das in die kleine Bourgoisie hinüber dackelwackelt.

«Bevor die Schönheit», meint Kundera in Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, «endgültig aus der Welt verschwindet, wird sie noch eine Zeitlang aus Irrtum existieren. Die Schönheit aus Irrtum, das ist die letzte Phase in der Geschichte der Schönheit.»


apostasia   (01.07.09, 18:05)   (link)  
In der Geschichte
des Landes verankerte Gloriolensehnsüchte? Kundera ist Tscheche. Aber ja, er schreibt französisch ...


jean stubenzweig   (11.07.09, 09:39)   (link)  
Kundera ist,
nachdem die Sowjets den Prager Frühling mehr als runtergekühlt hatten, rübergemacht nach Frankreich und hat später die Staatsbürgerschaft angenommen; seit Anfang der neunziger Jahre schreibt er französisch. In dem Zitat geht es nicht um Frankreich, es ist sozusagen globalisierend anwendbar. Aber ich habe Kundera einvernahmt ins französische Herz geschlossen.















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