Immer am Flüßchen entlang ...

Aber den eigentlichen Schreibanlaß — ein wenig inspiriert durch die Äußerungen von Herrn Nnier —, den erzähle ich beim nächsten Mal, hieß es beim letzten Mal. «Hinter der nächsten Kurve sozusagen. Ich bevorzuge zwar das Mäaandern, aber immerzu am Flüßchen entlang, das langweilt genauso wie das ewige Geradeaus.» Hier also die Biege für meinen dauerblinkenden Langsamkeitsrausch.

Ich weiß nämlich auch, weshalb ich, will ich ins Hansestädtchen nach rechts oben (auf der Landkarte, das Navi[gationsgerät] stellt solche Bilder eher seltener her), gerne ein Viertel- oder Halbesstündchen länger unterwegs bin. Nicht nur, weil ich die teilweise zauberhafte Landschaft immer wieder gerne anschaue, die sich zeigt, wenn man in Hamburg gleich östlich über Rahlstedt hinausfährt über Mölln beziehungsweise Schmilau (wo angehalten werden muß, weil es bis Oktober Erdbeeren vom Feld und überhaupt viel Obst gibt) an den Lauenburgischen Seen vorbei hinter Ratzeburg und eintaucht in die «DDR», wo sie manchmal noch sichtbar wird in der ihr ursprünglich auferlegten Schlichtheit (besonders deutlich wird das, wenn man auch nach Berlin über die Dörfer fährt, was im übrigen auch nicht so viel länger dauert als über die mehrspurige A-nach-B-Strecke). Nur diese Fahrpraxis hat es mir ermöglicht, die eine oder andere hinter dem nächsten Busch versteckte Wiederherstellungsstation, möglicherweise gar eine der Ärmerenspeisung kennenzulernen. Das wäre nicht möglich gewesen, wäre ich in Berlin, Hamburg oder München ins Auto ein- und erst wieder in Lloret de Mar ausgestiegen, um mich anschließend drei Wochen lang grillen zu lassen. Mir war in der Pfanne zubereiteter Fisch ohnehin immer lieber. Und wie hätte ich erfahren sollen, wo Walter Benjamin die französisch-spanische Grenze überschritten hat, um sich in Port Bou ein Ende zu machen? Ich weiß nicht, ob ihm danach war, sich zuvor noch einmal diesen schier unglaublichen Blick (von da oben) aufs Meer zu gönnen, den man hat, wenn man von Perpignan aus das kleine Sträßchen am Wasser entlangfährt. Es soll Menschen geben, die anschließend nur noch leben möchten.

Sicher, das sei nicht verschwiegen, auch ich hatte diese Zeiten, in denen ich ausweglos durchgefahren bin. Und oft genug auch viel zu schnell, meist nachts, durchaus auch nur um des Fahrens, vielleicht besser des Bretterns willen, oft genug in einem Akt, in einem Geschwindigkeitscoitus, dessen Interruptus durch eine millionenjahre alte Felswand und ebenso nicht durch einen von zwei Jahrhunderten gefestigten Baum auch diese ansonsten ja wirklich stählerne schwäbische Umhüllung nicht ausgehalten hätte. Zuvor auf zwei Rädern habe ich mit seinerzeit ungeheuerlichen bald hundert Pferden unterm Hintern unterwegs ebenfalls bar jeder Vernunft kapriolt. Aber irgendwann hatte es sich genug getobt, zumal man, wie nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die eigene Erkenntnis irgendwann feststellte, auf der Gesamtstrecke gerademal ein Stündchen rascher vor Ort war und vor lauter Erschöpfung nicht mitbekam, welch entzückendes kleines Hotel sich mitten im Ort befand. So hatte ich mich bald meiner Charakteristik besonnen, die sich bei mir zusehends der inneren Langsamkeit besann. Auch mit der in jeder Hinsicht großvolumigen Voiture bin ich dann selten weiter als dreihundert Kilometer gefahren, und auch die gerne noch unterbrochen durch den einen oder anderen Kaffee im netten Café im Dörfchen. Immer früh los und spätestens am Mittag im Hotel und dann das Städtchen und die Menschen darin betrachtend und bisweilen unterhaltend genießen. Das wurde mir zum Lebensglück. Gut, noch ein Geständnis: auch später konnte ich es mir hin und wieder nicht verkneifen, Kick-down zu praktizieren, wenn so ein europaweit anzutreffendes Schnöselchen meinte, diese dicke, fette Boche-Voiture zweihundert Meter vor Ortsausgang überholen zu müssen. Ja, ich gestehe, das dümmlich-erstaunte Gesicht des Formel-10-Rennpiloten genossen zu haben, als sein Autochen nicht nur zurück-, sondern stehenzubleiben schien. Weiter draußen ließ ich seinen Stinkefinger dann jeweils triumphieren (nein, Sie sind damit nicht gemeint, Sie tun sowas ja nicht).

Die Raserei überlasse ich also seit langem den Jungen im etwas älteren, dafür aber mit breiteren Reifen ausgestatteten und entsprechend der Geisteshaltung nach unten nivellierten alten Auto, gleichermaßen die Angejahrten im jung-dynamischen Gefährt, aber zügig unterwegs sein mag ich schon, alleine um den Verkehr nicht aufzuhalten. Dann überhole ich eben die mit guten Hundert im kleinen Großraumautomobil ans Meer eilende Familie. Und bin dann froh, sie hinter mir gelassen zu haben. Vor allem, weil ich sehe, daß der Übervorgang die etwas steif am Steuer sitzende Fahrerin derartig erschreckt haben muß, daß sie anschließend sofort auf die linke Fahrspur ausweicht, obwohl sie eindeutig langsamer unterwegs ist und kilometerlang weiter vor sich hinnuckelpinnt. Das ist der Grund, weshalb ich ebenfalls die immer geradeaus führenden Bundes- (oder südlichen National-)Straßen meide. Denn dort sind die sommerzeitlichen Piloten und Pilotinnen derart schmerzhaft unterwegs, daß sogar ich Müßigfahrer aggressiv zu werden vermag. Sobald sich in weiter Ferne ein Kürvlein andeutet, wird die Geschwindigkeit soweit reduziert, daß ein Hinausgetragenwerden aus demselben garantiert unmöglich gemacht wird. Mit achtzig Sächlein geht's anschließend dann immer so weiter, ein gewaltiges Aggressionspotential hinter sich lassend. Und das erfordert überdies und offensichtlich eine derartige Konzentration, daß das Ortseingangsschild nicht wahrgenommen wird und sich Hund, Katz und Kleinkind in die Häuser flüchten und abwarten, bis der Deutschen und auch anderer liebste Jahreszeit endlich Pause macht. Blinken, das tun sie immer brav, auch wenn's nur ein, zwei Meter Richtungsänderung sind und's kein Mercedes ist, da gibt's kein' Jota Widrigkeit gegen die gesetzliche Blink(ver)ordnung.

Ich denke bis zum Ende der Ferien- und somit Fahrenszeit derweil darüber nach, es mal mit einer anderen Art Blinker zu versuchen. Nicht nur Törtchen, auch Fische aus dem süßen Wasser mag ich gerne.
 
Do, 13.08.2009 |  link | (2427) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs


nnier   (13.08.09, 10:38)   (link)  
"Es soll Menschen geben, die anschließend nur noch leben möchten." - wirklich ein schier unglaublicher Blick. Wer redet da noch übers Blinken. Na gut, eines noch dazu: Täten sie nicht blinken, wär's auch nicht besser.


jean stubenzweig   (13.08.09, 17:48)   (link)  
Der Blick von oben,
von der Klippe übers weite Meer bis nach Afrika, der wäre mir lieber gewesen. Aber leider habe ich den nicht abgelichtet gefunden (es verblüfft mich immer wieder: die Menschen scheinen alles zu photographiern, nur so etwas nicht; kaum jemand scheint in die Ferne blicken zu wollen, am liebsten immer wieder in die Tiefe, ins Loch).

Und ja, das Blinken, das mit dem Auto, Sie sagen es. Mir ist es lieber, wie ich's aus Frankreich kenne: sich mehr so bewegen, daß auch für die anderen Teilnehmer mitgefahren wird, quasi das angenehmere soziale Verhalten auch innerhalb dieser Art Verkehr. Und lieber eine Grabenbeule am Auto und dann noch eine oder auch zwei, sozusagen die Knutscher erhöhten Verkehrsaufkommens, als von einem deutschen dreitonnigen Vorfahrtsrecht überrollt zu werden.


damenwahl   (13.08.09, 12:02)   (link)  
In der Nähe von Perpignan habe ich einen der schönsten Urlaube meiner Kindheit verbracht: mit Autozug durchs Rhône-Tal, und dann zwei Wochen lang ein Haus, ein Pool, viele Bücher und sonst nichts. Einkaufen im Hypermarché mit Mama, das auch. Herrlich! An die Aussicht kann ich mich aber nicht erinnern, da muß ich also noch mal hin....


jean stubenzweig   (13.08.09, 15:29)   (link)  
Auch wenn Sie beklagen,
zu alt zu sein, aber immerhin dürfen Sie im Gegensatz zur früheren Zeit sich jetzt ein Auto mieten. Denn das benötigen Sie, um an diese Aussichtspunkte zu gelangen: die D81 entlang ungefähr über Argelès-Plage, später die D114 und die D 914 über Collioure und Banyuls-sur-Mer nach Cerbère, wo sich der Grenzübergang befindet, nach dem Sie sich hinunterstürzen können ins spanische Port Bou, um Walter Benjamin zu besuchen, und sei es auch nur dessen von Dani Karavan gestalteten Denkort.

Aber wer weiß – vielleicht fährt Sie ja ein ganz bestimmter Franzose dorthin, weil er nicht nur geradezu unheimlich gut aussieht, sondern sich auch noch für die Künste interessiert.


damenwahl   (13.08.09, 17:57)   (link)  
Die Vorstellung gefällt mir, und wenn Sie mich jetzt sehen könnten... ich lächele gerade still vor mich hin, so zufrieden, als hätte ich das appetitliche Himbeertörtchen rechts oben gerade verspeist. Ich nehme schon an, daß der gleichermaßen appetitliche Franzose nicht völlig ungebildet ist - ob es alledings soweit kommt... hach! Sonst fahre ich alleine, denn wie Sie ja ganz richtig festgestellt haben: Auto fahren darf ich inzwischen.















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