Hohe Zeit. Traumhafte Lage.

Fortsetzung von Hohe Zeit. Talstation

Er mußte sofort eingeschlafen und in einen Traum gefallen sein. Nein, kein Alptraum. Anflüge dessen zeichneten sich ja im derzeitigen Wachzustand ab. Eine ungemein schöne Frau erschien ihm, auf den ersten Blick eine Mischung aus Nordafrika und Südostasien, er legte ihre Wurzeln in Tunesien oder Algerien sowie in der Nähe des chinesischen Meeres fest, wobei auch noch weitere, wunderschöne Wildwüchse hineingewachsen zu sein schienen. Ein blasses, länglich geformtes Gesicht mit verblüffend großen dunkelbraunen Augen, umrahmt von sehr kurzen, leicht glänzenden schwarzen Haaren, die in längerem Zustand sich jeder Bürste widersetzen dürften, nach unten ein ungemein geschmackvoller Anblick, ein tiefdunkelblauer, möglicherweise schwarzer Hosenanzug, nein, das wäre zu profan, einer schmalgeschnittenen Hose, darüber ein sanft schimmerndes kaftanähnliches Gewand. Sie stand in einem Türrahmen, neben ihr eine weitere, zwar aparte, aber bei weitem nicht so attraktive und auch nachlässiger gekleidete Frau, die ihm bekannt vorkam. Sie sprachen über Nina Morato, die vor einiger Zeit nach ihrer vor allem, da waren sie sich offensichtlich einig, im Titelstück entzündenden Platte L'allumeuse und einer längeren Pause mit Moderato wieder von sich reden gemacht habe. Die ihm so bekannt Vorkommende mit den leicht schiefen Gesichtzügen erwähnte mit Nachdruck, die gute alte Maurane mit ihrem Doudou auf Différente käme ihrem Gemüt zur Zeit näher. Überhaupt benötige sie zur Zeit etwas mehr Ohrenschmalz, momentan allerdings lieber von starker Stimme gesungen. Und am ehesten gebe es die nunmal in der Oper, da könnten sie nicht mithalten, die Damen des Varietés; sein im Gehirn fest installierter Thesauraus übersetzte das in einen Begriff, der musikalischem Tingeltangel nahe kam.

Ob sie die Karten für den heutigen Abend bekommen habe, schließlich wäre obendrein noch Kaija Saariahoo zu Besuch, und die käme nicht allzu oft raus aus dem Loch Paris in den hiesigen Dunstkessel, Sami habe ihr versprochen, zu diesem Anlaß Dienne etwas Ordentliches in dem seinen schmoren zu lassen, hörte er sie in einem Satz zugleich fragen und kommentieren. Und er mußte feststellen, daß das gar kein Traum, sondern die gleichwohl verwirrende oder auch wirre Wirklichkeit war, die ihn fest im Griff hatte in Gestalt der beiden Damen, die ihn offensichtlich mit ihrem musikalischen Geplauder sanft aus dem Schlaf holen wollten. Kaum getraute er sich durch das erkennbare Öffnen der Augen sein Wachsein preiszugeben. Wie kam er aus dieser Situation heraus und in in die Bahn, um dieser sich langsam als Schreckensort erweisenden Stadt zu entfliehen? Andererseits war er nicht abgeneigt, in die Nähe dieses Wesens zu geraten. Möglicherweise war es nicht nur schön, sondern auch noch sympathisch. Allez, rief ihm seine Herbergsmutter zu, sie habe längst gesehen, daß sie unter Beobachtung stünden, man nehme sich in dieser Fähigkeit wohl nichts. Ihre Nachbarin sah nicht nur zauberhaft aus, ihr Lächeln verzauberte ihn endgültig. Nun, dann würde er eben tatsächlich erst am nächsten Tag weiterreisen. Die Karriere, welche auch immer, hatte bisher soviel Geduld gehabt mit ihm, die würde noch ein wenig länger warten, und auch das Meer liefe ihm nicht weg, das mittlere in seiner Trägheit ohnehin nicht. Auch könnte er vielleicht seine seit London Angebetete doch noch sehen, wobei dieser Gedanke geradezu Reißaus nahm bei dem in der Tür stehenden und immer noch lächelnden Anblick.

Er schälte sich aus der in Frankreich üblichen leichten Decke, eine Blöße mußte er nicht verdecken, war er doch in Hemd und Hose offensichtlich sofort eingeschlafen. Ob er wohl, murmelte er zurückhaltend, einen Café haben dürfte. Sicher doch, war die Antwort, unten bei den beiden alten Tanten, einen so guten brächte sie nie hin, womit sie für alle Zukunft die Quelle angegeben habe und aus jeder sich möglicherweise einstellenden Kritik heraus sei. Die Grazie machte einen Schritt auf ihn zu. Verängstigt zog er sich die Decke über die Beine. Der Kleine müsse sich doch nicht ängstigen, kam die lachende Reaktion bei ihm an, in einem Stimmvolumen, die er diesem zierlichen Körper nicht zugetraut hätte. Sie reichte ihm die Hand, Bonjour, mein Name ist Anouk, eigentlich irgendetwas mit verlorenen burmesischen Spuren, aber das läge gut zwei Generationen zurück, zudem hätten noch ein paar andere Nationen wüste Pfade in ihr hinterlassen, aber Franzosen hätten mit allem Nichtfranzösischen ihre Schwierigkeiten, nicht zuletzt wohl aufgrund ihrer nicht eben glorreichen jüngeren zweihundertjährigen Geschichte, auch ihr wäre nach Café, vor allem aber nach einem ordentlichen Mal, denn in diesem Theater gäbe es kaum etwas zu essen, immer nur Arbeit.

Mit Theater, stellte sich unten am runden Tisch sitzend heraus, war die hiesige Rotlichtoper gemeint, die sie heute abend aufsuchen würden und wo sie als Produktionsdramaturgin beschäftigt war, was die mitgebrachten Eintrittskarten erklärte, unter Stückvertrag stehend. Die Bezahlung sei jammervoll, gab sie ihm zu verstehen, während sie den Café mit Champagner hinunterspülte, weshalb sie auch lieber hier die Kantine von Sami und Dienne aufsuche, wo es nicht nur reichlich und gut gäbe, sondern sie auch anschreiben könne. Sami und Dienne, wie zuvor schon kamen ihm diese Namen seltsam vor, Sami, nun ja, aber Dienne, das hatte er noch nie gehört. Er getraute sich zu fragen. Weil sie, so Sami, der Ältere und auch um einiges Kräftigere im Gegensatz zum eher schmächtigen Dienne, sich vor dreißig Jahren an einem Samedi die ewige Treue geschworen hätten. Damals habe man noch nicht heiraten dürfen, und das nicht nur, weil sie damals nach einem Gastspiel nicht zurückgekehrt seien nach Polen, wo man bestimmter Neigungen wegen geschächtet würde in diesem erzkatholischen Land, denn schließlich sei Dienne schwul und Di noch nicht in aller Munde gewesen, und diesen weiblich klingenden Namen habe er nur erhalten, da Männer nunmal die besseren Köche seien, das sei im hiesigen Land nunmal hinreichend nachgewiesen worden. Er wagte nicht, eine Reaktion auf diesen gerade wegen seiner Lakonik überaus komischen Vortrag zu zeigen, aber die beiden Frauen, die diese Geschichte vermutlich nicht zum ersten Mal hörten, brachen in schallendes Gelächter aus. Diese Hypothese ließe sich so nicht aufrecht erhalten, entgegnete das grazile Geschöpf namens Anouk, einmal mehr zauberhaft lächelnd, sie als Mann sei unfähig, ihre Gefährtin angemessen und gebührend zu verköstigen.


Der vierte Teil wuselt in Ansätzen durchs Gehirn. Aber zunächst mal Päuschen.

Hohe Zeit • Erzählung

 
Do, 01.10.2009 |  link | (2707) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Hohe Zeit


damenwahl   (01.10.09, 12:13)   (link)  
Was...
... bitte schön, ist denn eine Rotlichtoper?


jean stubenzweig   (01.10.09, 13:42)   (link)  
Da setze ich extra
für Sie, auf daß Sie Ihren zweiwöchentlich immer frischgeduschten Hals nicht so recken müssen, um ins schöne Land hineinschauen zu können, grundsätzlich so viele bunte Bildchen in meine um Frankreich kreisenden Texte. Nun ja, die Haustierbeobachtung nimmt reichlich Zeit in Anspruch ...

Im von Ihnen kommentierten ersten Teil – Anstieg – der Geschichte ist das im ersten Absatz erklärt, einschließlich einer Bebilderung wortens Tonnendach; hier eine weitere, die das noch deutlicher macht.


damenwahl   (01.10.09, 13:52)   (link)  
Mea culpa, dieser Verbindung habe ich nicht folgen können. Ich hatte bei dem Wort Rotlichtoper andere Assoziationen - an Dächer und Lichter habe ich hingegen nicht gedacht. Danke!


jean stubenzweig   (01.10.09, 14:22)   (link)  
So abwegig
war Ihre Assoziation gar nicht. Ein bißchen Vorgabe steckt da durchaus drinnen. Allerdings scheint mir der Weg dorthin zum Ziel geworden zu sein. Irgendwann landen wir schon noch in dem Gäßchen und der entzückenden Bar an dem schönen Plätzchen, wo die Bordsteinschwalben sich ganz entspannt vom Segeln erholen dürfen.


nnier   (03.10.09, 18:02)   (link)  
Da habe ich ja einiges verpasst diese Woche! Und bin gespannt auf die Fortsetzung.
(Das schöne Plätzchen kommt mir jetzt schon bekannt vor.)


jean stubenzweig   (04.10.09, 20:20)   (link)  
So großartig ich das
empfinde, daß Sie mit mir mitreisen (und sich besser auskennen als ich) – aber Marseille ist schließlich nicht die Welt (auch wenn es manchmal den Anschein haben mag). Das schöne Plätzchen, das hier gemeint ist, befindet sich in Lyon, wo es eben auch sehr schöne Plätzchen für und mit Bordsteinschwalben gibt. Irgendwo habe ich es mal angedeutet, aber ich weiß nicht mehr wo. Doch es wird seinen Platz finden, das Plätzchen, wenn ich weiterhin von Lyon erzähle. Aber alles zu seiner Zeit – momentan bin ich unterwegs ...


jean stubenzweig   (05.10.09, 07:41)   (link)  
Aber sicher doch,
fällt mir soeben als Nachtrag ein, nachdem ich die gestrige Oper verdaut habe, hat auch Marseille eine solche. Und sie befindet sich tatsächlich – das hatte Sie wohl geographisch ein wenig irregeleitet – mittendrin im rotgelichteten Viertel (während die in Lyon sich lediglich den Anschein gibt). Also ziemlich viel los ist dort, auch wenn es kein Haus mit nationalem Status ist.


nnier   (06.10.09, 00:15)   (link)  
Sie überschätzen mich mal wieder. "Geographisch irregeleitet" bin ich grundsätzlich und von Natur aus - und kenne schon deshalb keine Rotlichtvertel nirgendwo. Es wurde durch Ihre Erzählung ein Erinnerungsfragment in Resonanzschwingungen versetzt, das sich um Ortskoordinaten ebensowenig schert wie der zu Tode zitierte Fußballer Andreas Möller: "Mailand oder Madrid - Hauptsache Italien!"















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