Grün ist die Hoffnung

So spricht das Volk, jedenfalls ein Teil davon; der gleichwohl ständig anwächst, seit die Bürgerlichkeit so wahr ihr Gott helfe brav mitregiert. Wer nicht auf diese Weise mithofft, ist demnach ein nicht ganz ungefährlicher Andersdenkender, das meint jedenfalls das allwissende Medium Jakob Augstein, er ist nämlich «mit dem rechten Virus infiziert».

Ich habe demnach keine Hoffnung zu erwarten. Doch ich war ohnehin dem Willen meiner Mutter unterworfen und bereits früh auf Blau fixiert. Zwar hatte ich mich von ihr und dem gesamten Blut scheiden lassen, aber der Hang zu dieser Farbe brach wieder durch. Deshalb wohl suchte ich bei einer Blauen Reiterin im Voralpenland Zuflucht und Liebe.

Graphik: Ernst und Lorli Jünger

Doch die verschmähte mich und zog sich mit einem Russen in ein weiß-blaues Häuslein zurück. Dem war die Heimeligkeit dann vermutlich zu fad geworden, wie man in dieser lieblichen Vorgebirgsgegend spricht, und ist zu einer gewissen Geistigkeit zurückgekehrt. Ich tat's ihm gleich, da hatte sich die Vererbungslehre im Sinn von ex oriente lux wohl letztlich durchgesetzt. Dieser Herr antizipierte seinerzeit die heutige politische Farbenlehre:
«[...] Grün ist die ruhigste Farbe, die es gibt: sie bewegt sich nach nirgend hin und hat keinen Beiklang der Freude, Trauer, Leidenschaft, sie verlangt nichts, ruft nirgends hin. [...] so wirkt das Grüne nur langweilend [...], wobei diese Eigenschaft von einer Art Fettheit, Selbstzufriedenheit parfümiert wird. Deswegen ist das [...] Grün im Farbenreich das, was im Menschenreich die sogenannte Bourgeoisie ist; es ist ein unbewegliches, mit sich zufriedenes, nach allen Richtungen beschränktes Element. Dies Grün ist wie eine dicke, sehr gesunde, unbeweglich liegende Kuh, die nur zum Widerkäuen fähig mit blöden, stumpfen Augen die Welt betrachtet.»

Komme mir niemand von wegen fehlender Nachweis. Geschrieben hat das Wassily Kandinsky, in: Über das Geistige in der Kunst, VI. Formen- und Farbensprache, 10. Auflage, Bern 1973, S. 94f.
 
Fr, 13.05.2011 |  link | (4087) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges


jagothello   (13.05.11, 20:41)   (link)  
Vielfältige Talente
scheinen Sie zu besitzen. Der Vater von Pelé soll ja beim Anblick des gerade zur Welt gekommenen späteren Fußballgotts ausgerufen haben: "Das wird der größte Fußballer aller Zeiten, wie man an den Beinen sieht." Aber gut- der war Brasilianer. Ich hätte Sie mir allerdings nach sorgsamer Lektüre diverser Texte doch ein bisschen älter vorgestellt und v.a. eher im HSV- Trikot...


jean stubenzweig   (13.05.11, 22:17)   (link)  
Zugegeben. Gemogelt
habe ich ein bißchen (wahrscheinlich habe ich zu tief in die Partnerbörse gekuckt). Es ist eine etwas frühere Photographie. Aber eines will ich klarstellen, darauf lege ich besonderen Wert: HSV. Pah. Ich bin vom Herz bis zur Sohle Marsaillais. Allez l'OM! Ohne Umwege zum Ziel (jedenfalls beim Football – direkt aufs Tor). Na gut, ein wenig ehrlicher: Fußball muß nicht unbedingt sein. Aber schließlich die Erklärung: «Jeder trägt seine Heimat an der Sohle und führt an seinem Fuß die Heimat nach Marseille


nnier   (14.05.11, 10:13)   (link)  
Ein ganz wunderbares Zitat haben Sie da ausgegraben. Man sollte es auf Kärtchen drucken und bei Gelegenheit aushändigen wie eine Visitenkarte.


vert   (14.05.11, 12:00)   (link)  
pöh.


jean stubenzweig   (14.05.11, 14:35)   (link)  
Des Russen Geisterlehre
beschäftigt mich immer wieder mal, im besonderen, wenn's gedanklich Farbe zu kultivieren gibt. Hin und wieder muß – Sie als praxisorientierter Mensch kennen sich dabei, nehme ich mal an, um einiges besser aus als ich – auch mal ein Eimer voll angerührt werden. Anlässe lagen einige an in letzter Zeit. Von daher summten Kandinskys Grün-Betrachtungen quasi marginal (Lichtenberg oder Picabia?) wie in einem tollen Bienenhaus durch meine Restsynapsen. Und da dieses Buch nicht wie so mancher Geist mumifiziert auf irgendwelchen Dachböden herumliegt, mußte ich nicht einmal tief graben, sondern lediglich ins Regal greifen, um mittels Auslassungen und Setzungen dieser Farbe eine aktuell bunte Wertung angedeihen zu lassen.

Wobei ich nicht verschweigen sollte, daß eigentlich dieser Apo-Opa und in Folge der ostfwestfälisch-französische Grüne dieses mich leicht überraschende Feuerchen entfacht hat. Zur letztendlichen Zündung haben Sie wohl beigetragen, als Sie Ihren Heißluftballon steigen ließen.

Da ich ein fair handelnder, also vermutlich ein eher Unbegabter bin, was die Effekte betrifft, trage ich die Schlußsequenz dieses Absatzes samt Anmerkung nach:
«[...] stumpfen Augen die Welt betrachtet.1 Grün ist die Hauptfarbe des Sommers, wo die Natur die Sturm- und Drangperiode des Jahres, den Frühling überstanden hat und in eine selbstzufriedene Ruhe getaucht ist.

1 So wirkt auch das ideale, viel gepriesene» Gleichgewicht. Wie gut auch Christus das gesagt hat: ‹Du bist weder kalt noch warm.›»



edition csc   (14.05.11, 21:14)   (link)  
À propos bleu
Da wurden die beiden
Bei der Umarmung grün wie Gras.

–cabü


jean stubenzweig   (15.05.11, 12:41)   (link)  
Das Grün des Kindergartens
und das im heimatlichen Plattenschrank erobert sich sein Erinnerungsterrain zurück? Ich höre ein fröhliches Stimmchen die Sesamstraße rauf- und runterträllern.


terra40   (15.05.11, 00:23)   (link)  
Liebe und böse Farben
Laut Wilhelm Müller, Dichter der Lieder aus der Zyklus Die Schöne Müllerin, welche Franz Schubert auf grandioser Weise vertont hat, hat das Grüne viele und vielschichtige Aspekte. Lied 16 behauptet daß " Grün eine liebe Farbe sei ", während Lied 17 den Titel hat: Die böse Farbe. Es ist jedoch dieselbe Farbe. Auch die gebrauchte Laute ist von einem grünen Lautenband umschlungen (Lied 13). Und weltberühmt sind die Töne aus Lied no. 16. "Mein Schatz hat's Grüne so gern, mein Schatz hat's Grüne so gern." Fritz Wunderlich hat es wirklich wunderbar gesungen.
Gruß, T.


jean stubenzweig   (15.05.11, 15:38)   (link)  
Durch die Bedeutungen
und Wertungen schlägt sich die Farbe. Man denke nur an diese Bank aus Dresden, die so unselig in die Hölle der Geldgläubigen verbannt wurde, der auch ihr grünes Band der Sympathie nichts genutzt hat. Ich bleibe ohnehin bei Blau, und sei es dem der Blume. Kornblumenblau. Ist auch so 'ne Art Kunstlied.















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